Wenn die Wirtschaft in die Krise gerät, stärkt das die extremen Parteien der Ränder. Historisch lassen sich für diese Binsenweisheit viele Beispiele finden. Eine andere lautet: Wähler nationalistischer Parteien, das sind die Deklassierten, die Globalisierungsverlierer, jene, die Angst haben abgehängt zu werden. Auch diese Parole ist geschichtlich gut belegt. Doch für Binsenweisheit Nummer eins sieht’s derzeit schlecht aus: Deutschlands Wirtschaft wächst das achte Jahr in Folge, die Arbeitslosenzahlen sind auf dem niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. Für Nummer zwei sieht’s nicht besser aus: AfD-Wähler unterscheiden sich weder in „Einkommen, Berufsprestige, Bildung und Arbeitslosigkeit“ signifikant von Wählern anderer Parteien, wie eine Befragung von rund 24.000 Personen unlängst ergab. Einzige Differenz: „Sorgen um Zuwanderung“.
Das sozioökonomische Panel zeigt: Wer sich „Sorgen um Zuwanderung“ macht, entscheidet sich 4,6 mal häufiger für die AfD – unabhängig vom Einkommen oder sozialem Status. Das ist interessant, widerspricht es doch der bisher geläufigen Meinung, Wähler, die sich für die Rechtsaußen-Partei entscheiden, sind die Enttäuschten, jene, die von der Globalisierung am wenigsten profitieren. Interessant ist dies auch deshalb, weil es uns viel über den Umgang mit dieser Partei lehren kann.
Die Partei des kleinen Mannes …
Wirft man einen Blick ins Grundsatzprogramm der AfD, lassen sich zwei klare Tendenzen erkennen: Zum einen die nationalistische und reaktionäre, die „eine deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus“ sowie einen „Paradigmenwechsel“ in Sachen Zuwanderung und Asyl fordert. Die zweite Tendenz – und diese ist medial als auch in der Selbstdarstellung stark unterrepräsentiert – ist die marktradikale: freie Marktwirtschaft, ein möglichst „schlanker Staat“, Erbschaftssteuer abschaffen und Spitzensteuersätze begrenzen. Ergo: Die Partei für den „kleinen Mann“ befördert eine radikale Umverteilung von unten nach oben.
Betrachtet man die führenden Köpfe dieser Partei, dürfte das nicht weiter überraschen: Alice Weidel, die Co-Vorsitzende der Bundesfraktion, ist Mitglied in der Hayek-Gesellschaft. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Unternehmern, denen vor allem die Vermögenden dieser Welt am Herzen liegen. Als ihr großes Vorbild nennt die Unternehmensberaterin und Ex-Goldman-Sachs-Mitarbeiterin: Margaret Thatcher (die „Eiserne Lady“), Vordenkerin und mit dem amerikanischen Ex-Präsidenten Ronald Reagan eine der Hauptantriebskräfte neokonservativen wie marktradikalen Denkens.
Auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch ist Mitglied in der Hayek-Gesellschaft. Die geborene Herzogin von Oldenburg machte sich vor der AfD-Gründung vor allem als Lobbyistin einen Namen. Insgesamt fußt die Finanzierung der AfD auf zahlreichen, gut betuchten Unterstützern, die ihr regelmäßig mit üppigen Finanzspritzen den Rücken stärken (mehr zur Finanzierung der AfD siehe hier und hier).
… kuschelt mit Rechtsaußen …
Auch wenn die eingangs erwähnten Binsenweisheiten auf das Deutschland dieser Tage nicht zutreffen, spiegelt sich in dieser Konstellation doch eine altbekannte historische Konstante wider: Der Schulterschluss von Kapital und Rechtsaußen.
Für sich betrachtet setzt sich diese Partei aus drei Bestandteilen zusammen:
- Personen, die sich ernsthaft (!) um die Zuwanderung sorgen
- neokonservative, marktradikale Eliten sowie
- Rechtsextreme und Rechtsradikale
Wenn man der AfD eines anrechnen kann, dann vor allem eines: Sie hat den Zusammenschluss dieser drei Gruppierungen zur Perfektion getrieben.
Wie das sozioökonomische Panel zeigt, wählen vor allem jene Personen die AfD, die sich vermehrt um die Folgen der Zuwanderung sorgen. Dafür mag es unterschiedlichste Gründe geben – wirtschaftliche, soziale oder kulturelle – es muss nicht zwangsläufig etwas mit einer ausländerfeindlichen Gesinnung zu tun haben. Fakt ist: Viele Menschen entscheiden sich für die AfD, weil sie sich eine Begrenzung der Zuwanderung wünschen – auch wenn sie mit vielen anderen Punkten im Parteiprogramm nicht einverstanden sind.
Das Satiremagazin „extra 3“ zieht nach einem Jahr AfD im Bundestag Bilanz:
Die zweite Gruppe, die neokonservativen, marktradikalen Eliten, umfasst Personen wie Weidel und von Storch sowie diverse Reiche und Superreiche, die die Parteikassen mit ausreichend Nachschub versorgen. Aber auch intellektuelle Eliten wie den Sloterdijk-Schüler Mark Jongen, der als philosophisches Mastermind innerhalb der Partei agiert, hält die AfD in ihren Reihen. Forderungen wie die Abschaffung des Spitzensteuersatzes, die Beibehaltung der Regelungen für Zeitarbeiter oder die Abkehr von Klima- und Umweltschutz sind Forderungen, die vor allem den Vermögenden der Bundesrepublik in die Hände bzw. in die Taschen spielen.
Welche Einstellung die AfD zur extremen Rechten pflegt, wurde von diesem Onlinemagazin unlängst mit einer umfassenden Recherche zur niederbayerischen AfD dargelegt. Und spätestens seit den Ereignissen von Chemnitz sollte klar sein, dass eine explizite Abgrenzung vom rechtsextremen Milieu in weite Ferne gerückt ist.
… während Reiche immer reicher werden
Als angeblicher Schutzheiliger der „Besorgten“ treibt man die eigene Agenda marktradikalen Denkens voran – und geht dabei nur zu gern auf Kuschelkurs mit Rechtsaußen. Besonders offenbar wird dies bei der Themensetzung der AfD: Auf den hauseigenen Social-Media-Kanälen lässt man keinen Fehltritt eines Ausländers ungenutzt, um vor den „verheerenden Folgen“ der Zuwanderung zu warnen. Diejenigen, die sich um die Sorgen der Besorgten kümmern, liefern ständig neuen Stoff für noch mehr Sorgen. Die größte Sorge der AfD ist es offenbar, dass die Besorgten einmal keinen Grund mehr zur Sorge haben…
Erstaunlich wenig findet sich jedoch über steuerpolitische oder wirtschaftliche Themen in der medialen Fanpost für das eigene Wählerklientel. Entwürfe für eine Adaptierung des Sozialsystems werden meist in Formeln gegossen wie: die „Einwanderung in die Sozialsysteme“ sei zu stoppen. Wer für den „kleinen Mann“ kämpft, tut eben gut daran, die eigene neokonservative Agenda möglichst intransparent zu kommunizieren. Die Schuld am leeren Geldbeutel auf Zuwanderer abzuschieben, ist dabei so ausgelutscht wie widersinnig – die Effektivität jenes Pseudo-Arguments scheint darunter jedoch nicht zu leiden.
Das Wählerklientel auf der äußeren Rechten ist für die AfD das am einfachsten zu handhabende. Rechtsaußen muss man nicht mit Sorgen versorgen, in diesem Milieu ist das gewünschte Gedankengut ohnehin schon vorhanden. Rein wahlstrategisch macht es für die AfD also Sinn sich der Rechten anzunähern, medial aber immer wieder etwas auf Distanz zu gehen…
Kommentar: Johannes Greß
Zum Weiterlesen:
Hoffentlich haben die neuen Bundesbürger eine bessere Verfassung als die jetzigen.