Freyung-Grafenau. Die Wirtschaft boomt, es herrscht nahezu Vollbeschäftigung: Gerade einmal 2.030 Personen waren im Januar im Landkreis Freyung-Grafenau ohne Beschäftigung. 237 davon gelten als langzeitarbeitslos, das heißt: Sie sind bereits länger als ein Jahr ohne Job. Diese Menschen, die in den Augen vieler den „Bodensatz des Arbeitsmarktes“ darstellen, leben – häufig unverschuldet – am Rande der Gesellschaft. Zu ihrer Arbeitslosigkeit kommen oft weitere Probleme wie Alkoholismus, Drogen oder Spielsucht hinzu. Man spricht daher von Langzeitarbeitslosen mit Mehrfachbelastung. Eine Abwärtsspirale, die diese Leute nur äußerst selten aus eigener Kraft verlassen können. Weshalb sie auf Hilfe von „außen“ angewiesen sind. Eine wichtige Rolle dabei spielte in den vergangenen Jahren die „Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung und Umweltschutz“, kurz: Arbeus. Ein Projekt, das jedoch zum 31. Dezember 2017 eingestellt wurde – aus finanziellen Gründen.
„Es gab keine Nachfrage mehr im Landkreis für gebrauchte Möbel“, begründet Claudia Grimsmann, Pressesprecherin des Kreiscaritasverbandes FRG, auf Hog’n-Nachfrage das Ende von Arbeus. „Das Projekt war seit Jahren hochdefizitär. Wir haben versucht, neue Finanzierungskonzepte aufzubauen – dies scheiterte aber an den Veränderungen in der Sozialgesetzgebung.“ Nach dem Ende von Programmen wie „ABM“, vom Staat bezuschusste Tätigkeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt, zahlte sich demnach die „Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung und Umweltschutz“ für die Caritas nicht mehr aus. Was aus den Mitarbeitern – meist jene Langzeitarbeitslose mit Mehrfachbelastung, die auf Unterstützung angewiesen sind – wird, scheint nebensächlich zu sein. Daher stellt sich die Frage: Entzieht sich die Caritas („caritas“ – lateinisch für „Nächstenliebe“) mit dem Ende von Arbeus seiner sozialen Verantwortung?
„Es gibt viele Menschen mit multiplen Defiziten“
Dasein für die Schwächsten der Gesellschaft – genau aus diesem Grund ist Arbeus zum 1. Oktober 1996 gestartet. Maßgeblich an der Gründung beteiligt war Alois Gell, Geschäftsführer der Christlichen Arbeiterhilfe e.V. (CAH), eine gemeinnützige Tochter der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB). „Wir sind auf ein ähnliches Projekt in Pfarrkirchen aufmerksam geworden, das unserer Meinung nach nachahmenswert war“, blickt Gell zurück. Sein Konzept, Langzeitarbeitslose durch Arbeit zu beschäftigen, womöglich zurück in den „normalen“ Arbeitsmarkt zu bringen und die Mitarbeiter gleichzeitig in wichtigen Lebensfragen zu begleiten, stieß damals auf offene Ohren. KAB, ZAW, der Landkreis Freyung-Grafenau, die Bewährungshilfe Passau, die Agentur für Arbeit sowie die Diözese Passau sagten ihre Unterstützung zu – Arbeus wurde aus der Taufe gehoben.
„Es gibt viele Menschen mit multiplen Defiziten, die in einer Art Zwischenwelt leben. Wir wollten versuchen, diese wieder zurück in einen anständigen Lebensrhythmus zu bringen“, geht Alois Gell auf die Grundidee von Arbeus ein. Acht bis zwölf Leute waren regelmäßig in der Maßnahme beschäftigt. Gemeinsam mit einem Projektleiter und einem Sozialpädagogen betrieben die Langzeitarbeitslosen einerseits einen Gebrauchtmöbelmarkt. Andererseits wurde ganz bewusst an ihren Mehrfachbelastungen gearbeitet. „Alles in allem ein defizitäres Geschäft, das nur durch die Zuschüsse und Förderungen aufrecht erhalten werden konnte“, berichtet Gell.
Dieses Minus hatte zur Folge, dass am 1. Mai 2014 die Caritas die „Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung und Umweltschutz“ übernommen hatte – die vorherigen Träger konnten das Defizit nicht mehr ausgleichen. „Die Caritas hatte die nötigen strukturellen Möglichkeiten, um das Projekt weiterzuführen“, verdeutlicht Alois Gell. Doch auch der Kreis-Caritasverband Freyung-Grafenau konnte Arbeus gerade einmal drei Jahre am Leben erhalten. „Ein Defizit von 50.000 Euro ist nicht durch Umschichtung im Haushalt aufzufangen“, antwortet Caritas-Sprecherin Claudia Grimsmann auf die Frage, ob die finanziellen Lücken nicht innerhalb des Caritas-Konstruktes hätten gestopft werden können. Der Caritasverband FRG betreue zirka 340 Menschen seiner Zielgruppe monatlich im Bereich Beratung, Wohnen und Arbeit – und werde somit sehr wohl seiner sozialen Verantwortung gerecht, entgegnet Grimsmann.
Arbeus-Ende „einer der beschissensten Tage meines Lebens“
Die Tatsache, dass diejenigen Menschen, für die Arbeus jahrelang ein berufliches und auch privates Auffangbecken war, plötzlich ohne Beschäftigung dastehen, bleibt dabei auf der Strecke. „Grundsätzlich ist es Aufgabe des Staates, für die Betreuung und Beschäftigung der genannten Zielgruppe Sorge und Sicherung zu tragen. Wir als Wohlfahrtsvertrag können nur im Auftrag der Öffentlichen Hand tätig werden“, verdeutlicht Claudia Grimsmann, die zudem erklärt, dass es keinen offiziellen Nachfolger der „Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung und Umweltschutz“ gebe. Den Verein „Chance für Jeden e.V. (CFJ)“, gegründet und geleitet vom früheren Arbeus-Projektleiter Paul Rammelmeyr, der sich an der Arbeus-Idee beim CFJ-Projekt orientiert, kennt die Caritas-Sprecherin nicht. Es stehte der Caritas nicht zu, über andere Organisationen zu urteilen, antwortet Grimsmann auf die erneute Hog’n-Anfrage, ob der CFJ-Verein unterstützenswert sei.
Alois Gell sieht die aktuelle Situation kritisch. „Die Langzeitarbeitslosen hängen nach dem Ende von Arbeus praktisch in der Luft – nicht nur beruflich, sondern auch privat“, stellt er ohne Umschweife fest. „Chance für Jeden“ in Person von Paul Rammelmeyr hätte dieses Problem erkannt und versuche es auch zu lösen – allerdings unter erschwerten Rahmenbedingungen, über die auch das Onlinemagazin da Hog’n bereits berichtet hatte. „Es ist vorbildlich, dass dieser Verein versucht, Menschen zu helfen“, unterstreicht der CAH-Geschäftsführer. Unterstützen könnten CAH und KAB das Projekt von Paul Rammelmeyr allerdings nicht. „Das ist satzungsmäßig gar nicht möglich“, verdeutlicht Gell, der das Ende von Arbeus – „sein Kind, in das sich viel Herzblut gesteckt habe“ – als „einen der beschissensten Tage meines Lebens“ bezeichnet.
Bescheiden bleibt somit auch die Perspektive der Langzeitarbeitslosen (mit Mehrfachbelastung) im Landkreis Freyung-Grafenau. Auch wenn es „nur“ 237 Männer und Frauen sind.
Helmut Weigerstorfer
„Die Wirtschaft boomt, es herrscht nahezu Vollbeschäftigung“
zwischen Rückgang der Arbeitslosigkeit und Rückgang der Zahl der Arbeitslosen besteht ein signifikanter Unterschied. Die Arbeitslosenstatistik bzw. Arbeitslosenzahlen pendelt sich nach unten mit Hilfe der Agenda 2010 und Hartz-Gesetzen ganz von selbst bzw. automatisch ein, es ist nur eine Frage der Zeit bis der oder die Arbeitslose aus der Statistik verschwindet! Die Politik und Arbeitsagentur braucht sich nicht mehr um die Vermittlung von Arbeitslosen oder prekär Beschäftigten kümmern! Hier zeigt sich ein Sprichwort: Aus den Augen, aus dem Sinn bzw. Statistik! Das erledigt die Zeit und das Regelwerk für sie. Wirtschaftwissenschafter schätzen, das sich inzwischen weit über 3.000.000 eigentlich Arbeitslose in der „stillen Reserve“ befinden, die in keiner Statistik erscheinen und keine Leistungen erhalten. Die quasi automatisch aus der Statisitk verschwinden. Folgende Menschen (!) gelten nicht als „arbeitslos“ und werden daher nicht in der Statistik als solche erfasst: Wer mindestens 58 Jahre alt ist und wenigstens zwölf Monate Hartz IV bezieht -wer Altersteilzeit, Vorruhestand, hat, BfA Grundsicherung, Zwangsverentet etc, -wer sich in einer Quali oder ABM befindet, -sehr z.Zt krank ist, -wer sich in einer „Massnahme“ befindet, -wem die Leistungen ganz / teilweise gestrichen wurden, wer Sanktionen hat, -wer Reha, Kur macht, schwanger ist, Kind bis 4 J hat, -wer einen Termin beim Fallmanager hat, -wer sich Bewerbungsprozess befindet, -wer als „integrationsfern“ bei H4 bzw als „nicht vermittlungsfähig“ klassifizert wurde, Ein-Euro-Jobber, wer sich in eriner private Arbeitsvermittlung befindet. Hinzu kommen noch Arbeitslose die von der Arbeitsagentur in die „stille Reserve“gedrängt wurden. Wirtschaftswissenschaftler schätzen, das sich inzwischen über 3.000.000 Menschen in der „stillen Reserve“ befinden, also eine Stadt wie München, Hamburg oder Köln, deren Existenz aus politischen Gründen geleugnet wird. Die Zahl der Sanktionen stieg 2011 auf 912.377, d.h. 912.377 Einzelschicksaale. Im Jahr 2012 wurden erstmals über 1 Millionen Sanktionen ausgesprochen, im Jahr 2013 wurden 1.009.614 Sanktionen und 2014 insgesamt 1.001.103 verhängt. Seit 2007 sind insgesamt bereits mehr als 7.000.000 Strafen verhängt worden. Laut einer Meldung (basierend auf einer Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfoschung) verzichten 3.100.000 – 4.900.000 Antragsberechtigte auf Hartz IV und leben so in verdeckter Armut und erscheinen in keiner Statistik.
kürzlich war zu lesen:
Nur noch 53 Prozent der Beschäfrigten mit Tarifvertrag: „Gesellschaftlicher Skandal“.
Vermögensschock: Die Deutschen sind die armen Würstchen der EU
Der Welt-Reichtums-Report zeigt, wie arm die meisten Deutschen wirklich sind. Von den Ländern der alten EU liegt nur Portugal hinter Deutschland. In den meisten Ländern besitzen die Bürger mehr als doppelt so viel Vermögen wie hierzulande.
Der Medianwert des geldwerten Vermögens für die Erwachsenen liegt in Deutschland bei 47.000 Dollar. Schon im krisengebeutelten Griechenland sind es mit 55.000 Euro 8000 Euro pro Nase mehr. Dass die unmittelbaren Nachbarn – Holländer (94.000), Dänen (87.000 Dollar), Belgier (168.000 Dollar) – reicher als die Deutschen sind, kann kaum verwundern. Man sieht es bei jedem Besuch. Erstaunlich allerdings, dass Franzosen (120.000) und Italiener (125.000) mehr als doppelt so reich wie die Deutschen sind. Lichtenstein (168.000) und Schweiz (229.000) bilden erwartungsgemäß die Spitze.
Quelle:Stern