Freyung. Entzieht sich die Caritas mit dem Ende der „Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung und Umweltschutz“ (Arbeus), die lange Jahre als Auffangbecken für Langzeitarbeitslose (mit Mehrfachbelastung) im Landkreis Freyung-Grafenau galt, ihrer sozialen Verantwortung? Das Projekt wurde zum 31. Dezember 2017 aus finanziellen Gründen eingestellt. Die Suche nach einer Antwort auf die Eingangsfrage war jüngst Thema eines Hog’n-Berichts – und sorgt seitdem für Gesprächsstoff. Unter anderem meldete sich auch Paul Rammelmeyr zu Wort. Als ehemaliger Arbeus-Projektleiter (von September 2011 bis April 2014) kennt er die Arbeitsgemeinschaft und deren Umstände sehr genau.
Vor allem die Aussage von Caritas-Pressesprecherin Claudia Grimsmann, dass die Caritas als Wohlfahrtsverband nur im Auftrag der Öffentlichen Hand tätig werden könne, sorgt bei Rammelmeyr für Unverständnis: „Die Caritas wird offensichtlich nur dann wohltätig, wenn es einen fetten Fördertopf gibt oder die mit der Wohltätigkeit Begünstigten selbst dafür bezahlen“, so die Meinung des Grafenauers, der mit „CFJ Chance für Jeden FRG e.V.“ vor knapp fünf Jahrend den (ehrenamtlichen) Quasi-Nachfolger von Arbeus ins Leben gerufen hat. In dieselbe Kerbe schlägt ein weiterer Hog’n-Kommentator, der die „Caritas als Sozialkonzern, der mehr Unternehmen als Hilfseinrichtung ist“ bezeichnet.
„Arbeus wurde übernahmereif geschossen“
Nach der Übernahme von Arbeus durch die Caritas – vorher waren CAH, KAB, Landkreis FRG, die Bewährungshilfe Passau, die Agentur für Arbeit sowie die Diözese Passau als Träger der sozialen Einrichtung aktiv – endete zum 1. Mai 2014 Rammelmeyrs Zeit als Projektleiter. Und plötzlich standen viele Langzeitarbeitslose praktisch auf der Straße, erinnert er sich. Das Schicksal jener Menschen, die großteils unverschuldet in ihre missliche Lage geraten waren und deshalb oft mit Mehrfachbelastungen wie Drogen-, Alkohol- oder Spielsucht zu kämpfen hatten, verkam scheinbar zur Nebensache, wie Rammelmeyr kritisiert:
„Der Kreiscaritasverband Freyung-Grafenau hat am 1.5.2014 eine menschenleere ARBEUS übernommen, denn allen Teilnehmern wurde vorher, zum 30. April 2014, jegliche Förderung gestrichen und die Teilnahme aufgekündigt. Zu dem Zeitpunkt war übrigens Konrad Niederländer noch Leiter des Jobcenters Waldkirchen. Heute ist er „Bischöflicher Beauftragter für den Caritasverband Passau“. Tatsache ist auch, dass sogenannte „Arbeitsgelegenheiten“, die gemeinhin als „Ein-Euro-Jobs“ bekannt sind, in den Landkreisen Passau und Deggendorf damals noch bewilligt wurden, jedoch im Einflussbereich des Herrn Niederländer nicht. So wurde die ARBEUS übernahmereif geschossen. Die Caritas hat sich nach der Übernahme eigentlich nicht mehr um Langzeitartbeitslose mit Mehrfachbelastung gekümmert. Es gab ja keine Zuschüsse.“
Laut nachgedacht* könnte man Paul Rammelmeyr unterstellen, dass er sein Ende bei Arbeus bis heute nicht verdaut hat – und deshalb nachkartet, die Langzeitarbeitslosen demnach als Mittel zum Zweck benutzt. Betrachtet man jedoch Rammelmeyrs weiteren Werdegang, sein Engagment bei „CFJ – Chance für Jeden“, wird deutlich, dass der ehemalige Arbeus-Projektleiter das Wohl der sozial-benachteiligten Menschen im Auge hat – und weniger sein persönliches Ansehen bzw. Fortkommen. Als früherer Insider sind seine Aussagen durchaus als fundiert einzuordnen.
„Wir kommentieren in diesem Zusammenhang nichts“
Da Hog’n konfrontiert den Kreiscaritasverband Freyung-Grafenau mit den Aussagen Rammelmeyrs und bittet um eine Stellungnahme. Nur kurze Zeit später meldet sich Pressesprecherin Claudia Grimsmann schriftlich zu Wort und teilt etwas wortkarg mit: „Wir kommentieren in diesem Zusammenhang nichts.“ Weitere Gesuche, ob Sachfragen wie im Folgenden nachzulesen, noch beantwortet werden, bleiben seitens der Caritas unerwidert. Zum Beispiel:
Warum hat sich die Caritas überhaupt dazu entschlossen, Arbeus zu übernehmen?
- Warum wurden im Vorfeld der Übernahme sämtliche Förderungen gestrichen?
- Warum wurden die Ein-Euro-Jobs im Landkreis FRG nicht mehr bewilligt?
- Um welche Menschen hat sich die Caritas im Rahmen von Arbeus nach der Übernahme gekümmert?
- Welche Zuschusse hat es für Arbeus nach der Caritas-Übernahme gegeben?
Laut nachgedacht* ist keine Antwort auch eine Antwort. Dass öffentliche Einrichtungen – dazu zählt die Caritas – gewisse Dinge nicht kommentieren wollen, ist gang und gäbe, immerhin kann eine derartige Organisation keine rein-subjektive Meinung nach außen hin vertreten. Dass jedoch Sachfragen – trotz mehrmaliger Nachfragen – nicht beantwortet werden, lässt den Schluss zu, dass die Antworten Tatsachen beinhalten könnten, die der Caritas unangenehm sind bzw. unsere Vermutungen, die wir durch unsere Fragen bestätigt haben wollen, in eine gewisse Richtung tendieren. Übrigens: Frau Grimsmann ist neben ihrer Tätigkeit für die Caritas seit 2013 als Bezirksvorsitzende des Bayerischen Journalisten Verbandes (bJV) für Niederbayern-Oberpfalz tätig und müsste daher wissen, wie auf journalistische Anfragen auf professionelle Weise zu reagieren sei.
Der frühere Jobcenter-Chef ist inzwischen bei der Caritas
Etwas gesprächiger zeigt sich dagegen Konrad Niederländer. Wobei auch der frühere Geschäftsführer des Jobcenters FRG auf konkrete Fragen nicht eingehen will, sondern eher ausweichend antwortet:
„Die Entscheidung des Kreis-Caritasverbandes Freyung-Grafenau e.V. ist nachzuvollziehen und zu respektieren. Als Geschäftsführer des Jobcenters Freyung-Grafenau habe ich stets darauf geachtet, dass die verschiedenen Projekte dauerhaft zur Integration führen und die jeweiligen Maßnahmen langfristig erfolgversprechend sind. Die Möglichkeiten eines Jobcenters waren und sind allerdings finanziell auch begrenzt. Dass die Arbeit des Jobcenters erfolgreich war, lässt sich daraus ablesen: die gemeinsame Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und des Landratsamtes Freyung-Grafenau lag im Jahr 2016 bundesweit an der Spitze. Das Jobcenter hatte die beste Zielerreichung hinsichtlich Integrationsquote, Verringerung von Langzeit-Leistungsbeziehern, sowie Prozessqualität und Kundenzufriedenheit.“
Laut nachgedacht* ist Konrad Niederländers Antwort (ebenfalls) keine Antwort. Er reagiert zwar auf unsere Presseanfrage, geht jedoch nicht näher auf unsere Fragen ein, sondern versucht durch Lobhudelei auf seine Arbeit vom eigentlichen Thema abzulenken. Der ehemalige Jobcenter-Chef (bis 2016) ist inzwischen selbst bei der Caritas, genauer gesagt beim Kreisverband Passau, gelandet.
Bereits zuvor war der überzeugte Christ eng mit der katholischen Kirche bzw. der Caritas verbandelt – als Ortsvorsitzender der Caritas in Waldkirchen, als Aufsichtsratsvorsitzender des Diözesan-Caritasverbandes, als Diakon. Unter Berücksichtigung dieser Kombination ergibt sich folgende Frage: Warum hat Konrad Niederländer, der frühere Jobcenter-Chef und jetztige Caritas-Mitarbeiter, seine Kontakte nicht spielen lassen und Arbeus am Leben gehalten?
„Die Caritas hat keine Förderanträge gestellt“
Noch intensiver setzt sich Hans Haugeneder, amtierender Geschäftsführer des Jobcenters Freyung-Grafenau, mit unserer Anfrage auseinander:
Welche finanzielle Unterstützung hat das Projekt Arbeus durch die Agentur für Arbeit wann und in welchem Umfang erfahren?
„Zum Start von Arbeus hat die Agentur für Arbeit im Rahmen von „ABM“ (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) mehrere Jahre bis zu 90 Prozent der Lohnkosten für die zugewiesenen Arbeitnehmer übernommen. Sogar die Anleiter (Meister) wurden entsprechend gefördert. Der Förderumfang lässt sich wegen des großen zeitlichen Abstandes und deshalb nicht mehr vorhandener Unterlagen nicht mehr genauer beziffern, lag jedoch in den Anfangsjahren deutlich im sechsstelligen Bereich. Nachdem „ABM“ aus dem Förderportfolio des Sozialgesetzbuches III gestrichen worden war, wurden vom Jobcenter Freyung-Grafenau in den Jahren 2007 bis 2014 insgesamt 37 Teilnehmerplätze im Rahmen von „Bürgerarbeit“/“Arbeitsgelegenheiten“ gefördert.“
Warum wurden kurz vor der Übernahme von Arbeus durch den Kreiscaritasverband FRG im Jahr 2014 die Förderungen seitens des Jobcenters FRG gestrichen?
„Die sog. „Bürgerarbeit“ war gesetzlich ausgelaufen, die Förderung über „Arbeitsgelegenheiten“ (AGH) musste schon zuvor eingestellt werden, da wegen der langen Laufzeit das unabdingbare Förderkriterium „Zusätzlichkeit“ nicht mehr gegeben war.“
Gibt es das Programm „Ein-Euro-Job“ noch? Wenn nein: Wann hat es geendet?
„“AGH“ gibt es grundsätzlich nach wie vor.“
Warum hat die Agentur für Arbeit Arbeus nach der Caritas-Übernahme nicht mehr im Rahmen des Programms „Arbeitsgelegenheiten“ (AGHs) unterstützt – während dies in den Landkreisen Passau und Deggendorf noch üblich war?
„Siehe Antwort 2. Zudem hat die Caritas keine entsprechenden Förderanträge gestellt!“
Sonstige Anmerkungen?
„Sowohl die Agentur für Arbeit als auch das Jobcenter Freyung-Grafenau haben „Arbeus“ unter Ausschöpfung aller gesetzlichen und finanziellen Möglichkeiten durch die Zuweisung von Arbeitslosen über einen langen Zeitraum intensiv unterstützt.
Alle Fördermaßnahmen verfolgen jedoch grundsätzlich das Ziel, Arbeitslosigkeit dauerhaft zu beenden bzw. die Hilfebedürftigkeit von sog. „Hartz IV-Empfängern“ zu beenden oder zumindest zu verringern. Hierzu bedurfte und bedarf es einer sorgfältigen Abwägung der Interessen der – potenziellen – Maßnahmeträger und der Ziele der Agentur der Arbeit bzw. des Jobcenters um die vorhandenen finanziellen Ressourcen effektiv und zielführend einzusetzen.“
Laut nachgedacht* liefert Hans Haugeneder, der eigenen Aussagen zufolge zu Beginn von Arbeus federführend an der Förderung beteiligt war, die substanziell ausführlichste Antwort. Trotzdem birgt sie viel Spekulationspotenzial. Dass Arbeus ein Projekt war, das hohe Fördersummen eingestrichen hat, dürfte nun klar sein. Offen bleibt allerdings, warum der Kreiscaritasverband FRG nach der Übernahme von Arbeus keine Förderantrage mehr gestellt und von vorneherein auf eine mögliche finanzielle Unterstützung verzichtet hat. Daraus ergibt sich die abschließende Frage: Hat der Caritas – aus welchen Gründen auch immer – Arbeus bewusst an die Wand gefahren?
Helmut Weigerstorfer
- Ende von „Arbeus“: Entzieht sich die Caritas ihrer sozialen Verantwortung?
- Caritas und Diakonie bedienen sich beim Staat
(*hierbei handelt es sich nicht um Tatsachen, sondern um eine subjektive Interpretation der jeweiligen Aussagen (Kommentar) durch unser Redaktionsmitglied Helmut Weigerstorfer)
Vielen Dank für die Blicke hinter die Kulissen. Es geht um Geld und Politik, und was geschieht, wenn zusammen kommt, was nicht zusammen gehört.