Freyung. Paul Rammelmeyr fühlt sich allein gelassen. Allein gelassen von der Politik. Allein gelassen von der Gesellschaft. Seit 2014 ist der 65-Jährige als erster Vorsitzender des Vereins „Chance für Jeden e.V.“ (CFJ) tätig. Diese gemeinnützige Einrichtung, die 2015 mit dem Niederbayerischen Integrationspreis ausgezeichnet wurde, bietet Langzeitarbeitslosen mit Mehrfachbelastung die Möglichkeit, zurück ins „normale“ (Berufs-)Leben zu finden. Auch die Schwächsten der Schwachen sollen nämlich eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen, wie Rammelmeyr fordert. Eine Idee mit Vorbildcharakter. Trotzdem wird CFJ in der Öffentlichkeit nur wenig bis gar nicht wahrgenommen. „Auch die Politik lässt die nötige Unterstützung vermissen“, beklagt der Vorsitzende – und fügt hinzu: „Wir brechen uns die Hacken ab – und die Gesellschaft schaut zu.“
Spielsucht, Alkoholismus, Vorstrafen – die Probleme derjeniger, für die sich „Chance für Jeden“ einsetzt, sind wahrlich keine Lappalien. Aufgrund ihrer Vorprägung werden Langzeitarbeitslose mit Mehrfachbelastung von der Allgemeinheit oftmals wie Aussätzige behandelt. Genau hier will Paul Rammelmeyr ansetzen. Er möchte, dass seine Mitarbeiter als „ganz normal“ wahrgenommen werden. Er möchte, dass sie wieder eine Perspektive in ihrem Leben haben, dass sie sich eine Zukunft fernab ihrer Schwierigkeiten vorstellen können. Auf die Frage hin, warum der 65-Jährige (er ist als Rentner ehrenamtlich für CFJ aktiv) das alles auf sich nimmt, antwortet er: „Erst durch die Altersmilde habe ich meine soziale Ader entdeckt. Und nach und nach habe ich in Erfahrung gebracht, dass diese armen Menschen, die von der Gesellschaft verprügelt werden, Hilfe brauchen.“ Deshalb will der Einzelkämpfer nicht aufgeben – trotz der teils widrigen Umstände.
„Ich bezuschusse den Verein aus der eigenen Tasche“
Bis zu drei Mitarbeiter sind für CFJ durchschnittlich im Einsatz – die Liste weiterer Kandidaten ist lang. Waren diese in den Anfangszeiten des Vereins vor allem mit Wohnungsräumungen und der Restaurierung von Möbeln beschäftigt, konzentriert sich das Betätigungsfeld inzwischen auf Dienstleistungen, insbesondere Gartenarbeiten. „Der Gebrauchtmöbelmarkt war einfach zu unrentabel – vor allem, weil wir da immer eine große Lagerfläche vorhalten müssen“, erklärt Rammelmeyr. „Das ist bei Dienstleistungen anders. Da braucht man nur gewisse, nicht sehr teure Maschinen wie einen Rasenmäher – und schon geht’s los.“ Trotz dieser Umstrukturierung zwickt es finanziell weiterhin an allen Ecken und Enden. Selbst die Miete für Büro und Lagerflächen, die dank des Entgegenkommens des Vermieters ohnehin gering ist, stellt in manchen Monaten eine fast schon unüberwindbare Hürde dar. „Glücklicherweise bin ich persönlich finanziell unabhängig, sodass ich ab und an den Verein auch aus der eigenen Tasche bezuschussen kann.“
Zwar gebe es inzwischen eine gewisse Stammkundschaft, die immer wieder auf die Dienstleistungen von CFJ zurückgreift. Dennoch zeigt sich Paul Rammelmeyr enttäuscht – auch von der öffentlichen Hand. „Vor allem das JobCenter lässt uns links liegen“, erklärt der 65-Jährige und führt sogleich ein Beispiel für seine Anschuldigung ins Feld: Bei der Erstausstattung einer Wohnung nach einem Umzug werden Hartz-IV-Empfänger vom JobCenter finanziell unterstützt. Auf der entsprechenden Bewilligung jedoch tauche als Empfehlung, wo günstige Möbel gekauft werden können, lediglich der Caritas-Gebrauchtmöbelmarkt Arbeus auf – und nicht CFJ (siehe Foto). Eine Vorgehensweise, die Rammelmeyr nicht nur gegenüber seinen Mitarbeitern als unfair erachtet, sondern auch persönlich nimmt. „Der Gesetzgeber muss endlich kapieren, dass es immer Menschen geben wird, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht beschäftigt werden können.“
Rammelmeyr wünscht sich kommunale Aufträge
Genau für solche Menschen sei CFJ der richtige Ansprechpartner, wie der 65-Jährige betont. Nicht nur mit öffentlichen Geldern könnte der Staat den Verein unterstützen, sondern auch mit kommunalen Aufträgen wie zum Beispiel der Pflege öffentlicher Grünflächen. „Das wäre doch die Lösung. Meine Jungs haben Arbeit, der Verein bekommt die dringend benötigen Einnahmen – und die Gemeinden hab top-gepflegte Anlagen.“
Konfrontiert mit diesem Vorschlag, erklärt Karl Matschiner, Pressesprecher des Landkreises Freyung-Grafenau, im Namen von Landrat Sebastian Gruber, dass eben solche Gartenarbeiten vom vorhandenen Landkreispersonal ausgeführt werden. „Eine Fremdvergabe würde auch eine beschränkte öffentliche Ausschreibung und die Einholung mehrerer Angebote notwendig machen. Ob da dann der CFJ das wirtschaftlichste Angebot abgeben würde, ist nicht vorhersehbar.“
Landrat Gruber stellt fest, dass „dieser Verein sozial Schwachen eine gute Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht“ – dennoch sei für das Landratsamt hier nur eine ideelle Unterstützung möglich. „Als Landrat unterstütze ich diesen Verein bereits aus meinen Verfügungsmitteln direkt.“ Eine Zusammenarbeit zwischen JobCenter und CFJ sei „grundsätzlich vorstellbar – und wird auch bereits umgesetzt. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass dies mit dem CFJ als eingetragenen Verein im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu erfolgen hat – und damit nur begrenzt möglich ist“. Wie das Landratsamt weiter mitteilt, sei bei der Durchführung von Integrations- und Qualifizierungsmaßnahmen eine entsprechende Zertifizierung notwendig. Diesen Einwand wiegelt Paul Rammelmeyr mit folgenden Worten ab: „Für uns ist das gar nicht machbar – sowohl finanziell als auch personell.“
Ein erstes Gespräch hat bereits stattgefunden
Generell möchte Landrat Gruber, dass für CFJ eine Zusammenarbeit mit „allen Netzwerkpartnern, die am gemeinsamen Ziel der Unterstützung dieser Personengruppen beteiligt sind“, angestrebt wird. Entsprechendes Infomaterial des Vereins liege im Jobcenter aus. Eine Inanspruchnahme dieses Angebots sei allerdings „lediglich auf freiwilliger Basis“ möglich. Zudem sei wichtig, dass das JobCenter auch „aktualisiertes Infomaterial zur Weitergabe an Kunden“ erhalte.
Hog’n-Informationen zufolge hat bereits ein Sondierungsgespräch zwischen Paul Rammelmeyr und den Verantwortlichen des JobCenters hinsichtlich dieser Problematik stattgefunden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Chancen für „Chance für Jeden“ künftig entwickeln.
Helmut Weigerstorfer
–> Informationen darüber, wie der Verein und dessen Arbeit unterstützt werden kann, gibt es hier (einfach klicken).