Freyung. In Freyung befindet sich die „Volksmusikakademie in Bayern“ derzeit im Bau. Und schon lange vor der geplanten Eröffnung im Herbst 2018 erklingen von allen Seiten Lobeshymnen: Ein Leuchtturmprojekt sei die Akademie, in das Millionen investiert werden, um die Region bekannter zu machen. Der Bezirkstag will den laufenden Betrieb mit bis zu 400.000 Euro jährlich bezuschussen, auch von Seiten des bayerischen Heimatministeriums winken bereits Fördergelder. Kultur-Staatsminister Bernd Sibler sagte bei einem Besuch gegenüber der Tageszeitung: „Das hat Potenzial.“
So mancher mag sich beim Lesen all dieser überschwänglich positiven Töne wohl denken: Ausgerechnet für Volksmusik geben wir jetzt so viel Geld aus? Ausgerechnet Volksmusik soll ein Aushängeschild für Freyung und den Landkreis werden?
Wenn ich an Volksmusik denke, fällt mir sofort ein Spruch meines früheren Musiklehrers an der Kreismusikschule ein: „Wir sind doch hier nicht bei der Volksmusik“ pflegte er zu sagen, wenn sich jemand nicht an die strengen Regeln der klassischen Musik hielt. Uns Schülern signalisierte das: Wir sind was Besseres als diejenigen, die in einer Blaskapelle spielen. Wir lernen die hohe Kunst von Beethoven, Händel und Scarlatti – statt Marsch und Polka.
„Für die Akademie sind Millionen da – für die Musikschule nicht?“
Mittlerweile hören den Volksmusik-Spruch keine Schüler in Freyung-Grafenau mehr. Denn mein ehemaliger Musiklehrer unterrichtet hier nicht mehr. Vor drei Jahren musste die Kreismusikschule schließen. Die Schülerzahlen waren rückläufig. Statt die Werbetrommel zu rühren, strich der Landkreis die Fördergelder und überließ die Musikausbildung ihrem privatwirtschaftlichen Schicksal. Seither müssen sich Eltern selbst zurecht finden und in Erfahrung bringen, bei welchem privaten Musiklehrer ihr Kind ein bestimmtes Instrument lernen kann und inwieweit der Unterricht (beispielsweise in Waldkirchen) öffentlich bezuschusst wird. Wer sich darüber ärgert, dem liegt der Kommentar auf der Zunge: „Für die Volksmusikakademie sind Millionen da, aber die Musikschule musste man schließen?“
Dass Volksmusik nach einfacheren Regeln funktioniert als klassische Musik, gibt auch der künstlerische Leiter der Volksmusikakademie, Philipp Ortmeier, zu. Einfache Strukturen würden es den Musikern ermöglichen, auch spontan zusammen zu spielen, sich schnell und unkompliziert verständigen zu können. Das Wort „Akademie“ scheine daher auf den ersten Blick gar nicht zu Volksmusik zu passen. Aber Volksmusiker müssen eben diese einfachen Strukturen genau kennen und verstehen, um dann komplexer arbeiten und musizieren zu können, um virtuos auf ihrem Instrument spielen zu können und um nicht immer nur ein und dasselbe Repertoire an Märschen und Polkas abzuspulen.
Die Akademie möchte laut Philipp Ortmeier den Musikanten das Rüstzeug mit auf den Weg geben, um ihre eigene Musik weiter zu entwickeln. Für ihn ist Volksmusik ein Kulturgut. Jede Region hat ihre regionaltypische Ausprägung von Volksmusik. Bald können Musiker von überall her zu uns kommen und die regionaltypische Volksmusik des unteren Bayerischen Waldes kennen lernen.
„Wir wollen keine Gabaliers produzieren“
Geplant ist, dass Musikgruppen und Kapellen hier ihre eigenen Probewochen unter perfekten akustischen und organisatorischen Bedingungen veranstalten können. Daneben soll es ein Seminarangebot mit Dozenten von renommierten Musikhochschulen wie München, Salzburg und Luzern geben. Wer die Volksmusikakademie besucht, soll lernen, die jeweils regionaltypische Volksmusik einerseits zu bewahren, aus Überlieferung aus der Vergangenheit zu schöpfen, andererseits aber die Musik auch weiter zu entwickeln. Musiker wie beispielsweise „Luz Amoi“ aus Freising, der Südtiroler Herbert Pixner oder Monika Drasch aus Hengersberg zeigen laut Philipp Ortmeier, wie das geht.
Diese Musiker bewegen sich meilenweit entfernt von der Volksmusik, die wohl bei vielen einen eher durchwachsenen Ruf hat. Die Volksmusikakademie hat also nichts mit Kastelruther Spatzen & Co am Hut. Und Ortmeier stellt klar: „Wir wollen keine Gabaliers produzieren.“ Was der selbsternannte österreichische Alpenrocker Andreas Gabalier macht, ist für Ortmeier nur im entferntesten Sinne Volksmusik.
Klingt tatsächlich nach einem Projekt mit Potenzial, wenn es den Verantwortlichen der Volksmusikakademie um das Kulturgut der volkstümlichen Musik geht und nicht um die kommerzialisierte Ausprägung dieser Musikrichtung. Ganz ketzerisch formuliert wäre ein Star wie Gabalier für die Region aber um einiges nützlicher als die Volksmusikakadmie – zumindest was die touristische Wirkung angeht. Die Akademie hat sich auch auf die Fahnen geschrieben, die Region bekannter zu machen.
„… dann profitiert jeder vom Millionenprojekt Volksmusikakademie“
Wenn Gabalier vor tausenden Fans von seinem Lieblingsberg, dem Zirbitzkogel, singt, hat das sicher eine touristische Wirkung. Die Volksmusikakademie dafür mit Vorschusslorbeeren auszustatten, dass sie viele Seminarteilnehmer in die Region lockt und Freyung dadurch auch touristisch von der Akademie profitiert oder gar die heimischen Geschäfte durch hohe Besucherzahlen gestärkt werden, mag für Förderanträge gut klingen. Aber für die Akademie ist viel wichtiger, dass sie sich durch ihre qualitativ guten Seminare einen guten Ruf erarbeitet, statt von Anfang an zu sehr auf hohe Auslastung zu schielen.
Dass die Seminarteilnehmer auch den Baumwipfelpfad besuchen und die Region kennen und lieben lernen sollen, muss ein Nebenaspekt bleiben. Das Hauptaugenmerk der Akademie muss darauf liegen, ein wirklich einzigartiges, hochwertiges Weiterbildungsangebot für Volksmusiker von weit her, aber vor allem auch für Musikgruppen aus der Region zu bieten.
Für Freyung und den Landkreis liegt das Potenzial der Volksmusikakademie nicht vorrangig darin, Wirtschaft und Tourismus zu stärken. Das Potential der Volksmusikakademie ist es, dafür zu sorgen, Kinder und Jugendliche für Musik zu begeistern. Was die Volksmusikakademie nicht leisten kann, ist eine Musikgrundausbildung. Sie ist kein Ersatz für die Musikschule. Die Grundausbildung wird Sache privater Lehrer bleiben. Die Akademie kann aber zeigen, dass Volksmusik mehr ist als Steirische Harmonika, dass es auch Instrumente wie Hackbrett oder Zither gibt und dass Volksmusik auch moderne Stilrichtungen hat.
Wenn Seminarteilnehmer das kulturelle Angebot in der Region am Leben erhalten, dafür sorgen, dass in Wirtshäusern wieder musiziert wird und dass die unterschiedlichsten Varianten traditioneller und moderner Volksmusik das Publikum begeistern, dann profitiert jeder vom Millionenprojekt Volksmusikakademie.
Kommentar: Sabine Simon
Warum hatte man für die Kreismusikschule kein Geld? Dazu fällt mir nur ein, kein Geld für einen Kreisverkehr bei Ort, aber Millionen für ein Wufkamonster!