Frauenberg. Als wir auf den Parkplatz an der Dreisesselalm unterhalb des ehemaligen Dreisesselskilifts einbiegen, überlege ich kurz, wann ich zum letzten Mal hier war. Obwohl wir uns nur einen guten Kilometer von unserer Haustüre entfernt befinden, muss es mindestens vier Jahre her sein, dass ich in diesem Gebiet Snowboard gefahren bin. Die vergangenen drei Winter lag einfach zu wenig Schnee, der Lift konnte nicht betrieben werden. Jetzt ist der Parkplatz wieder voll.
Wer jetzt denkt, der Skilift laufe endlich wieder, der irrt. Ganz im Gegenteil: Er wird nie wieder seinen Dienst tun. Masten und Seile sind abgebaut – der einst längste Skilift im Bayerischen Wald existiert nicht mehr. Die Piste wird trotzdem rege genutzt: Schneeschuh- und Skitourengänger haben das Revier für sich entdeckt und erobert. Ich bin erstaunt: Trotz starkem Schneefall und Nebel sind es ziemlich viele, die den Berg an diesem Tag erklimmen wollen.
Als der Lift noch in Betrieb war, sah das noch ganz anders aus. Da fühlte es sich an Schlechtwetter-Tagen häufig so an, als wäre es unser „Privat-Lift“. Wir waren oft die Einzigen, die hinauf auf den Berg wollten. Die tschechischen Angestellten kannten uns gut, freuten sich, wenn wir ihnen eine Zigarette schenkten und starteten den Lift immer nur dann, wenn wir nach einer Abfahrt wieder unten angekommen waren.
Ich habe es sehr bedauert, dass die neuen Besitzer der Dreisesselalm, das Ehepaar Sageder, im Herbst 2016 beschlossen haben, den Lift nicht mehr in Betrieb zu nehmen. Als ich vor ein paar Wochen die Lift-Stützen oben am Berg liegen sah, abgebaut und eingeschneit, bot dies ein sehr trauriges Bild. Eine Wintersport-Ära ging damit endgültig zu Ende…
„Erste Dreisessel-Fahrt wurde zum einprägenden Erlebnis“
Doch damit beginnt auch eine neue! Bereits im vergangenen Winter wollte ich es endlich ausprobieren: Mal selbst den Berg erklimmen, sich nicht vom Lift hochziehen lassen. Als Snowboarderin bin ich zwar nicht gerade prädestiniert für Ski-Touren – aber es gibt da ja zum Glück eine intelligente Lösung: das sogenannte Splitboard. Vor dem Aufstieg wird es ganz einfach in der Mitte auseinander genommen – somit hat man quasi zwei etwas breitere Skier, auf die eine spezielle Bindung montiert wird, die wie bei Tourenskiern beim Hochsteigen nach oben klappt.
Mein Bruder Andreas besitzt so ein Splitboard seit zwei Jahren und ist damit etliche Male den Berg hinaufgerannt. Und jetzt kann ich endlich auch mal mit: Denn ein Waldkirchner Sportgeschäft bietet seit Kurzem die Spiltboards zum Ausleihen an – für 15 Euro am Tag. Perfekt, um die Tour zum Dreisessel damit in Angriff zu nehmen.
Wir bereiten am Parkplatz unser Equipment vor und schnallen die Ski an. Andreas hat mir geraten, was ich alles in den Rucksack packen soll: Vor allem eine warme Jacke für die spätere Abfahrt. Denn beim Anstieg reicht etwas leichtere Kleidung – ins Schwitzen kommt man so und so. Außerdem: Essen und Trinken. Und: ein zweites Paar Handschuhe. Die hab ich allerdings vergessen, was ich später noch bereuen werde…
Sogleich werden die ersten Erinnerungen wach: Die älteste davon ist fast 30 Jahre alt. Als Kind hat mich mein Papa mit hierher genommen. Bis dahin war ich als Waldkirchnerin nur am Oberfrauenwalder Lift Ski gefahren. Die erste Fahrt den Dreisessel hinauf wurde zum einprägenden Erlebnis: Schon nach etwa 100 Metern warf uns der Schleppllift regelrecht aus der Bahn. So empfand ich es zumindest als Kind. Wer den 1,5 Kilometer langen Hang noch nie zuvor mit dem Lift emporgestiegen ist, der muss wissen: Das erste und letzte Teilstück sind ziemlich steil. So steil, dass man als Kind das Gefühl hat, das Liftseil ziehe einen mit deartiger Macht nach oben, dass man abhebt. Freunde behaupten, dass sie das „Abheben“ im Kindesalter sogar absichtlich herbeigeführt haben…
Etwa 15 Jahre später habe ich den ruppigen Dreisessellift dann so richtig lieben gelernt. Hier fanden meine ersten Stehversuche auf dem Snowboard statt – und siehe da: Der Lift beförderte mich (und mein Brett) tatsächlich schon beim ersten Versuch bis ganz nach oben! Auch wenn die Oberschenkel nach der Fahrt ziemlich schmerzten – ich habe die gesamte anspruchsvollen Bergfahrt gemeistert – selbst das steile Teilstück zur Brücke hinauf. Und irgendwie bin ich dann auch wieder runter gekommen…
Tier verschneite Wälder, tief verschneite Schilder…
Jetzt also gilt’s: Der Lift ist weg, die „Fußmarie“ muss herhalten. Wir stapfen los auf unseren Skiern. Es gibt zwei Möglichkeiten: Wer in etwa 30 bis 45 Minuten oben sein will, marschiert die Piste empor. Wer etwas mehr Zeit hat, wählt den Wanderweg. Andreas und seine Freundin Tanja haben mich zu dieser anstrengenden Variante überredet. Knapp zwei Stunden wird sie dauern. Die beiden geübten Tourengeher würden es ohne mich wohl in anderthalb Stunden schaffen.
Der Winter macht seinem Namen alle Ehre: Es schneit und schneit – auch an diesem Tag. Der Schnee türmt sich im Wald bereits gut einen Meter hoch – ein wunderschöner Anblick. Auch wenn sich das erste Stück als ziemlich anstrengend erweist und ich sofort „ins Schnaufen“ komme. Das hier verbrennt definitiv mehr Kalorien als damas die Fahrt mit dem Schlepplift. Um uns herum: tief verschneite Bäume. Und: tief verschneite Schilder. Zum Glück sind wir hier nicht alleine unterwegs: Schon auf den ersten Metern treffen wir auf zahlreiche Leute mit Tourenskiern oder Schneeschuhen. Dass wir den Berg mit seinen vielen Wanderwegen auch aus Sommertagen recht kennen, spielt uns zudem in die (Orientierungs-)Karten.
Auch das Schild, das darauf hinweist, dass man die Wege nicht verlassen und den Bergwald nicht betreten darf, ist im Schneegestöber kaum mehr zu erkennen. Trotzdem halten sich alle an die Regeln: Keiner läuft mitten durchs Unterholz. Und das ist gut so: Wer denkt, er müsse seine ganz eigene, einsame Route finden, der stört damit die Bewohner des Waldes – allen voran den seltenen Auerhahn, den es ohnehin nur noch am Dreisessel und im Nationalpark gibt.
Der Pachtvertrag mit dem Forstamt ist gekündigt
Bei den großen Schneemengen hätte der Lift heuer dann doch endlich mal wieder in Betrieb gehen können. Aber sein Schicksal war bereits besiegelt, bevor die ersten Flocken fielen. „Wir haben es heuer einfach nicht mehr ausprobiert“, gibt Renate Sageder offen zu. Sie und ihr Mann betreiben die Dreisesselalm und hatten in den vergangenen drei Wintern auch die Lift- und Abfahrtsschneise gepachtet. Dieses Jahr nicht mehr. Der Pachtvertrag mit dem Forstamt ist gekündigt.
Den Lift haben die Sageders abbauen lassen. Nicht etwa, weil er baufällig gewesen wäre, wie mancher denkt. Im Gegenteil: „Wir hätten ihn nur einschalten brauchen. TÜV war noch drauf, wir hatten auch ein Seilgutachten“, erklärt Renate Sageder weiter. Aber das Risiko, wieder rund 9.000 Euro in Pacht und weitere Betriebskosten zu investieren und den Lift mangels Schnee erneut nicht betreiben zu können, war dem Ehepaar am Ende doch zu groß. Mit der Pacht sei ihnen das Forstamt ohnehin schon weit entgegen gekommen – noch weniger zu verlangen, war laut Albert Pauli vom Forstamt Neureichenau nicht möglich, da es vom Staat gewisse Rahmenvorgaben für derlei Pachtverträge gibt. Zudem stehen auch andere Lifte in der Region auf Forstgrund, wie etwa Teile des Skizentrums Mitterdorf. Man habe die anderen Pächter nicht benachteiligen wollen.
Wir haben mittlerweile die halbe Strecke geschafft. Nach dem ersten steileren Teilstück wird es nun flacher – ich kann mich mit Tanja unterhalten, während ich gehe. Skitourengehen ist fast wie Langlaufen: Wenn man es schafft, auf den Skiern leicht dahin zu gleiten, ist es weniger anstrengend. Wer den Fehler macht, den Ski bei jedem Schritt zu sehr anzuheben, muss sich plagen. Ganz oben wird es dann nochmal heftig: Meine Oberschenkel spüre ich mittlerweile deutlich. Andreas geht fast jedes Wochenende eine Tour und ist entsprechend fit – jetzt zieht er mir davon. Tanja könnte sicher mit ihm mithalten, leistet mir aber Gesellschaft.
Renate und Hans-Günther Sageder haben also beschlossen: „Wir kündigen den Pachtvertrag für Lift und Piste und konzentrieren uns auf die Dreisesselalm.“ Und weil eine Bürgschaft auf dem Lift lag und das Forstamt bei Kündigung des Pachtvertrages auf dem Rückbau bestand, hat Familie Sageder Liftstützen und Seil im Herbst demontieren lassen. Schade, einerseits. Denn in diesem Winter wäre er wohl wieder gelaufen.
Schon hab ich ein ganz normales Snowboard unter den Füßen
Andererseits haben sie genau dadurch den Berg wiederbelebt: Denn das Forstamt hat neue Pächter für die Liftschneise gefunden. Die sechs Gemeinden Neureichenau, Haidmühle, Jandelsbrunn, Grainet, Philippsreut und Hinterschmiding haben sich zusammengetan und wollen aus dem ehemaligen Skilift nun ein Paradies für Schneeschuh- und Tourengänger machen. Sie haben die Brücke im oberen Teil der Abfahrt sanieren lassen, sodass Skifahrer sie weiter nutzen können. Die Neureichenauer präparieren laut Bürgermeister Walter Bermann die Piste mit ihrem Pistenbully regelmäßig. Einen Teil der breiten Abfahrt zumindest – der andere Teil bleibt für alle Tiefschnee-Liebhaber unberührt.
Oben angekommen, machen wir eine kleine Pause. Tee trinken, was essen. Leider fehlt eine Unterstellmöglichkeit. Der Wind pfeift uns ziemlich um die Ohren und es hat auch wieder stark zu schneien begonnen. Meine Handschuhe sind vom Weg nach oben verschwitzt und nass. Als wir aus den Skiern wieder ein Snowboard bauen, vermisse ich ein zweites, trockenes Paar Handschuhe schmerzlich…
Zum Aufstieg hatten wir an den Unterseiten unserer Bretter sogenannte Felle befestigt, um nicht zurück zu rutschen. Die kommen jetzt runter. Die beiden Skier werden wieder zu einem Brett zusammengeklickt, die Bindung wird festgemacht – und schon hab ich ein ganz normales Snowboard unter den Füßen.
Heute war offensichtlich noch kein Pistenbully hier. Die Schneise ist mit reichlich Schnee bedeckt. Ganz so regelmäßig, wie Bürgermeister Bermann mir gegenüber angepriesen hatte, ist der Pistendienst wohl doch nicht unterwegs. Aber eine breite Tiefschneepiste hat ja auch mancherlei Vorzüge. Außerdem sind mittlerweile – es ist 12 Uhr mittags – schon etliche Schneeschuhgänger oben angekommen, die ihrerseits den Hang etwas „präpariert“, also platt getrampelt haben.
Die jetzige Nutzung geht mit dem Trend der Zeit
Auf halber Strecke bin ich dann trotzdem ziemlich froh, dass ich diese Abfahrt aus dem „Effeff“ kenne: Ich weiß, wo Rillen lauern, wo man Schwung holen muss, um nicht zu langsam zu werden und im Tiefschnee stecken zu bleiben. Uns kommen etwa 20 Leute entgegen, die gerade auf dem Weg nach oben sind. In die Quere kommen wir uns dabei nicht: Die Dreisessel-Abfahrt ist breit genug für alle.
Nach einer Viertelstunde sind wir wieder unten am Parkplatz angekommen. Ich habe sie vermisst, diese Abfahrt: Sie ist einfach wunderschön. Lang und abwechslungsreich. Meine persönliche Dreisessel-Premiere mit dem Splitboard ist gelungen. Wenn die Piste dann noch etwas regelmäßiger präpariert wird und die neuen Pächter die Abfahrtsschneise auch im Sommer gut pflegen, bleiben aus meiner Sicht keine Wünsche offen.
Mein Fazit lautet daher: Die jetzige Nutzung der Piste geht mit dem Trend der Zeit. Es ist erstaunlich, wie viele Wintersportbegeisterte derzeit mit Tourenskiern auf den Dreisesselberg hinaufsteigen. Den alten Schlepplift hätten definitiv nicht so viele Leute genutzt. Auch wenn ich mich immer noch gerne an die alten Zeiten hier erinnere – ab sofort werde ich wohl häufiger mit dem Splitboard unterwegs sein und diesen neuen Sport genießen.
Sabine Simon
Vor vielleicht 10 bis 15 Jahren war ein sehr schneereicher Winter. Ich bin damals fast täglich auf den Dreisessel gegangen und habe einmal jungen Burschen zugeschaut, die mit ihren Snowboards über die Dreisesselstraße gesprungen sind. Jedes Mal mit einem Salto und so knapp, dass sie gerade noch auf der anderen Seite aufgekommen sind. Das hat mich sehr beeindruckt. Gestürzt ist niemand. Der Straßenverkehr wurde auch nicht behindert, weil einer „Schmiere“ gestanden ist; ausserdem war so gut wie kein Verkehr.
Ich würde die kühnen Springer gerne zu mir in mein Atelier einladen.
Anton Kirchmair
Interessantes Konzept. Mal schaun, wie das in Zukunft angenommen wird.
„Wenn die Piste dann noch etwas regelmäßiger präpariert wird, … “
Hier stimme ich der Verfasserin nicht zu. Warum sollte man am Dreisessel jetzt noch eine Piste präparieren?
Auf glattgebügelter Schneeautobahn bella figura machen kann jeder und langweilt das Gros der Skifahrer. Nicht zuletzt deswegen boomen im Alpenraum das Tourengehen und das Variantenfahren. Und auch im Bayerischen Wald vergnügen sich auf den Abfahrten der klassischen Pistenskigebiete die Tourengeher, solange nach Neuschneefällen die Pistenraupen die weiße Pracht noch nicht niedergewalzt haben und der Massentourismus nicht begonnen hat. Der Bedarf an naturbelassenen Abfahrten ist also eindeutig vorhanden.
Daher hoffe ich, daß es so bleibt , wie’s ist.
Hallo an alle, würde der Lift verschrottet? Könnte man ihn woanders wieder aufstellen? Gruss aus dem Harz