Neureichenau. Bereits lange vor der Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald hat sich etwas weiter südlich im Landkreis Freyung-Grafenau eine Gemeinschaft gebildet, die sich die touristische Vermarktung der Region zum Ziel gesetzt hat. Als ARGE Dreiländereck wollen sich die Gemeinden Grainet, Jandelsbrunn, Neureichenau, Haidmühle, Philippsreut und Hinterschmiding gemeinsam ins rechte Licht rücken. Arbeitsgemeinschafts-Vorsitzender und Neureichenaus Bürgermeister Walter Bermann spricht im Hog’n-Interview über „seine“ Arbeitsgemeinschaft, den Tourismus im Bayerischen Wald und über das aus seiner Sicht weiterhin vorherrschende Kirchturmdenken.
Herr Bermann, zunächst einmal ganz allgemein: Erklären Sie uns das Konzept der ARGE Dreiländereck etwas näher.
Walter Bermann: Die ARGE Dreiländereck gibt es inzwischen seit 1999. Die Gemeinden Grainet, Jandelsbrunn, Neureichenau, Haidmühle, Philippsreut und Hinterschmiding haben sich damals zusammengetan, um gemeinsam mit der Waldvereinssektion Leopoldsreut den Bau des aktuellen Turmes auf dem Haidel stemmen zu können. Durch diese Arbeitsgemeinschaft hatten wir die Möglichkeit, entsprechende Förderantrage zu stellen. Nachdem dieses Projekt abgeschlossen war, haben wir uns dennoch dazu entschieden, gemeinsam weiterzuarbeiten. Wir sind der Überzeugung, dass den Haidel-Berg nur die allerwenigsten kennen, die Dreiländereck-Region hingegen bekannter ist – so wurde aus der ARGE Haidel die ARGE Dreiländereck. Seitdem versuchen wir, diese Region touristisch besser darzustellen und zu vermarkten.
Dreiländereck: vom Grenzgebiet zum Mittelpunkt Europas
Wie sieht dieses Marketing im Detail aus?
Wir haben gemeinsame Prospekte, ein Gastgeberverzeichnis, eine gemeinsame Homepage sowie gemeinde- und grenzüberschreitende Wanderwege und Loipen mit entsprechendem Kartenmaterial. Auf diese Weise versuchen wir gebündelt Werbung für die sechs beteiligten Gemeinden zu machen, wobei auch Anbindungen nach Österreich und Tschechien vorhanden sind.
Welche touristischen Vorzüge können die Dreiländereck-Gemeinden bieten? Welche Alleinstellungsmerkmale hat diese Region?
Es gibt definitiv nur ein deutsch-tschechisch-österreichisches Dreiländereck. Außerdem ist der Dreisessel der einzige befahrbare Berg im Landkreis Freyung-Grafenau. Mit diesem Pfund dürfen wir wuchern. Die Vernetzung mit unseren Nachbarn – mit Oberplan in Tschechien und Schwarzenberg in Österreich – ist zudem über die Jahre hinweg gewachsen und kein künstliches Konstrukt. Uns verbindet insbesondere der gemeinsame Nenner Adalbert Stifter, der in Böhmem geboren wurde, in Österreich gewirkt und bei uns Urlaub gemacht hat. Wir halten uns deshalb an Stifters propagiertes Gesetz des sanften Tourismus.
Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs ist das Gebiet um den Dreisessel mit dem Rücken zur Wand gestanden; inzwischen sind wir der Mittelpunkt von Europa – Wien, Prag und München sind gleich weit entfernt. Durch unsere Natur – dem Dreisessel und dem größten zusammenhängenden Waldgebiet Europas – können wir die Urlauber aus diesen Großstädten zu uns locken. Und genau hier kommt die ARGE Dreiländereck, das heißt, eine großflächigere Vermarktung, zum Tragen.
Es ist ein schwieriges Unterfangen, im internationalen Vergleich zu bestehen.
Absolut. Es liegt auf der Hand, dass der Nationalpark Bayerischer Wald oder der Moldaustausee ein größeres Einzugsgebiet aufweisen als das Dreiländereck. Hier kommt uns zugute, dass wir – ähnlich wie bei den vorher angesprochenen Großstädten – ziemlich zentral liegen. Innerhalb weniger Kilometer ist es bei uns möglich, drei unterschiedliche Kulturen zu erreichen. Auch, wenn es die Landkreis-Oberen nur ungern hören, aber: Ich werbe als Bürgermeister der Dreisesselgemeinde Neureichenau eher für den Hochficht, wobei das der Geografie geschuldet ist. Meine Kollegen aus Hinterschmiding, Grainet, Philippsreut und Haidmühle tendieren da eher zum Skizentrum Mitterdorf. Die Gäste kennen keine Grenzen, sie bevorzugen kurze Strecken.
Walter Bermann und die Bergtour-Metapher
Etwas weiter nördlich gibt es ja ein ähnliches, wenn auch wesentlich jüngeres Konstrukt – die Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald (FNBW). Wie beobachten Sie deren Entwicklung, die von einigen Störfeuern begleitet wird?
Diese Zwistigkeiten möchte ich nicht weiter kommentieren. Ich verstehe das Bestreben, größere Tourismus-Einheiten zu bilden. Ich verstehe aber gleichzeitig, dass sich in einem solchen Zusammenschluss nicht jeder wohlfühlt oder sich mit der Vorgehensweise identifizieren kann. Einen kleines Beispiel dazu: Bei einer Bergtour gibt es schnellere und langsamere Wanderer. Man darf aber auch die Langsameren nicht aus dem Auge verlieren, man muss als Gruppe den Gipfel erreichen. Genauso ist es beim Tourismus. Es gibt viele verschiedene Voraussetzungen – letztlich soll man sich aber auf ein Großes und Ganzes einigen.
Ist es angedacht, die Vermarktung innerhalb der ARGE Dreiländereck-Kommunen weiter zu zentralisieren? Noch haben alle beteiligten Gemeinden beispielsweise eine eigenen Tourist-Info.
Durch die Neubesetzung der Tourismusmanager-Stelle im Landratsamt hat der Landkreis Freyung-Grafenau ein deutliches Zeichen gesetzt. Man möchte bewusst die Vermarktung der Region in der Region behalten. Der neue Tourismus-Chef Bernhard Hain hat es während seiner vorherigen Tätigkeit beim Tourismusverband Oberösterreich bereits vorgemacht, wie es funktionieren kann. Wohin die Reise des Tourismus im Landkreis geht, ist deshalb eine spannende Frage, die uns die Zukunft beantworten wird. Es liegt auf der Hand, dass die vielen, kleinen Tourist-Infos gestrafft werden müssen, um die Qualität sicherstellen zu können.
Als touristische Vorreiter gelten vor allem die Österreicher. Neureichenau ist unmittelbare Grenzkommune: Was kann man von den Nachbarn lernen?
Sie haben den Weg, den wir nun gehen wollen, bereits einige Zeit vor uns in Angriff genommen. Das soll aber nicht heißen, dass die Österreicher das touristische Rad neu erfunden haben – dort gibt es dieselben Probleme wie bei uns. Nur haben unsere Nachbarn eben früher damit begonnen, diese Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen.
„Müssen mal was probieren, auch wenn wir vielleicht scheitern“
Das wohl größte Hindernis bei einer solchen Kooperation ist das Kirchturmdenken innerhalb vieler Kommunen, das trotz anders lautender Aussagen weiterhin vorherrscht. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht sammeln können?
Jede einzelne Kommune muss sich mehr öffnen. Wir müssen mal was probieren, auch wenn wir vielleicht scheitern. Dass das Kirchturmdenken auch jetzt noch nicht von der Hand zu weisen ist, ist richtig. Das ist ein Prozess, der noch Jahre dauern wird – was man am Beispiel FNBW sieht. Da sind wir wieder bei der Bergtour: Jeder muss dem anderen den Erfolg gönnen, gemeinsam den Gipfel zu erreichen.
Um bei Ihrer Metapher zu bleiben: Wie schaffe ich es denn, dass bei der Bergtour der Schnellste auf den Langsamsten achtet bzw. wartet?
Schwierige Sache. Der, der vorne läuft, will natürlich als Erster am Ziel sein. Denn es kann ja sein, dass später der Nebel den Blick ins Tal versperrt. Die touristischen Vorzeigebetriebe in unserer Region brauchen im Endeffekt keine Kommune oder GmbH, um sich zu vermarkten. Diese Häuser haben sich ihr Alleinstellungsmerkmal selber erarbeitet und wollen dieses natürlich nicht aufgeben. Wie schon vorher angesprochen: Ich bin gespannt, wie sich der Tourismus im Bayerischen Wald in den kommenden Jahren entwickeln wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Helmut Weigerstorfer