Neuschönau. „Wir wollen alle Menschen, Projekte und Aktivitäten unterstützen, die uns dem Ziel näher bringen, die Gesellschaft zukunftsfähig zu gestalten.“ Ein Leitspruch, der zunächst sehr allgemein und etwas vage anmutet, der jedoch alles Wichtige in einem Satz zusammenfasst, was die Begründer und Mitglieder des Vereins „Zeitwende e.V.“ bewirken wollen. Ihnen ist dabei durchaus bewusst, dass sich ihr Zusammenschluss, ihr Netzwerk, immer noch in einer Art Entwicklungsphase befindet. „Nachhaltig Leben und wirtschaften“ heißt die Maxime, die über allen Ideen und Vorhaben steht. Das Onlinemagazin da Hog’n hat Martina Kirchpfening (erste Vorsitzende) und Lisa Haidorf (Beisitzerin) darum gebeten, das Zeitwende-Konzept einmal genauer vorzustellen.
„Wir sind ein kleiner Verein und stehen noch ziemlich am Anfang“, schildert Martina Kirchpfening, die hauptberuflich als Kreisjugendpflegerin am Landratsamt Freyung-Grafenau tätig ist, die aktuelle Situation der „Zeitwende“. Der Verein (mit Sitz in Neuschönau) geht auf die Initiative „Projektgemeinschaft nachhaltig leben und wirtschaften“ zurück, die vor zwei Jahren von ihr selbst und der Biogärtnerin Ursula Klöpper ins Leben gerufen wurde. Daraus entstanden ist ein Netzwerk von etwa hundert Frauen und Männern, die sich mit dem Thema „nachhaltig leben und wirtschaften“ auseinandersetzen wollen.
„Hier kann jeder Interessierte zu jeder Zeit hinzukommen“
„Unser Engagement ist ehrenamtlich, die Zahl an Resourcen ist begrenzt“, gibt sich die Sozialarbeiterin realistisch. Sie und ihre Mitstreiter wissen, dass die Zeitwende kein Hauruck-Projekt ist, sondern dass der Faktor Zeit eine gewichtige Rolle spielt. Es geht darum, in verschiedenen Bereichen dauerhafte Strukturen zu schaffen, langfristige Wirkungen zu erzielen. Eben nachhaltig zu agieren – und nicht flüchtig, kurzlebig. Das Denkprinzip der Permakultur zählt dabei zum wesentlichen Element der Zeitwende-Bewegung. „Das öffentliche Interesse ist groß. An uns werden viele Ideen herangetragen, die verwirklicht werden wollen“, antwortet Kirchpfening zufrieden auf die Frage, welche Resonanz der Verein bisher erfährt.
Momentan gibt es drei aktive Arbeitsgruppen, erkärt Lisa Haidorf. Die 52-Jährige ist seit vielen Jahren Inhaberin eines Selbstversorgerhofes in Schönbrunn am Lusen (Gemeinde Hohenau). Eine Gruppe beschäftigt sich dabei mit dem Thema „Bauen und Energie“, wobei der Schwerpunkt auf dem Umgang und Einsatz mit nachhaltigen Rohstoffen liegt. Eine andere setzt sich mit dem Bereich „Selbstversorgung“ auseinander – „da geht’s ums Landwirtschaftliche und Gärtnerische, aber auch um sozialgestalterische Themen“. Die dritte AG widmet sich dem Komplex „Spiritualität und Gesundheit“. Die Mitglieder der einzelnen Arbeitsgruppen treffen sich in regelmäßigen Abständen zum Meinungsaustausch, zur Projektbesprechung und zur Durchführung von verschiedenen Workshops.
Vom Errichten eines Erdgewächshauses, dem Herstellen von Holzschindeln, dem Bau eines Lehmbackofens oder eines Wildbienenhotels, über einen Solarthermie-Baukurs, Strohbauarbeiten, eigene Käseherstellung, Wolle verarbeiten, Mähen mit der Sense, bis hin zu Informationen zur Vermeidung von E-Smog-Belastungen und die Rolle einfacher, gesunder Ernährung – das Angebot ist vielfältig. Und: „Es handelt sich dabei um offene Gruppen – das heißt: Hier kann jeder Interessierte zu jeder Zeit hinzukommen. Man muss dazu nicht Vereinsmitglied werden.“
„Jeder leistet den Beitrag, den er leisten kann und möchte“
„Wir wollen nicht warten, bis die Lösungen global kommen. Wir wollen stattdessen global denken – und lokal handeln“, erläutert Martina Kirchpfening einen weiteren Grundsatz des Zeitwende-Vereins und ergänzt: „Das ist manchmal nicht so einfach, wie es sich anhört, aber wir arbeiten darauf hin.“ Es geht den Mitgliedern, die großen Wert auf basisdemokratische Organisationsformen legen, um resourcenorientiertes Wirtschaften, um Umwelt- und Menschenschutz, Hilfe zur Selbsthilfe sowie darum, viele weitere Themen des gesellschaftlichen Wandels zu unterstützen. „Wir möchten Bedingungen schaffen, die es ermöglichen, nachhaltiger zu leben, den Raubbau an der Natur zu mindern und unter den Menschen für eine faire Verteilung zu sorgen.“
Dass bei all den Zielen auch eine gehörige Portion Idealismus nicht schadet, liegt auf der Hand. Doch wo wäre die Welt ohne diejenigen, die sie verändert haben bzw. verändern möchten? „Alle, die kommen, haben den Willen, etwas aktiv zu gestalten und zu verbessern. Leute, die sich nicht damit abfinden wollen, selbst nichts verändern zu können“, betont Martina Kirchpfening. Doch auf Idealismus alleine würde sie die Motivation der Zeitenwender und Zeitenwenderinnen nicht beschränken – „da ist schon auch viel Pragmatismus mit dabei“. Das Besondere am Zeitwendegedanken: „Jeder leistet den Beitrag, den er leisten kann und möchte.“
Das ehrenamtliche, das zivilgesellschaftliche Engagment sieht die 52-Jährige heute unter zunehmenden Erwartungsdruck: „Wir sind die, die alles richten sollen – doch wir von der Zeitwende sind einfach nur Bürger des Bayerischen Waldes, die sich vorgenommen haben, das, was verändert werden kann, selbst in die Hand zu nehmen.“ Mit der Unzfriedenheit, was den politischen Status Quo betrifft, habe das alles weniger zu tun – es sei nicht die Zeit für Schuldzuweisungen, so Kirchpfening, sondern: „Es geht darum, zu schauen, was hier vor Ort, im Kleinen, bewegt werden kann. Dass Menschen, die hier leben, sich zusammentun, um ihre gleichartigen Ziele zu verwirklichen und sich gegenseitig zu unterstützen.“
Nach überraschendem Tod von Ursula Klöpper: Vizevorstand gesucht
Im Oktober dieses Jahres fand die erste Mitgliederversammlung in Neuschönau statt, bei der die Schwerpunkte für 2017 festgelegt wurden. „Da gab’s einen deutlicher Wunsch nach Projekten im Bereich der nachhaltigen Bildung, die gemeinsam mit Schulen verwirklicht werden könnten. Genauso wurden gemeinschaftliche Aktionen zum regionalen Anbau von Gemüse, Obst und Gartenkräuter an unsere Vorstandschaft herangetragen“, informiert Martina Kirchpfening. Auch die Initiation einer Landbörse stehe für kommendes Jahr auf dem Plan. „Da geht’s drum, die Möglichkeit einer Struktur zu schaffen, um Klein- und Kleinstflächen für den ökologischen Nischenanbau verfügbar zu machen.“
Nach dem für viele überraschenden Tod von Ursula Klöpper im Mai dieses Jahres („Sie hat eine große Lücke hinterlassen“), ist der Verein derzeit auf der Suche nach einer bzw. einem zweiten Vereinsvorsitzenden. „Zudem bräuchten wir medienaffine Menschen, die uns Zeit und Wissen spenden – etwa für einen crowdgefundeten Imagefilm.“
Bleibt nur noch die Frage zu klären, wie es zum Vereinsnamen gekommen ist. „Wir haben die Energiewende, die Klimawende, die Arbeitswende – es gibt alle möglichen Arten von Wenden“, antwortet Lisa Haidorf darauf. „So auch die Zeitwende.“ Der Name ist aus der Diskussion unter den Netzwerkmitgliedern heraus entstanden. „Den meisten hat er gleich sehr gut gefallen“, fügt Martina Kirchpfening hinzu. Zeit für die Wende. Zeitwende.
Stephan Hörhammer
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Wer mehr über den gemeinnützigen Verein „Zeitwende e.V.“ erfahren möchte, kann sich dazu im Internet auf der Vereins-Homepage unter www.zeitwende.net informieren. Wer Lust bekommen hat, sich direkt zu engagieren und Mitglied zu werden, kann unter folgendem Link (einfach klicken) entsprechende Schritte einleiten.