Schönbrunn am Lusen. Das dürfte rekordverdächtig sein. Die Speisekarte der Familie Haidorf ist trotz der diesjährigen Hitzewelle und deren Folgen mehrere hundert Quadratmeter groß. Vor allem jetzt, in der Erntezeit, ist die Auswahl gigantisch: Kartoffeln, Kraut, Kräuter aller Art – dazu kommen täglich frische Eier und viele weitere Produkte, die sie direkt vor der eigenen Haustüre abholen können. Gratis. Lisa und Rolf Haidorf (beide 51) haben sich einen Selbstversorgerhof in Schönbrunn am Lusen aufgebaut. Ganz bewusst haben sie sich für ein sehr einfaches Leben entschieden – ohne Heizung, ohne Discounter, ohne Massenkonsum. Die Haidorfs haben sich so ihr eigenes kleines Paradies am Lusen geschaffen.
Doch das ging nicht von heute auf morgen. Sieben Jahre hat es gedauert, bis das Gebäude und der Garten in etwa ihren Vorstellungen entsprochen haben – verbunden mit viel Fleiß und Schweiß. Nach 20 Jahren in der Ferne – zuerst in München, Rolf Haidorfs Heimatstadt, und später in Schrobenhausen – wollte die gebürtige Freyungerin zurück in den Bayerischen Wald. Letztlich fiel die Wahl auf einen Hof in Schönbrunn am Lusen, den das Ehepaar von einem älteren Herrn im Jahr 2008 „auf Leibrente“ erworben hat. „Wir leben sehr einfach. Unser einziger Luxus ist eine Fußbodenheizung im Bad“, erzählt Rolf Haidorf und schmunzelt. „Doch genauso wollten wir es.“
„Wir haben so gut wie alles umgekrempelt“
Das Wort „Luxus“ hat für die beiden ohnehin eine ganz andere Bedeutung. Für sie hat Reichtum nichts mit Geld oder Materiellem zu tun. Die selbstständigen Landwirte legen vielmehr Wert auf ein naturbewusstes Leben. Eine blühende Blume oder frisch geerntete Kartoffeln aus dem eigenen Garten – das bedeutet für sie Wohlstand. Und diesen bauen sie jährlich weiter aus. Anfangs gab es nur einen Gemüseacker – allmählich sind eine „Kräuterschnecke“, eine Hecke und, die neueste Errungenschaft, eine aufwendig gestaltete Feuerstätte in Zusammenarbeit mit dem Holzkünstler Peter Voglsperger hinzugekommen. „Wir haben so gut wie alles umgekrempelt“, blickt Lisa Haidorf, eine gelernte Gärtnerin, nicht ohne Stolz zurück.
Auf den Tisch der Schönbrunner Familie kommen somit ausschließlich Erzeugnisse aus heimischer Herstellung sowie ausgewählte Einkäufe von befreundeten Bauern. „Fleisch essen wir sowieso nur einmal wöchentlich“, sagt Rolf Haidorf. Und dann gibt’s eben eines der eigenen Suppen- oder Masthähnchen. Oder eines der Schafe, das ansonsten in der Nähe des Hauses auf einer überdimensionalen Weide friedlich vor sich hingrast. Die artgerechte Haltung der Tiere ist den Besitzern vom Stellenwert her genauso wichtig wie ihre eigene Wohnung. „Das sind auch besondere Rassen. Bei uns leben ungarische Zackel-Schafe und belgische Mechelner-Hühner„, erklärt Lisa Haidorf, während sie am Zaun steht und einem der Vierbeiner den Kopf krault.
„Unser Gemüse ist nicht das schönste, aber das beste“
Etwas anders zu sein als die anderen – das ist für die beiden Naturmenschen kein Problem. Auch wenn es deswegen immer wieder mal zu schiefen Blicken der Nachbarn kommt. „Sobald man ein bisschen anders denkt, ist man Außenseiter“, stellt Rolf Haidorf fest. Und seine Frau ergänzt: „Vielleicht ist da auch ein bisschen Neid dabei.“ Häufig bekommen die beiden Vollblut-Bauern nämlich Besuch. Von Kindern, mit denen die Hausherrin zum Beispiel Ringelblumensalbe macht. Oder von Naturliebhabern, die sich inspirieren lassen wollen. Und von Kunden, die frisches Gemüse oder Fleisch kaufen. „Unser Gemüse ist vielleicht nicht immer das schönste“, gibt Lisa Haidorf zu. „Dafür aber das Beste.“
Wie sie zu ihrer Einstellung gekommen sind? Mit ein Grund war die Geburt des gemeinsamen Sohnes. „Wir haben damals in München gewohnt, in einer Wohnung im 2. Stock. Weil wir unserem Buben was bieten wollten, haben wir gleich einen Heimgarten angelegt“, erinnert sich Rolf Haidorf. Und nach dem Umzug in den Bayerwald wurde das Haus mehr und mehr zum Bauernhof mit Hühner- und Ziegenstall sowie einem geradezu paradiesischem Garten umgeformt: „Es ist doch wunderbar, wenn man das essen kann, was man selber produziert.“
Die Ackerfläche wird dabei von der gelernten Gärtnerin teilweise nach der Permakultur bearbeitet. Darunter versteht man ein „ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Wirtschaften mit allen Ressourcen“ (Quelle: Wikipedia). Ein Beispiel dafür: Heukartoffeln. Die Erdäpfel werden nicht – wie sonst üblich – eingegraben, sondern lediglich mit Heu zugedeckt. Das Ergebnis ist das gleiche wie bei der herkömmlichen Art, allerdings erholt sich der Boden schneller.
Werbung? „Das läuft alles über Mundpropaganda“
Learning by doing – das ist das Motto auf dem Haidorf-Hof, mittlerweile besser bekannt unter dem Namen „Paradies am Lusen“. „Dieser Begriff ist eine Erfindung unseres Sohnes, der uns auch mit einer Homepage und einer Facebook-Seite ausgestattet hat“, berichtet Lisa Haidorf. Neben der medialen Unterstützung sind ab und an auch so genannte WOOFer zu Gast. Darunter versteht man Freiwillige, die irgendwo Urlaub machen und diesen dadurch finanzieren, indem sie auf dem Hof mitarbeiten. „Da ist zu jederzeit jemand willkommen“, zeigt sich Rolf Haidorf offen.
Zugänglicher ist auch ein Großteil der Bevölkerung gegenüber Bio-Produkten geworden. Die vielen Lebensmittel-Skandale haben nach Aussagen der Bauersfamilie zu einem Umdenken geführt. Ein großer Gewinn für Öko-Landwirte wie die Haidorfs, die komplett auf Werbung verzichten. „Das läuft alles über Mundpropaganda“, erklärt die 51-Jährige. Neben dem Verkauf der eigenen Produkte können Kunden auch zum „Tag der offenen Gartentür“ oder zur Pflanzenbörse, die jeweils einmal jährlich stattfinden, vorbeikommen. Darüber hinaus gibt die Bäuerin ab und an Seminare im Lehr-, Versuchs- und Fachzentrum Kringell. „Wir möchten einfach die Lust am Garteln weitergeben“, erklärt sie.
Während viele noch nach ihrer Erfüllung suchen, haben Lisa und Rolf Haidorf diese mit ihrem Selbstversorgerhof bereits gefunden. „Das machen wir bis an unser Lebensende“, ist sich der Hausherr sicher. Und seine Frau ergänzt mit einem Lachen: „Und wenn wir sterben, lassen wir uns einäschern und über unseren Acker streuen.“
Helmut Weigerstorfer