Mamming/Passau. Es ist eine Tatsache: Nach Pegida zieht es nun auch die rechtspopulistische AfD auf die Straßen Bayerns. Am kommenden Samstag will die Partei ihre „Herbstoffensive“ in Passau fortsetzen und Stimmung gegen Geflüchtete machen. Dass es die „Alternative für Deutschland“, deren Slogan „Mut zur Wahrheit“ lautet, mit selbiger nicht sonderlich genau nimmt, zeigt ein Vorwurf des niederbayerischen Bezirksvorsitzenden Stephan Protschka, dem das Onlinemagazin „da Hogn“ in Zusammenarbeit mit „ENDSTATION RECHTS.Bayern“, dem Informationsportal über Neonazis und Rechtsextremismus in Bayern, nachrecherchiert hat.
Nach der medienwirksamen Spaltung der AfD auf ihrem Parteitag in Essen und dem Austritt des Parteigründers Bernd Lucke, wurde es eine Zeit lang still um die „Alternative für Deutschland“. Aus der gegenwärtigen Flüchtlingskrise versuchen nun AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry und Co. erneut Kapital zu schlagen: In Umfragen legte die Partei zuletzt deutlich zu. Und in Bayern soll deshalb nun Druck über die Straße ausgeübt werden. Die Funktionäre nennen es „Herbstoffensive“. In Freilassing stand am 17. Oktober die erste Demonstration auf dem Programm. Am vergangenen Wochenende folgte Nürnberg. Passau ist am kommenden Samstag, 31. Oktober, dran. Einer der Gastgeber wird dann auch der Bezirksvorsitzende Stephan Protschka, Vermögensberater aus Mamming (Landkreis Dingolfing-Landau), sein. Bei seiner Rede in Freilassing hat er dabei schon einmal gezeigt, dass es ihm nur um Stimmungen, weniger um Lösungen geht.
Gruppenvergewaltigung durch Asylbewerber angeblich verschwiegen
Das war in der Grenzstadt im Berchtesgadener Land passiert: Nach einer zehnminütigen Rede eines oberbayrischen Funktionärs, die bemüht ruhig gehalten ist, sieht sich Protschka an diesem Tag wohl genötigt, für mehr Emotionen zu sorgen. Er begrüßt die etwa 1.000 Anhänger und Interessierten in Freilassing mit dem Ausruf „Servus, Pack!“ – eine Anspielung auf die Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, die eigentlich für die Gewalttäter von Heidenau gedacht waren und die Pegida und Co. seitdem auf sich beziehen. Mit dem Gruß an Angela Merkel und der Parole „Wir wollen es nicht schaffen“ heizt Protschka die Menge weiter an. Den vorläufigen Höhepunkt erreicht er mit einem gravierenden Vorwurf gegen Asylbewerber und Medien:
„An dieser Stelle möchte ich mich auch bei der Presse bedanken, die natürlich immer so fair davon berichtet, wenn in Reisbach drei Asylanten eine Frau vergewaltigen, und man sieht nichts in der Zeitung davon. Danke, liebe Presse!“
Das Publikum greift daraufhin die Anschuldigungen auf – und skandiert ein mehrfaches, lautes „Lügenpresse“. Ohne den Vorfall – vor allem zeitlich – einzuordnen, geht Protschka sogleich zum nächsten Thema über. Beides, sowohl die Vergewaltigung durch eine Gruppe als auch das Verschweigen einer solchen Straftat durch die Presse sind schwerwiegende Vorwürfe.
Was steckt nun dahinter?
Eine erste Recherche im Netz mit den spärlichen Informationen Protschkas bringt dann tatsächlich ein Sexualdelikt in Reisbach (Landkreis Dingolfing-Landau) zutage, das allerdings nicht so recht auf die Aussage des AfD-Bezirksvorsitzenden passen will – und schon einige Zeit zurückliegt. Anfang Februar dieses Jahres kam es dabei zu einem versuchten Übergriff auf eine Frau: Ein somalischer Asylbewerber ließ nach Hilfeschreien von einer Frau ab, auch nachdem ihr ein Fahrradfahrer zur Hilfe geeilt ist. Wenig später versuchte es der gleiche Täter in einem Mehrfamilienhaus. Hier rettete der Wohnungsinhaber seine Schwägerin aus der Situation. Der Sexualstraftäter wurde später gefasst.
Sowohl die Anzahl der Beschuldigten als auch die Tatsache, dass Polizei und Medien über den Vorfall berichet hatten, weicht von Protschkas Anschuldigungen und (Falsch-)Behauptungen bei der AfD-Demo in Freilassing offenkundig ab. Zudem blieb es (glücklicherweise) „nur“ beim Versuch der Vergewaltigung – was für die Opfer ohnehin schwer genug wiegen dürfte. Eine Nachfrage beim Polizeipräsidium Niederbayern ergibt, dass dort nur dieser eine besagte Reisbacher Fall bekannt sei – und es keinen weiteren Zwischenfall dieser Art seit Februar gegeben habe…
Das Nachhaken beim AfD-Bezirksvorsitzenden selbst macht die Sache zunächst nur noch verworrener: Im Telefonat mit der Hog’n-Redaktion spricht Protschka plötzlich von einem Vorfall im Sommer, an dem drei Schwarzafrikaner beteiligt gewesen waren, die zwei Frauen vergewaltigt haben sollen. Er habe diese Information in einem Online-Portal gelesen, dem er eigenen Angaben zufolge „sehr viel Glauben“ schenkt (um welches „Online-Portal“ es sich dabei handelt, konnte er auf Nachfrage nicht genauer benennen). Freunde von ihm aus Reisbach hätten Protschka gegenüber ebenfalls bestätigt, dass es zu jener Vergewaltigung zweier Frauen durch drei Schwarzafrikaner gekommen sei. Für ihn steht fest: „Ich lese das, ich weiß das, ich sage das.“ Den Vorwurf, die Presse habe den Vorfall durch Nicht-Berichterstattung verschwiegen, grenzt er ein auf seine Tageszeitungslektüre, den von ihm abonnierten Dingolfinger Anzeiger, der zur Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung gehört.
AfD-Bezirksvorsitzender teilt Artikel von Neonazis
Ein Blick durch seine Tweets bringt keine weiteren Erkenntnisse. Außer, dass er den Vorfall in Reisbach vom Februar dieses Jahres geteilt hat. Pikant: Von den zahlreichen, im Netz vorhandenen Artikel suchte er sich geradewegs den Beitrag der Neonazi-Partei „Der III. Weg“ aus (ist das jenes „Online-Blatt“, dem Protschka „sehr viel Glauben“ schenkt?) Diese hatte den Vorfall erst zwei Wochen nach der Tat zum Thema gemacht – und den Polizeibericht gehörig „ausgebaut“. Der Täter wurde demnach als „kulturfremder Einwanderer“ und „Sextäter“ bezeichnet. Unterschlagen wird dabei, dass der ersten Frau vermutlich ein anderer Zuwanderer zur Hilfe eilte. Die Neonazis verbinden den Vorfall mit einer Anklage gegen vermeintliche „Kuscheljustiz“ – und beklagen die Kosten für den Polizeieinsatz und die Verbüßung der Strafe. Von den anderen Presseartikeln unterscheidet sich der Beitrag der extrem rechten Partei obendrein dadurch, dass er zusätzlich eine Verbindung zu einem Protestcamp von Asylsuchenden im März 2014 in Dingolfing herstellt.
Dingolfinger Anzeiger hatte sehr wohl darüber berichtet
Eine E-Mail von Stephan Protschka an die Hogn-Redaktion am vergangenen Montag bringt dann Aufklärung. In dem Schreiben bezieht sich der 37-Jährige nun doch auf den Vorfall von Anfang Februar – und bleibt beim Vorwurf, seine lokale Zeitung habe diesen verschwiegen. Eine Nachfrage bei der Redaktion des Dingolfinger Anzeigers ergibt jedoch, dass bereits am Dienstag, den 3. Februar, auf Seite 14 der Lokalausgabe die Pressemitteilung der Polizei veröffentlicht wurde… Da hat der niederbayerische Bezirksvorsitzende der Alternative für Deutschland bei der Zeitungslektüre wohl nicht so genau hingeschaut an diesem Tag…
Mit dem Rückbezug auf die tatsächliche Straftat vom Februar dürfte Protschka eventuell strafrechtliche Ermittlungen abgewendet haben, denn immer häufiger interessieren falsche Verdächtigungen und krude Lügen, deren Ziel es ist, das gesellschaftliche Klima zu vergiften, die Behörden. Aber auch für falsche Zahlen wurden bereits Anzeigen initiiert: Im August etwa zeigte die Münchner Polizei den rechtsextremen Stadtrat Karl Richter an. Es bestand aus polizeilicher Sicht der Verdacht, dass sich der NPD’ler Richter mit angeblich falschen Zahlen aus dem Sicherheitsbericht der Volksverhetzung schuldig gemacht haben könnte. Das Verfahren wurde nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I gegenüber ENDSTATION RECHTS.Bayern mittlerweile eingestellt, weil sich der Verdacht nicht weiter erhärtet hatte.
Was vom Vorwurf übrig bleibt
Abgesehen von einer strafrechtlichen Bewertung wirft es politisch betrachtet jedoch ein bezeichnendes Licht auf den AfD-Niederbayern-Vorsitzenden. Was bleibt von seinem gravierenden Vorwurf noch übrig? Auf billige Weise wird hier Stimmung erzeugt, Gerüchte werden als wahr hingestellt, wenn sie ins eigene Weltbild passen, werden nicht überprüft und sogar überdramatisiert. Drei Täter erzeugen nun mal ein ganz anderes Bedrohungspotenzial als nur ein alleine handelnder. Drei Täter legen eine gemeinsame Gesinnung nahe und spielen mit dem rassistischen Klischee, das Geflüchteten aus Afrika eine Art Jagdtrieb auf deutsche Frauen unterstellen möchte.
Verschwiegen werden der Bevölkerung durchaus auch Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Eine Recherche der „PNP“ zu Vergewaltigungsgerüchten im Raum Passau brachte dies zu Tage. Der Grund lag in der engen Beziehung von Täter und Opfer. Aber in solchen Fällen fehlt wohl für manche das Zauberwort „Flüchtling“, um sich darüber aufzuregen.
Übrigens: In der Drei-Flüsse-Stadt gab es am Wochenende ein versuchtes Sexualdelikt. Der Täter, der sein Opfer vorher mehrfach ansprach, wird als „molliger Österreicher“ beschreiben. Was wohl die AfD aus so einer Meldung macht? Die Polizei sucht jedenfalls nach Zeugen und bittet um Hinweise.
Thomas Witzgall und Stephan Hörhammer
Hallo, ich bin ein normaler Bürger, bin Unternehmer und Vater von drei Mädchen. Ich kann das ganze nicht mehr hören, rechts links, usw. Interessiert mich absolut nicht! Aber muss muss sich vorstellen, ich war gester auf der Demo in Passau, meine 6-jährige Tochter war dabei und dann wurden wir beschimpft: Ihr Nazis! Ihr seid das verschissene Volk! Und dann werden auch noch welche bezahlt dafür! Irgendwas läuft hier gewaltig schief in Deutschland! Man sollte sich mal Gedanken machen, wenn der Normalbürger auf die Straße gehen muss, weil er Sorgen und Ängste hat!
[…] These dar. Der niederbayerische Bezirksvorsitzende Stephan Protschka hatte dort beispielsweise die angeblich fehlende Berichterstattung über ein Sexualdelikt eines Asylbewerbers von Anfang des J… Ein ähnliches Delikt erst vergangene Woche in Passau, bei dem der Täter als „molliger […]