Freyung-Grafenau. Nicht mal drei Jahre ist es her: Da war Felix Benneckenstein noch ein Neonazi. Neun Jahre lang gehörte der heute 26-Jährige der rechten Szene an, gründete unter anderem eine Kameradschaft in Erding und war als Nazi-Liedermacher in ganz Deutschland unterwegs. Er war zu Gast an der Realschule Freyung und stellte sich dort den Fragen von Schülern und Lehrkräften. Warum er ein Neonazi wurde, wie gefährlich die rechte Szene ist – und was ihn schließlich zum Ausstieg bewogen hat, darüber sprach er mit den Schülern.

Lehrer Christian Pfau (rechts) hatte den Nazi-Aussteiger Felix Benneckenstein an die Realschule Freyung eingeladen, um mit den Schülern zu diskutieren. Vor Kurzem erst gab es dort Besuch von Neonazis. Fotos: da Hog’n
Felix, wie bist Du ein Nazi geworden?
Dafür waren verschiedene Faktoren ausschlaggebend. Ich bin in Erding bei München aufgewachsen, vor Ort gab es eine rechtsradikale Gruppierung. Eine rechte Skinhead-Szene, die damals noch lose organisiert war. Es gab viele soziale Probleme und häufige Zusammenstöße mit der Polizei. Sobald sich Jugendliche an öffentlichen Plätzen aufhielten, tauchte die Polizei auf – meistens ohne triftigen Grund. Dadurch habe ich ein zwiespältiges Verhältnis zum deutschen Staat entwickelt.
„Ich war nicht darauf vorbereitet, wie die rechte Szene operiert“
Außerdem war ich überhaupt nicht darauf vorbereitet, wie die rechte Szene operiert. Keiner spricht öffentlich vom Hass. Nein, man redet ausschließlich von der ‚Volksgemeinschaft‘. Irgendwie denkt man auch nicht bewusst an die Außenseiter, an diejenigen, die man ausschließt, weil sie anders denken. Schließlich will man ja nichts Böses …
Was hat Dich denn damals besonders an der rechten Szene fasziniert?

Der 26-jährige Felix Benneckenstein aus München war neun Jahre lang ein Neonazi. Den Schülern erklärte er, wie es soweit kommen konnte.
Die Musik. Das war etwas sehr Spannendes, weil sie verboten war. Vorher habe ich die Böhsen Onkelz gehört, wobei ich denen – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – nicht den Vorwurf mache, sie seien rechtsradikal. Als die Onkelz mir zu langweilig wurden, habe ich nach musikalischen Alternativen gesucht – und das war dann eben Punk- beziehungsweise Rechtsrock. Diese Lieder gaben mir das Gefühl: ‚Wir gegen alle.‘ Überhaupt spielte das Zugehörigkeitsgefühl eine sehr große Rolle. Fasziniert hat mich auch das Kräftemessen mit der Polizei, weil ich mit denen vorher schon dumme Erfahrungen gemacht hatte.
Hast Du wie ein Nazi ausgesehen?
Als Jugendlicher schon. Mit 15 Jahren, als ich zur rechten Szene kam, war Skinhead-Kleidung angesagt. Damals hatte ich kurze Haare mit einem Scheitel. Eine Zeit lang sogar geschorene Haare – aber das hat den Mädels nicht so gut gefallen. Also habe ich die Haare wieder etwas länger getragen. Später, bei den autonomen Nationalisten, ist diese Art von Aussehen dann sehr normal geworden.
Wie haben denn Deine Eltern reagiert, als Du zum Nazi wurdest?
Für meine Eltern war das ein regelrechter Schock. Sie waren immer sehr stark gegen Rechtsextremismus – und dann wird der Sohn ein Nazi! Mit 16 Jahren bin ich von zu Hause ausgezogen und habe ein WG-Zimmer in München gemietet. Schuld daran waren aus meiner Sicht natürlich meine Eltern. Ich habe immer gesagt: ‚Ich kann nichts dafür, dass ich jetzt ausziehe – meine Eltern wollen mich nur einfach nicht so akzeptieren wie ich bin.‘
„Von 2001 bis 2009 war ich zu hundert Prozent ein Neonazi“
Und Deine Freunde? Was haben die dazu gesagt?
Einige Freunde sind ja selber mit in die Szene gerutscht. Aber die wenigsten sind, so wie ich, in die Kameradschaft nach München gewechselt. Von 2001 bis 2009 war ich zu hundert Prozent ein Neonazi. Nach ein paar Jahren habe ich den Kontakt zu meinen Eltern und meinen drei Brüdern komplett abgebrochen. Ich habe nämlich immer gemeint, ich müsste alle aufklären, weil ich sozusagen die Wahrheit erkannt habe. Und das wollten die natürlich irgendwann nicht mehr hören.
Was hast Du in Deiner Zeit als Neonazi genau gemacht?
Ich habe etwa neun Jahre in der Szene verbracht. Angefangen habe ich, wie alle anderen auch, als Handlanger. Ich habe Flugblätter verteilt, mich an Demos beteiligt und versteckte Konzerte besucht. Gerade die verbotenen Konzerte waren sehr spannend. Später bin ich sogar selber Liedermacher geworden, weil ich Gitarre spielen konnte und bei Stammtischen für Musik gesorgt habe. Und weil die rechtsradikale Szene in Deutschland bundesweit sehr gut vernetzt ist, war ich mit meinen Liedern in ganz Deutschland unterwegs. Später habe ich in Erding eine Kameradschaft gegründet, weil es mir dort zu unpolitisch war. Und ich habe für diverse rechtsextreme Internetseiten Artikeln geschrieben.
Felix Benneckenstein in der Sendung on3-Südwild über die Rechts-Rockszene:
Welche Texte hast Du für Deine Lieder geschrieben?
Für die Liederabende galt: Hauptsache verboten! Die meisten wollten einfach saufen und abfeiern. Die Texte bestanden hauptsächlich aus Phrasen wie ‚Bock auf Freiheit‘. Das waren ja meist nicht mal ganze Sätze. Die Lieder waren hauptsächlich anklagend, gegen Krieg und Kapitalismus.
Wie habt Ihr denn neue Mitglieder angeworben?
Indem wir beispielsweise Flugblätter verteilt haben. Wir haben uns auch immer wieder sichtbar gemacht und gezeigt: Wir sind da. In Erding haben wir Gegenproteste teilweise mit Gewalt unterbunden. Dort haben sich damals viele Bürger für ihre Jugendlichen eingesetzt. Das war aber meistens mehr ein Androhen von Gewalt als wirkliche Gewaltausübung. Man erreicht ja auch schon viel mit psychischem Druck. Wenn nachts einer an deiner Haustür einen Nazi-Aufkleber anbringt, dann reicht das meistens schon aus, um bei den Bewohnern Angst auszulösen.
„Ich habe die Schuld immer bei den anderen gesucht“
Du warst also nicht nur ein Mitläufer?
Nein, man könnte mich durchaus als Überzeugungstäter bezeichnen. Am Anfang war ich sicherlich noch ein Mitläufer, so fängt jeder an. Im jungen Alter lernt man die Szene langsam kennen und erst im Laufe der Zeit eignet man sich dann die politischen Ansichten an.
Welche Weltanschauung, welche Ideologie steckt denn hinter der Nazi-Politik?
Der Nationalsozialismus unter Hitler. Darin steckt der Sozialismus, den die Neonazis propagieren: Allen Menschen in Deutschland soll es in Deutschland gut gehen, und allen Türken in der Türkei.
Du warst ja einige Male im Gefängnis. Welche Erfahrungen hast Du dort gemacht?
Insgesamt war ich 18 Monate lang im Gefängnis, immer mal wieder für einige Wochen oder Monate – alle Aufenthalte hatten mit der rechten Szene zu tun. Die ersten Male war das noch Jugendarrest. Das geht ja gerade mal bis zu vier Wochen. Und danach fühlte man sich immer auch ein bisschen cooler als zuvor. Am längsten bin ich 7 Monate gesessen.
Bei meinem letzten Mal war ich in der JVA Stadelheim. Dort war ich mit Abschiebehäftlingen auf einem Gang untergebracht. Und das hat mich endlich zum Nachdenken gebracht, weil dort die Leute waren, die ich selbst raus haben wollte. Dabei warteten die nur auf ihren Flug. Die hatten ja eigentlich nichts angestellt, die durften ja nicht mal arbeiten. Es waren Leute dabei, die in Deutschland ihr gesamtes soziales Umfeld aufgebaut hatten – und der Staat beschloss einfach: Raus mit dir! Das hat sehr viel in mir ausgelöst. Ich habe jahrelang ‚Ausländer raus‘ gefordert – und erst im Knast gesehen was das heißt. Da habe ich gemerkt: Ich habe die Schuld immer nur bei den anderen gesucht – und nichts verändert.
„Ohne professionelle Hilfe ist ein Ausstieg schwierig“
Hat Dir dort jemand seine Hilfe angeboten, damit Du aus der Szene rauskommst?

Warum wird die rechte Szene unterschätzt? „Zum einen, weil die Leute einfach zu bequem sind, sich damit auseinanderzusetzen. Zum anderen wissen sie es einfach nicht besser.“
Nur ein einziger Justizbeamter hat mich darauf angesprochen, ob ich aussteigen möchte. Aber das habe ich damals noch verneint. Ich bin kurze Zeit später dann selbst zu EXIT gegangen. Das ist eine Organisation in Berlin, die Aussteigerhilfe anbietet, denn ohne professionelle Hilfe ist es schwierig. Man wird ständig mit seiner Vergangenheit konfrontiert, ist im Internet als Neonazi auffindbar. Da braucht man jemanden, der einem in Sicherheitsfragen zur Seite steht.
Wie gut ist denn die Aussteigerhilfe in Deutschland?
Bei EXIT waren, zu der Zeit als ich ausgestiegen bin, gerade mal fünf Mitarbeiter – das ist sehr wenig für ganz Deutschland. Außerdem waren die Mitarbeiter nicht in Bayern vor Ort. Deswegen habe ich auch gemeinsam mit anderen Aussteigern und in Zusammenarbeit mit EXIT die Aussteigerhilfe Bayern e.V. gegründet. Das ist ein eigener Verein. Wir wollen damit auch die Gesellschaft für die rechte Szene sensibilisieren. Wir haben einfach das Gefühl, dass viele nicht wissen, was die machen.
Warum wird die rechte Szene unterschätzt?
Zum einen, weil die Leute einfach zu bequem sind, sich damit auseinanderzusetzen. Zum anderen wissen sie es einfach nicht besser.
Welche Ziele hast Du Dir denn für die Zukunft gesetzt?
Ich mache gerade eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich. Die Schule hatte ich damals komplett geschmissen. Ich musste erst mal den Hauptschulabschluss nachholen und habe danach die Mittlere Reife gemacht. Jetzt hole ich über die Ausbildung das Abitur nach. Was ich mir für die Zukunft wünsche? Familie, Kinder … ein echtes Spießerleben halt.
„Das wird mich noch einige Zeit verfolgen“
Stichwort Kinder: Wirst Du Deinen eigenen Kindern mal etwas über Deine Nazi-Vergangenheit erzählen?
Im Internet ist sowieso alles auffindbar. Das wird mich noch einige Zeit verfolgen. Also werde ich damit ganz offen umgehen und es meinen Kindern einmal erklären.
Du warst zuletzt auch bei den autonomen Nationalisten. Wodurch unterscheiden die sich von anderen Neonazis?

Welche Gefahren gehen von den Rechten aus? „Es ist zum Beispiel eine Gefahr für Jugendliche, wenn die NPD nicht verboten wird.“
Das wurde ungefähr 2005 in die Szene transportiert. Die klassischen Skinhead-Kameradschaften sind längst nicht mehr der Regelfall. Bei dem ‚Trauermarsch in Dresden‚, einer Neonazi-Demo, gab es zwischen den beiden Gruppierungen deswegen sogar Schlägereien. Mittlerweile gehören alle hohen Funktionäre in der Szene zu den Autonomen: Sie haben gemerkt, dass sie mehr erreichen, wenn man die Jugend nicht mit Kleidung abschreckt, sondern sie langsam von ihren Ideen überzeugt. Die Nazis unterscheiden sich kleidungstechnisch gesehen nicht mehr so sehr von den ’normalen‘ Leuten. Ideologisch hat sich jedoch nichts verändert. Es ist nur alles freundlicher verpackt.
Welche Rolle spielt das Internet eigentlich?
Für die Szene spielt das eine sehr große Rolle. Am Anfang war die Verteilung von Flugblättern noch das Wichtigste oder der persönliche Kontakt, indem man bei Privatleuten an Türen klingelte und das Gespräch suchte. Es ist jedoch viel leichter im Internet Propaganda zu verteilen, gerade auch in den sozialen Medien. Man kommt kaum noch drumherum, im Netz mit rechtem Gedankengut in Berührung zu treten, wie zum Beispiel die Forderung der ‚Todesstrafe für Kinderschänder‘ bei Facebook. Nur: Die Todesstrafe würde keiner verlangen. Das ist eine Parole, die die rechte Szene vertritt.
Welche Gefahren gehen von den Rechten aus?
Es ist zum Beispiel eine Gefahr für Jugendliche, wenn die NPD nicht verboten wird. In Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern sitzen die immerhin im Parlament. Stellt Euch vor: Es läuft zufällig eine NPD-Rede, wenn Schulklassen im Parlament zu Besuch sind. Den Schülern wird damit das Gefühl vermittelt, dass dort ganz normale Politik betrieben wird. Aber dem ist nicht so! Die NPD bietet nur Parolen, keine Lösungen!
„Die NPD MUSS man verbieten, über Frei.Wild muss man reden“
Du bist also für ein Verbot der NPD?
Ja. Ich bin dafür, hier klare Kante zu zeigen. Bei einer zugelassenen Partei kann man das nicht, weil diese ja qua Gesetz demokratisch ist. Abgesehen davon erhält die NPD nach dem Parteiengesetz staatliche Fördermittel – obwohl man heute weiß, dass auch vereinzelte NPD-Mitglieder mit der NSU zu tun hatten. Die NPD will den Anschein erwecken, dass sie eine demokratische Partei ist.

Dass es Neonazis auch bei uns gibt, zeigen unter anderem die jüngsten Schmierereien im Eingangsbereich der Freyunger Mittelschule.
Und dazu sind den NPD-Mitgliedern alle Mittel recht. Aktuell versuchen sie sich mit Frei.Wild zu vergleichen. Also in dem Sinne: Uns will man allen den Mund verbieten, obwohl wir doch gar nichts gemacht haben und in einem demokratischen Land leben. Aber genau das ist das Problem: Die NPD muss man verbieten, über Frei.Wild muss man reden.
Würde sich wirklich etwas ändern, wenn man die NPD verbietet?
Sicherlich wird eine neue Partei gegründet werden, aber es gibt auch viele Leute bei der NPD, die vielleicht gerne aus der Partei aussteigen würden. Das würde ihnen leichter fallen, wenn man die NPD verbietet. Mir ist eine ehrliche Politik gegen Nationalsozialisten einfach lieber.
Wie war das denn für Deine Kameraden als Du ausgestiegen bist?
Einige waren traurig, dass ich gegangen bin. Von denen, die ich nicht kannte, habe ich Drohungen erhalten. Auch Schmierereien in der Nähe meiner Wohnung sind vorgekommen und gehässige Posts auf Facebook. Aber die meisten meiner Ex-Kameraden waren dagegen, dass mir jemand etwas antut. Das ist auch eine politische Frage. Es wirkt politisch nicht sehr seriös, wenn man denen Gewalt antut, die aussteigen. Eine andere Partei schlägt ein Ex-Mitglied ja auch nicht einfach zusammen, nur weil er oder sie aussteigt. Das hat man ja bei der NSU gesehen, das geht durch alle Medien – und das ist nicht gerade gut für das Image …
„Das hat viel mit Gehirnwäsche zu tun“
Hast Du Dir vor Deinem Ausstieg nie die Frage gestellt, ob es richtig ist, was Du machst?
Nein. Wenn man sich immer nur in der gleichen Gruppe bewegt, in der alle genau so denken wie du, stellst du dich nicht infrage. Du denkst, du machst das Richtige, weil es für dich normal ist. Und es hat ja auch nie ein Außenstehender mit mir darüber diskutiert. Sobald du den Holocaust leugnest, oder ähnlich absurde Dinge von dir gibst, drehen sich alle um und gehen.
Und wie rechtfertigt man dann solche Dinge wie ein Arbeitslager?
In der rechten Szene darf man durchaus sagen, dass das nicht so toll war – also nach außen hin vertritt man das so. Innerhalb der Szene wird man nicht zu einer Rechtfertigung genötigt. Aber genau an diesem Punkt könnte man auch in der Schule ansetzen. Meine Lehrer haben immer nur abgeblockt und mich ignoriert, als ich mit solchen Thesen wie ‚den Holocaust gab es nicht‘ daher gekommen bin. Das ist der absolut falsche Weg in meinen Augen! Zu der Zeit war ich lange noch nicht so auf die rechte Szene geeicht. Da hätte ein engagierter Lehrer durchaus noch etwas bewirken können.
Trotzdem: Wie kann man so etwas wie den Holocaust abstreiten? Immerhin waren wir Schüler ja auch in Mauthausen! Da sieht man ja, dass es Konzentrationslager gab …
Man darf nicht vergessen, dass wir eine kriegsferne Generation sind. So richtig können wir uns nicht vorstellen, was Krieg bedeutet. Und der Holocaust ist einfach das absolut ‚Unvorstellbare‘ … Man kann nur schwer glauben, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun konnten. Wenn man glauben will, dass es den Holocaust nicht gab, kann man das auch. Das hat viel mit Gehirnwäsche zu tun.
Das funktioniert aber wunderbar mit der Gehirnwäsche, oder?
Ja. Und genau deswegen muss man Einsteiger von der rechten Szene abbringen, solange sie noch keine Komplett-Gehirnwäsche hinter sich haben und offen sind für andere Meinungen.
Felix, vielen Dank für das ausführliche Interview und alles Gute für die Zukunft.
Dike Attenbrunner
fuck off nazis
Starker Auftritt. Starker junger Mann. Danke für dieses Interview.