Karlsruhe/Herzogsreut. Der Auswanderungsforscher Dr. Friedemann Fegert hat anlässlich des 400. Gründungsjubiläums des Bayerwald-Dorfes Herzogsreut eine umfangreiche Ausstellung zum Thema Auswandern „ins Amerika“ gestaltet. Gleichzeitig legt er mit „Wie hinh mein Schiksal führt“ ein weiteres Buch vor, das die Migration vieler Bayerwäldler in die Vereinigten Staaten beleuchtet. Am Beispiel der Herzogsreuter Stadler-Schwestern veranschaulicht er anhand vieler Fotos und Dokumente die Umstände des Übersiedelns und das Leben in der neuen Heimat.
Wie im vierten Teil der Hog’n-Nostalgie-Serie „Dollars für die Herzogsreuter Feuerwehrfahne“ dargestellt, hatten die Menschen in der alten Heimat bereits früh den Eindruck, dass es ihren Verwandten und Bekannten in der „Neuen Welt“ gut gehen müsse. Dies rührt daher, dass die meisten Amerika-Auswanderer in ihren Briefen höchstens andeuten, dass sie selbst um ihre Existenz kämpfen müssen: „Wenn du kein Amerikanisch kannst, lebst du wie ein Hund.“ Oder: „Ihr müßt nicht denken, daß einem die gebratenen Tauben in den Mund hineinfliegen. Es kostet Arbeit.“ Denn wer gibt schon gerne zu, dass es ihm in der Neuen Welt manchmal sogar schlechter geht als zuhause?
„O ich wollte wir wären alle in Amerika alle beisamen“
Andererseits berichten sie von den überwältigenden Dimensionen des „Landes der unbegrenzten Möglichkeiten“, als das die USA immer wieder bezeichnet werden. „Ihr ghönt es Eich gar nicht vorstelen, wie es im Amerigha zu ged“ – so auch der Titel eines Buches von Friedemann Fegert. Umgekehrt kommt in den Briefen aus dem Bayerischen Wald die Klage über die beschwerlichen Lebensumstände immer wieder zur Sprache. So schreibt die Mutter Franziska Stadler im Jahr 1925 an ihre Tochter Emma in Chicago:
„[…] Mit dem Heuen gehts schlecht haben imer Regen, sind bereits fertig Futter wird nicht so vill wie sonst, aber uns ist noch Stroh und Heu geblieben auch haben wir schöne Kälber aber ein Schweinlein bräuchten wir, noch zum Füttern nun in Gottesnamen mit der Zeit bekomen wir auch eines. Bei uns ist alles theuer bei der Geld[k]nabheit Lebensmittel kostet 1 Pfund Mehl 30 M 1 Pfund Zucker 50 M 1 Pfund Kaffe 4 […] ohne Vatter siht nicht gut aus mit lauter Arbeit ich kan auch nicht mehr sostark anpaken, o ich wollte wir wären alle in Amerika alle beisamen. Das Vih verkaufen und die Haißer verpachten […]“.
Ihre Töchter senden immer wieder einige Dollar in die Heimat, um die Familie zu unterstützen. Allein Emma hat zwischen 1925 und 1932 insgesamt 203 Dollar und Kleidersendungen nach Hause geschickt.
Frage, wie es umd die „Lebensverhältnisse“ im Woid steht
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ist es den Deutsch-Amerikanern ein wichtiges Anliegen, ihren Familien in der alten Heimat zu helfen. So ist in der Pfarrchronik von Mauth nachzulesen, dass Ende des Jahres 1946 der aus Zwölfhäuser stammende Engelbert Hackl beim Nazi-oppositionellen Pfarrer Kulzer in Mauth nachgefragt hat, wie es um die „Lebensverhältnisse“ in der Waldheimat steht.
Der Pfarrer stellte ihm in einem Brief dar, wie misslich die derzeitige Lage sei. Daraufhin hatte Engelbert Hackl alle zwei bis drei Monate ein größeres Paket mit Lebensmitteln wie Weizenmehl, Fett und Reis nach Mauth geschickt, das an besonders Bedürftige und Flüchtlinge verteilt wurde.
„Eine so schöne Gegend, wie man sie überhaupt nur sehen kann“
Im Jahr 1954 hat Emma Stadler so viel Geld angespart, dass sie für mehrere Monate in die alte Heimat reisen kann. Sie bereist die Alpenregion und Oberitalien, finanziert einen Hausbau für die Pfälzer Verwandten ihres Mannes und besucht für längere Zeit ihre Schwester in Grainet und die väterlichen Verwandten in Oberseilberg.
Von da an kommen Emma Stadler und ihre Schwester Katharina regemäßig in den Bayerischen Wald zu Besuch. Sie sehen noch das halb abgerissene Elternhaus am Ortseingang von Herzogsreut und besuchen die Herzogsreuter Kirche St. Oswald, in der sie getauft worden sind.
Katharinas Tochter Hildegarde erzählt dem Verfasser im Rückblick die Erstbegegnung mit der Heimat ihrer Eltern:
„Wir hatten eine wundervolle Familienzusammenkunft in Grainet. Tante Zenzl und ihr Ehemann Hans hatten einen kleinen Laden und eine Pension, direkt an der Straße, wo jedermann anhielt, wenn er mit dem Bus in die Stadt [= Freyung] fahren wollte, wo es mehr Einkaufsmöglichkeiten gab. Meine Cousine Emma hat im Laden gearbeitet. Es war ein kleines Dorf mit gerade einer Hauptstraße. … Im Postkartenformat … Eine absolut schöne Kulisse … Wir waren dort, als sie Heu machten … von Pferden gezogene Wagen und Heugabeln flogen … Das war in den Feldern hinter der Pension … Jedermann empfing uns mit offenen Armen und ich habe niemals solch eine Schönheit der Natur gesehen, was über gefühlserregende Gemälde hinausgeht. … Ich denke, dieser Teil von Bayern ist eine so schöne Gegend, wie man sie überhaupt nur sehen kann […]. Wir fuhren nach Herzogsreut, um das alte Haus zu sehen. Das Haus war teilweise verfallen. Ich erinnere mich kaum an den Ort. … Wir stiegen aus dem Auto, haben Fotos gemacht.“
All die Jahre hatte Charles Hackl, der Sohn von Katharina Stadler, den Kontakt in die Heimat seiner Eltern in Oberseilberg, Grainet und Herzogsreut gehalten.
„Wie Theres Kandlbinder dazu kam, einen Mann zu heiraten“
Als Friedemann Fegert das Projekt des ersten bayerischen Auswanderungsmuseums „Born in Schiefweg“ mitgestaltet, sind Charles und seine Cousine Hildegarde spontan dazu bereit, die zwei Heiligenfiguren von Maria und Josef, die ihr Großvater Karl Stadler Mitte der 30er Jahre seinen Töchtern nach Amerika gebracht hatte, als bedeutende Ausstellungsstücke zur Verfügung zu stellen. Zusammen mit seiner Frau Delores kommt Charles 2010 zur Einweihung des Museums.
Die Madls, eine weitere Herzogsreuter Familie, sind bereits 1883 nach Chicago ausgewandert. Der Vater ist mit einem Kind und seiner Schwester und deren vier Kindern auf dem Schiff „Pennland“ von Antwerpen aus vorausgefahren.
Ein halbes Jahr später folgen Frau, Schwager, Schwägerin, Schwiegervater und Schwiegermutter. Am Ende ist die Großfamilie mit 17 Personen in der Millionenstadt Chicago vereint. Ihr Nachfahre Ken Madl hat sich intensiv mit der Familie seiner Vorfahren und deren Entfaltung in Amerika auseinandergesetzt. So hat er mehr als 40.000 Personendaten zusammengetragen. Er hat mit seiner umfangreichen Dokumentensammlung Fegerts Forschungsarbeit maßgeblich unterstützt, etwa wenn er „schnell mal“ von Denver nach Salt Lake City geflogen ist, um wichtige Mikrofilme zu beschaffen.
Über einen Bericht im Internet hat Friedemann Fegert den Kontakt zu Al Wallisch in Wisconsin gefunden, der die bewegende Geschichte der Auswanderung seines Vorfahren beschrieben hat:
„Mein Großvater, Johann Wallisch, wanderte aus dem Dorf Hinterschmiding im Staat Bayern (Deutschland) aus. Es war im Jahr 1890 und er war erst 14 Jahre alt, als er eine Arbeit in einem Steinbruch in Indiana annahm. Als er 20 wurde, hatte er genug Geld gespart, um eine einfache Dampfschiff-Fahrkarte ohne Rückfahrt zu kaufen.
In einem Brief, den er in die Heimat schrieb, drückte er sein Verlangen aus, ein Mädchen aus der alten Heimat zu heiraten. Eine geeignete junge Dame war bald im benachbarten Zwölfhäuser gefunden. Eine Hochzeit wurde unter der Bedingung arrangiert, dass Johann die Hin- und Rückfahrt der Begleitung des Mädchens gewährleisten musste. Das ist die Geschichte, wie die 18 Jahre alte Theres Kandlbinder dazu kam, einen Mann zu heiraten, den sie kaum kannte.“
Im Jahr 2017 ist Al Wallisch zum ersten Mal in der Heimat seiner Vorfahren gewesen. Friedemann Fegert hat ihm gezeigt, wo sein Großvater in Kohlstatt gewohnt hat – und dass der heutige Bürgermeister von Mauth, Ernst Kandlbinder, sein Verwandter mütterlicherseits ist. Als Gegengabe hat Al Wallisch einen Film gedreht – dort, wo sein Großvater in Wisconsin hingezogen ist.
Auch Delores und Charles Hackl sowie Ken Madl kommen
Über diese und weitere Lebensgeschichten berichtet Fegert in seinem neuen Buch „Wie hinh mein Schiksal führt. Von Herzogsreut nach Chicago –die Auswanderung der Stadler-Schwestern nach Amerika“, das jüngst beim Freyunger Verlag „edition lichtland“ erschien.
In seinem Vortrag am Samstag, 28. April (18.00 Uhr), stellt Autor Fegert im Gasthaus „Alte Post“ in Herzogsreut dieses Buch vor. Gleichzeitig eröffnet er gemeinsam mit Bürgermeister Fritz Raab und in Kooperation mit dem Vereineforum Herzogsreut seine aufschlussreiche Ausstellung mit dem Titel „Ins Amerika! Auswanderung aus Herzogsreut – Philippsreut – Bischofsreut in die USA“.
Delores und Charles Hackl sowie Ken Madl werden eigens zur Ausstellungseröffnung aus den USA in den Bayerischen Wald anreisen und die Bevölkerung von Herzogsreut mit ihrem Besuch beehren.
da Hog’n
Hochinteressant! Die Geschichte der Auswanderung wird einfach an konkreten Beispielen viel anschaulicher und richtig spannend. Ich denke, es tut den Menschen gut, sich um ihre Wurzeln zu kümmern.
Vielen Dank für diese gelungene Serie!