Dehli. Es gibt Orte auf dieser Welt, an denen man sich nicht länger als unbedingt nötig aufhalten will. Die Arktis zum Beispiel. Oder die Wüste Gobi. Auch die Sümpfe in den Everglades zählen dazu. Und auch Dehli. Ja, richtig! Dehli im Norden Indiens. Eine riesige Metropole, deren Bewohnerschaft unter der zunehmend dickeren Feinstaub-Schicht buchstäblich zu ersticken droht. Journalist Gilbert Kolonko schildert seine beunruhigenden und für europäische Augen und Nasen nur wenig nachvollziehbaren Eindrücke von seinem jüngsten Besuch in der Smog-Hölle.
Eigentlich war im indischen Delhi alles wie immer um diese Jahreszeit. In den Straßen wurde der Plastikmüll verbrannt. Auf den Feldern der umliegenden Provinz Punjab wurden mit großen Feuern die Stoppelfelder abgebrannt. Das religiöse Fest Diwali wurde mit (zu) viel Feuerwerk gefeiert. Und die kühleren Nachtemperaturen sorgten dafür, dass sich die Feinstaub beschwerte Luft über die 17-Millionen-Einwohner-Metropole legte – dazu die üblichen Abgase von neun Millionen motorisierten Fahrzeugen (darunter etwa drei Millionen Autos).
Schwarz verklebte Nasenhärchen und braune Spuck-Bröckchen
Doch letzten Freitag sind dann plötzlich zunächst 1.700 Regierungsschulen geschlossen worden, kurz darauf alle Baustellen. Am Samstag wurde auch ein Kricket-Spiel der ersten indischen Liga in Delhi abgesagt, wobei ein befreundeter Sportjournalist lakonisch anmerkte, dass dies nun wirklich ein alarmierendes Zeichen wäre, da die Spieler doch eh nur rumstehen würden. Die Hauptstädter, die es sich leisten können, reisen in die nahgelegenen Berge um Dharamsala oder suchen woanders das Weite.
Das alles, weil die Feinstaubwerte des Donnerstags veröffentlicht wurden: Die größeren Partikel (PM 10) wurden mit 522 Mikrogramm pro Kubikmeter als Tagesdurchschnitt angegeben, die kleineren Partikel (PM 2,5) mit 348 Mikrogramm. Damit wurden die Grenzwerte der WHO um das 20-fache bzw. 35-fache überschritten. Es gab sogar Höchstwerte am Morgen von 887 Mikrogramm pro Kubikmeter. Dabei lernt man ganz schnell die „Schutzvorrichtungen“ seines Körpers kennen: Schon einen Tag nach meiner Ankunft in Delhi waren die Nasenhärchen schwarz verklebt und ich spuckte braune Bröckchen – ein Zeichen, dass meine Lungenhärchen noch vorhanden sind…
Dass Regierung und Bevölkerung endlich Reaktionen zeigen, ist jedoch die gute Nachricht. 400 Kilometer weiter westlich, im pakistanischen Lahore, lässt die Regierung die Menschen immer noch ahnungslos im (Feinstaub-)Nebel stehen – und so war es auch noch vor ein paar Jahren in Delhi.
Doch in der nordindischen Metropole hat die Bevölkerung im vergangenen Jahr bereits ein Zeichen gegen das Alte gesetzt und mit absoluter Mehrheit die lokale Anti-Korruptionspartei AAP (Aam Aadmi Party) an die Macht gewählt. Die will jetzt auch mehr als das Bewusstsein der Menschen ändern – aber so einfach ist das nicht. Zwar verbot sie sofort nach Antritt der Regierungsgeschäfte den Verkauf von Dieselfahrzeugen über 2.000 ccm Hubraum – doch der Hersteller Mercedes Benz, von dem 25 Prozent aller in Delhi verkauften Autos stammen, klagte dagegen erfolgreich.
5.000-Dollar-Luftfilter sind für den Großteil unerschwinglich
Die Verantwortlichen der Metropole kauften auch sechs große Räumfahrzeuge, die den Staub von der Straße saugen sollten, doch funktionierten sie nicht auf den unebenen Straßen Delhis. Damit waren auch die Sprinkleranlagen nahezu wirkungslos, die durch das gesprühte Wasser den Staub aus der Luft binden sollen, damit er sich auf dem Boden absetzt.
Die politischen Verantwortlichen Delhis baten auch ihre Kollegen in der Nachbarprovinz Punjab, das Abbrennen der abgeernteten Felder zu verhindern. Doch die „Kollegen“ wollten es sich nicht mit den Großbauern verscherzen – 2017 wird im Punjab gewählt – und stellten sich taub. Schon im vergangenen Winter ließ man in Delhi an einem Tag nur die Fahrzeuge mit ungerader Anfangszahl auf dem Nummernschild auf die Straße – und am anderen Tag die mit gerader. Doch die Beamten waren mit den Kontrollen der Fahrzeuge überfordert. Bei den Luftfiltern, die man in den Straßen der Metropole platzierte, stellte man fest, dass sie nur in geschlossenen Räumen funktionieren. Mit denen deckt sich jedoch mittlerweile die Mittelklasse Delhis ein. Für den Großteil der Bevölkerung – unter ihnen die etwa drei Millionen Slumbewohner – sind die bis zu 5.000 Dollar teuren Luftfilter jedoch unerschwinglich.
Auch die Zentralregierung ist nicht untätig: Mit einer Kaufprämie von bis zu 700 Euro für einen Neuwagen will man 26 Millionen Fahrzeuge von der Straße bekommen, die älter als elf Jahre sind – aber auch dies muss in der größten Demokratie der Erde noch umständlich abgesegnet werden.
„Wer möchte seine Kinder in so einer Atmosphäre großziehen?“
Ein junger Callcenter-Arbeiter, mit dem ich mich in der Wartehalle des Bahnhofs von Neu-Delhi unterhalten hatte, gab einen Wink, dass Indien nicht ewig Zeit habe.
Obwohl ihm bewusst sei, dass es noch vor zehn Jahren ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, dass ein Arbeiter aus der Unterschicht (ohne Universitäts-Abschluss) 700 Euro im Monat verdient, sagte er zu mir: „Ich weiß, dass mein Land Fortschritte macht und ich liebe Indien. Aber es geht alles so langsam. Ich spare mein Geld, um nach Kanada oder Australien auszuwandern.“ Und dann zeigter er nach draußen mit den Worten: „Welcher Vater möchte denn seine Kinder in so einer Atmosphäre großziehen?“
Gilbert Kolonko
Interessant: In der letzten Nacht schaffte es Modi alle großen Geldscheine als zu erklären, aber er schafft es nicht sich für eine Kaufprämie und die Verschrottung der alten Drecksschleudern einzusetzen?
Genauso interessant: Wenn es ihnen passt entdecken Konzerne wie Mercedes Benz plötzlich die ausgleichende staatliche Demokratie, so wie die Banken in der Krise plötzlich den Sozialstaat entdeckten, aber ansonsten soll es ja der Markt richten!
Danke für den Artikel