Sehwan Sharif. Vor drei Monaten erst hat es den Sufischrein von Bilawal Shah Noorani getroffen. Dort wartete der Attentäter solange, bis das sufistische Dharma-Ritual begonnen hatte – und riss dann 52 Menschen mit in den Tod. Zuvor kamen bei einem Bombenanschlag mindestens 66 Anwälte und Polizisten in Quetta ums Leben. Anfang letzter Woche gab es eine Demonstration im Herzen von Lahore, bei dem mindestens 13 Menschen bei einem Selbstmordanschlag gestorben sind.
Die Brutstätten des Terrors bleiben weiterhin unangetastet
Am vergangenen Donnerstag dann war der berühmteste Schrein Pakistans Ziel eines Terroranschlags: Der Schrein des roten Sufis in Lal Shahbaz Qalandar in Sehwan Sharif in der südlichen Provinz Sindh. Bei dem Selbstmordanschlag sind erneut mehr als 70 Menschen ums Leben, darunter 20 Kinder. Jedes Jahr ist der Schrein das Pilgerziel von Millionen Pakistanern. Sie zeigen damit auch, dass es weiterhin der tolerante Sufismus ist, der die meisten Muslime Pakistans prägt. Ob die pakistanischen Taliban den Täter beauftragt hatten oder der IS, ist dabei nebensächlich – denn indirekt sind die pakistanischen Politiker und Generäle für den Anschlag verantwortlich.
Premierminister Nawaz Sharif, der gerade wegen der Panama-Offshore-Konten vor Gericht steht, und die pakistanischen Generäle gaben sofort die üblichen Kondolenz-Sätze von sich – dazu, dass man alles tun werde, um den Terror zu besiegen. Bei einer ausgerufenen Fahndung wurden landesweit Dutzende „Verdächtige“ erschossen.
Die Brutstätten des Terrors in Pakistan und die Umstände, die ihnen immer wieder Rekruten zutreiben, bleiben jedoch weiterhin unangetastet: die kostenlosen Religionsschulen und die materielle Armut eines großen Teils der Bevölkerung; dazu das staatliche Versagen auch den Ärmsten eine anständige, kostenlose Schulbildung zu ermöglichen. Diejenigen Kinder, die Regierungsschulen besuchen, werden dann mit Texten aus Büchern gefüttert, die etwa folgenden Inhalt haben (Buchausgabe 2015):
„Jihad will continue till the end of times. Jihad is going on in different parts of the world. Many Mujahidin of Islam are participating in Jihad for sake of Allah, for protection of their religion, to help their oppressed brothers, and to get freedom from tyranny,“ it read. „As a student if you cannot practically participate in Jihad you can at least financially help in preparation of Jihad.“
Die pakistanischen Taliban und der IS haben ihre menschenverachtende Ideologie aus dem Wahhabismus abgeleitet – eine ohnehin extreme und intolerante islamische Glaubensrichtung, die noch extremer ausgelegt wird. Die afghanischen Taliban hatten anfangs etwas anderes im Sinn, doch dann nahm sie der pakistanische Geheimdienst ISI unter seine Fittiche – dazu gab es regelmäßigen Besuch aus der arabischen Welt.
Aktivisten, die wieder „auftauchten“, zeigten sich einsilbig…
Eine australische Kollegin, die Pakistan zwischen 1993 und 2004 jedes Jahr besucht hatte, zog das gleiche Fazit wie ich, der von 2005 bis 2016 jedes Jahr bis zu fünf Monate durch das Land gereist war: „Für mich ist Pakistan immer noch das Land des toleranten Sufismus, doch der Einfluss des Wahhabismus wurde jedes Jahr spürbarer.“ Kein Wunder, denn Jahr für Jahr unterstützen allein die Saudis die ideologisch verwandten Deobandis in Pakistan mit 100 Millionen Dollar. Nicht nur Nicht-Muslime sind für sie Ungläubige, sondern auch die Schia, Sufis und sogar Barelwi-Sunniten – also die überwiegende Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung.
Nawaz Sharif gaukelt seiner Bevölkerung vor, dass mit der neuen chinesischen Seidenstraße, die 1.500 Kilometer durch Pakistan führen wird, alle Probleme des Landes verschwinden werden. Wie zusätzliche chinesische Kredite im Wert von 50 Milliarden US-Dollar zurückgezahlt werden sollen, wenn das Land nicht einmal die alten Schulden bedienen kann, ist den Verantwortlichen egal. Genauso, dass Pakistan mittlerweile eins von drei Ländern mit der weltweit größten Trinkwasserknappheit ist. Ebenso, dass jährlich hunderttausende Menschen an verdrecktem Trinkwasser sterben. Hundertausende an Luftverschmutzung. Auch gegen die alljährlichen Hochwasser-Katastrophen hat man keine Vorkehrungen getroffen – dafür wird nach jeder Überschwemmung die Hand für internationale Spendengelder aufgehalten.
Die Generäle gaukeln weiter vor, dass mit den letzten militärischen „Operationen“ alle Terroristen aus Pakistan vertrieben wurden – es sei die „böse“ afghanische Regierung, die den Terroristen Unterschlupf bieten würde. Doch waren es 1996 Pakistan, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die als einzige Länder das grausame Taliban-Regime in Afghanistan anerkannten. Dazu waren es die pakistanischen Geheimdienste und Generäle, die den afghanischen Taliban ab 2001 Unterschlupf gaben – und sich als Nebenwirkung die pakistanischen Taliban einhandelten. Zudem hören die pakistanischen Generäle bis heute nicht auf, islamische Extremisten zu benutzen, um im indischen Teil von Kaschmir für immer neue Unruhen zu sorgen – in Afghanistan sieht es nicht anders aus. Allein im Januar verschwanden in Pakistan fünf Menschenrechtsaktivisten, die unter anderem auf die Kontakte zwischen den pakistanischen Militärs und islamischen Aktivisten hingewiesen hatten. Die Aktivisten, die wieder „auftauchten“, zeigten sich sehr einsilbig und wollten auch nicht sagen, wer sich da so ausgiebig mit ihnen unterhalten wollte…
22 Fußball-„Models“ machen Werbung für Wahhabismus
Doch auch in Europa leugnet man weiter. Noch immer hat man nicht begriffen, dass Südostasien nicht zur Ruhe kommt, solange der Kaschmir-Konflikt nicht gelöst ist – und das geht nur mit Druck von außen, auch auf Indien. Doch da sind die 1,3 Milliarden indischen Kunden für die europäischen Exporte wichtiger. Dazu war diese Woche mal wieder „Wahhabismus-Werbewoche“ in Europa, sprich Fußball Champions League: Beim Spiel Paris gegen Barcelona machten dann sogar 22 „Models“ Werbung für die Fluggesellschaften zweier Länder („Qatar Airways“ und „Fly Emirates“ als jeweiliger Trikot-Sponsor), die auch von den USA als die diejenigen ausgemacht wurden, aus denen die meiste finanzielle Unterstützung für den islamischen Terrorismus kommt. In Indien sieht es ähnlich aus. Auch dort legt man Wert auf gute Geschäftsbeziehungen zu den arabischen Ölstaaten…
Als ein junger Mann im indischen Darjeeling, der in einem Arsenal-London-Trikot steckte, über Muslime schimpfte, fragte ich ihn, dabei auf die Trikot-Werbung der Fluggesellschaft „Fly Emirates“ zeigend: „Wie kommt es, dass jemand, der für Taliban-Unterstützer Werbung macht, gegen alle Muslime hetzt?“
Gilbert Kolonko
Eine kleine Ergänzung des Autors:
„Sehr geehrter Leser von Da Hog’n!
Einer der Nachteile Indiens, nämlich mangelnde Effizienz, ist in manchen Bereichen auch ein Vorteil: Mann und Frau haben noch Zeit zuzuhören, solange jemand nicht Indien in Grund Boden redet. Doch was in Deutschland vielen schon schwer fällt, Zusammenhänge zu erkennen, fällt in Indien, wegen der autoritären Schulbildung im Land, noch schwerer. Dem Schüler wird nicht beigebracht, wie er aus den Punkten 1,2 und 5 selbstständig zum Punkt 10 kommt. Der Lehrer wird nicht hinterfragt, sondern es wird eher auswendig gelernt. So hat mir mein Gesprächspartner zwar zugehört und genickt, aber er hat keine Fragen gestellt.
Ich habe kürzlich mit einem Hertha-Fan gesprochen und war überrascht, dass er zuhörte. Nicht überrascht war ich dann, als er sagte: „Anstatt gegen Red Bull Leipzig zu demonstrieren, sollte man einfach kein Red Bull mehr kaufen!“ Ich wollte die Situation damals nicht überreizen. Sein Hertha Trikot hatte einen Werbeslogan der Deutschen Bahn auf der Brust. Zu der Zeit hatte die Berliner S-Bahn mal wieder Dauerverspätungen. Der Grund: Der Besitzer der Berliner S-Bahn, die Deutsche Bahn, hatte die Berliner S-Bahn kaputt gespart, um ihre eigenen Finanzlöcher zu stopfen…
Sonnige Grüße aus Butwal (Nepal)
Gilbert Kolonko