Der Auswanderungsforscher Dr. Friedemann Fegert arbeitet gerade an einem Buch über die „Stadler sisters in Chicago“ und berichtet, wie die Herzogsreuter Feuerwehr zu einer neuen Vereinsfahne kommt.
Emma Stadler ist, wie im vorangehenden Beitrag gezeigt, 1925 nach Chicago ausgewandert. Dort kommt sie ins Viertel der Herzogsreuter. Man kennt sich. Man spricht den gleichen Dialekt. Man bekommt in den deutschen Geschäften deutsche Lebensmittel. Ihre Schwester Kathy kommt ein Jahr später nach. Sie beide entführen die dritte Schwester Fany aus einem amerikanischen Kloster. So sind die drei Stadler-Schwestern wiedervereint – im fernen Chicago, aber unter zahlreichen Landsleuten aus dem eigenen Dorf Herzogsreut!
In Chicago trifft Kathy auf den Johann Hackl aus der nachbarschaftlichen Heimat Zwölfhäuser. Sie verlieben sich und heiraten in der deutschen Kirche St. Alphonsus im Herzogsreuter Viertel.
In Sommer des Jahres 1929 macht das Liebespaar eine Reise nach dem damals schon bekannten Dells in Wisconsin. Es liegt im Tal des Wisconsin Rivers und hat mit der eindrucksvollen Naturlandschaft damals bereits eine touristische Anziehungskraft. Hier lassen sich die beiden mit einem Indianer ablichten.
Sehnsucht der Mutter: „wen wir mit dem Zeberlin hinfliegen könten“
Die Mutter Franziska Stadler hält mit Briefen den Kontakt zu ihren drei Töchtern in Chicago. Sie lässt darin die drei in der großen Neuen Welt an ihrem alltäglichen Ringen um ihr Auskommen im kleinen Bayerwalddorf Herzogsreut teilhaben:
„Wir haben uns kein Schwein gekauft um Dein Geld sondern 2 kleine mit 100 M einen Mehlsak u[nd] 1 Salzsak so ist es verbraucht worden nun haben wir 2 schöne Sau da wir 1. stechen könen aufs Johani Die andere dan auf Weinachten, auf Ostern bekomen wir einen Zuchtstir kostet 360 M weil einen für Gemeinde behalten müssen, nun so gehts uns in Deutschland man mus hir bleiben und für die Heren arbeiten. […] Auf Ostern komt der Vatter heim dan soll er wieder nach Böhmen gehen ins Zar[gen]schnei[de]n, den man mus alles thun bei so teuerer Zeit daß man die Heimat erhält, weil jedes noch eine Heimat braucht wen wir Gesund sind dan wird alles wieder recht.“
Offensichtlich haben die Stadlers eine bescheidene Zuerwerbslandwirtschaft betrieben, wie es vielen Bauern im Hinteren Bayerischen Wald erging.
Pferde als Zugtiere können sie sich nicht leisten. Sie müssen den Ochsen vor den Pflug spannen. Die Mechanisierung hat den Bayerischen Wald damals noch kam erreicht. So gibt es im Jahr 1925 in ganz Niederbayern erst 102 Traktoren! Die Stadlers mähen die Wiesen, um Heu für ihre Tiere zu haben. Auf dem Acker bauen sie Kraut an für die Nahrungsmittelsicherung im Winter. Mit dem eigenen Flachs können sie sich den Rohstoff für die Leinenherstellung selbst sichern. Allerdings ist das Klima zu rau, um Brotgetreide selbst anbauen zu können. Deshalb müssen sie mit dem Geld aus Amerika Mehl kaufen! Immerhin können sie mit den Mutterkühen auch einige Kälber großziehen. Im Jahr 1925 hat die Mutter gehofft, ein Schwein kaufen zu können, um es dann auf Weihnachten zu schlachten. Immerhin berichtet sie jetzt, dass sie sich – trotz der zunehmenden Inflation – eben von den Dollars ihrer Tochter Emma aus Amerika nun zwei Ferkel kaufen konnten!
Die Mutter hofft immer wieder ihre Töchter wiederzusehen und versucht ihnen 1928 einen Besuch in der alten Heimat schmackhaft zu machen, denn das Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr steht an: „In 2 Jahren ist bei uns dass 50 jährige gründungsfest bis dorthin solt ihr 3 auf Besuch komen, O wie wird dis eine Freude sein unter uns, wen wir nochmal alle beisamen sein könen, werden bis dorthin noch Gesund sein wie heute.“ Sogar die Dorfmusikanten haben die Stadler-Schwestern nicht vergessen: „wen ein mall Radio haben dan spilnz Euch einen schneidigen Marsch durch den Radio.“ Trotz der weiten Distanz und den enorm hohen Reisekosten träumt die Mutter 1932 davon, mit den modernen Verkehrsmitteln dieses Hindernis überwinden zu können: „Wen der Flugverkehr mal beßer geht in 2 Jahren villeicht könt ihrs damit brobiren. Den 2 Tag sind nicht 14 Tag. Wer weis wan Euch das liebe Eltern dort besuchen ich hoffe bald ja wen wir mit dem Zeberlin [= Zeppelin] hinfliegen könten würden wir alle Jahre 4 x kommen leider es ist so weit zu Euch.“
Es geht aufwärts: „das erste Geld auf die Bank getragen“
Emma Stadler hat das Glück, trotz ihrer fehlenden Englischkenntnisse, einen passablen Arbeitsplatz in der Pralinenfabrik zu finden. Sie muss dort hart arbeiten, indem sie unter Akkordbedingungen in großer Fingerfertigkeit Pralinen in Schokolade zu tauchen hat. In ihrer Freizeit sucht sie die Nähe zu anderen älteren und jungen Frauen aus der deutschen Kolonie. Doch hat sie auch erste Kontakte zu jungen Männern, wie etwa „Den 18. July Frank getroffen Ungar. 25 jahre alt nicht besonders gut.“ Sie spiegelt das neue Lebensgefühl der „Roaring Twenties“, der wilden Zwanziger Jahre, der Zeit des Umwälzung und dem Bruch mit überkommenen Traditionen.
Doch das Auf und Ab der amerikanischen Wirtschaft bekommt auch Emma zu spüren. Sie hat „keinen richtigen Schoob“, also Arbeitsplatz und so kehrt sie trotz Streitigkeiten mit dem Hausherrn mehrfach zu Amerikanern als Hausangestellte zurück. Dort ist auch ihre Schwester Katharina untergekommen. Die wirtschaftliche Situation verschlechtert sich Mitte der 1930er Jahre zusehends und Emma klagt über gesundheitliche Probleme. Sie schreibt über ihren 33. Geburtstag, „besser ich wäre nicht geboren auf der Welt“ und fährt fort: „Karl wieder arbeitslos wie lange wird das noch dauern bis Karl richtig Arbeit bekommt. Ich denke manchmal Karl hat gar kein Glück. Seit 3 Jahren haben wir nur immer verlußte u kein Einkommen wo soll das noch hinführen Wir werden Alt u habens nicht für unsere alten Tage. Wen das so weiter geht nichts als Arbeitslosikeit.“ Endlich kann Emma stolz in ihr Jahrbuch schreiben: „Karl schafft jetz immer meine Gesundheit besser. Den 19. Oktober 1935 das erste Geld auf die Bank getragen hat lange genug gedauert der Nummer von Bank Buch ist 191024 No.“
Sie fängt an mit Immobilien zu spekulierten: „Jahr 1943 Viele Arbeit mit Haus suchen ist hart was richtiges zu finden. Karl verdient gut. Den 4 Jan. An ein Haus anbezahlt 1424 Thorndal Av. N. Den 5. Febr. Das Haus gekauft kostet 14000 $ haben genug Schulden die Einnahmen sind 240 $ mit unserem Flat. Den 12. Mai 1943 in das neue Heim gezogen sonst geht alles gut bin Gesund.“
„Liebe Bekannte in Amerika“ – Hilfe für die Heimat
Die Inflation greift besonders im Bayerischen Wald gravierend um sich. Darüber berichtet die Mutter Franziska im Oktober 1931 an ihre Tochter Katharina und ihren Schwiegersohn John nach Chicago:
„Bei uns in Bayern sind sehr viel Bauern auf der Gant, die Waldmühle wird auch am 26. 11. versteigert[,] wer weiß[,] wer dieselbe [er]steigert. Und dan[n] werden noch einige nachkommen[,] den[n] die Zeit ist zu schlecht[,] für eine Kuh geben die Metzer noch 30 – M[ark] her, so was ist noch nie da gewesen, wir haben 400 M[ark] verspielen müssen an die großen Ochsen und habens 1 Jahr gefüttert habens um 5 Zentner schwerer gemacht, und so geht [es] fort[:] für ein Kalb bekommt man noch per Pfund 12 M[ark], ja wen[n] eins abgeben weil man Zahlungen hatte, den[n] wo niedrige Preise waren noch nie da.
Alles ist arbeitslos Näherinnen und Schneider haben keinen Vorrat mehr zum nähen[.] Schmi[e]d und Säge stehen auch[.] Das Bier kostet der Liter 60 M[ark] sodass die Wirthäuser leer sind. Was wird di[e]s noch alles werden, man ist gespannt darauf, auch länger kanns nicht mehr gehen, den[n] alles kann[n] zusammen brechen jeden Tag. Nun wir haben Gott sei Dank ein Heim und das Notwendige dazu, so dass wir nicht so ängstlich sein brauchen, Holz zum warm einheizen über den Winter.“
Aus den Aufzeichnungen der Emma Stadler in ihrem Jahrbuch lassen sich zwischen 1925 und 1932 insgesamt 203 Dollar nachweisen, die sie ihren Daheimgebliebenen geschickt hat. Die sind nach damaliger Währung 812 Reichsmark wert, wobei 1925 vergleichsweise 1 Pfund Mehl 30 Mark gekostet hat. Weitere spätere Zuwendungen, außer Kleidersendungen, hat Emma nicht dokumentiert.
Doch man erinnert sich auch insgesamt im heimatlichen Dorf immer an die zahlreichen Auswanderer nach Amerika. Von ihnen nimmt man in der kleinen Welt Herzogsreut auch an, dass sie in der Neuen Welt das großen Glück gemacht und reiche Leute geworden sind. Deshalb schickt der Feuerwehrkommandant von Herzogsreut einen mit der Schreibmaschine geschriebenen Brief an Emma Stadler.
Von den „lieben Bekannten in America“ erhofft sich die Feuerwehr zur Finanzierung einer neuen Fahne 500 Mark, da die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Weltwirtschaftskrise auch im Bayerischen Wald drückend sind und sie „mit bestem Willen die Mittel nicht aufbringen“ können.
Emma Stadler und Xaver Binder mobilisieren alle Verwandten und Bekannten im Herzogsreuter Viertel und sammeln kräftig für die Feuerwehr in Herzogsreut. Je nach ihrer wirtschaftlichen Situation geben die meisten zwischen 1 und 5 Dollar. Xaver Binder sowie Cousin und Cousine Frank und Kathy Kern stellen jeweils 10 Dollar zur Verfügung, wie auch ihre Schwester Kathy Stadler. Emma Stadler selbst spendet stattliche 25 Dollar! So bekommt sie 80 Dollar zusammen, was damals noch 320 Reichsmark entspricht.
Emma Stadler schickt zwei Monate später ihr Antwortschreiben an den Feuerwehrhauptmann Ludwig Friedl nach Herzogsreut:
„Chicago, March 15. 1930 – Lieber Freund! – Hier ubersende ich ihnen die Liste, wo alle mit Namen und Adrress unterschrieben sind . Habe 80 Dollar zusammen gebracht. Es tut mir sehr leid das ich die volle Summe von 125 Dollar nicht schicken kann. jch habe mein moglichstes getan, und Xaver Binder hat sich sehr bemuht, um etwas zusamen zu bringen, obwohl er auch selbs[t] viel gegeben hat auch die anderen haben ihr moglichstes getan und gegeben was sie konten. Jch schicke das Geld 80 dollar per Postanweisung und hoffe das Sie es bald bekommen.
Habe auch erfahren das Sie zurzeit krank sind, was mier sehr leid tut und ich wunsche ihnen von Herzen gute besserung. Wie geht ihrer Schwester Luise? Jch dencke oft an euch, war immer gerne bei euch wo wier uns ganz gut unterhielten. Also wier wunschen euch allen ein recht frohes Fahnenfest und recht viele Grusse von uns allen, besonders Grusst Sie Ergebenst Emma Stadler“
Hier wird deutlich, welche hohen Erwartungen die Menschen in der alten Heimat an ihre nach Amerika ausgewanderten Angehörigen stellten. Doch auch Emerenz Meier schreibt bereits im Oktober 1922 an ihre Freundin Auguste Unertl „Amerika ist nicht mehr das Land, das von Milch und Honig fließt.“ Am Beispiel des Bedauerns der Emma Stadler über die nur teilweise erfolgreiche Sammelaktion wird deutlich, welch tiefgreifende Einschnitte der „Black Thursday“ des Jahres 1929 bereits bei den Herzogsreuter Einwanderern und damit auch in der amerikanischen Bevölkerung hervorgerufen hat. Doch die Herzogsreuter haben ihre Heimat nicht vergessen!
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Das Buch über das Schicksal der Bayerwaldler in Amerika am Beispiel der Stadler-Schwestern erscheint demnächst in der Freyunger edition Lichtland.
Friedemann Fegert