Thurmansbang/Schalding-Heining. Die Großen der deutschen Fußball-Welt wie Mario Götze, Arjen Robben oder Marco Reus tanzen nach seiner Pfeife. Nein, so ganz stimmt dieser Satz nicht. Der Thurmansbanger Michael Emmer ist „nur“ Assistent von Bundesliga-Schiedsrichter Günter Perl (Pullach). Das Wort „nur“ ist hier vielleicht doch wieder ein bisschen untertrieben. Immerhin entscheidet der 43-Jährige, der für den SV Schalding-Heining aktiv ist, über Abseits oder nicht, über Tor oder kein Tor – und das in der höchsten deutschen Spielklasse. Wie der Pressesprecher der Polizei Niederbayern mit diesem Druck klar kommt und wie sich sein aufwendiges Hobby und sein Beruf vereinbaren lassen, erzählt der Familienvater im Gespräch mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“. Außerdem blickt er auf die zunehmende Gewaltbereitschaft im Amateurbereich und erklärt, warum die Schiedsrichterei dennoch attraktiv für Jugendliche ist.
Michael, gehörst Du als Schiedsrichter zu einer aussterbenden Gattung?
Das wäre vielleicht ein bisschen übertrieben. Zweifelsohne wird es aber immer schwieriger, junge Sportler für dieses Hobby zu gewinnen. Zum einen wird das große Freizeitangebot eine Ursache sein, zum anderen das in den vergangenen Jahren durchaus gestiegene Gewaltpotenzial auf den Sportplätzen. Für die Nachwuchsgewinnung wird es wichtig sein, in die Schulen zu gehen und dort den Jugendlichen dieses Hobby schmackhaft zu machen – für die Entwicklung der Persönlichkeit kann ich die Schiedsrichterei nur empfehlen.
„Ich befürchte, dass einige Spiele nicht besetzt werden können“
Glaubst Du, dass jedes Spiel in den Amateurligen weiterhin mit einem Referee besetzt werden kann?
Wenn sich der Trend so fortsetzt, befürchte ich schon, dass wir, beginnend im Reservebereich und dann bei den Junioren, Spiele nicht besetzen können. Kürzlich habe ich als Vertretung die Einteilung in der Passauer Gruppe übernommen – und da war es tatsächlich so, dass wir nach einem Krankheitsfall für ein Reservespiel keinen Unparteiischen hatten. Glücklicherweise ist eine andere Partie dann ausgefallen, sodass ein Kollege kurzfristig noch einspringen konnte.
Hat es nach der Einführung der Online-Spielberichte viele Rücktritte älterer Unparteiischer gegeben?
(lacht) Der Aufschrei beziehungsweise das Entsetzen bei den älteren, erfahreneren Kollegen war am Anfang natürlich groß. Doch das hat sich mittlerweile wieder relativiert. Diejenigen, die anfangs skeptisch waren, sehen diese Umstellung inzwischen als Erleichterung. Durch die Online-Spielberichte ist die jeweilige Partie noch am Spielort abgeschlossen – man nimmt nichts mehr mit nach Hause. Auch der lästige Papierkram ist endlich Vergangenheit. Unsere österreichischen Freunde haben uns schon lange vorgemacht, wie das geht.
„Die Weiterentwicklung der Persönlichkeit ist ein gutes Argument“
Warum würdest Du einem jungen Mädchen oder Buben raten, Schiedsrichter zu werden?
Wie schon vorher kurz angesprochen, ist die Weiterentwicklung der Persönlichkeit ein sehr gutes Argument – man lernt vor allem hinsichtlich Durchsetzungsvermögen und Entscheidungsfreudigkeit hinzu. Freilich gibt es auch andere, materielle Anreize: Schiedsrichter haben freien Eintritt zu Fußballspielen im gesamten Bundesgebiet und man bekommt kostenlos eine komplette Erst-Ausstattung mit sämtlichen Utensilien. Erwähnenswert ist zudem die Kameradschaft innerhalb der Schiedsrichter-Gruppen und die gemeinsamen Ausflüge, Grillfeste, Trainingslager und sonstige Events. Nicht zu vergessen ist auch die finanzielle Entschädigung. Junge Schiedsrichter, die in der Ausbildung sind oder studieren, finanzieren sich so ihre Freizeit – obwohl die Aufwandsentschädigung nicht sonderlich hoch sind.
Schiedsrichter wird, wer kein guter Fußballer ist – stimmt diese Floskel?
Es ist förderlich, wenn ein Schiedsrichter vorher aktiver Fußballer war – man kann heikle Situationen während eines Spiels besser beurteilen und einschätzen. Deshalb wünschen wir uns auch, dass Kicker nach ihrer aktiven Karriere Schiedsrichter werden. Leider fehlt das „Mittelalter“, also die Unparteiischen um die 30 Jahre. Verständlich, dass gerade diese Altersgruppe innerhalb den einzelnen Vereinen Führungspositionen übernimmt – und somit anderweitig beschäftigt ist. Trotzdem wollen wir diese Generation ansprechen, sie wäre sehr wichtig für uns.
Jugendwahn? „Dem hat man mittlerweile entgegen gesteuert“
Kritisiert wird auch der Jugendwahn – also die Tatsache, dass sehr junge Schiedsrichter möglichst schnell höherklassig pfeifen.
Das war vor einigen Jahren wirklich extrem. Die Ursache hierfür liegt aber nicht bei den Gruppen oder Verbänden, sondern vielmehr bei der FIFA und UEFA. Bei großen Turnieren verlangen sie ein Angebot an jungen Referees, die bereits in den oberen Ligen aktiv sind. Deshalb müssen Nachwuchs-Schiedsrichter möglichst schnell nach oben. Diesem Jugendwahn hat man mittlerweile aber entgegen gesteuert. Inzwischen hat auch die vorher angesprochene Gruppe ehemaliger aktiver Fußballer die Möglichkeit, höherklassige Spiele zu leiten.
Großes Thema, nicht nur wegen des Falls Nagorny, ist die Gewalt auf den Fußballplätzen gegenüber den Unparteiischen. Wie schätzt Du die Situation im Amateurfußball ein?
Ob es schlimmer geworden ist, kann ich nicht beurteilen. Klar ist: Jeder einzelne Fall ist tragisch und unentschuldbar. Der Amateurfußball ist gewaltfrei, Einzelfälle gibt es aber leider immer wieder. Diesen Ausreißern muss man entgegenwirken – beispielsweise durch die bereits vorhandenen Diskussionsrunden. Dass ein Zuschauer oder Vereins-Verantwortlicher Kritik üben darf, muss erlaubt sein – allerdings nicht mit körperlicher Gewalt.
Auf Sportplätzen: „Beleidigungen gehören zum Alltag“
Bist Du selbst schon angegriffen worden?
Beleidigungen gehören zum Alltagsgeschäft, da muss man ein dickes Fell haben (schmunzelt). Wenn es aber massiv wird, muss man tätig werden. Zu Beginn meiner Karriere bin ich aber tatsächlich angegriffen worden. Mein erstes Bayernliga-Spiel zwischen Weiden und Bayreuth war gleich ein Spielabbruch. Nach einigen Entscheidungen meinerseits, die sich im Nachhinein als richtig herausgestellt haben, stürmten die Fans den Platz – einer schaffte es sogar bis zu mir und hat mir einen leichten Schubser gegeben. Es entwickelte sich daraufhin auf dem Rasen eine Schlägerei – da war ich glücklicherweise nicht mehr auf dem Platz, sondern bereits in der Kabine. Freilich war das für mich ein einschneidendes Erlebnis, aber letztendlich ist es ja gut ausgegangen.
Vom Amateurbereich in den Profisport: Als Assistent von Gunter Perl bist Du in der Fußball-Bundesliga aktiv. Ein großer Traum, den Du dir erfüllt hast, oder?
Ja, absolut. Wobei ich auch sagen muss, dass ich mir nie so ein hohes Ziel gesteckt habe – neben guten Leistungen braucht man auch eine ordentliche Portion Glück: Zum richtigen Zeitpunkt muss ein Platz in der Bundesliga frei werden. Sicher ist die Assistenz eines Bundesliga-Schiedsrichters ein großer Traum, den ich mir verwirklicht habe (schwärmt). Jedes Spiel in den großen Arenen Deutschlands ist ein Highlight und eine neue Erfahrung. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man in einem Stadion mit 80.000 Zuschauern an der Linie steht. Man möchte dann alles richtig machen, nicht zuletzt deswegen, weil man im besonderen Fokus der Öffentlichkeit steht.
Wo liegt der größte Unterschied zwischen Profis und Amateuren?
(überzeugt) … in der Schnelligkeit und Perfektion des Profifußballs. Freilich auch am Drumherum eines Spiels mit den vielen Zuschauern, Medienvertretern und der damit verbundenen Außenwirkung. Und da gibt es sogar zwischen der Bundesliga und der 2. Liga bereits enorme Unterschiede – der Medienrummel im Oberhaus ist schon irre.
„Ich habe die Endstufe der Karriereleiter erreicht“
Oftmals werden Entscheidungen von Bundesliga-Schiedsrichtern und Assistenten im TV regelrecht auseinander genommen. Wurdest Du da schon mal kritisiert?
Die Sportschau, das Sportstudio, Sky Sport oder Doppelpass sind für jeden Aktiven eine Art Hausaufgabe. Schließlich muss man sich informieren, was am vergangenen Spieltag geschehen ist. Sicherlich sind im Laufe der vielen Jahre einige Situationen von mir dabei gewesen, die beleuchtet worden sind – meistens geht es dann um Zentimeter und Millimeter. Aber: Wie sollen wir Schiedsrichter solche Dinge genau beurteilen können, wenn man schon im TV mehrere Zeitlupen braucht? Ein Schiedsrichter ist ja auch nur ein Mensch. Trotzdem belasten einen solche Fehler freilich immer. Sachlicher Kritik stellen wir uns auch gerne, aber unter die Gürtellinie soll es nicht gehen.
Warum bist Du eigentlich nicht Bundesliga-Hauptschiedsrichter geworden?
Das hängt mit vielen Rahmenbedingungen zusammen – man muss zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Sicher wollte ich auch diesen Schritt noch schaffen – aber irgendwann muss man sich auch mit etwas zufrieden geben. Ich habe die Endstufe auf meiner Karriereleiter erreicht. Nach dieser Saison kann ich theoretisch noch maximal vier weitere Spielzeiten assistieren, dann habe ich die Altersgrenze (Anmerk. d. Red: 47 Jahre) erreicht. Es gibt auch nur ein paar wenige, die dauerhaft Assistent und zugleich Hauptschiedsrichter waren – irgendwann muss man sich für eine der beiden Laufbahnen entscheiden. Und so bin ich eben Assistent geworden.
„Die Unterstützung seitens der Polizei war früher besser“
Schon von 1998 bis 2000 warst Du in der Bundesliga aktiv. Warum hast Du dann pausiert?
In meiner ersten Zeit war ich Linienrichter von Winfried Buchhart (Schrobenhausen), Hermann Albrecht (Kaufbeuren) und Helmut Fleischer (Hallstadt) in der Bundesliga und gleichzeitig Schiedsrichter in der damaligen drittklassigen Regionalliga. Die Saison 99/00 ist dann nicht so gut gelaufen, und ich bin aus der Regionalliga abgestiegen – damals war es so, dass ich dann auch nicht mehr einen Assistentenplatz in der 1. Liga belegen durfte. Dann entwickelte ich eine Jetzt-erst-recht-Mentalität und kehrte ein Jahr später als Assistent in die 2. Liga zurück – später stand ich auch wieder „ganz oben“ an der Linie.
Oft wird diskutiert, ob Schiedsrichter Profis werden sollen. Deine Meinung?
Das habe ich auch schon oft mit Kollegen diskutiert. Eigentlich wollen wir gar keine Profis werden. Oder anders gesagt: Von den Verhaltensweisen und den physischen Rahmenbedingungen her sind wir ohnehin annähernd Profis, offiziell aber nicht. Wären wir das, müssten die gesamten Rahmenbedingungen modifiziert werden. Die Frage, was wäre nach der Profikarriere, die mit Mitte 40 endet, müsste dann beantwortet werden können. Viele Schiedsrichter wollen ihren Beruf deshalb behalten. Dass in den unteren Ligen vor allem hinsichtlich der Aufwandsentschädigungen Handlungsbedarf besteht, ist hingegen bekannt.
„Polizist und Schiedsrichter? Bessere Kombination gibt es nicht“
Wie vereinbarst Du die Schiedsrichterei mit Deiner Tätigkeit als Pressesprecher der Polizei Niederbayern? Und Familie hast Du ja auch noch.
Mein Umfeld muss letztendlich damit leben, dass ich dem Fußball voll hingegeben bin. Es ist einfach so, dass ich zu gewissen Terminen nicht zu Hause sein kann. Im Prinzip ist man zumindest terminlich fremdbestimmt – neben den Spielen gibt es ja auch noch Trainingslager, Leistungstests, Stützpunkte und viele andere Pflicht-Termine. Das Berufliche ist nicht mehr so einfach, wie es einmal war. Die offizielle Unterstützung seitens der Polizei war früher besser – inzwischen wurde alles extrem zurückgefahren. Dienstbefreiungen oder zusätzliche freie Tage gibt es nicht mehr. Glücklicherweise habe ich in der Pressestelle des Polizeipräsidiums Niederbayern, deren Sachgebiet unmittelbar dem Polizeipräsidenten nachgeordnet ist, ein gutes Team, das mir immer hilft, auch kurzfristig sportliche Termine wahrnehmen zu können. Die zahlreichen freien Tage müssen jetzt eben durch Urlaub oder Überstunden abgedeckt werden.
Polizist und Schiedsrichter – die ideale Kombination.
Absolut. Eine bessere Kombination gibt es nicht. Es passt vor allem, was den Gerechtigkeitssinn und den Ordnungsgedanken betrifft, perfekt zusammen. Was ich bei meiner Ausbildung zum Polizisten mit auf den Weg bekommen habe, hilft mir auch oftmals auf dem Fußballplatz – und anders rum.
Michael, vielen Dank für die Zeit und für Deine sportliche Zukunft alles Gute.
Interview: Helmut Weigerstorfer