Schalding-Heining. So manch „Großer“ hat sich am Reuthinger Weg bereits eine blutige Nase geholt: Die 2. Mannschaft des TSV 1860 München musste im vergangenen Jahr etwa eine bittere 0:1-Niederlage gegen die Tanzer-Truppe hinnehmen; auch das Reserveteam von Greuther Fürth und des FC Ingolstadt zogen gegen den SV Schalding-Heining den Kürzeren. Der kleine Dorfverein am Rande der Dreiflüssestadt Passau hat es mit Ehrgeiz, Fleiß und Kontinuität geschafft, in die höchste bayerische Fußball-Spielklasse aufzusteigen – und diese seit nunmehr drei Jahren zu halten. Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ sprechen Team-Manger Markus Clemens (41) und Kapitän Josef „Bebbo“ Eibl (28) über die rasante Entwicklung der vergangenen Jahre, über das Thema Identifikation – und die schmale Schwelle zum Profifußball.
Herr Clemens, Herr Eibl: Nach dem Traumstart mit drei Siegen aus vier Spielen lief es zuletzt eher durchwachsen für den SV Schalding-Heining. Wie schätzen Sie die derzeitige Situation ein?
Markus Clemens: Wir wussten auch in der Phase, in der wir vermeintlich vorne dabei waren, wer wir sind und woher wir kommen. Das waren für uns wichtige Punkte gegen den Abstieg. Am Schluss wollen wir über dem Strich stehen – alleine das zählt. Dass es immer wieder etwas schwierigere Phasen gibt, ist nichts Neues. Wir müssen ruhig und fleißig weiterarbeiten, unsere Stabilität wiederfinden.
Josef Eibl: Wir wussten bereits vor der Saison, dass die Regionalliga mit Jahn Regensburg und der Spvgg Unterhaching stärker geworden ist. Man muss nach wie vor betonen: Wir sind reine Amateure. Der Rest der Liga besteht größtenteils aus Profimannschaften. Es ist freilich ein Highlight, wenn man gegen Bayern II spielt oder im Grünwalder Stadion aufläuft. Wichtig ist aber, dass wir uns auch in schlechteren Phasen nicht zerfleischen – oder in Lethargie verfallen.
„Es liegt eher am Kollektiv als an Einzelspielern“
Besteht denn diese Gefahr?
Josef Eibl: Es ist immer schwierig, wenn man über einen längeren Zeitraum kein Spiel gewinnt. Natürlich trainiert man dann nicht mit einem Lachen auf den Lippen und großem Selbstvertrauen. Gerade dann sind die Verantwortlichen und Führungsspieler gefragt. Und ich denke, das machen wir ganz gut (lacht).
Zuletzt hat es Kritik an der Defensive gegeben. Hat man’s vielleicht ein bisschen unterschätzt, als mit Philipp Zacher der langjährige Abwehrchef seine Karriere beendet hat?
Markus Clemens: Nein. Es hat ja bereits Spiele in dieser Saison gegeben, bei denen wir defensiv sehr gut gestanden sind. Man muss vielmehr das Gesamtkonstrukt hinterfragen. Die komplette Mannschaft muss wieder stabiler stehen, besser verteidigen. Es liegt eher am Kollektiv als an Einzelspielern.
Luxusprobleme – wenn man bedenkt, dass der Dorfverein SV Schalding-Heining im Konzert der Großen mitmischt. Herr Clemens, wie bastelt man sich einen Regionalligisten?
Markus Clemens: Gute Frage (lacht). Ich glaube nicht, dass es an wenigen Spielern liegt, an einer Goldenen Generation. Schon damals, als wir das erste Mal von der Landesliga in die Bayernliga aufgestiegen sind (Anmerk. d. Red.: 2008/2009), haben wir uns darüber Gedanken gemacht, was nach Spielern wie Benjamin Neunteufel, Andreas Abelein, Florian Stecher oder Christian Süß passiert. Diese Abgänge haben wir dann aber sehr gut kompensieren können. Der letzte Verbliebene dieser Generation ist eben Bebbo Eibl, der Führungsspieler schlechthin in der aktuellen Mannschaft. Durch junge, hungrige Spieler haben wir die Lücke der anderen schließen können. Gott sei Dank… Wir haben nunmal das Los, mehr als 100 Kilometer vom nächsten professionell strukturierten Verein entfernt zu liegen. Mit wilden, willigen Fußballern versuchen wir, das auszugleichen.
Ist es ein Vor- oder Nachteil, keinen Profiverein im unmittelbaren Umkreis zu haben?
Markus Clemens: Fluch und Segen zugleich. Einerseits haben wir ein gewisses Alleinstellungsmerkmal in der Region. Andererseits würden wir uns ab und zu einen Spieler wünschen, der ein Nachwuchsleistungszentrum eines Profi-Vereins besucht hat – so wie es in Nürnberg, Augsburg oder München der Fall ist.
„Die Luft im Profibereich ist sehr dünn“
Herr Eibl, sie selbst stehen sinnbildlich für den Weg eines Schaldinger Spielers. Über Büchlberg und Waldkirchen ging es zum SVS – kein Nachwuchsleistungszentrum, eher der steinige Weg über die Dörfer.
Josef Eibl: Ja, das stimmt schon. Das wichtigste ist aber nicht der Ort, sondern die Qualität der Trainer und Verantwortlichen. Jedem muss klar sein, dass man als SVS-Spieler nicht Unsummen von Geld verdienen kann. Deshalb brauchen wir sportlich sehr motivierte Fußballer, die was erreichen wollen. Und genauso war es auch bei mir. Vor meinem Wechsel sind wir mit Waldkirchen zweimal knapp am Aufstieg gescheitert. Doch ich wollte unbedingt den nächsten Schritt gehen – und habe deshalb nach Schalding gewechselt. Im Gegensatz zum Profibereich darf ich hier mit meinen Freunden spielen, was mir sehr wichtig ist.
Der Bayerische Wald und der Passauer Raum ist wohl eher nicht so als Talentschmiede bekannt. Haben wir keine herausragenden Fußballer – oder ist der Weg nach „oben“ durch die Randlage im Dreiländereck noch schwieriger?
Josef Eibl: Es gibt bei uns sehr viele talentierte Spieler. Wichtig ist aber, frühzeitig – am besten schon in der Jugend – den Sprung zu wagen. Und auch dann ist es sehr schwierig, weil die Luft im Profibereich sehr dünn ist. Nicht vergessen darf man, dass viel Glück nötig ist, um es letztendlich zu schaffen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Robert Zillner. Auch er ist nicht den normalen Profiweg gegangen – und hatte zum richtigen Zeitpunkt einfach das nötige Glück.
Anders gefragt: Hat die Region genügend gute Spieler, die Schalding-Heining in der Regionalliga halten können?
Markus Clemens: Es wird immer schwieriger. Viele unserer Spieler haben sich stetig weiterentwickelt, sind den Weg des SVS mitgegangen – wie zum Beispiel Bebbo Eibl. Er hatte schon nach seinem Wechsel zu uns das Format, um regelmäßig spielen zu können. Mittlerweile ist aber der Sprung schon sehr groß. Die meisten Neuzugänge kommen von einer unteren Liga in eine sehr starke Regionalliga. Für ein Talent wie Fabian Wiesmeier geht es gleich von 0 auf 100. Da muss man als Verein Geduld haben – und als Spieler einen sehr langen Atem.
„Das ist die einzige Chance, um zu bestehen“
Welcher ist der bessere Weg: einen Jugendlichen bereits für die eigene Jugend zu verpflichten – oder einen gestandenen Seniorenspieler von Passau, Waldkirchen oder Ruhmannsfelden zu holen?
Markus Clemens: Der mittelfristige Plan ist schon, dass wir Spieler so jung wie möglich verpflichten. Deshalb haben wir auch unseren Jugendplan ein bisschen umgestellt – Florian Stecher zum Beispiel ist seit heuer U15-Trainer. Eine Vereins-Legende, die man in Niederbayern kennt. Schon allein das macht deutlich, welchen Fokus wir auf die Jugendarbeit legen. Man darf nicht vergessen, dass man dadurch Identifikation schafft. Die Jugendspieler sind schneller Schaldinger durch und durch. Unsere Spieler müssen ticken wie der Verein. Wir müssen eine Einheit werden. Das ist die einzige Chance, um in der Regionalliga zu bestehen.
Merkt man es auf dem Spielfeld, dass der SVS eine echte Einheit ist?
Josef Eibl: Es ist schwierig, das selber zu beurteilen. Man merkt schon, dass die Reservemannschaften der Profivereine spielerisch sehr gut sind. Obwohl wir fußballerisch auch nicht schlecht sind, ist unser größtes Pfund der Zusammenhalt. In der ein oder anderen Situation ein großer Vorteil. Steht ein Spiel auf Messers Schneide, haben wir bereits mehrmals bewiesen, dass wir es durch Willen und Teamgeist zu unseren Gunsten entscheiden können.
Eine etwas direktere Frage – und bitte nicht missverstehen: Wie oft werdet Ihr von Profispielern als „Bauern“ bezeichnet?
Josef Eibl: Sehr oft (lacht). Mittlerweile müssen wir aber drüber schmunzeln.
Ist die Regionalliga das höchste der Gefühle in Schalding – oder schielt man Richtung Profifußball?
Markus Clemens: Die Regionalliga ist für den SV Schalding-Heining die Bundesliga. Ab der 3. Liga spielt sich alles im vollprofessionellen Bereich ab. Auf dem auf Ehrenamt basierenden Niveau, auf dem wir arbeiten, ist sowas nicht möglich. Könnten wir diese Klasse auch heuer wieder halten, wäre es ein Traum.
„Das finanzielle Risiko ist nicht ohne“
Die Regionalliga gilt als finanzielle Sackgasse für viele Vereine. Unter anderem verzichtete der SV Pullach in der vergangenen Saison auf den Aufstieg. Wie groß ist das finanzielle Risiko wirklich?
Markus Clemens: Es juckt uns überhaupt nicht in den Fingern, Spieler zu holen, die viel Geld kosten. Wir entwickeln am liebsten die eigenen Spieler. Sie haben es sich einfach verdient. Es würde unser Gefüge sprengen, wenn wir einen Satelliten einschweben lassen, der über allen schwebt. Das ist nicht der Stil des SV Schalding.
Generell ist das finanzielle Risiko in so einer Spielklasse nicht ohne. Wir glauben jedoch, es einigermaßen kalkulieren zu können.
Welche Rolle spielen in dieser Hinsicht die Vorschriften des Verbandes, zum Beispiel einen gesonderten Gästeblock zu installieren?
Markus Clemens: Auf den Verband hauen viele gerne drauf, das ist oftmals so. Ich sehe das Ganze jedoch nicht so kritisch. Es gibt viele positive Dinge, die der Bayerische Fußballverband unter Dr. Koch auf den Weg gebracht hat. Ihm haben wir Amateure sehr viel zu verdanken. Dass ein gewisser Mindeststandard da sein muss, ist selbstredend. Man möchte sich ja nach außen vermarkten. Zumal die Regionalliga Bayern im bundesweiten Vergleich sehr kritisch gesehen wird.
Gerade die Westliga mit vielen Traditionsvereinen wie Aachen, Essen, Kickers Offenbach, die letztlich in unserer Spielklasse sind, glaubt, dass hier in Bayern nur Rumpelfußball gespielt wird. Deshalb muss ein Verband, der sich eine Regionalliga erarbeitet hat, auch für gewisse Standards sorgen. Wir sind einer der wenigen Vereine, die noch auf einen Fußballplatz spielen – und in keinem Stadion. Aber: Unsere Sportanlage hat sich zu einem kleinen schmucken SV-Schalding-like Stadion entwickelt und auch die Infrastruktur haben wir anpassen müssen.
Ist es schwieriger, die Regionalliga aus sportlichen oder finanziellen Gründen zu halten?
Markus Clemens: … aus sportlicher Sicht, ohne die Leistung derjeniger Leute zu schmälern, die im Hintergrund an den Finanzen arbeiten. Mit unserem Fleiß, der Identifikation und der Ehrlichkeit ist der wirtschaftliche Faktor machbar. Glücklicherweise haben wir eine Mannschaft, die weiß, welche Arbeit da dahinter steckt. Die sportliche Komponente jedoch wird von Jahr zu Jahr schwieriger.
Wie groß ist die Gefahr, dass die guten Spieler von größeren Vereinen abgeworben werden?
Markus Clemens: Grundsätzlich ist das sicherlich möglich. Ich sehe das aber nicht als Gefahr, sondern eher als Bestätigung unserer Arbeit. Es wäre eine Auszeichnung für den SVS, wenn wir einen Spieler Richtung Profifußball abgeben könnten. Allerdings haben sich die Strukturen im Fußball dahingehend verändert, dass das fast schon ausgeschlossen ist. Im Profifußball zählen fast nur noch sehr junge Spieler, die das System der Nachwuchsleistungszentren durchlaufen haben. Als normaler Amateur muss man in der Regionalliga schon überragend spielen, um interessant zu sein.
„Die erste Anfrage hatte ich während meiner Jugendzeit“
Herr Eibl, auch Sie sind schon vor einem Wechsel in höherklassige Ligen gestanden. An was ist’s letztlich gescheitert?
Josef Eibl: Eins vorweg: Es hat sicher einige Interessenten gegeben. Es gab aber auch einige Gerüchte. Erzgebirge Aue wollte mich zum Beispiel nie. Die erste Anfrage habe ich bereits während meiner Jugendzeit in Waldkirchen bekommen. Da waren mir mein Abitur und meine Ausbildung jedoch wichtiger. Später lag mein Fokus dann bei meinem Beruf als Lehrer. Es ist nie soweit gekommen, dass die Gespräche intensiviert worden sind.
Haben Sie das jemals bereut?
Josef Eibl: Ich bin deswegen nicht traurig, weil die Entscheidung in meinen eigenen Händen gelegen hat. Vielleicht mache ich mir irgendwann mal Gedanken darüber, keine Ahnung. Für mich beginnt der wirkliche Profibereich sowieso erst in der 2. Bundesliga – da geht’s richtig los. Ich bin stolz und froh, dass ich es so gemacht habe, wie ich es gemacht habe.
Was macht den SV Schalding-Heining aus?
Markus Clemens: Wir haben eine Vorstandschaft, die sehr besonnen und weitsichtig agiert. Sie halten immer den Ball flach. Unser 1. Vorsitzender Wolfgang Wagner lebt das in Reinkultur vor. Ihm ist die F3 genauso wichtig wie die 1. Herrenmannschaft. Das ist Schalding – eben ein bisschen anders. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren ist schon sensationell. Im Vordergrund steht freilich der sportliche Erfolg. Bleibt dieser aus, wird es schwierig, neue Sponsoren zu gewinnen und die Infrastruktur weiter zu verbessern.
Auch der Medienrummel um den Verein ist größer geworden. Wie geht man damit um?
Josef Eibl: Genauso wie sich der Sportplatz entwickelt hat, hat sich auch dieses Feld entwickelt. Freilich, wo der Erfolg ist, gibt es auch Neider. Doch das finde ich nicht schlimm. Man darf uns kritisieren. Das zeigt auch, dass der Verein mittlerweile auch ein bisschen polarisiert. Ein Beweis dafür, dass wir interessant sind.
Wird man also auf der Straße erkannt?
Josef Eibl: Nach der dritten Maß auf der Dult wird man angesprochen (lacht).
„Die Identifikation ist uns sehr, sehr wichtig“
Was hat sich beim SV Schalding-Heining am augenscheinlichsten verändert?
Markus Clemens: Speziell in Sachen Infrastruktur hat sich einiges getan. Der Bau des Kunstrasenplatzes zuletzt war ein großer Meilenstein. Da kann man schon stolz sein. Auch die Spieler müssen mittlerweile sehr viel mehr leisten. Glücklicherweise fordern sie auch einiges von sich selbst. Die sportliche Professionalität ist inzwischen schon erstaunlich.
Wie schwer ist es, professionell zu sein, obwohl man Amateur ist?
Josef Eibl: … nicht so schwierig. Es gehört einfach dazu, dass man mal weggeht oder was trinkt. Es gibt sowieso keinen, der unmittelbar vor Spielen unterwegs ist. Nach einem Sieg ist das dann fast schon Tradition, dass man sich eine Halbe genehmigt. Jeder weiß, was er bringen muss, um in der Regionalliga zu bestehen. Verhalte ich mich unter der Woche nicht professionell, muss ich es am Samstag büßen.
Wie viel Dorfverein ist noch im oft zitierten Dorfverein?
Markus Clemens: Viel, sehr viel. Die Schaldinger Dorfgemeinschaft steht hinter dem Verein. Die Vereine stehen hinter dem SVS, vor allem die Feuerwehr, die uns immer beim managen des Verkehrs bei Spielen unterstützt. Wir sind bei Feierlichkeiten meistens mit der kompletten Mannschaft vertreten. Das sorgt für Identifikation ist uns sehr, sehr wichtig.
Interview: Helmut Weigerstorfer