Bodenmais. Die jüngste Tötung der Raubkatze war nur eine von vielen – denn Luchse verschwinden im inneren Bayerischen Wald mit einer bitteren Regelmäßigkeit. Luchskater „Schlaks“ beispielsweise gilt seit Juni 2012 als verschollen. Martina Zukowski von unserem Partnerblog „woidpresse“ aus Viechtach war den Tieren im „Bermuda-Dreieck“ auf der Spur …
„Auf so einem Felsen könnte er uns stressfrei beobachten“
„Er könnte uns jetzt durchaus zusehen“, erklärt Wissenschaftler Markus Schwaiger vom Luchsprojekt Bayern. Umgeben von ur-bayerischer Wildnis in der Nähe von Bodenmais fällt es nicht schwer sich vorzustellen, dass sich die Großkatzen hier wohlfühlen: Riesige Felsen, Totholz und schmaler werdende Wege kennzeichnen den Weg in das „Bermuda-Dreieck“, in dem die Tiere früher oder später verschwinden (siehe Karte, Foto-Galerie unten). Wir befinden uns im Revier von Nimo – ein Luchskuders, der alle paar Wochen in diesen Teil seines Territoriums kommt. Auch wenn es höchst unwahrscheinlich ist, dass er sich tatsächlich gerade hier aufhält, so würde er uns vermutlich in aller Ruhe dabei zusehen, wie wir vorbeiziehen.
„Auf so einem Felsen, wo er einen guten Überblick hat, könnte er uns stressfrei beobachten und wir würden es nicht einmal merken“, erklärt der Wissenschaftler und deutet zur Spitze einer Felswand, die vor uns aufragt. Der Platz müsste nur einige Bedingungen erfüllen: möglichst vollständige Rundumsicht – und im Idealfall eine südliche Ausrichtung, damit die Sonne gut hinkommt. In der Nähe sollten einige Fels-Überhänge sein, unter denen man den Regen aussitzen kann. Und natürlich: Mehrere potenzielle Fluchtwege, unter denen man sich im Fall der Fälle den besten aussuchen kann. Fliehen würde das Tier allerdings nicht automatisch beim Anblick des Menschen. Den guten Platz würde es nur aufgeben, wenn es sein muss.
„Das Verschwinden lässt auf einen unnatürlichen Tod schließen“
Die Intelligenz dieses Verhaltens springt unverkennbar ins Auge. Nichtsdestotrotz fallen Luchse im Bayerischen Wald immer wieder einem anderen „Räuber“ zum Opfer: dem Menschen. So groß die mediale Aufmerksamkeit angesichts der jüngsten Tötung eines trächtigen Luchs-Weibchens ist: Die Zahl der getöteten Raubkatzen im Bayerwald dürfte deutlich höher liegen. Das Tier, das Anfang Mai nahe Bodenmais gefunden wurde, ist nur eines, das entdeckt wurde. Im inneren Bayerischen Wald werden Luchse nur selten älter als drei bis vier Jahre – obgleich das normale Lebensalter bei bis zu 15 Jahren liegt. Mit einer natürlichen Mortalität hat das Verschwinden im „Bermuda-Dreieck“ allerdings nichts zu tun. Und von den Tieren fehlt jede Spur.
Zwischen Bad Kötzting, Bayerisch Eisenstein und Zwiesel gibt es seit rund sechs Jahren in etwa die gleiche Anzahl an Luchsen, nämlich zwei bis drei erwachsene Tiere. Das Bemerkenswerte daran: Alle zwei Jahre erneuert sich der Bestand – die etablierten Revierbesitzer verschwinden, Jungtiere treten an ihre Stelle. Hierbei handelt es sich keineswegs um ein normales Phänomen, denn erwachsene Luchse etablieren ihr Revier in aller Regel auf Lebenszeit, also rund 15 Jahre. Insofern trifft die zynisch anmutende Wortwahl „Luchs-Umsatz“ den Kern des Geschehens: In der Population herrscht eine hohe Fluktuation.
Eine Ausbreitung über den inneren Bayerischen Wald hinaus ist deshalb bisher nicht erfolgt. Die Lücke, die entsteht, wenn ein territorialer Luchs wieder einmal verschollen geht, wird von zuwandernden Jungluchsen aufgefüllt, die selbst aber auch nicht alt werden. Die Population bleibt damit auf gleichbleibend niedrigem Niveau. Mit den Fotofallen-Daten lassen sich jedoch die Einzelschicksale relativ genau verfolgen. Schwaiger erklärt: „Wenn ein Luchs da ist, dann kriegen wir ihn in der Regel auch aufs Bild. Damit lassen sich Reviergrößen und Bewegungen der Tiere verlässlich erheben. Das gehäufte Verschwinden ohne eine Spur lässt deshalb auf einen unnatürlichen Tod schließen – also die Tötung durch den Menschen.“
„Nicht alle Jäger sind schießwütig auf Luchse – da bin ich mir sicher!“
Dabei ist es dem Fachmann vom Luchsprojekt Bayern wichtig zu betonen: „Nicht alle Jäger sind schießwütig auf Luchse. Es gibt Jäger, für die würde ich meine Hand ins Feuer legen.“ Mit vielen arbeite man hervorragend zusammen, so auch im Netzwerk Große Beutegreifer, an dem zahlreiche Jäger beteiligt sind. Dennoch sind verschollene Tiere traurige Realität: Die Luchsin B2 und der Luchskuder B3, alias „Schlaks“, haben im Gebiet zwischen Bad Kötzting und Zwiesel gelebt. Seit 2010 beziehungsweise 2012 fehlt von ihnen jedes Lebenszeichen. Dies ist mehr als seltsam, denn: „Die territorialen Tiere hätten keinen Grund gehabt, zu gehen. Und Luchse vertreiben sich nicht gegenseitig“, erklärt der Wissenschaftler.
Das Auftauchen eines Nachfolgers bereits wenige Monate nach Schlaks‘ Verschwinden bestätigt die Annahme, dass der Luchskuder auf Nimmer-Wiedersehen fort ist. B9 alias Nimo wanderte über die tschechische Grenze, wo der Hauptteil seines Reviers liegt, und übernahm Schlaks‘ Territorium. So erfreulich das Wohlergehen Nimos ist, so traurig ist gleichzeitig das Fehlen von Schlaks – denn Platz wäre für beide genug vorhanden gewesen.
Die Bildauswertung ergibt eine positive und eine negative Nachricht
Im Revier Nimos befinden sich mehrere Fotofallen. Die Geräte sind in natürlichen Farben gehalten und meist an Baumstämmen befestigt. Ein Schild weist darauf hin, dass die Bilder nicht zur Überwachung dienen, sondern lediglich der wissenschaftlichen Erforschung von Wildtieren. Da die Kameras durch Wärme ausgelöst werden, sind manchmal auch andere Lebewesen, Quads oder Autos auf den Bildern. Diese werden allerdings unmittelbar gelöscht. Lediglich die Aufnahmen der Luchse und anderer Wildtiere werden durch das Luchsprojekt Bayern gespeichert und ausgewertet.
Vor Ort gelangen wir durch die Bildauswertung zu einer positiven und einer negativen Erkenntnis: Erfreulicherweise war Nimo in den letzten vier Wochen zweimal im Raum Bodenmais. Ende März und Mitte April wurde er fotografiert. Allerdings wurde B213 alias „Greta“, die 2011 ins Gebiet zuwanderte und somit B2 nachfolgte, seit mehreren Monaten nicht mehr aufgenommen. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass sie wieder auftaucht. In einigen Monaten kann man dann mit Sicherheit sagen, ob sie verschollen bleibt.
Martina Zukowski/woidpresse
Weitere Infos gibt’s unter:
www.luchs-bayern.de bzw. in den Luchsnachrichten 2012, wo auch der Begriff „Bermuda-Dreieck“ verwendet wird