Großwiesen/Frauenau. Manche mögen ihn, manche mögen ihn nicht. Er bezeichnet sich selbst als „Facebook-Deife“, ist eingefleischter Schalke-04-Fan, zu seinen Lieblingsspielern zählen Kult-Kicker Hans Sarpei und „Kampfsau“ Jermaine Jones. Rupert Wick, genannt „Chaos“, zehnfacher Bankdrück-Weltmeister aus Großwiesen, ist eine Persönlichkeit, an der sich viele Geister scheiden. Ein Großmaul, oder auf gut Boarisch g’sagt: „a Schmatzer“, nennen ihn die einen. Jemand, der das Herz am rechten Fleck und vor allem auf der Zunge trägt, die anderen.

Rupert Wick: „Das hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber: Der Unfall war eine positive Sache für mein Leben.“
Was in jedem Fall auf den 46-jährigen Großwiesener zutrifft: Er ist ein Stehaufmännchen, ein Kämpfer, der sich von sportlichen Verletzungen oder persönlichen Rückschlägen nicht beirren lässt. Den größten hat er vor knapp 30 Jahren hinnehmen müssen: Seit einem schweren Autounfall sitzt er im Rollstuhl. Was ihm immer wieder dabei hilft zurückzukommen: sein Ehrgeiz – und vor allem sein Humor. Eines seiner Mottos lautet: „Wenn dir das Leben eine Zitrone schenkt, dann hör auf zu jammern und mach‘ dir Limonade daraus.“ Ein Home-Interview über Powerlifting, Doping, Tätowierungen, den Dalai Lama, Ölmalerei, das Leben im Rollstuhl – und die richtige Einstellung dazu.
„Bei Deiner Leistung wirst Du auf Anhieb Meister!“
Rupert, wie bist Du damals zum Kraftsport bzw. Powerlifting gekommen? Was war der Auslöser?
Ein Kumpel und ich waren Anfang der 90er auf Gran Canaria im Urlaub. Wir haben viel Party gemacht, sind oft am Strand gelegen. Und da sind natürlich auch viele hübsche Frauen rumgelaufen. Mein Spezl meinte: ‚Schau Dir das Pärchen da drüben an: Sie so wunderschön – und er so ein g’wampada Hans-Wurscht‘ (lacht). Ich blick‘ ihn an und sag‘ zu ihm: ‚Oida schau doch erst mal unsere eigenen Bierbäuche an. Wir brauchen von dem da drüben gar nicht reden‘. Und da stand für mich fest: Sobald ich wieder daheim bin, geh‘ ich ins Fitnessstudio und beginne mit dem Training.
Und wie ging’s dann weiter?
Ich hab’ im Röhrnbacher Fitnessstudio gleich beim ersten Mal 87 Kilo gedrückt. Ich selbst wog damals um die 60 Kilogramm – und hatte vom richtigen Trainieren keine Ahnung. Innerhalb von zwei Monaten waren’s dann aber schon 100 Kilo beim Bankdrücken. Ein Spezl hat mich angesprochen, ob ich’s nicht wettbewerbsmäßig machen möchte. Er meinte: ‚Bei Deinem Gewicht und Deiner Leistung wirst Du auf Anhieb Bayerischer Meister!‘ Ich hab ihm den Vogel gezeigt und gedacht: ‚Erzähl‘ doch keinen Grampf‘.
Dann bin ich zum KSC Frauenau gekommen – bei dem ich mittlerweile seit 20 Jahren bin –, um dort zu trainieren; bei der ersten offiziellen Bayerischen Meisterschaft im schwäbischen Ebenhofen sind wir etwas zu spät angereist – und als wir die Halle betreten, ist in meiner Gewichtsklasse gerade der Bayerische Meister gekürt worden – mit 85 Kilo. Ich wollte es dann in der nächsthöheren Gewichtsklasse probieren: Sechs Wurstsemmeln, ein halbes Kilo Quark und ein paar Liter Wasser später hatte ich 60,1 Kilo Körpergewicht beim Wiegen – und durfte antreten. Ergebnis: 5. Platz mit 107,5 Kilo beim Bankdrücken … Das war schon bitter …
Aua! Da war der Grampf dann ja doch nicht so groß wie vermutet …
Naja … Ich war dann bei der International Powerlifting Federation. Dort durfte ich national bei den Nicht-Behinderten antreten, international gab’s für die Behinderten eine eigene Wertung. Einmal Vize-Weltmeister, drei Mal Dritter, vier Mal Europameister und sieben Mal Deutscher Meister waren meine Platzierungen, wenn ich mich recht erinnere. So genau weiß ich das nicht mehr. Die IPF-Behinderten-Wertung wurde dann aufgelöst, der deutsche Behindertenverband habe je eh seinen eigenen Status. Doch da war ich nicht mehr willkommen, weil ich so meine Probleme mit dem Nationaltrainer hatte …
„Ich brauche den Sport zum Leben“
Wo bist Du dann gelandet?
Dann bin ich zur WPC gekommen. Beim Bankdrücken ist es wie beim Boxen, da gibt’s mehrere Verbände – alleine bei drei bin ich Weltmeister. Die WPC’ler haben gesagt, dass ich überall antreten darf, national wie international. Der Verband wurde dann aber wieder gespalten und kommerzialisiert, woraufhin ich zur GPC gegangen bin. Irgendwann wurden mir dann die Auslandsreisen zu kostspielig, weshalb ich zur WUAP, einem kleineren Amateurverband, gewechselt bin. Und hier fühl ich mich sehr wohl. Ich such’s mir jetzt aus, bei welchen Wettbewerben ich antrete. Mein nächster findet Ende September statt: Die Weltmeisterschaften in Brandenburg.
Und darauf bereitest Du Dich derzeit vor?
Richtig, ich bin mittendrin. Meine Schulter macht mir jedoch etwas zu schaffen, da sie schon seit längerem entzündet ist. Aber hilft nix: Nur die Harten kommen in den Garten, wie es so schön heißt (lacht). Aber ich werde medizinisch sehr gut betreut …
Sind das Bankdrücken und der damit einhergehende Erfolg eine Art Sucht für Dich?
Ja, irgendwie schon. Aber aufgrund der Wettkämpfe auch eine Verpflichtung mir selbst gegenüber, hier am Ball zu bleiben, weiter diszipliniert zu arbeiten. Bei vielen schleicht sich der Schlendrian ein, insbesondere nach Verletzungen. Ich schaue von Meisterschaft zu Meisterschaft, trainiere auf jedes einzelne Ziel hin – und dann belohne ich mich eben. Ich habe alles gewonnen, was es beim Bankdrücken zu gewinnen gibt – ans Aufhören denk‘ ich dennoch nicht. Ich brauch das einfach, das ist meine Disziplin.
„Meine Vorbilder? Neben dem Dalai Lama – meine Eltern“
Ist Doping ein Thema?
Ich sag‘ immer zu denen, die mir vorwerfen zu dopen: Ein Test kostet 800 Euro. Ich hebe von der Bank 5000 Euro ab, das ist mein Einsatz. Jeder kann zu mir kommen und mit mir ins Krankenhaus fahren, um den Test durchzuführen. Wenn dieser positiv verläuft, bekommt derjenige von mir 5.000 Euro. Sollte sich herausstellen, dass ich nicht gedopt bin, verlange ich von dem anderen 5.000 Euro. Ich könnte mir kein Geld dieser Welt einfacher verdienen … Nein, im Ernst: Mit meiner Behinderung brauch ich mir den Scheiß echt nicht geben. Ich halte seit zehn Jahren mein Leistungsniveau – und stelle neue Rekorde aus dem Grund auf, weil ich in andere Altersklassen vorrücke. Und nicht weil ich dope.
Wie viel Gewicht drückst Du aktuell?
Bei der diesjährigen Europameisterschaft waren’s 160 Kilogramm – das war WUAP-Weltrekord. Ich trainiere momentan drei Mal in der Woche im Freyunger Fitnessstudio „Fit 4 You“, jeweils eineinhalb bis zwei Stunden – vor allem Maximalkraft, das heißt: Das zu stemmende Gewicht wird Woche für Woche erhöht.

Drei mal in der Woche jeweils eineinhalb bis zwei Stunden Training, aber: „Ich rauche viel, fast zu viel“.
Wie viele Zigaretten rauchst Du am Tag?
Ich rauche viel, fast zu viel. Meine Spezln ziehen mich immer gerne damit auf, wenn sie sagen: „Du rauchst ja eh nur Papier!“ (die selbstgedrehten Zigaretten sind hauchdünn – Anm. d. Red.).
Hast Du Idole?
Früher war’s mal Klaus Fischer, als er bei Schalke gespielt hat … hm (überlegt) … Ich bewundere heute etwa den Dalai Lama. Weil die Religion, der tibetische Buddhismus, nicht so scheinheilig ist. Wenn ich den Mann sehe, ertappe ich mich dabei, wie ich lachen muss. Er hat einfach etwas Göttliches an sich. Und ansonsten sind auf jeden Fall auch meine Eltern Vorbilder für mich. Sie mussten viele harte Zeiten durchleben – und haben aber immer zusammengehalten. Sie haben darauf geachtet, dass aus ihren Kindern etwas wird – zumindest aus meiner Schwester (lacht). Uns hat es an nichts gefehlt. Wenn’s hart auf hart kommt, helfen wir alle zusammen. Das passt.
„Müde gelächelt: Der Tätowierer wusste, ich komme wieder“
Deine vielen Tätowierungen – ist das ein Hobby von Dir?
Mein erstes Tattoo, ein Pegasus, hab ich mit 26 Jahren in Passau stechen lassen. Damals hab ich gesagt: Mehr will ich nicht, eins reicht. Der Tätowierer hat nur müde gelächelt, weil er wusste, ich würde wiederkommen.
Und das ist dann offensichtlich ja auch eingetreten?
Absolut. Je mehr Tattoos es wurden, desto nervöser wurde vor allem die Mama (lacht). Ich hatte ihr dann versprochen, dass die Unterarme frei bleiben … aber naja (schmunzelt) … also für mich hat jede Tätowierung eine Bedeutung: Hier etwa (deutet auf seinen linken Unterarm) steht „Ars Vivendi“ geschrieben, die Kunst zu Leben … dann hier (deutet auf seinen rechten Unterarm, auf dem das Schalke-04-Vereinswappen prangt): Ich bin Schalke-Fan seit ich acht Jahre alt bin … Unter diesem Namen kennt mich jeder (deutet wieder auf seinen rechten Unterarm, auf dem „Chaos“ zu lesen ist)
… dann gibt’s noch meinen „Wix-Kobold“ (zeigt auf die Rippen), der aussagt: „Ihr könnt mich mal alle, ich tu was ich will“ … Das hier (fährt sich mit Daumen und Zeigefinger einmal quer über den Bauch) ist der Schriftzug meines ehemaligen Motorradclubs ‚Gremium‘. Ich hab das nach dem Ausstieg zu „Germany“ umändern lassen … Der Löwe (auf der linken Brust), weil ich ein Bayer bin und das auch mein Sternzeichen ist … der Teufel (auf der rechten Brust), weil ich selbst a narrischer Deife bin … und die Indianerfedern (rechter Oberarm) deshalb, weil mich die Kultur der Ureinwohner Amerikas fasziniert … die Totenschädel (linke Schulter) sind jetzt neu hinzugekommen, das sind die Geister derjenigen Freunde, die gegangen sind … Ja, wie gesagt, alle Tattoos haben ihren Sinn.
„Die Braven kommen in den Himmel, die bösen überall hin“
Und das „Bad-Boy“-Tattoo: Siehst Du Dich selbst als „böser Junge“?
Hin und wieder, ja (schmunzelt). Es gibt ein Sprichwort: Die Braven kommen in den Himmel, die Bösen kommen überall hin (lacht). Aber ohne Schmäh: Ich hab‘ eben meine eigenen Philosophien. Ich glaube auch nicht an Gott. Gott ist in meinen Augen nur eine Erfindung des Menschen, um für alles eine Ausrede zu haben.
Bist Du ein eitler Mensch?
Ja, was den Körper angeht sehr. Ich bin jetzt nicht der Anzug- und Krawattentyp. In der Bikerhose oder Jeans, in Cowboy-Stiefeln oder Turnschuhen fühl ich mich am wohlsten.
Thema Frauen: Wie sieht’s da bei Dir aus?
Ich bin nach wie vor auf dem Freien Markt verfügbar. Ich bin da etwas heikel, es muss schon eine besondere Frau sein – weil sie bekommt ja schließlich auch einen Astralkörper (lacht). Torschlusspanik hab‘ ich jedenfalls keine. Wenn ich 70 bin, such‘ ich mir eine vom Roten Kreuz (lacht).
„Scheiß‘ auf C-Dur – ich will Rock and Roll“
Welche Interessen hast Du neben dem Kraftsport?
Ich hab‘ vor zwei Jahren mit dem Gitarre spielen wieder angefangen. Ich weiß jetzt auch nicht, ob ich’s Dir antun soll (lacht und blickt ins Wohnzimmer, wo die E-Gitarre steht). Joey, mein Tätowierer, bringt mir das gerade bei. Ich hab‘ als allererstes aber Trompete gelernt, weil mein Opa acht oder neun Instrumente gespielt hatte.
Ich durfte die ersten Monate nichts Anderes als C-Dur spielen – und konnte das Wort ‚C-Dur‘ dann irgendwann nicht mehr hören – weshalb ich zum Vater gesagt habe: Gitarre spielen wär schon cooler. Mein Gitarrenlehrer damals hat dann in der ersten Stunde gesagt: ‚Rupert, jetzt lernen wir C-Dur‘. Und ich nur so: ‚Scheiß‘ auf C-Dur – ich will Rock and Roll‘ (lacht) … naja, ich hab‘ mir dann eben vor zwei Jahren gedacht: Ein paar Riffs würden schon reichen, um Stücke von ACDC oder Led Zeppelin zu begleiten. Joey amüsiert sich immer köstlich, wenn ich wieder mal einen cholerischen Anfall bekomme, wenn’s nicht so funktioniert wie ich’s mir vorstelle. Ich schrei‘ dann kurz mal alles raus – und danach geht’s mir wieder besser. Es ist so: Mich interessiert keine Musiktheorie, ich will kein Musikprofessor werden. Akkordgriffe, die ich nachspielen kann, mehr brauch‘ ich nicht. Und dann gibt’s eben mal „Whole lotta Love“ von Zeppelin, volle Lautstärke (lacht).
„Kein Verständnis für Leute, die sagen: ‚Das kann ich nicht!‘
Wie ehrgeizig bist Du, wenn Du etwas Neues lernst?
Für mich gibt es das nicht: etwas nicht können. Es gibt Menschen, die können etwas besser als andere, weil sie das Talent haben. Und es gibt welche, die müssen sich alles erarbeiten. Aber wenn jemand von vornherein sagt: ‚Das kann ich nicht!‘ – dafür hab‘ ich ehrlich gesagt kein Verständnis. Bei mir läuft das so: Wenn ich mir etwas in den Kopf setze und das Ziel dann irgendwann erreicht habe, dann kann es vorkommen, dass ich im Moment des Erreichens wieder damit aufhöre.

Rupert Wick: „Jammere nicht über die Dinge, die du gern hättest – sondern freue dich über das, was du hast. Damit kommst du im Leben weiter.“
Ich habe damals etwa mit Spanisch lernen angefangen und war richtig gut – nach drei Monaten hab‘ ich wieder aufgehört. Genauso wie die Ölmalerei. Ich war ein großer Verehrer von Bob Ross, als ich in den 90ern häufiger in Amerika war. Wenn Du nicht einschlafen konntest, hast Du den Fernseher angemacht, hast Bob Ross geschaut – und im Nu warst Du im Land der Träume (lacht). Auch heute noch. Jedenfalls hab ich mir vor fünf Jahren eine Staffelei mit Leinwand gekauft – und irgendwann zu malen begonnen. Keiner hatte mir’s zugetraut, jeder hat gesagt: ‚Lass es, das wird nix!‘ Ich hab geantwortet: ‚Jeder kann das! Probieren muss man’s halt‘.
„Ich kann das ganze Gejammer nicht mehr hören“
Hat’s denn dann geklappt mit der Malerei?
Meine ersten Versuche waren miserabel. Aber dann ist irgendwann der Knopf aufgegangen – und die Bilder wurden richtig gut. Mittlerweile hab‘ ich sogar schon einige meiner Werke verkaufen können. Gute Freunde bekommen eins geschenkt. Nochmal: Ich arbeite so lange an einer Sache, bis ich selbst mit dem Ergebnis zufrieden bin – oder ich irgendwann einsehe, dass etwas auch nach mehrmaligem Probieren nicht hinhaut. Eins möchte ich nie sagen müssen, wenn ich alt und grau bin: ‚Hätte ich dieses doch gemacht, hätte ich jenes doch probiert‘. Ich möchte sagen können: ‚Auch wenn’s vielleicht nicht immer geklappt hat – aber ich hab’s zumindest versucht‘.
Das ist das, was viele Leute als eine sehr positive, intensive Lebenseinstellung bezeichnen würden. Was meinst du, trifft folgendes Motto auf Dich zu: Jeden Tag so zu leben, als wäre es der letzte?
Ganz ehrlich? Ich kann das ganze Gejammer heutzutage nicht mehr hören – rund um den Euro, die Wirtschaftskrise und was weiß ich. Ich frag‘ mich, ob’s uns denn heute eigentlich schlecht geht? Schlechter als vor 20 Jahren? Die meisten Leute können sich alles leisten, haben riesige Häuser mit drei Fernsehgeräten, teilweise zwei Autos, eine Familie, gute Jobs. Aber alle jammern nur. Zu denen kann ich echt nur auf gut Boarisch sagen: brunzdumm! Mein Rat für diese Leute: Jammere nicht über die Dinge, die du gern hättest – sondern freue dich über das, was du hast. Damit kommst du im Leben weiter. Was meine persönlichen Probleme anbelangt, sei’s gesundheitlich oder anderweitig, geh‘ ich immer vom schlimmsten Fall aus, der eintreten könnte. Weil dann ist’s nur noch halb so schlimm, wenn’s tatsächlich so passiert.
„Hatte noch nie ein Problem damit, dass ich im Rollstuhl sitze“
Diese Einstellung, die Du hast – hat die etwas mit Deinem Schicksal zu tun? Also damit, dass Du im Rollstuhl sitzt?

„Ich bin damals mit 18 Jahren mit dem Auto die Böschung hinabgestürzt – und hab‘ mir dabei das Kreuz gebrochen.“
Das ist schwierig zu sagen. Ich war damals 18 Jahre alt. Aber ich hatte noch nie ein Problem damit, dass ich im Rollstuhl sitze – das haben viele immer nur nicht kapiert.
Wie ist das damals genau passiert?
Es war der 7. August, sieben Tage nach meinem Geburtstag. Ich bin ins Fußballtraining nach Röhrnbach gefahren, auf der alten B12. An Oberndorf vorbei – und in der letzten Kurve kommt mir einer entgegen, fast schon auf meiner Seite, weil er die Kurve geschnitten hat. 65, 70 waren auf dem Tacho; ich wollte noch ausweichen, bin aber dann aufs Bankett gekommen, mit meinem Auto die Böschung hinabgestürzt – und hab‘ mir dabei das Kreuz gebrochen.
„Mach‘ mir das Leben nicht so schwer wie das andere tun“
Klingt alles sehr nüchtern, wie Du das heute erzählst …
Das hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber: Eigentlich war der Unfall eine positive Sache für mein Leben. Ich erklär’s Dir: Wenn mir der Unfall nicht passiert wäre, wäre mein Leben genauso verlaufen wie bei den meisten Leuten. Ich hätte wahrscheinlich weiter Fußball gespielt, wäre vermutlich, wie so viele heute, geschieden, hätte Schulden aufs Haus und zwei depperte Kinder (lacht).

Für seinen Kumpel, den bayerischen Liedermacher und „Isarindian“ Willy Michl, hat Wick eigens ein Porträt via Löttechnik gefertigt.
Aber durch dieses Ereignis hat mein Leben eine ganz andere Richtung bekommen. Ich habe Menschen kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte. Ich habe so zu meinem Sport gefunden, den ich anders nie in Erwägung gezogen hätte. Ich bin dadurch in der Welt rumgekommen und hab‘ gelernt das Leben zu schätzen. Auch wenn ich öfters eine voglwuide Sau bin – jeder, der mich kennt, weiß, dass ich total naturverbunden bin. Ich liebe meine Heimat, den Bayerischen Wald. Ich bin gern in Gran Canaria – aber nach zehn Tagen leg‘ ich da unten ein Ei, weil’s mich zurückzieht in den Woid. Mir daugt’s do.
Bemerkenswert.
Ich mach doch gar nix. Ich mach mir das Leben einfach nicht so schwer, wie das andere tun. Warum soll ich jammern, wenn ich sehe, wie schlecht es anderen geht? Da bin ich froh, dass es bei mir so ist, wie’s ist … Wenn mich einer meiner Kumpels fragt, ob ich klar damit komme, dass ich im Rollstuhl sitze, antworte ich immer: ‚Wenn ich mir deinen tollpatschigen Gang so anschau‘, bin ich froh drum, dass ich fahren kann‘ (lacht). Meine Spezln kennen halt meinen Humor … Mein Leitsatz lautet: Lieber gut gerollt als blöd gelaufen (lacht).
„Keiner hat mir zugestanden schlecht drauf zu sein“
Schiebst Du auch mal eine Krise?
Sicher, das macht jeder. Was mich in den ersten Jahren vor allem genervt hat: Keiner hat mir zugestanden, mal schlecht drauf zu sein. Hatte ich schlechte Laune, haben‘s die Leute immer gleich auf das hier bezogen (deutet auf seinen Rollstuhl). Aber das Schlecht-drauf-sein rührte eben nicht von dem Bewusstsein her, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen kann. Sondern das hatte mit körperlichen Dingen zu tun, wie: Ich konnte nicht mehr lange sitzen, weil ich kein Sitzfleisch mehr habe. Aber man gewöhnt sich mit der Zeit auch an die Schmerzen. Es hilft eh nix. Zu Hause rumsitzen und Trübsal blasen wollt‘ ich nicht.

Den Bayerischen Löwen hat Wick für seine sportlichen Erfolge vom ehemaligen Staatsminister Erwin Huber überreicht bekommen
Was glaubst Du: Haben die Leute Mitleid mit Dir?
Die, die mich kennen, nicht (lacht lauthals). Hab‘ ja ich nicht mal ich eins mit mir … Nein im Ernst: Was soll ich jammern? Ich war vor drei Jahren in der Klinik in Murnau. Mein Zimmerkollege war ein junger Bursch, der sich im Urlaub das Genick gebrochen hatte. Der konnte nicht mal mehr die Schulter heben. Der ist arm dran und bemitleidenswert. Ich kann meine Finger bewegen, meine Arme und bin noch einigermaßen fit im Kopf (lacht). Die Füße sind nicht so wichtig. Ich kaufe mir heute Turnschuhe, die ich in 20 Jahren immer noch trage – und die Sohle ist wie neu (lacht).
„Eltern sind mit meinen Witzen nicht klargekommen“
Wie wichtig ist für Dich Humor?
Sehr wichtig. Meinen Humor hat der Chefarzt vom Freyunger Krankenhaus, Dr. Reithmeier, immer gut verstanden. Meine Eltern hingegen weniger. Sie sind mit meinen Witzen früher nicht klargekommen, hatten mit meinem Schicksal stark zu kämpfen. Mittlerweile können sie aber auch mitlachen. Aber das ist ja auch eine alte Regel: Derjenige, der betroffen ist, kommt meistens besser mit der Sache klar als die Angehörigen. Wenn ich daran denke, was für eine wilde Sau ich früher mit dem Moped gewesen bin – und heute mach‘ ich mir auch Sorgen um meinen 17-jährigen Neffen. Und dann versteht man eben auch die eigenen Eltern wieder …
Rupert, danke dass Du Dir Zeit genommen hast.
Interview: Stephan Hörhammer
[…] Das gesamte, wirklich bemerkenswerte Interview könnt ihr hier nachlesen: Rupert Wick im Hogn-Interview […]