Passau/Wien. „bisjetzt“ heißt das Programm, mit dem der österreichische Kabarettist und Schauspieler Alfred Dorfer („Indien“) sein aktuelles Publikum verzückt. Ein „Best of“, das nicht so richtig eines sein will. Im Hog‘n-Interview spricht der scharfsinnige Dorfer über Ähnlichkeiten zwischen dem österreichischen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und dem deutschen Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Er zeigt auf, wieso bei der Lösung der Euro-Krise große Abhängigkeiten im Spiel sind – aber auch viel Hosenscheißerei. Und erklärt die Steigerungsform „Diebe, Räuber, Immobilienmakler“, warum Lachen eine Art Schuhlöffel sein kann und warum Mussolini eigentlich ein Freund der Satire gewesen sein muss.

Da Dorfer, wie ihn sein Publikum liebt: posierend, schonungslos offen, scharfsinnig, bissig, wienerisch. F: Hubert Mican
Herr Dorfer: Gibt es Unterschiede zwischen dem Publikum in Bayern und in Österreich?
Es gibt meiner Erfahrung nach im ganzen deutschen Sprachraum viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Zum Beispiel lacht man immer gern über die Andern. Über sich selbst zu lachen dagegen, fällt allen erst einmal schwer. Die Schweizer tun sich damit aber am härtesten. In Wien dagegen lacht man sehr gern über sich selbst. Für mich gehört Bayern zum eigenen Kulturkreis. Und ich sehe eigentlich keinen Unterschied zwischen der Zusammensetzung und der Stimmung eines Publikums in Passau oder einer österreichischen Stadt.
Man schiebt die Dinge vor sich her und wartet auf die Fee
Sie betonen in Ihrem Programm immer wieder, dass man mitdenken müsse. Welche Fähigkeit zum Mitdenken erwarten Sie vom durchschnittlichen Besucher ihres Kabaretts?
Die Erwartungen, die ich an mein Publikum habe, sind sehr hoch. Wer ins Kabarett oder ins Theater geht, ist dazu bereit. Und bringt das entsprechende Vorwissen mit.
Verlangt Ihr Programm viel Vorbildung?
A bissal Vorbildung ist natürlich notwendig. Aber so wahnsinnig ausgeprägt muss die nicht sein. Man formuliert das Ganze ja auch so, dass sie es verstehen. Generell spiele ich in Deutschland wenig österreichische Inhalte. Es geht ja nicht darum, woher man kommt, sondern darum, was man zu sagen hat. Und woher ich komme hört sowieso jeder (lacht).
Politik spielt in Ihrem Programm eine große Rolle. Wie sehen Sie die Rolle der Politiker in der Euro-Krise? Kapieren die nicht, was da passiert? Wollen die das Problem rausschieben? Oder sind sie einfach nur gekauft?
(lacht) Ich würde sagen, da haben Sie die wichtigsten Elemente schon aufgezählt. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allen Dreien. Ich verstehe es selbst nicht so ganz. Es sind auf alle Fälle große Abhängigkeiten im Spiel, aber auch viel Hosenscheißerei. Man schiebt die Dinge aber auch vor sich her, weil man offenbar in der kindlichen Annahme oder Hoffnung lebt: Vielleicht kommt doch noch von irgendwo eine Fee daher, die die ganzen Probleme wegzaubert. In der Hinsicht hat das Alles natürlich auch viel mit Blödheit zu tun …
Norddeutsche schauen auf Bayern und Österreicher herab
Wenn Sie Politiker an ihren Aufgaben scheitern sehen, schlagen dann zwei Herzen in Ihrer Brust – als Satiriker und als Demokrat?
Zunächst Eines vorausgeschickt: Ich würde diesen Job nicht machen wollen. Bei aller berechtigter Kritik – ein politisches Amt ist oft sehr schwierig auszuführen. Die Angreifbarkeit von den verschiedensten Seiten ist sehr groß. Wenn man Demokratie ernst nimmt, muss man aber auch frustriert sein, wenn man sieht, wie Politiker immer wieder an ihren Aufgaben scheitern. Natürlich sieht man manche Politiker lieber als andere scheitern (lacht). Was als Satiriker wichtig ist: Dass man gewisse Grenzen einhält bei seiner Kritik. Die Würde des Kritisierten sollte man immer wahren. Jemanden persönlich anzugreifen ist billig, das kann ich auch am Stammtisch machen. Die Kritik sollte das Amt und nicht die Person treffen.
Wenn man sich die Leistung der Politiker ansieht – gibt es Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich?
Was mir aufgefallen ist: Die Norddeutschen halten sich selbst für so präzise und korrekt. Auf die Bayern und die Österreicher schauen sie immer etwas herab, halten uns für wildes Bergvolk. Sie unterstellen uns gerne eine gewisse Laxheit und Bequemlichkeit. Bei der Affäre um den Ex-Bundespräsidenten Wulff oder aber auch der nachlässigen Behandlung des Rechtsterrors, hat sich aber doch gezeigt, dass es mit der protestantischen Korrektheit auch nicht immer so weit her ist …
Mit Karl-Heinz Grasser und Karl-Theodor zu Guttenberg hatten Männer vom Typ Wunschschwiegersohn in Österreich und in Bayern politischen Erfolg. Is „a bissal schee schaun und a bissal schee redn“ der neue Königsweg in der Politik?
(im Wiener Dialekt) Schee redn, schee frisiert sei und es moralisch nicht so ganz genau nehmen, mehr glänzen als sein (lacht) … doch da gibt es einige Ähnlichkeiten zwischen Grasser und Guttenberg. Aber: Trotz aller abgeschriebenen Dissertationen muss ich zugestehen, steht der Guttenberg intellektuell scha nu a bisserl drüber überm Grasser.
Politiker waren früher optisch kein Gewinn…
Liegt es an den Medien, dass dieser Typ Politiker heutzutage Erfolg hat?
Naja, schauen Sie sich mal an, wie Politiker früher, vor etwa 30 Jahren ausgesehen haben. Das waren alte dicke Menschen, zumeist Männer. Nach heutigen Gesichtspunkten waren die optisch kein Gewinn. Heutzutage lässt man sich gern mal mit der Ehefrau fotografieren, zeigt auch Privates, zeigt, dass man auch a bissal Body-Buliding macht. Mit dem guten Aussehen wird dann aber auch oft über das Fehlen von Inhalten hinweggetäuscht.
Die größten Versäumnisse der Politik heutzutage sind aus Ihrer Sicht?
Bei uns in Österreich würde ich sagen, ist es die Bildungspolitik. Schule wird nur noch als Ausbildungszentrum für die Wirtschaft gesehen. Früher achtete man darauf, dass junge Menschen von allem etwas wissen. Heute bildet man Fachidioten und Spezialisten aus. Die sind leichter zu regieren, weil sie das analoge Denken verlernt haben. Es geht auch immer mehr in die Richtung, dass Bildung nicht mehr jedermann zugänglich ist. Verschiedene Klassen bilden sich heraus. Wer es ich leisten kann, schickt seine Kinder auf die Privatschule, dort bekommen sie eine gute Ausbildung. Normale Schulen werden vernachlässigt. Die Folgen dieser Entwicklung werden wir erst in einigen Jahren sehen.
Immobilienmakler als legalisierte Form des Raubes
Eine Aufzählung in Ihrem Programm lautet: Diebe, Räuber, Immobilienmakler. Ist das als Steigerung gedacht?
Ja natürlich ist das eine Steigerung. Der einfache Dieb handelt oft nur aus Verzweiflung. Ein Räuber dagegen verspürt schon eher Lust daran jemandem etwas wegzunehmen. Und der Immobilienmakler, das ist die legalisierte Form des Raubes. Auch Finanzspekulationen fallen eigentlich unter legalisiertes Verbrechen.

Dorfers Bühnen-Programm: Eine Mischung aus Mitdenk-Witz und einfachen Schenkelklopfern. Foto: Hubert Mican
Sollte der Staat dann nicht etwas gegen diese Leute unternehmen?
Das wird nicht geschehen, weil der Staat mit drin hängt. Ich wäre sehr dafür, diese legalisierten Verbrechen zu verbieten. Ich weiß aber gleichzeitig, dass das ein sehr naiver Standpunkt ist, so etwas vom Staat zu verlangen.
Das Lachen ist für mich ein Werkzeug, eine Art Schuhlöffel
In Ihrem Programm mischen Sie witzige Geschichten, bei denen man ein wenig mitdenken muss, mit einfachen Schenkelklopfern, wie etwa der Geschichte vom in der Pubertät einsetzenden überproportionalen Muskelwachstum im rechten Unterarm bei jungen Burschen. Machen Sie das ganz bewusst?
Ja, diesen Wechsel setze ich ganz bewusst ein. Ich finde, das Einfache und Komplizierte hat im Leben nebeneinander Platz – warum dann nicht auch auf der Bühne? Mir geht es nicht darum etwas zu machen, was mit dem Leben nichts zu tun hat. Und: Ein blöder Witz macht auch mir Spaß. Da kommt kindliche Freude in mir auf. Ich weiß nicht, warum ich auf diesen Spaß verzichten sollte. Nur damit nachher niemand kommt und sagt (wechselt in einen norddeutschen Tonfall): „Das hat aber jetzt kein Niveau gehabt.“
Wie wichtig ist das Lachen in einem Kabarettprogramm?
Für mich ist das Lachen eine Art Schuhlöffel. Wie ein Werkzeug, mit dessen Hilfe man die Inhalte leichter „in“ den Mann oder die Frau bringen kann. Mit dem Lachen geht das viel leichter, als wenn Du auf dieses Mittel verzichtest. Reine Tragödien erzielen beim Publikum viel weniger Wirkung. Man muss den Zuhörer erst einmal öffnen.
Muss es im Hals stecken bleiben?
Die Mischung macht es. Zwei Stunden Schenkelklopfen ist nichts. Aber wenn Du den Leuten zwei Stunden lang mit einer ernsten Miene deine persönlichen Probleme zumutest, ist es auch nichts.
Sie haben in einem Interview die Geburt Ihres Sohnes als etwas bezeichnet, das Sie sehr bewegt hat. Haben Sie seither eine andere Sicht auf die Welt, machen Sie Kabarett heute anders?
In meinem Fall muss ich sagen: Ja, das hat meine Sicht auf die Dinge verändert. Du bist plötzlich eingebunden in einen Generationswechsel. Du hast dieses Kind als eine Art Spiegel, der mitwächst. Man wird verantwortungsvoller. Auch beim Schreiben eines Programms, wägt man manche Sachen etwas länger ab.
Dinge, die Du erreichst, sind nicht Dein Verdienst
Der Titel ihres Programms lautet „bisjetzt“ – wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Leben „bis jetzt“?
Im Grunde genommen habe ich genau so viel Blödsinn gemacht wie alle anderen. Vieles würde man heute sicher besser machen. Aber ich habe keinen sentimentalen Zugang zur Vergangenheit. Ich kann das gut so nehmen, wie es passiert ist – auch Dinge, die ich im Rückblick nicht okay finde.
Sind Sie stolz auf das, was Sie erreicht haben?
Dieses Wort kommt in meinem Vokabular nicht vor. Dinge, die Du erreichst, sind zum Großteil nicht Dein Verdienst. Es geht eigentlich immer um ein günstiges Zusammentreffen von Zeit und Ort und ein bisschen Talent. Wenn, dann würde ich also eher von Dankbarkeit sprechen.
In Ihrer Diplom- und in Ihrer Doktorarbeit haben Sie sich mit dem Thema „Totalitarismus und Kabarett“ beschäftigt? Was war dabei Ihre wichtigste Erkenntnis?
Überraschend war für mich, dass Satire in den verschiedenen Systemen die verschiedensten Rollen einnehmen kann. Es geht nicht immer darum, dem System weh zu tun oder die Herrschenden lächerlich zu machen. Oft nützt Satire auch den Mächtigen, wenn sie etwa einer Meinung mit ihnen ist, wie das im faschistischen Italien unter Mussolini der Fall war. Satire kann viele Gesichter haben und sie muss bei weitem nicht immer links sein.
Lieber Herr Dorfer, herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.
Interview: Christian Luckner