Ich will ehrlich sein: Der einzigen Song auf Schwedisch, der mir bislang bekannt war, ist Idas Sommerlied aus dem Kinderfilm „Michel bringt die Welt in Ordnung“, Jahrgang 1973. Wer kann sich nicht an das kleine Mädchen mit den langen Zöpfen erinnern, das mit ihrem Bruder Michel auf den grünen Wiesen herumtollt, durch kristallklare Bäche watet, blühende Margerithen pflückt und saftige Erdbeeren zupft? Das ist für mich Schweden – Astrid Lindgren eben. Und die schwedische Nationalhymne. Und die Band ABBA, die 1974 mit Waterloo den Eurovision Song Contest gewann. Gesungen wurde auf Englisch. ABBA schaffte damit den internationalen Durchbruch und brachte es zu Weltruhm. Seither tummeln sich regelmäßig schwedische Pop-, Rock- und Indie-Bands in den Charts: Roxette, Ace Of Base, Robyn, Lykke Li, The Hives oder Europe. Lauter englisch singende Schweden.
Wie um alles in der Welt kommt dann die momentan wohl größte skandinavische Rock-Band Mando Diao auf die Idee, ein komplettes Album auf Schwedisch einzuspielen? Schuld daran ist die Cousine von Sänger und Gitarrist Gustaf Norén: Zum 100. Todestag von Schwedens Vorzeigelyriker Gustaf Fröding (1860-1911) war sie als Mitarbeiterin der Bibliothek von Uppsala gerade beim Organisieren der entsprechenden Feierlichkeiten. Prompt bat sie die Band, einen Text von Fröding zu vertonen. Jetzt ist daraus mit „Infruset“ ein ganzes Album geworden.
„Es war magisch, sich den Texten in unserer Muttersprache zu widmen“
Die Gedichte Frödings lieferten Mando Diao reichlich Inspiration: einerseits sind es romantische und Sehnsucht weckende Lobeshymnen an die Natur. Andererseits spielen auch gesellschaftliche Themen zu Frödings Lebzeiten eine Rolle: Beziehungsschwierigkeiten zwischen Teenagern und Müttern, Alkoholprobleme und Prostitution. Frödings Leben war eine reine Tragik: Frauen und Alkohol zerstörten ihn. Einmal musste er sich gar vor Gericht verantworten, weil die Schilderung eines jugendlichen Geschlechtsverkehrs in einem seiner Werke als obszön eingestuft wurde. Dazu kamen viele Aufenthalte in Nervenheilanstalten aufgrund seiner psychischen Probleme. Den Erfolg seiner Gedichte nahm er auch deswegen oft gar nicht wahr.
Eigentlich erfüllte er mit seinem exzentrischen und sorgenschweren Lebensstil all die Klischees, die ein Meister seines Fachs häufig mitbringt. Vielleicht war er damals schon der „Rock ’n‘ Roll“-Star unter Schwedens Lyrikern. Kein Wunder also, dass sich nun Mando Diao an diesen bedeutenden Künstler heranwagen: „Mando Diao auf Schwedisch ist etwas, das wir schon eine Zeit lang tun wollten. Es war uns immer eine Herzensangelegenheit“, erzählt Sänger und Gitarrist Björn Dixgard. Und Gustaf Norén ergänzt: „Wir haben keine besonders guten Texte auf Englisch, weil wir die Sprache nicht zu 100 Prozent beherrschen. Somit war es geradezu magisch, sich den Texten in unserer Muttersprache zu widmen.“
Herausgekommen ist etwas ganz anderes als bei der letzten CD „Give Me Fire“ (2009). Mit „Dance With Somebody“ hatten sie damals gar den meist gespielten Radio-Song des Jahres. Bei „Infruset“ gibt’s dieses Mal nicht den typischen 70er-Jahre-Rocksound, der die Gruppe prägt. Stattdessen erklingen Balladen, die von leisen, akustischen Gitarren, dezenten Pianos, einem warmen Vibraphon und tragenden Streichern untermalt werden. Die Veröffentlichung im November scheint dabei ein gut gewähltes Datum zu sein: die melancholische, geheimnisvolle und nachdenkliche Stimmung der Songs passt einfach hervorragend zur herbstlichen oder winterlichen Stimmung.
Man kann den Jungs aus Borlänge für so viel Mut nur gratulieren
Trotz der leiseren Töne schmeckt das Ganze dennoch nach 70er-Jahre. Aber eben mehr nach Folk, weniger nach Rock. Der Gesang von Gustaf und Björn drücken der Platte ihren Stempel auf. Außerdem ist Dixgards Schwester Linnea bei einigen Songs mit von der Partie. Es klingt so, als ob man schon immer schwedische Platten gehört hätte. Es ist unverkennbar Mando Diao. Vielleicht sogar authentischer als je zuvor. Man kann den Jungs aus Borlänge nur gratulieren, den Mut für solch ein ambitioniertes Projekt bewiesen zu haben.
Manche Kritiker meinen es wäre besser gewesen, für dieses Konzeptalbum einen anderen Bandnamen zu wählen. So, wie etwa bei ihrem anderen Projekt „Caligula“, mit dem Gustaf und Björn gemeinsam mit anderen Künstlern heuer den Hit „Forgive Forget“ landeten, in Schweden damit aber trotzdem nicht so recht beachtet wurden. Aber mit „Infruset“ stehen sie jetzt sogar in ihrem Heimatland an der Spitze der Charts. Dennoch: Dass Mando Diao mit diesem anspruchsvollen, künstlerischen Werk in Europa eine radiotaugliche Platte abgeliefert haben, ist sehr unwahrscheinlich. Für den Fan allerdings führt daran kein Weg vorbei. Auch für alle anderen, die die harten und kalten Wintermonate depressionsfrei überstehen wollen, ist „Infruset“ ein schönes Weihnachtsgeschenk. „Infruset“ heißt übersetzt „eingefroren“: Mit einem Glas Rotwein vor dem wärmenden Kachelofen in der heimischen Stube taut man dazu gemütlich auf und träumt von der schönen, verschneiten und romantischen skandinavischen Landschaft. Eines zeigt die Platte auf jeden Fall: auf Schwedisch zu singen funktioniert nicht nur bei Michel aus Lönneberga.
Jason Ditshej