-Adverticle-
Neuschönau. Als ich auf den Parkplatz des Baumwipfelpfades im Nationalpark Bayerischer Wald fahre, steht dort nur noch eine Handvoll Autos. Ich komme, als fast alle anderen schon weg sind: Im August hat der Baumwipfelpfad am Donnerstagabend länger geöffnet. Letzter Einlass ist um 19 Uhr. „Tagsüber war es hier heute trotz 30 Grad und mehr ziemlich voll“, sagt Pfadführer Hans Haller und lächelt. Der 78-Jährige wird mich hinauf begleiten auf das 44 Meter hohe „Baumei“, wie viele den Turm am Ende des Baumwipfelpfades nennen. Dort oben möchte ich heute den Sonnenuntergang genießen.
Gemütlich schlendern wir los – und ich höre hinter uns noch, wie die Kassiererin am Telefon durchgibt, dass sich eine Gruppe aus drei Erwachsenen sowie eine Familie ebenfalls so spät noch auf den Weg gemacht hat. Sonst ist heute niemand mehr unterwegs. Der Baumwipfelpfad liegt einsam und verlassen vor uns, langsam beginnt die Sonne hinter den Bäumen zu versinken. Mit dem Wetter habe ich großes Glück: Von Zuhause losgefahren, hatte es dort stark geregnet und gewittert. Hier ist es trocken, der Himmel klar bis auf ein paar Wolken am Horizont. Noch immer ist es warm – jetzt aber angenehm warm, nach einem sehr heißen Sommertag mit mehr als 30 Grad.
Hans Haller: „Ich bin gerne an der frischen Luft“
„Ich gehe heute nicht zum ersten Mal hier rauf“, sagt Hans Haller. „Ich bin seit halb zehn da.“ Als Pfadaufsicht und Pfadführer sei er den ganzen Tag über auf dem Baumwipfelpfad unterwegs, achte darauf, dass Kinder nicht das Geländer hoch turnen – oder helfe, wenn bei jemandem in der Sommerhitze der Kreislauf schlapp macht. Passiert ist ihm zufolge auf dem Baumwipfelpfad jedoch noch nie etwas Schlimmeres. „Heute sind einem älteren Besucher seine Krücken über das Geländer gerutscht“, sagt der 78-Jährige – und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er sei nach unten gegangen und habe sie ihm wiedergeholt. Als einmal einer Dame ihr nagelneues Hörgerät in die Tiefe gefallen war, habe er – trotz längerer Suche – allerdings nicht mehr helfen können…
Zweimal am Tag macht Haller Führungen für angemeldete Pfadgäste. Ihnen erzählt er dann all die interessanten Dinge über den Pfad und den Wald, die auch ich jetzt erfahre. Dass er heute aufgrund der relativ wenigen Abendbesucher zwei Stunden länger da bleiben muss, mache ihm nichts aus: „Ich bin gerne an der frischen Luft“, versichert er.
Vor sechs Jahren hat der ehemalige Volksschullehrer die Ausbildung zum Waldführer absolviert. Dass er den Leuten mit Vergnügen erklärt, wie man Tanne von Fichte unterscheidet, ihnen die Borkenkäfer zeigt und sie leidenschaftlich davon überzeugt, dass der Wald sich von dieser „Plage“ schneller erholt als man denkt, das merkt man ihm schnell an. Er hat Fotos dabei von den strengen Wintern im Bayerischen Wald, die es früher gab, erzählt die Geschichte der Schneekirche in Mitterfirmiansreut, die Lusensage und vieles mehr.
32 Millionen Euro, 90.000 Schrauben, 780 Meter lang
Am meisten beeindruckt mich, als Hans Haller mehrmals kräftig gegen eine Fichte drückt, die dicht neben dem Pfad steht. Alles um mich herum gerät plötzlich ins Schwanken. „Aber das ist nur eine optische Täuschung“, sagt der Pfadführer und lacht. „Der Pfad bewegt sich nicht, das ist der Baum, der schwankt.“ Ich suche mir mit den Augen einen Fixpunkt in der Ferne – und sogleich ändert sich meine Wahrnehmung: Jetzt sehe ich, dass ich auf dem unbewegten Pfad stehe – und der Baum derjenige ist, der pendelt. Diesen Trick habe ich einmal von Industriekletterern gelernt: Wer unter Höhenangst leidet, sollte sich immer schnell einen festen Punkt suchen, an den er seine Augen quasi festklammert. Denn Schwindel kommt meist davon, dass die Augen in großer Höhe es eben nicht mehr schaffen, sich so einen Punkt automatisch zu suchen.
Wir gehen weiter und ich erfahre von Hans Haller ein paar Daten und Fakten zum Baumwipfelpfad: 32 Millionen Euro hat der Bau vor neun Jahren gekostet. 90.000 Schrauben sind hier verbaut. Auf dem 780 Meter langen Pfadsteg wandelt man gemächlich dahin – bis zu einer Höhe von 25 Metern über dem Boden.
Nach knapp eineinhalb Kilometern stehen wir am Ende des Pfades, am Fuße des „Baumeis“. Architekt Josef Stöger habe ursprünglich drei Türme bauen wollen, die oben in einer Plattform zusammenlaufen, werde ich unterrichtet. Um nach oben zu kommen, hätte man viele Treppenstufen steigen müssen. Doch dann hatte er – nach einem Gläschen Wein, wie das Gerücht besagt – die Idee, den Turm eiförmig zu gestalten. Rund um drei 38 Meter Hohe Bäume im Inneren und einen spiralförmig nach oben verlaufenden Steg. Nun gelangen wir also ohne eine einzige Treppenstufe bis auf 44 Meter Höhe. Der Steg hat maximal sechs Prozent Steigung. Auch mit Kinderwägen oder Rollstuhl kann er deshalb ohne weiteres bewältigt werden.
Haidel, Lusen und Rachel im Rundum-Panoramablick
Oben erwartet uns Hausmeister Ewald Gibis. Er hat Sekt bereitgestellt. Für zwei Euro kann man ein Gläschen kaufen und oben am Turm den Sonnenuntergang genießen. Außer dem Pfadführer und mir befindet sich hier oben nur noch die Familie, die sich kurz vor uns auf den Weg gemacht hatte. Die andere Gruppe hat bereits den Rückweg angetreten. Die Urlauber erzählen mir, dass sie vor ein paar Tagen schon mal tagsüber da war, jedoch vom Regen vertrieben wurde. Dann haben sie gesehen, dass der Baumwipfelpfad donnerstags länger geöffnet hat. Eine Gelegenheit, die sie sich nicht entgehen lassen wollten.
Nun können sie die malerische Bayerwald-Idylle (fast) ganz für sich alleine auskosten. Der Ausblick auf die Wogen des Bayerischen Waldes, im roten Lichte der untergehenden Sonne, ist ein ganz besonderer Moment. Haidel, Lusen und Rachel im Rundum-Panoramablick – wie auf einer Schnur aufgereiht. Es ist etwas dunstig, um auch Dreisessel und Arber in der Ferne zu sehen. Der rote Planet versteckt sich immer wieder mal hinter ein paar dichten Wolken, bevor er ganz verschwindet.
Hans Haller begleitet mich nach unten, kehrt dann aber noch einmal um: Auch die Urlauber-Familie soll nicht alleine den Turm hinuntersteigen müssen.
Tagsüber wäre der Weg nicht so angenehm gewesen
Als ich kurz vor 21 Uhr zum Auto zurückkomme, ist es immer noch hell, auch wenn die Sonne schon vor einer Viertelstunde hinter den Bayerwaldgipfeln verschwunden ist.
Weder Baumei noch Rückweg zum Parkplatz sind beleuchtet, was aber auch nicht nötig ist. Das Thermometer des Autos verrät mir: Immer noch 23 Grad. Und ich weiß genau: Tagsüber wäre der Weg hoch zu den Baumwipfeln heute längst nicht so angenehm gewesen. Und wenn der Himmel an einem der kommenden Donnerstage einmal noch etwas klarer ist und einen leuchtenden Sonnenuntergang ganz ohne Wolkenschleier verspricht – dann ist er absolut perfekt, der lange Abend am Baumwipfelpfad.
Sabine Simon
-Adverticle-
_________________________
(Transparenz-Erkärung: Wie fährt sich ein Elektroauto? Würde ich meine Führerscheinprüfung heut noch einmal bestehen? Wie “gefährlich” ist das Klettern in einem Hochseilpark? Oder: Wie gelingt ein richtiger Schweinebraten? Wir probieren’s für Sie und unsere Leser aus – stets offen und ehrlich! Wenn auch Sie unser Ausprobiat-Team für Ihre Sache engagieren wollen, kontaktieren Sie uns einfach – und wir schicken Ihnen zum absolut freundlichen Ausprobiat-Preis eine kompetente, wagemutige und offenherzige Truppe vorbei, “bewaffnet” mit Bleistift, Papier, Foto- und Videokamera. Einfach eine Email mit dem Kennwort “Ausprobiat” an info@hogn.de senden – und wir melden uns umgehend bei Ihnen.)