Passau. In einer Chat-Gruppe mit rund 1.000 Mitgliedern aus dem Umfeld der Universität Passau soll es zu queerfeindlichen und antisemitischen Äußerungen gekommen sein. Die Polizei ermittelt nun aufgrund des Verdachts antisemitischer und volksverhetzender Beleidigungen. Drei studentische Hochschulgruppen kritisieren indes den Umgang der Universitätsleitung mit Vorfällen dieser Art. Diese verurteilt jegliche Form von Diskriminierung zwar, kann jedoch zum konkreten Chat-Gruppen-Fall nichts sagen. Und auch eine Grünen-Politikerin meldet sich zu Wort. Ein Stimmen-Überblick.
Im Folgenden geben wir zunächst die Pressemitteilung der Grünen Hochschulgruppe Passau (GHG), der Juso-Hochschulgruppe Passau (Juso-HSG) und der Liste der unabhängigen kritischen Student*innen (LUKS) vom 3. März im Wortlaut wieder:
„In einer großen Chat-Gruppe von Studierenden der Universität Passau kam es vor wenigen Tagen zu schwerwiegenden antisemitischen und queerfeindlichen Aussagen. Mittlerweile ermittelt deswegen auch die niederbayerische Polizei wegen Volksverhetzung. Zudem haben Studierende den Vorfall den Meldestellen RIAS und Strong! gemeldet. Die Grüne Hochschulgruppe (GHG), die Juso-Hochschulgruppe (Juso-HSG) und die Liste der unabhängigen kritischen Student*innen (LUKS) fordern nun eine klare Stellungnahme der Universitätsleitung gegen Antisemitismus und Queerfeindlichkeit, den Aufbau von Meldestellen und Angebote zur Unterstützung von Betroffenen sowie eine umfängliche Auseinandersetzung mit menschenfeindlichen Ideologien an der Universität Passau.
„… und sich hinter Toleranzfloskeln versteckt wird“
Dass eben auch Universitäten von Antisemitismus, Queerfeindlichkeit, Rassismus und Sexismus nicht frei sind, zeigte sich gerade in den letzten Jahren wiederholt. Besonders seit dem Pogrom am 7. Oktober letzten Jahres tritt Antisemitismus an Universitäten weltweit immer offensiver und deutlicher auf. Doch während es Anfang Februar durch einen Studierenden der Freien Universität Berlin sogar zu einer schweren Körperverletzung eines jüdischen Studierenden wegen antisemitischer Motive kam, schien es in Passau bisher eher ruhig zu sein. Doch die antisemitischen und queerfeindlichen Nachrichten machen deutlich, dass sich die gesellschaftlichen Tendenzen auch an der Universität Passau wiederfinden. Hierzu gab die Passauer Universitätsleitung am Mittwoch eine Stellungnahme gegen Diskriminierung, für Toleranz und Wissenschaftsfreiheit heraus.
„Antisemitismus und Queerfeindlichkeit müssen auch bei uns in Passau ernst genommen und bekämpft werden“, meint Rebekka Amann (Juso-HSG). „Seit Jahren leisten wir auf dem Campus schwere Arbeit, um auf Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung in der Universität hinzuweisen. Wir sind froh, dass sich nun auch die Universitätsleitung endlich positioniert und menschenfeindliche Positionen verurteilt. Doch zugleich müssen wir feststellen, dass das Statement der Universitätsleitung nicht in der Lage ist, das Problem, welches sich in den antisemitischen und queerfeindlichen Nachrichten zeigt, klar zu benennen und sich hinter Toleranzfloskeln versteckt wird.“
Die Hochschulgruppen kritisieren unter anderem, dass in der Stellungnahme der Universitätsleitung die katastrophalen Vorfälle nicht einmal erwähnt werden. Stattdessen werde nur allgemein auf Umgangsformen, Toleranz und die Freiheit der Wissenschaft verwiesen. So komme das Statement der Universität zusammenhangslos und der Vorfall werde letztlich unter den Teppich gekehrt. Ein Versagen, nennen es die Hochschulgruppen. Sie sind unzufrieden, denn wie in den vergangenen Jahren wird nach sexistischen, rassistischen und antisemitischen Vorfällen keine ernsthafte Konsequenz in der Universität gezogen, sondern nur möglichst großspurig auf Konsequenzen, Toleranz und die schwere Betroffenheit der Universitätsleitung verwiesen werde.
„Im schlechtesten Fall: Vorwurf der Nestbeschmutzung“
„Seit Jahren arbeiten wir und andere in der Universität gegen eine Wand, wenn es um die Aufarbeitung und Prävention von Menschenfeindlichkeit geht. Egal ob sexualisierte Übergriffe in Bibliotheken, rassistische und sexistische Ausfälle von Dozierenden oder antisemitische Chat-Nachrichten – im besten Fall gibt es als Reaktion große Worte und es wird kurzfristig versucht, kostengünstig zu simulieren, dass man ja etwas machen würde. Im schlechtesten Fall bekommt man den Vorwurf der Nestbeschmutzung, weil auf die Missstände hingewiesen wird. Gelder für Meldestellen und zur Betreuung von Betroffenen werden jedoch nicht bereitgestellt“, so Lorenz Elter (GHG). „Im Gegenteil!“ fügt Menja Lorenz (GHG) hinzu. „Die gesetzlich vorgeschriebene Ansprechstelle für Antidiskriminierung der Universität Passau ist noch immer nicht eingerichtet. Auch eine ernsthafte Sensibilisierung für die Probleme innerhalb der Universität scheint für die Universitätsleitung das private Problem einiger weniger zu sein“.
Nichtsdestotrotz ist man dankbar für die Stellungnahme der Universitätsleitung, heißt es von den Hochschulgruppen. Zu Recht wird mangelnde Zivilcourage kritisiert, denn wenn in der Chatgruppe von knapp 1.000 Mitgliedern nur eine Handvoll Personen es schaffen zu widersprechen, ist das unhaltbar. Allerdings geht das Problem tiefer, als dass es mit einigen kurzfristig organisierten Workshops der Polizei repariert werden kann. Die Pläne des Diversity-Audit für langfristige Anti-Diskriminierungsstrukturen sind in den Augen der Hochschulgruppen sehr gut, aber auch hier kritisieren sie, dass ein Plan, den man nicht umsetzt, mehr Schein als Sein ist. Über mehr als zwei Jahre haben dort über 50 Mitglieder der Universität, quer durch alle Statusgruppen und Fakultäten, getragen von der Vizepräsidentin für Internationales und Diversity Prof. Hansen und der Stabsstelle Diversity und Gleichstellung, Strukturen, Instrumente und Maßnahmen entwickelt, um diverse Personengruppen besser in den Hochschule einzubinden.
„Besonders ärgerlich ist es für uns, wenn wir Studierenden seit Jahren auf die Missstände hinweisen und dringend nötige Aufklärungsarbeit organisieren, aber damit in der Universität alleine auf weiter Flur stehen“, meint Lea Dahms, die studentische Senatorin der Juso-HSG. „Wenn etwas passiert, versucht die Universitätsleitung im Krisenmodus Schadensbegrenzung zu betreiben. Wir freuen uns sehr, dass sich nun auch die Universitätsleitung für die ‚Never again! Gegen autoritäre und faschistische Tendenzen‘-Veranstaltungsreihe des AStA/Sprecher:innen-Rates interessiert. Noch mehr würde uns allerdings freuen, wenn es ein dauerhaftes Interesse ist und nicht nur der panische Versuch, sich auf die Schnelle mit fremden Federn zu schmücken, damit es so aussieht, als wäre die Universitätsleitung seit längerem selbst schon aktiv.“
Uni-Leitung kann bislang keine Aussagen machen
Das Onlinemagazin da Hog’n hat die Leitung der Universität Passau um eine Stellungnahme zu den seitens der Hochschulgruppen erhobenen Kritikpunkte gebeten – und dazu folgende Antwort (ebenfalls im Wortlaut wiedergegeben) erhalten:
„Die Leitung der Universität Passau hat die gemeinsame Pressemitteilung der Grünen Hochschulgruppe Passau, der Juso-Hochschulgruppe Passau und der Hochschulgruppe LUKS Passau zur Kenntnis genommen. „Ich kann nur neuerlich klar und deutlich sagen, dass die Universitätsleitung jede Form von Antisemitismus und Diskriminierung in allen Bereichen der Universität verurteilt und keine Herabsetzung und Beschimpfung von Universitätsmitgliedern aufgrund ihres Geschlechts, Alters, ihrer ethnischen oder sozioökonomischen Herkunft, sexuellen Orientierung, Weltanschauung/Religion oder Behinderung duldet. Wenn uns entsprechende Vorfälle bekannt werden, reagieren wir angemessen,“ so Prof. Dr. Ulrich Bartosch, Präsident der Universität Passau.
Zu dem Vorfall der antisemitischen Aussagen in einem Chat von Studierenden der Universität konnte und kann die Universität bislang keine Aussagen machen, da es sich hierbei um ein laufendes Verfahren handelt, bei dem die Kriminalpolizei ermittelt. Da sich Studierende kurz nach dem Vorfall an die Polizei sowie das Bedrohungsmanagement der Universität gewandt hatten, war es der Universität möglich, die Ermittlungen von Anfang an zu unterstützen. Dieser Vorgang zeigt, dass die erforderlichen Ansprechpersonen an der Universität sowohl bereits vorhanden als auch bei den Studierenden bekannt sind. Zugleich wird an einer Weiterentwicklung dieser Strukturen gearbeitet.
Bartosch wünscht sich „Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit“
Im Falle von Diskriminierung, ebenso wie von sexueller Belästigung, Stalking und Mobbing, stehen allen Studierenden und Mitarbeitenden der Universität das Team des Bedrohungsmanagements sowie die Stabsstelle Diversity und Gleichstellung als zentrale Anlaufstellen zur Verfügung. Studierende mit psychischen Belastungen, in schwierigen Lebenssituationen oder persönlichen Krisen können sich zudem an die Psychologisch-Psychotherapeutische Beratungsstelle der Universität wenden.
„Für die Bewahrung und Fortentwicklung unserer Universität Passau, wie der Hochschulen insgesamt, als Raum des offenen Diskurses ohne Herabsetzung, Beleidigung und Übergriffigkeiten sind wir aufeinander angewiesen. Dieses betrifft alle Mitglieder der Universität. Ich bin dankbar, wenn diese Fragen mit hoher Aufmerksamkeit und kritischem Blick immer wieder neu aufgeworfen werden. Dabei wünsche ich mir, dass auch der Universitätsleitung Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit zugestanden werden“, so Präsident Bartosch, der seit Dezember 2023 zugleich Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ist.
„Das darf nicht akzeptiert werden“
Dazu ebenso zu Wort gemeldet hat sich die Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger, die in der Grünen-Bundestagsfraktion für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens zuständig ist. Sie sagt:
„Empathielosigkeit, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit sind in der Scheinanonymität des Internets leider die Regel und nicht die Ausnahme. Seit dem 7. Oktober kommt es in etlichen Gruppenchats zu antisemitischen Ausfällen. Das ist kein hinnehmbarer Zustand! Oft fehlt es gerade am Gegenwind und der Courage der Studentinnen und Studenten. Das gemeinsame Statement der Grünen und Juso-Hochschulgruppe mit der Liste der unabhängigen kritischen Studentinnen und Studenten der Universität Passau ist vollkommen klar. Ich wünschte viele ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen würden genauso handeln.
Dass in einer Chatgruppe mit 1.000 Mitgliedern nach antisemitischen und queerfeindlichuen Aussagen kaum Gegenstimmen zu hören sind, darf nicht akzeptiert werden. Hier sehe ich aber vor allem die Unileitung in der Pflicht. Man kann Antisemitismus und Queerfeindlichkeit nicht bekämpfen, wenn man sie abstrakt als Intoleranz und Diskriminierung begreift. Wir erleben eine massive Mobilisierung durch Desinformationskampagnen, in denen sich Antisemitismus und Queerfeindlichkeit miteinander verschmelzen.
Die Hochschulrektor*innenkonferenz hat 2019 und die Kultusminister*innenkonferenz erst Ende letzten Jahres entschiedene Beschlüsse gefasst, aus denen Konsequenzen hervorgehen müssen. Die Hochschulfamilie muss für die Besonderheiten von Antisemitismus sensibilisiert, es müssen Fortbildungen für Antidiskriminierungsstellen angeboten, die Vermittlung von Wissen und Handlungsfähigkeit zu Antisemitismus und Queerfeindlichkeit im Lehrangebot integriert und die Betroffenen konsequent unterstützt werden. Aktionismus darf nicht die Reaktion auf solche Vorfälle sein, sondern es müssen nachhaltige Strategien entwickelt werden.“
Stephan Hörhammer