Passau. Es ist der 14. November 2023, Dienstagnachmittag. Julia Willeitner und ihre Mitstreiter sind mit den letzten Vorbereitungen für die tags darauf stattfindende Veranstaltung in der Kirche des Klosters Bergfried beschäftigt. Der noch recht junge Passauer Kultur-Verein hatte zu einem Barock-Konzert geladen. Eine CD-Aufnahme ist dabei geplant. Es wäre einer der letzten Punkte im Jahresprogramm gewesen. „Alles war gut vorbereitet für den nächsten Tag“, erinnert sich die 30-Jährige. „Ich geh‘ raus aus der Kapelle – und dann brennt in der folgenden Nacht einfach alles ab…“
Der Schock über den verheerenden Brand, der sich in jener Nacht auf der Erhebung zwischen Ilz und Donau (auf der Ries) ereignete und bei dem zwei Gebäude des seit gut 15 Jahren leerstehenden Klosters den Flammen zum Opfer fielen, sitzt Julia Willeitner und ihren Weggefährten noch spürbar tief in den Knochen. Von mehr als 500.000 Euro Sachschaden ist die Rede. Wie der Stadtbrandrat im Nachhinein berichtete, sei das Feuer an mehreren Stellen gleichzeitig ausgebrochen. Passaus Oberstaatsanwalt Walter Feiler geht von Brandstiftung aus. Genauso wie Julia Willeitner, die sich seitdem den Kopf darüber zerbricht, wer zu so einer Tat fähig sei.
„Alles steht noch sehr in Frage“
Vom Brand betroffen ist zum einen das sog. Kolleg-Gebäude, denkmalgeschützt und mit einem altehrwürdigen Küchengewölbe ausgestattet. Zum anderen das Wohngebäude, in dem einst die Kleriker untergebracht waren. „Retten, glaub ich, kann man da nichts mehr“, lautet das ernüchternde Urteil der Passauerin. Im Wohnhaus, wo bis auf die Grundmauern nichts mehr übrig geblieben ist, waren die Ateliers und Instrumente des Vereins deponiert. Im Kolleg befand sich der Lagerraum, wo die Kulturschaffenden alles, was mit Technik, Mobiliar und sonstigen Festivalutensilien zusammenhing, aufbewahrt hatten. Toiletten, Wasser- und Stromleitungen – „alles weg“. Der Schaden beläuft sich für den Verein auf knapp 10.000 Euro.
„Materiell betrachtet sind wir wieder bei Null angelangt“, schildert Julia Willeitner die prekäre Situation und ergänzt sogleich: „Oder besser: im Minus.“ Vor allem der ideelle Schaden ist enorm. All die Energie, die Freunde und Förderer des Bergfrieds in den beiden vergangenen Jahren in ihr Kulturprojekt gesteckt haben, all die unzähligen Arbeitsstunden der Vorbereitungen und Planungen, all die Leidenschaft und das Herzblut, um wieder Leben in die alten Gemäuer einkehren zu lassen. Soll das nun alles umsonst gewesen sein?
„Wir wollen möglichst weitermachen wie vorher“, gibt sich die Passauerin kämpferisch und will sich von diesem herben Rückschlag nicht entmutigen lassen. Im Gegenteil: „Wir sind gerade noch sehr im Widerstandsmodus – so schnell geben wir nicht auf!“ Doch ob es im neuen Jahr zum Bergfried-Revival kommen wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Allen voran von den Zukunftsplänen der Familie des 2021 verstorbenen Unternehmers Heinz Hermann Thiele, in dessen Besitz sich das einstige Kloster befindet. Der Kulturverein, der mit Thieles einen sog. Leih-Vertrag geschlossen hat, ist als Quasi-Pächter von deren Intentionen abhängig. „Wir wissen nicht, was die Eigentümer vorhaben. Alles steht noch sehr in Frage.“
„Ein Wahnsinnsbrand, ein brutales Inferno“
Seit dem Brand konnten jedenfalls keine Kultur-Veranstaltungen mehr stattfinden auf dem Areal, das aufgrund der polizeilichen Untersuchungen und der drohenden Einsturzgefahr der beschädigten Gebäude noch nicht freigegeben ist. Auf Hog’n-Nachfrage teilt Polizeikommissarin Katharina Reiner vom Polizeipräsidium Niederbayern zum aktuellen Ermittlungsstand Folgendes mit:
„Die Kriminalpolizeiinspektion Passau ermittelt zusammen mit der Staatsanwaltschaft Passau aktuell zu dem Brand vom 15.11.2023 im Kloster Bergfried. Das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) ist zur Erstellung eines Gutachtens hinzugezogen worden und war dafür kurz nach dem Brand vor Ort in Passau. Die Erstellung des Gutachtens nimmt einige Zeit in Anspruch, sodass zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Ergebnis vorliegt. Die Ermittlungen zum Brandfall dauern somit noch an, eine „heiße“ Spur gibt es derzeit noch nicht. Sollten Ihnen sachdienliche Hinweise zu dem Vorfall bekannt werden, bittet die Kripo Passau darum, diese unter der 0851/95110 zu melden.“
Eine Antwort, die Julia Willeitner nicht so ganz zufrieden stellt. Der Passauer Cellistin kann es nicht schnell genug gehen, bis endlich erste Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Und ihr ist anzumerken, dass sie, die einst als Kind am Bergfried getauft wurde, die Ermittlungen am liebsten selbst in die Hand nehmen möchte. „Offen gestanden machen wir uns etwas sorgen, dass die Sache bei der Polizei hinten runterfällt.“ Denn bei dem Vorfall sei – „ja zum Glück“ – niemand zu Schaden gekommen, schildert die 30-Jährige die Gründe für ihre Einschätzung. Und der Verein sei nun auch nicht besonders groß, um gleich sämtliche polizeilichen Hebel in Bewegung zu setzen, die zur Aufklärung der Sache beitragen.
Eindrücke aus den vergangenen beiden Jahren des Bergfried Kulturvereins
„Ich habe das Gefühl, dass die Aufklärung vielleicht nicht mit der notwendigen Energie verfolgt wird“, beteuert sie – und betont noch einmal mit Nachdruck: „Es war Brandstiftung, daran besteht meiner Meinung nach überhaupt kein Zweifel.“ In den Scheunen seien um mehrere Holzbalken Heubüschel gewickelt und angezündet worden. „In unserem alten Lagerraum im Schweinstall wurde auch rumgezündelt“, berichtet sie und fügt hinzu: „Es war ein Wahnsinnsbrand, ein brutales Inferno.“
Die Spekulationen gehen weiter…
Einen gezielten Anschlag gegen den Kulturverein will sie bei der Frage, wer hinter der Brandstiftung stecken könnte, nicht ausschließen. „Wir sind von Jahr zu Jahr gewachsen und größer geworden, haben den Platz da oben sehr vereinnahmt – da gab und gibt es sicherlich Leute, die sich da etwas ganz Anderes vorgestellt haben.“ Freilich seien dies reine Spekulationen. Doch „komisch“ mute es aus ihrer Sicht schon an, wenn ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt, nachdem das so lange Jahre leer gestandene Gebäude durch den Verein plötzlich wieder zu neuem Leben erwacht ist, in Brand gesteckt wird.
Doch: Wer könnte Interesse daran haben, dass der Bergfried nicht länger Schauplatz von Vernissagen, Workshops und Konzerten ist? „Aufgrund des kirchlichen Hintergrunds war’s vielleicht jemand, der besonders gottesfürchtig ist und deshalb nicht gerne sieht, dass wir die Kapelle anders nutzen als für Messen oder Andachten“, gerät Julia Willeitner sogleich wieder ins Spekulieren. „Oder es war jemand, der daran interessiert ist, dass dort oben etwas gänzlich Neues entsteht. Denn je länger wir da sind und uns etablieren, desto schwieriger sind wir wohl wieder wegzukriegen.“ Die Gedanken der Passauerin gehen in jegliche Richtung. „Es könnten auch einfach nur Jugendliche gewesen sein, Spinner, die randalieren wollten und sich gedacht haben: Lasst uns mal ein altes Kloster anzünden.“
Zur Ungewissheit und dem Wunsch nach Aufklärung mischt sich bei der Vereinsvorsitzenden, die den Fall als „Tatort-Krimi“ bezeichnet, insbesondere auch das Gefühl der Angst. „Zum einen wissen wir nicht, ob sich die Aktion wirklich gegen uns gerichtet hat. Und wenn doch: Was kommt als nächstes? Wenn das Kloster wieder aufgebaut werden sollte, wird es dann wieder angezündet?“ Sie wünscht sich daher, dass man nichts unversucht lasse, um die Sache baldmöglichst aufzuklären.
„Im Moment hängt alles noch in der Schwebe“
Zur Frage, wie es mit dem Bergfried weitergehen wird, kann Sebastian Hübner nichts Konkretes mitteilen. Er ist der Vertreter der Eigentümer-Familie und fungiert als Verwalter des Gebäudekomplexes. „Die Nutzung durch den Verein ist eine Zwischennutzung, weil es keine konkrete Planung für eine langfristige neue Belebung gab und gibt – und das hat sich durch die Brandumstände auch nicht verändert bzw. die Lage noch schwieriger gemacht.“
Die betroffenen Gebäudereste werde man logischerweise abbrechen müssen, da diese nicht mehr verkehrssicher seien, erläutert Hübner. Doch wie schnell neue Ideen entstehen könnten und wann gegebenenfalls überhaupt etwas Neues gebaut werden könnte, sei bis dato noch völlig unklar. „Da gibt es noch gar keine Ansätze“, informiert der Verwalter weiter. „Aber es mag sein, dass sich etwas in den nächsten Monaten tut. Man wird vielleicht auch mit den Behörden – insbesondere mit der Stadt Passau etwa in puncto Baurecht – sprechen müssen. Aber ich befürchte, es wird keine schnelle Lösung geben, was eine künftige Nutzung betrifft.“
Auch er könne sich nicht erklären, wer für die Feuerlegung verantwortlich zeichnen könnte. „Man kommt auf kein Ergebnis, weil es niemandem etwas bringt“, äußert er seine Gedanken dazu und ergänzt schließlich: „Ich denke, es war reiner Vandalismus.“ Und auch ihn beschäftigt der Zeitpunkt des Vorfalls: „Warum gerade jetzt, da nach jahrelangem Dornröschen-Schlaf durch den Verein wieder Leben eingekehrt ist? Warum ist es nicht in den Jahren zuvor passiert, als es zwar auch immer wieder mal zu kleineren Vandalismusfällen, wie eingeworfenen Fensterscheiben, gekommen ist, das Gebäude aber leer stand?“ Ob jemand etwas gegen den Kulturverein habe, wisse er nicht.
Für ihn steht fest: „Der Verein leidet unter der Situation derzeit wohl am meisten.“ Er bewundere die Hingabe und Begeisterung, mit der sich die Mitglieder engagieren. Die von den Flammen verschont gebliebene Kirche sowie weitere Gebäudeteile müssten voraussichtlich aufgrund der Verrußung vor der weiteren Nutzung saniert und entsprechend instandgesetzt werden. „Im Moment hängt alles noch in der Schwebe“, berichtet Sebastian Hübner und fügt hinzu: „Mit dem Verein haben wir noch nicht gesprochen, das steht alles noch bevor.“
„Es besteht noch viel Unsicherheit in der Materie“
Seitens der Stadt Passau wollten wir unter anderem in Erfahrung bringen, wie groß das Interesse der Verwaltung daran sei, das Kulturdenkmal Bergfried wieder herzustellen. „Leider können wir Ihnen keine Informationen/Statements dazu zukommen lassen, da es sich hier um Privateigentum handelt“, teilt das Büro des Oberbürgermeisters kurz angebunden mit.
Nur wenig belastbare Aussagen zur Zukunft des ehemaligen Klosters gibt es auch von Seiten des Landesamts für Denkmalpflege. „Die Christkönigskirche (von Julia Willeitner als Kapelle bezeichnet – Anm. d. Red.) am Bergfried ist nicht vom Brand betroffen. Das Studienhaus St. Benedikt (Kolleg-Gebäude – Anm. d. Red.) ist schwer beschädigt. Die anderen unbeschädigten Gebäude sind nicht denkmalgeschützt.“ Und weiter heißt es: „Ob am Passauer Bergfried ein Verlust der Denkmaleigenschaft vorliegt, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht endgültig festgestellt werden, da hierfür noch wichtige Untersuchungen des Denkmalbestands vorgenommen werden müssen.“
Beides Aussagen, die das Gefühl der Ungewissheit über die Zukunft des Passauer Bergfrieds bei Julia Willeitner eher verstärken als eindämmen. „Es besteht noch viel Unsicherheit in der Materie – und wir sehnen uns nach klaren Verhältnissen und vor allem nach der Aufklärung des Falls“, betont die 30-Jährige noch einmal. Man wolle an der Wiederbelebung festhalten und hofft darauf, dass die Kirche als erstes für Veranstaltungen wieder freigegeben werde. „Wir werden uns dann wohl auf die Sommermonate konzentrieren müssen, da wir die anderen Räumlichkeiten ja verloren haben“, blickt die Passauerin voraus.
„Dass keiner kommt, der da nun ein Hotel hinbauen möchte“
Auch die Überlegung, mittels einer Spenden-Kampagne den Verlust der durch den Brand verlorenen Instrumente und Utensilien zu kompensieren, steht im Raum. Doch solange die Eigentümerfamilie noch keine konkreten Aussagen hinsichtlich der künftigen Nutzung mitgeteilt hat, mache dieser Schritt nur wenig Sinn, sagt Julia Willeitner. „Wir werden in den nächsten Wochen das Gespräch suchen und hoffen darauf, dass in der Zwischenzeit keiner kommt, der da nun ein Hotel hinbauen möchte.“ Das Prinzip Hoffnung wird bis über Weihnachten hinaus wohl ihr steter Begleiter bleiben…
Stephan Hörhammer