Egestorf. Albi? Wer bitte ist denn Albi? Er ist von nun an unser Begleiter und beantwortet nahezu alle Fragen, die unseren 14-tägigen Road-Trip Richtung Norwegen betreffen. Tipps für aktuelle Campingplätze, Nachtstellplätze, Wasserstationen und vieles mehr beinhaltet die CamperBoys-App, die wir nach dem Start in unser Abenteuer auf dem Smartphone installiert haben. Und „Albi“ heißt der dazugehörige Chat-Partner, sollte man mal etwas wissen wollen, das in der App nicht bereits beantwortet steht. Teil 2.
Mittwoch, 15 Uhr, A9. Nachdem wir unser „Tiny House“ – ein „Grand California 600″, den wir ab sofort liebevoll „Freddy“ nennen – bepackt, aufgetankt und nach kompetenter Einweisung genauer inspiziert haben, geht’s also (endlich) los. Die Straße ist von nun an unser Zuhause. Es ist ein warmer Spätsommertag, 25 Grad Außentemperatur. Die Klimaanlage folgt hörig unseren Anweisungen. Und wir merken plötzlich, dass wir nicht nur zu zweit sind: Eine Fliege umkreist unsere Häupter, lässt sich mal hier, mal da nieder – und nach einigen erfolglosen Schubs-das-Ding-aus-dem-Fenster-Versuchen haben wir uns mit der Situation abgefunden. „Fritz“ – so heißt das kleine Schwirr-Insekt ab sofort – kommt mit nach Skandinavien. Schließlich haben auch Fliegen ein Recht auf Urlaub.
Halb Deutschland an einem Tag
Wir, das sind Hog’n-Redakteur Stephan Hörhammer und seine Fotografin Jennifer Schaller, kommen gut voran. Die deutschen Autobahnen erweisen sich – trotz einiger Baustellen – als erstaunlich staufrei. Wir sind guter Dinge und trällern die Lieder des Radiosenders sowie der eigens angefertigten Skandinavien-Spotify-Playlist eifrig mit. Wir machen Halt auf so manchem Rastplatz, um uns die Füße zu vertreten, eine Kleinigkeit zu essen oder die Toilette aufzusuchen. Die Route führt uns – vorbei an sehenswerten Landschaften (ja, Deutschland ist ein schönes Land!) und herrlichen Sonnenuntergangsszenarien mit Windrädern und Sichelmond – über Nürnberg, Bayreuth, Leipzig, Braunschweig und Hannover bis in die Nähe von Egestorf in der Lüneburger Heide, wo wir unser erstes Nachtlager aufschlagen.
760 Kilometer binnen acht Stunden Fahrzeit sind somit an Tag eins unserer Reise geschafft. Einmal halb Deutschland durchquert – wir sind beeindruckt und (ebenfalls) geschafft zugleich. Die Fahrt mit dem Campervan gestaltet sich von Anfang an als angenehm. Der Platz, auf dem wir unser Gefährt – die Nacht ist bereits hereingebrochen – erlaubterweise abstellen, befindet sich gut zehn Minuten außerhalb von Egestorf, mitten in der Pampa. Wir sind die einzigen Camper dort, worüber wir nicht unglücklich sind. Wir kuscheln uns ins Bett, die erste Nacht verläuft ruhig und erholsam – mit Blick auf den Sternenhimmel durch das kleine Dachluken-Fenster hindurch.
Das Erwachen könnte schöner nicht sein. Wald, Wiese und ein Feld mit Sonnenblumen begrüßen uns am nächsten Morgen. Gefrühstückt wird im Reisemobil, recht klassisch mit Schinken, Käse, Salami, Marmelade und Gemüse. Die Lebensmittel sind – neben den zahlreichen Fressalien, die wir von daheim mitgenommen haben – von uns frisch bei einem Zwischenstopp am Vorabend in einem Supermarkt in Bernburg in Sachsen-Anhalt gekauft worden. Denn genau so wollen wir’s in Sachen Selbstversorgung auf der Fahrt handhaben: Möglichst frische Ware gemischt mit haltbaren Mitbringseln aus der Heimat.
Vorgeschmack auf die vielen „Tunelen“
Wir beschließen noch einen Abstecher in den Barfußpark Egestorf zu machen, bevor wir die Reise Richtung Hamburg fortsetzen. Nach dem zweistündigen Aufenthalt mit der Besichtigung des Kräuterparks, Salzineums und Yoga-Parks, mit Hängebrücken und Hängematten sowie den verschiedensten Untergründen, die wir sockenfrei erkunden dürfen, stellen wir erfreut fest: Man müsste viel öfter mal barfuß laufen. Ein sehr erhebendes Gefühl, das zugleich erdet.
Bei Hamburg wird der Verkehr merklich dichter. Es geht durch den Elbtunnel hindurch – ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns in Norwegen, dem designierten Land der Tunnel („Tunelen„), erwartet. Und schon jetzt beschäftigt sich Jennifer akribisch mit den Themen Brücken-, Straßen- und Tunnel-Maut, um die man als Nordeuropa-Reisender nicht herumkommt – und sich als teils recht komplex erweisen. Stichwort: ØresundPAY sowie das dazugehörige Rabatt-System ØresundGO, das man nutzen kann, wenn man bei der Überquerung der Öresundbrücke Geld sparen möchte (aber dazu später mehr…)
Nach einem kleinen Zwischenstopp in Handewitt, einer Kleinstadt neben Flensburg kurz vor der deutsch-dänischen Grenze, befahren wir erstmals (überhaupt in unserem Leben) skandinavisches Hoheitsgebiet. Dänemark, dieser Länderpunkt geht an uns! Hier läuft der Verkehr aufgrund der Geschwindigkeitsbegrenzung (Autobahn max. 130 km/h, Landstraße: 80 km/h) zwar etwas langsamer, jedoch angenehm flüssig. Was auffällt: Jeder hält sich strikt ans Tempo-Limit, keiner drängelt, keiner rast. Überwiegend stressfrei bewegen sich die Menschen im überaus flach gehaltenen Königreich fort, in dem viel Grün und nicht wenige Windräder links und rechts der Autobahn dominieren.
Über die längste Hängebrücke Europas
Vorbei an der Hafenstadt Kolding überqueren wir die erste größere Brücke namens „Ny Lillebæltsbro“ (auf Deutsch: „Neue Kleiner-Belt-Brücke“) und erreichen Fyn („Fünen), die drittgrößte Insel Dänemarks. Wir lassen Odense links liegen und steuern geradewegs auf die Storebaeltbrücke zu, die auf 18 (!) Kilometern Länge die Verbindung zwischen den Inseln Fünen und Seeland (Sjælland) über den Großen Belt herstellt. Den östlichen Brückenabschnitt bildet eine Hängebrücke, die mit einer Hauptspannweite von 1.624 Metern zu den längsten Hängebrücken der Welt gehört. Den Titel „Längste Hängebrücke Europas“ ist ihr damit sicher…
Das Wetter hat sich inzwischen verschlechtert, es regnet teils heftig, dämmert bereits und der Seitenwind ist spürbar stark. Nicht die besten Voraussetzungen also, um den gut drei Meter hohen California sicher von A nach B über die bis zu 65 Meter hoch über dem tosenden Meer gespannten Brücke zu bringen. Es gilt: Augen zu und durch! Im Radio läuft der P-Diddy-Klassiker „Bad Boys for Life!“ – und wir denken beide so: „Wir schaffen das schon, denn wir sind CamperBoys for Life!“
Mit Schweißperlen-Ansatz auf der Stirn geht’s Kilometer für Kilometer voran, nie schneller als 70, 80 Kilometer pro Stunde. Die Scheibenwischer wedeln ums Überleben. Der Puls ist deutlich spürbar. Die Knöchel an beiden Händen, die das Lenkrad krampfhaft umklammern, schimmern weiß durch die Haut hindurch. Ein Lastwagen donnert auf der Überholspur vorbei – und die Frage stellt sich, wie der das bei diesem Seitenwind hinbekommt. Alles wie im Film. Der Fahrer scheint das – im Gegensatz zu uns – nicht zum ersten Mal zu machen. „We ain’t, goin‘ nowhere, we ain’t, goin‘ nowhere. We can’t be stopped now…„, dröhnt es aus den Boxen. Und plötzlich sind wir drüben…
Hühner-Nudeltopf statt Dänen-Schmaus
Puh! Da hört man Steine purzeln. Und so schlimm ist’s dann ja auch wieder nicht gewesen (…) Wir bezahlen an der unmittelbar folgenden Mautstation artig die fällige Gebühr – per Kreditkarte. Wir hatten uns zwar gefühlt in sämtlichen relevanten Maut-Portalen angemeldet, doch in Sachen Storebaeltbrücke blieben am Ende ungewisserweise doch noch zwei, drei Fragen offen – weshalb wir uns für die Visa-Variante entschieden haben. Egal! Die Erleichterung, die erste große Brücke genommen zu haben, ist groß. Und der Rest ist Geschichte…
Übernachten wollen wir auf Empfehlung unserer App am Kobaek-Strand, einem kleinen Nest direkt an der dänischen Ostseeküste der Insel Seeland. Ein größerer Parkplatz, auf dem wir unser CamperBoys-Vehikel abstellen dürfen – Meeresrauschen inklusive. Aufgrund der gelungenen Brückenquerung möchten wir uns ein feines Abendmahl im benachbarten Restaurant gönnen – doch die nette Wirtin lässt uns nach den Worten „Only Fish“ wieder zu unserem „Freddy“ zurückkehren. Dann eben warmer Hühner-Nudeltopf aus der Dose mit Bierchen im Fahrzeug. Hat auch irgendwie was Triumphales! Gute Nacht, Dänemark!
Stephan Hörhammer
Im dritten Teil lest ihr, wie es ist, von nackt-badenden Dänen geweckt zu werden, die längste Schrägseilbrücke für kombinierten Straßen- und Eisenbahnverkehr zu überqueren, auf einem schwedischen Camping-Platz zu nächtigen und endlich das gelobte Land, Norwegen, zu erreichen…