Innernzell. Es gibt wahrlich geradlinigere Biographien. Oder anders ausgedrückt: Das Leben von Karin Biela ist von Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Spontaneität und Kreativität geprägt. Geboren in Castrop-Rauxel (Nordrhein-Westfalen) ging es über München in den Bayerischen Wald, genauer gesagt nach Innernzell. Erst war sie als kaufmännische Angestellte bei Siemens beschäftigt, ehe sie einen mobilen Betreuungsdienst für Demenzkranke führte – und schließlich Schriftstellerin wurde. All diese Stationen hängen irgendwie zusammen – mit der 63-Jährigen als gemeinsamen Nenner…
Dass Karin Biela mit ihrer Frau seit ein paar Wochen im Landkreis Freyung-Grafenau lebt, war – man möchte fast schreiben: natürlich – alles andere als geplant. Und dennoch fühlt sich das Pärchen angekommen an dem Ziel, das man immer erreichen wollte. „Das hier ist für mich der Zauberwald“, erklärt die Neu-Waidlerin auf charakteristisch-blumige Art. In früheren Jahren urlaubte sie rund um den Nationalpark bereits mehrmals – und mit jedem mal fiel der Trennungsschmerz größer aus. „Naturschutz muss von Herzen passieren, was hier der Fall ist. Zudem hat die Region unendlich viele Kraftplätze, die mich magisch anziehen. Der absolute Kontrast zum wuseligen München.“
Endlich der Phantasie freien Lauf lassen!
Anderer Ort, andere Zeit. Ein gänzlich anderes Leben. Denn Karin Biela kennt auch die andere Variante – die hektische, von Stress geprägte, rastlose und dynamische. Es gab eine Phase, da liebte sie es, für den Megakonzern Siemens zu arbeiten. Sie zog oft um, landete schließlich in der bayerischen Landeshauptstadt, wo sie 24 Jahre wohnte. Doch sie spürte auch, dass irgend etwas fehlte. Dass sich ihr Unterbewusstsein nach Selbstverwirklichung sehnte. Sie spürte immer mehr, dass sie nicht nur einen „langweiligen Bürojob“ ausüben, sondern auch ihrer Phantasie freien Lauf lassen möchte.
Weg vom Papierkram!
„Das Kreative war in mir scheinbar schon immer vorhanden. Es war aber verschüttet und ist erst sukzessive wieder gekommen.“ Zunächst äußerte sich ihr Einfallsreichtum in Form einer Selbstständigkeit im Seniorendienst. Sie hatte „keinen Bock mehr auf materielle und technische Bewertungen“. Nach langen Jahren hinter Papierbergen wollte sie mit Menschen arbeiten. Etwas zurückgeben. Sie kümmerte sich um Demenzkranke. „Bei dieser Krankheit gibt es keine Heilung. Aber man kann sie durch gezielte Maßnahmen verlangsamen. Und genau das habe ich versucht zu schaffen.“ Um nicht wieder viel Zeit mit Formalitäten zu verbringen, hat sie auf eine Krankenkassen-Zulassung verzichtet. Sie setzte auf die private Karte.
Und es lief gut. So gut, dass sie Mitarbeiter hätte einstellen können – worauf die ausgebildete Hospizbegleiterin jedoch bewusst verzichtete. „Weil ich dann wieder mit Dokumentationen beschäftigt gewesen wäre. Finanziell war das im Vergleich zur Siemens-Zeit natürlich ein Rückschritt. Aber ich war innerlich zufriedener.“ Auch, weil sie Zugang zu den Köpfen der Menschen fand, deren Geist nach und nach an Klarheit verliert. Sie erreichte dies, wie sie später feststellte, allen voran mit Märchen. „Ich habe diese Erzählungen schon immer geliebt. Und ich dachte mir: Warum dieses Faible nicht teilen?“
Die Geschichte rund um die Geschichten
Sie las unzählige Stunden aus Büchern vor. „Vor allem aus denjenigen mit schönen Illustrationen.“ Die ein oder andere längst verschüttet geglaubte Erinnerung konnte sie so bei den Demenzerkrankten wecken. Die 63-Jährige erkannte nach und nach, dass sie auch selber solche Prosatexte verfassen wollte. Eher im Verborgenen wagte sie erste Versuche. Sie fühlte sich wohl dabei. Zudem wurde sie von ihrem Umfeld bestätigt, dass die Märchen auch ankommen. Und die Geschichte rund um die Geschichten nahm ihren Lauf.
Gemeinsam mit 20 weiteren Autoren hat sie eine Anthologie für Demenzkranke herausgegeben. Aus der Hobby-Schriftstellerin wurde somit eine Herausgeberin und Verlegerin. Denn den Weg von der ersten Zeile bis zum fertigen Werk bestritt sie ausnahmslos selbst. Auch die Gestaltung und Bebilderung übernahm sie, „weil ich herausgefunden habe, dass ich gerne fotografiere.“ Im nächsten Schritt wollte sie bewirken, dass ihre fiktiven Erzählungen regelmäßig zur Realität werden. Die Lösung: ein Magazin mit einer Auflage von 300 bis 500 Stück, das zweimal jährlich erscheint. Wiederum alles umgesetzt in Eigenregie, wiederum alles losgelöst von materiellen bzw. finanziellen Interessen.
Karin Biela ist angekommen in Innerzell – und vor allem: Sie ist angekommen im Leben. Sie fühlt sich wohl. Sie genießt das Rentner-Dasein. Die 63-Jährige will aber nicht nur spazieren gehen und im Garten arbeiten. „Ich brauche ebenso eine geistige Beschäftigung.“ Wenn man so will, ist ihr Leben im fortgeschrittenen Alter ein Spiegelbild ihrer Biographie. Mal ruhiger, mal hektischer. Im Vergleich zu früheren Jahren befindet sie sich aber nicht mehr auf der Suche, sondern ist am Ziel angelangt. Dank ihres alles andere als geradlinigen Lebenslaufs…
Helmut Weigerstorfer