Frauenau. Die Zeit spielt gegen Sigrid Dengler und alle, die sich seit ihrem Verschwinden um sie Sorgen machen und nach ihr suchen. So wie ihr Bruder Dietmar (genannt: „Stan“) Dengler, Gemeinderatsmitglied und langjähriger dritter Bürgermeister von Frauenau. „Langsam wird’s brisant“, ist dem 63-Jährigen angesichts der Tatsache, dass von seiner Schwester seit drei Tagen und drei Nächten jegliche Spur fehlt, der Ernst der Lage bewusst. Doch das Prinzip Hoffnung behält nach wie vor die Oberhand.
Seit Montagmorgen sucht die Polizei Zwiesel mit zahlreichen Einsatzkräften verschiedener Organisationen nach der 62-jährigen Frauenauerin (da Hog’n berichtete). Laut Stan Dengler war sie am vergangenen Sonntagmorgen gegen 10 Uhr zu einer Wanderung ins Rachelgebiet aufgebrochen. Am Montagmorgen wurde festgestellt, dass sie nicht nach Hause zurückgekehrt war. Dem Hinweis eines Wanderers zufolge war sie am frühen Sonntagnachmittag noch am Waldschmidthaus gesehen worden.
„Hatte immer schon einen sehr schlechten Orientierungssinn“
Da von einer Notlage ausgegangen werden musste, wurde in der Folge unter Leitung der Zwieseler Polizei eine groß angelegte Suchaktion gestartet, an der sich etwa 170 Einsatzkräfte der Feuerwehren Frauenau, Spiegelau, Klingenbrunn, Oberried und Bischofsmais, des Bayer. Roten Kreuzes, der Bergwachtbereitschaften Zwiesel, Grafenau, Arnbruck, Ruhmannsfelden und Wolfstein, der Wasserwacht Frauenau, der Rettungshundestaffeln Zwiesel und Donauwald, Angehörige des Nationalparks sowie mehrere Drohnen und ein Polizeihubschrauber beteiligten. Dabei wurde das weitläufige Rachelgebiet intensiv abgesucht, ohne jedoch konkrete Anhaltspunkte auf den Verbleib der Vermissten zu erlangen. Auch auf tschechischer Seite beteiligten sich zahlreiche Kräfte der Polizei, Bergwacht und Nationalpark Šumava an den Suchmaßnahmen.
„Es besteht die Möglichkeit, dass sie über den Rachel ins Böhmische hinübergelangt ist und sich dort verlaufen hat“, sagt Stan Dengler, der sich ebenso an der Suchaktion beteiligte, und ergänzt: „Sie hatte immer schon einen sehr schlechten Orientierungssinn.“ Einmal etwa wollte sie von Frauenau aus zum Silberbergwerk nach Bodenmais wandern, sei aber dann in Bayerisch Eisenstein rausgekommen. Ein anderes Mal habe sie ebenfalls den Weg verloren und ist Dengler zufolge erst um drei Uhr nachts wieder nach Hause zurückgekehrt.
Beinahe täglich hatte er bis dato Kontakt zu seiner Schwester, die rund fünf Minuten Fußmarsch entfernt bei der gemeinsamen Mutter in „da Au“ wohnt. Seitdem sie ihrem Beruf als Augenoptikerin nicht mehr nachgegangen und in den Ruhestand eingetreten ist, habe sie ihre Wanderleidenschaft weiter intensiviert. Distanzen über 30 bis 40 Kilometer am Tag seien nichts Außergewöhnliches für die 62-Jährige, wie der Bruder zu berichten weiß.
„Das Handy hat sie aber nie mitgenommen“
„Sie ist den Weg über die Schachten hinauf zum Rachel gegangen, da sind nicht viele unterwegs“, sagt Stan Dengler und mutmaßt von Neuem: „Verlaufen ist aus meiner Sicht am wahrscheinlichsten, weil abstürzen kann man im Rachelgebiet so gut wie gar nicht, sofern man die markierten Wege nicht verlässt.“ Das Waldgebiet, das sich ab der bayerisch-böhmischen Grenze bis nach Modrava erstreckt, ist dicht und weitestgehend unbesiedelt. „Dazwischen ist nichts, das ist das Problem.“
Er habe ihr aufgrund des schlechten Orientierungssinns und der langen Touren, die sie zu gehen pflegt, sogar eigens noch ein Handy gekauft. „Das hat sie aber nie mitgenommen, weil es ihr beim Gehen zu lästig war.“ Eine weitere Schwierigkeit: „Sie geht nicht auf Leute zu, um nach dem Weg zu fragen oder um Hilfe zu bitten. Wenn du aber niemanden ansprichst, hilft dir auch keiner.“ Somit bleiben am Ende viele Spekulationen darüber übrig, was Sigrid Dengler zugestoßen sein könnte. „Man muss mit allem rechnen“, sagt Stan Dengler, „mit dem Schlimmsten und mit dem Einfachsten – wobei letzteres nach drei Tagen wohl immer unwahrscheinlicher wird.“
Den Hinweis eines Mannes, der Sigrid Dengler am Sonntagabend gegen 19 Uhr im Ortsbereich Frauenau noch gesehen haben will, hält Stan Dengler für wenig nachvollziehbar. „Kann sein, kann nicht sein. Ich glaube es eher nicht. Sie wäre dann ja nach Hause gegangen.“ Die daraufhin unverzüglich veranlasste Suche mit mehreren Rettungshunden verlief – wohl auch aufgrund des einsetzenden Regens – ergebnislos.
„Das Beste hoffen“
„Sobald nähere Erkenntnisse vorliegen, werden möglicherweise weitere Absuchen eingeleitet“, teilte die Zwieseler Polizei am Dienstag mit. Gleichzeitig würden die Ermittlungen fortgeführt, wobei weitere Hinweise aus der Bevölkerung erbeten werden. „Derzeit können wir scheinbar nicht mehr tun, als das Beste zu hoffen“, sagt Stan Dengler, der seine Zuversicht nicht aufgibt und bewusst nicht aufgeben will. „Dagegen weigere ich mich entschieden.“
Stephan Hörhammer
- Da die Fahndungsmaßnahmen bislang kein Ergebnis erbracht haben, bittet die Polizei um Hinweise zum Aufenthalt von Sigrid Dengler unter der Telefonnummer 09922/8406-0 (oder an jede andere Polizeidienststelle).
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