Niederbayern. Immer wieder hört man, dass Bayern bei der Energiewende im deutschlandweiten Vergleich nicht gut dasteht. Als logische Konsequenz müsste es in Niederbayern – einer der ländlichsten und konservativsten Regionen Bayerns – eigentlich besonders schlecht um die Energiewende bestellt sein. Bei näherer Betrachtung ergibt sich allerdings ein anderes, sehr viel komplexeres Bild.
Das Thema bezieht sich auf sämtliche Bereiche unserer Versorgung mit dem abstrakten Begriff „Energie“: von der Stromerzeugung, der Art wie wir heizen, uns fortbewegen und vieles mehr. Dementsprechend eng verbunden sind auch die einzelnen Teilbereiche der Energiewende, so dass man eher von mehreren „Energiewenden“ sprechen müsste. So ist es etwa wenig sinnvoll, ein Elektroauto zu fahren, dessen Akku mit Kohlestrom geladen wird. Kurzgesagt geht es bei der Energiewende aber immer darum, sich von fossilen Energieträgern wie Gas, Kohle oder Erdöl zu lösen – und stattdessen auf erneuerbare Formen der Energiegewinnung umzusteigen, die die Atmosphäre nicht mit Co2 belasten.
Gute Nachrichten trotz Energiekrise
Bei einem ersten Blick auf die aktuellen Daten zur Stromerzeugung in Niederbayern gibt es zunächst eine positive Überraschung: Laut einer Pressemitteilung der Regierung Niederbayerns aus dem Mai 2022 werden im Regierungsbezirk 91,1 Prozent des Stroms aus regenerativen (d.h. erneuerbaren) Quellen erzeugt. Somit liegt Niederbayern im bayernweiten Vergleich auf dem ersten Platz. Im gesamten Freistaat liegt der Durchschnitt bei „nur“ 53,5 Prozent. In Niederbayern spielen mit Stand Januar 2022 (Anteil damals: 86,7 Prozent) insbesondere Wasserkraft (37 Prozent), Solarenergie (36 Prozent) und Biomasse (14 Prozent) eine große Rolle.
Diese Zahlen sind zwar löblich, zeigen aber auch direkt, dass Windenergie hierzulande bislang kaum von Bedeutung ist. Tatsächlich wäre es nämlich möglich, die Kapazitäten für erneuerbare Stromerzeugung noch weiter auszubauen. Verbesserungspotenzial gibt es laut der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) vor allem noch bei Windkraft- und Photovoltaikanlagen, mit denen sich rein rechnerisch jährlich noch weitere 12,5 Terrawattstunden Strom in Niederbayern produzieren ließen. Zum Vergleich: aktuell werden im Regierungsbezirk etwa 6,9 Terrawattstunden aus den bereits genannten, regenerativen Quellen Wasserkraft, Solar, und Biomasse erzeugt. Zwar ist die Stromproduktion, wie erwähnt, nur ein Teil der Energiewende, sie ist aber eine Art Grundvoraussetzung für darauf aufbauende Technologien – und somit auch ein guter Indikator für die Entwicklung im Ganzen.
Besonders seit der russischen Invasion der Ukraine ist das Thema „Energiewende“ plötzlich wieder so relevant wie seit langem nicht mehr. Umso größer wird auch der Wunsch in weiten Teilen der Bevölkerung, sich selbst von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen, beispielsweise durch Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen. Das bestätigt auch Siegfried Grünzinger, Seniorchef bei MSG Naturenergie in Mauth: „Im Moment ist die Nachfrage deswegen so groß, weil die Leute Angst davor haben, wie sich die Energiepreise entwickeln – sei es bei Gas, Pellets oder Strom.“
Zwischen „Sonnenland #1“ und „Spargelschock“
Natürlich ist hier nicht nur die Eigeninitiative der Bevölkerung gefragt, sondern gerade auch die Politik. Schließlich gibt sie die Richtung vor, in die sich ein Land entwickelt – und hat daher auch Verantwortung zu tragen, wenn sie diese Rolle als Wegweiser nicht wahrnimmt oder in der Vergangenheit nicht wahrgenommen hat. Ein gutes Beispiel hierfür ist die bayerische Landesregierung, die sich seit Jahren gegen den Ausbau von Windkraft in Bayern stellt. Horst Seehofer und Markus Söder sprachen etwa von einer „Verspargelung der Landschaft“ bzw. einem „Spargelschock“ – und fachten so Vorbehalte der Bevölkerung gegen Windenergie weiter an. Ob Söders Plan, die Produktion von grünem Strom bis 2030 zu verdoppeln, aufgehen wird, steht auf einem anderen Blatt – auch wenn er nun patriotisch von „Heimatenergie“ spricht.
Immer wieder wird von der politischen Führung beschworen, dass Bayern im bundesweiten Vergleich das „Sonnenland #1“ sei und man dementsprechend auch den Ausbau der Solarkraft fördern möchte. So soll etwa bis 2030 die Produktion von Solarstrom im Freistaat von derzeit 13 auf 40 Terrawattsunden ausgebaut und somit verdreifacht werden. Bis 2040 solle Bayern vollständig klimaneutral sein. Zu beachten ist dabei aber, dass der Freistaat durch seine südlichere Lage natürlicherweise mehr Sonnenstunden aufweist als der Norden Deutschlands. Die Tatsache, dass ein Bundesland mit mehr Sonne auch in der Vergangenheit vermehrt auf Solarenergie gesetzt hat, ergibt sich also auch aus geographischen Gründen. Dass sich die Politik damit brüstet, „Sonnenland #1“ zu sein, hält auch Siegfried Grünzinger für Unsinn: „Selbstverständlich ist es sinnvoll Photovoltaik dort zu nutzen, wo die Sonne scheint – aber das politisch für sich zu beanspruchen, das sehe ich etwas anders…“
„Dinge, die politisch ausgebremst werden“
Ungut ist seiner Meinung nach die derzeitige Einspeisevergütung, die man als Betreiber einer privaten Photovoltaikanlage – etwa auf dem eigenen Hausdach – erhält: „Im Moment bekomme ich für eine Kilowattstunde 8,2 Cent, wenn ich meinen Überschuss an Strom einspeise, zum Beispiel wenn ich gerade im Urlaub bin und keinen Strom verbrauche. Wenn man den Leuten aber einen vernünftigen Preis von 25 Cent pro Kilowattstunde geben würde, hätte das den Effekt, dass viele auch im Alltag Strom sparen würden, weil der eingespeiste Überschuss ihnen mehr Geld bringen würde. Bei ein paar Cent ist es das aber vielen nicht wert.“
Von politischem Unwillen zeugt für ihn auch die sogenannte „70-Prozent-Regelung“, die besagt, dass bei Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von bis zu zehn KW höchstens 70 Prozent des produzierten Stroms eingespeist werden dürfen. Eine Vorgabe, die nun zum 1. Januar 2023 für Neuanlagen abgeschafft wird.
Insgesamt wünscht sich Siegfried Grünzinger, dass bei derartigen energiepolitischen Fragen auch Leute zu Rate gezogen werden, die sich mit diesen Themen auskennen und praktische Erfahrung auf diesen Gebieten vorweisen können: „Es gibt manche Dinge, die politisch ausgebremst werden.“
Politikum Windkraft
Ein großer Vorteil der Photovoltaik ist die insgesamt gute Umweltbilanz der dafür nötigen Solarmodule: Zwar verbraucht die Produktion der Anlagen natürliche Ressourcen und setzt Treibhausgase frei. Aber anders als bei fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas oder Erdöl gibt es bei laufendem Betrieb keine Co2-Emissionen. Zudem verursachen die Module keinen Lärm oder Gestank und behalten über mehrere Jahrzehnte eine hohe Leistungsfähigkeit bei. Wichtig ist Grünzinger zufolge auch, dass die Module recyclebar sind, wodurch neues Material und Co2 eingespart werden können. Den weiteren Ausbau von Solarenergie hält er daher für sinnvoll und notwendig, auch wenn man immer „zwischen landwirtschaftlichen Nutzflächen und Photovoltaikanlagen abwägen müsse“.
Während die bayerische Landesregierung also den Ausbau von Solarenergie offiziell unterstützt und für sich beansprucht, scheiden sich bei der Windkraft hingegen die Geister: Auf der einen Seite steht Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, der Windkraft eher offen gegenübersteht. Auf der anderen war gerade für Söder und die CSU die 10h-Regelung lange eine rote Linie, die keinesfalls überschritten werden durfte. Erst Ende April wurde diese viel diskutierte Regel gelockert, die besagt, dass ein Windrad mindestens zehnmal so weit von der nächsten Wohnbebauung entfernt stehen muss, wie es hoch ist. Bei einer Höhe von 150 Metern, die moderne Anlagen heute meist mindestens erreichen, darf also in einem Umkreis von 1,5 Kilometern kein Wohngebäude stehen, was im dichtbesiedelten Mitteleuropa selten der Fall ist.
Dementsprechend schleppend verlief der Ausbau von Windenergie in Bayern in den vergangenen Jahren: So gingen laut vbw seit 2018 in Niederbayern nur acht neue Windräder ans Netz, obwohl der Regierungsbezirk hier mit nur knapp 60 Anlagen ohnehin schon Schlusslicht war. Zum Vergleich: In der Oberpfalz sind es 132, in ganz Bayern fast 1.300 Anlagen.
„Für Windenergie-Planungen eher nicht relevant“
Mit der gelockerten 10h-Regel soll es nun sogenannte Vorranggebiete geben, in denen der Abstand zur Wohnbebauung – unabhängig von der Höhe des Windrades – nur noch 1.000 Meter betragen muss. So soll das Errichten neuer Anlagen entlang von Bahntrassen, Autobahnen und in Wäldern vereinfacht werden. Insgesamt will die bayerische Regierung so bis zu 800 neue Windkraftanlagen bauen – auch in Niederbayern. In ihrer Grundform gilt die 10h-Regel, die über Jahre hinweg den Ausbau von Windkraft in ganz Bayern nahezu vollständig zum Erliegen brachte, allerdings weiterhin.
Über das zukünftige Potenzial von Windkraft im östlichen Regierungsbezirk lässt sich allerdings streiten. Während der vbw überzeugt davon ist, dass es auch in Niederbayern Vermögen für einen Ausbau der Windenergie gibt, kommt das Unternehmen „Windguard“ in einer durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Auftrag gegebenen Studie zu einem anderen Schluss: Weite Teile fallen dabei in die Kategorie „Für Windenergie-Planungen eher nicht relevant“. Das liege daran, dass in einer Höhe von 140 Metern die durchschnittliche Windgeschwindigkeit unter 5 Metern pro Sekunde beträgt – der Grenzwert, ab dem Windkraft rentabel scheint.
Laut bayerischem Energieatlas hingegen liegen die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten in 200 Metern Höhe auch in vielen Regionen Niederbayerns bei Werten über 6 m/s – und wären somit für rentable Windkraftnutzung geeignet. Hierzulande wären demnach höhere Anlagen nötig – und genau dafür wäre möglicherweise eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung vor Ort erforderlich.
NIMBY-Phänomen – und andere Probleme
Grundsätzlich unterstützen zwar einer regelmäßig durchgeführten Umfrage der „Fachagentur Windenergie“ zufolge im Jahr 2021 80 Prozent der Deutschen den Ausbau von Windenergie in der Bundesrepublik. Dennoch wollen viele die dafür nötigen Anlagen nicht in ihrem direkten Umfeld haben. Hierbei spricht man im englischsprachigen Raum vom sogenannten „NIMBY“-Phänomen: „Not in my backyard“ – also „nicht in meinem Garten“ – ist die moderne Version des im Deutschen gebräuchlichen Ausdrucks „Sankt-Florians-Prinzip“. Gemäß dem Ausruf „Verschon mein Haus, zünd andere an!“ wünschen sich manche Leute zwar im Allgemeinen einen Ausbau von bestimmten, wichtigen Infrastrukturen wie Stromtrassen, Autobahnen, Kraftwerken, Kläranlagen oder ähnlichem – aber selbstverständlich nicht in ihrem direkten Umfeld, ihrem sinnbildlichen „Garten“.
Zwar nehmen laut genannter Umfrage nur 13 Prozent der Deutschen an Demonstrationen teil, wenn in ihrem direkten Umfeld ein Windrad geplant würde. Aber auch kleine Gegeninitiativen und Demonstrationen können in einem demokratischen Rechtsstaat den Planungs- und Bauprozess um Jahre verschieben oder gar vollständig verhindern. Nicht zu vergessen ist das andere Fünftel der Bevölkerung, das den Ausbau von Windkraft generell nicht unterstützt. Gegner solcher Anlagen führen oft Tier- und Umweltschutz sowie Gesundheitsprobleme beim Menschen als Argumente gegen den Bau neuer Windräder ins Feld.
Dabei sind diese häufig pseudowissenschaftlicher Natur und enthalten häufig nur einen kleinen Kern Wahrheit. Beispielsweise stimmt es tatsächlich, dass Infraschall bei hohen Pegeln zu Herz-Kreislauf-Problemen, Hörschädigungen und Erschöpfung führen kann. Da die an Windkraftanlagen gemessenen Werte aber so niedrig sind, dass sie Menschen weder wahrnehmen noch hören können, sind diese nach aktuellem wissenschaftlichem Stand nicht gesundheitsschädlich.
Weit weniger tote Vögel durch Windkraftanlagen als…
Auch Vögel kommen bedeutend seltener als landläufig angenommen in den Rotoren der Windräder um. In aller Regel basieren die Daten zudem auf Zufallsfunden, die dann offiziell gemeldet werden und daher nur eine geringe Aussagekraft haben. Schätzungen und Hochrechnungen belaufen sich jedoch häufig auf ca. 100.000 Vögel, die in Deutschland pro Jahr durch Windkraftanlagen sterben. Bedeutend höher sind etwa die Todeszahlen durch Katzen, Fensterscheiben und den Straßenverkehr: Hier finden sich Werte im teils dreistelligen Millionenbereich – allein den Katzen sollen laut NABU in Deutschland jährlich 20 bis 100 Millionen Vögel zum Opfer fallen, bei Fensterscheiben sind es zwischen 100 und 115 Millionen tote Vögel pro Jahr.
Besonders problematisch wird der Streit um Windkraft dann, wenn gewisse Grenzen eindeutig überschritten werden. Fälle, in denen etwa Kommunalpolitiker offen angefeindet, bedroht oder körperlich angegriffen werden, sind überraschend häufig und finden sich in ganz Deutschland. So wurde vor einigen Jahren Gudrun Donaubauer, Bürgermeisterin der Gemeinde Hauzenberg, von radikalen Gegnern der Windkraft angefeindet. In Kombination mit einem Drohbrief wurden ihr sogar tote Mäuse in den Briefkasten gelegt.
Was bringt die Zukunft?
Abschließend lässt sich sagen, dass die Energiewende in Niederbayern zumindest im Bereich der Stromerzeugung bereits beachtlich weit voran gestritten ist. Nichtsdestotrotz gibt es weiterhin Ausbaupotenzial im Regierungsbezirk. Die Politik steht in der Verantwortung, ihre durchaus ambitionierten Ziele – wie die Klimaneutralität bis 2040 oder die Verdoppelung der Erzeugung von grünem Strom bis 2030 – gewissenhaft umzusetzen.
Gerade in nächster Zeit wird sich durch die Energiewende in anderen Bereichen (wie dem Verkehrssektor) der Strombedarf Deutschlands und somit auch Niederbayerns deutlich erhöhen, weshalb dieser Ausbau dringend notwendig ist. Hierzu muss die Politik ihre finanziellen Förderungen und Zuschüsse sowie ihre Rhetorik überdenken, aber auch die Bevölkerung hat diese weitreichenden Veränderungen mitzutragen. Nur wenn alle Beteiligten gemeinsam an einem Strang ziehen, lässt sich diese Mammutaufgabe bewältigen.
Florian Fink
Ich bitte Sie höflich das Foto von den fridays for future Demonstantinnen auszutauschen. Ich halte es für völlig deplaziert. Zum einen sind es minderjährige Personen die einen besonderen Schutz benötigen und als Einzelpersonen deutlich zu erkennen sind. Zum anderen protestieren gegen Windkraftanlagen überwiegen ältere Männer! Bitte nehmen Sie dafür ein passendes Foto!