Freyung. Die Linderung von Leiden, von Schmerzen und körperlichen Beschwerden, von Atemnot genauso wie von Ängsten steht im Mittelpunkt der Palliativmedizin. Sie ist nicht dazu da, die Ursachen von Krankheit zu bekämpfen, sondern deren Symptome. Sie will gegen die Auswirkungen lebensverkürzender Erkrankungen vorgehen – und das stets im Hinblick darauf, dass der medizinische Einsatz im Sinne des Patienten verläuft, um die ihm noch verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten.
Über die Bedeutung ihrer überaus anspruchsvollen Tätigkeit auf der Palliativstation am Freyunger Krankenhaus, über Ängste, den Unterschied zur Hospiz und die Frage, wie man all das tägliche Leid verkraftet, haben Sylvia Rodler und Dr. Verena Heller im ersten Teil unseres großen Hog’n-Interviews gesprochen. Im zweiten Teil geht es um die erfüllenden Momente ihrer Arbeit, die nicht immer einfache Corona-Zeit, das Thema „Verhungern und Verdursten“ sowie die Frage, wer sich in Sachen Palliativ sonst noch miteinbringt.
„Schreiten Sie zum Äußersten – sprechen Sie mit dem Patienten!“
Was ist das erfüllende Moment ihrer Arbeit? Was sind die schönen Seiten?
Rodler: Wir bekommen sehr viel zurück von den Menschen. Es ist vor allem die Dankbarkeit und die Rückmeldung seitens der Patienten und Angehörigen, dass sie zufrieden sind mit unserer Arbeit. Denn es ist ja meine Aufgabe, die ich gut machen will. Das erfüllt mich.
Heller: Bei mir ist es etwas anders, denn als altgediente Anästhesistin und Vollblut-Intensivmedizinerin hat mich die Machbarkeit in der Medizin, die mit der Ethik augenscheinlich nicht mehr übereinstimmt, sehr nachdenklich gemacht und auf Palliativ geführt. Weil das, was möglich ist, auch oft aus wirtschaftlichen Gründen gemacht wird – ob es wirklich sinnvoll ist oder nicht. Weil der Mensch oft nicht mehr im Mittelpunkt steht. Und es wird leider immer mehr…
Was ich sehr schätze, sind die langen Gespräche mit den Angehörigen – das ist so wichtig. Weil niemand mehr wirklich mit den Leuten redet. Die Patienten kommen ins Krankenhaus, werden durchgecheckt, dann geht’s wieder raus. Keiner weiß, welche Probleme sie eigentlich haben. Doch das gibt es bei uns hier nicht. Wir reden mit den Leuten, versuchen ihnen klar zu machen, was noch möglich ist und was nicht. Und wir versuchen zuzuhören – das macht nämlich so gut wie keiner mehr.
Rodler: Wir versuchen sehr auf die Bedürfnisse unserer Patienten einzugehen. Es geht nicht darum, dass sie die Tabletten auf die Minute genau einnehmen. Der Patient darf auch noch eigene Entscheidungen treffen. Wir wollen ihn nicht bevormunden, sondern ihn auf dem Weg begleiten, den er für sich gewählt hat. Ohne das ständig zu bewerten. Wir sind da ganz neutral. Der Patient gibt den Weg so vor, wie er ihn gehen möchte. Aber freilich führen wir ihn dabei auch ein bisschen. Und begleiten ihn.
Palliativ nimmt somit eine Art Inselstellung innerhalb des Mikrokosmos Krankenhaus ein, richtig?
Heller: Ja, Palliativ ist eine Insel. Ich bin ja wirklich schon sehr lange in der Medizin tätig – und es hat sich sehr vieles geändert. Es gibt mittlerweile den Spruch: Schreiten Sie zum Äußersten – sprechen Sie mit dem Patienten! Wir von der Palliativ sind – neben der Psychosomatik und der Psychologie – die letzte sprechende Medizin. Das Gespräch wird nur gering bezahlt. Der Hausarzt, der früher die gesamte Familie kannte, ist vom Aussterben bedroht. Ich will jetzt nicht von der heilen Welt sprechen. Aber der Kontakt zum Patienten und den Verwandten, die sagen, sie fühlen sich hier aufgehoben – das ist es, was mir Freude bereitet.
„Das ist während Corona alles verloren gegangen“
Wie hat die Corona-Zeit ihre Arbeit auf Palliativ geprägt?
Rodler: Die ganzen Vorschriften haben uns die Arbeit sehr erschwert – die Testerei, die Angehörigen, die nicht geimpft waren. Schon allein die Maske: Wenn ich heute mit einem schwerhörigen Menschen reden muss und dabei eine Maske trage. Die gesamte Mimik, die der Patient nicht mitbekommt. All das hat es sehr schwierig gemacht.
Heller: Während der ersten Welle durfte ja niemand kommen. In der zweiten wurde erkannt, dass es für die Patienten sehr schlimm ist, wenn sie allein sterben müssen. Somit wurde arrangiert, dass bei Sterbenden zumindest ein Angehöriger kommen darf. Sie waren ja völlig allein – und nur Vermummte kamen zu ihnen. Das war furchtbar. Auch für unser Personal.
Wir hatten Zeiten, in denen wir verschiedene Corona-Varianten hatten. Dann haben wir die 3G getrennt. Die betreuenden Schwestern wurden ebenfalls getrennt. Und wenn man sich immer anziehen muss mit Mundschutz, Brille, Visier, Haube, Doppelhandschuhe, Doppelkittel – gerade im Sommer…
Rodler: Dabei darf man nicht vergessen, wie enorm wichtig der Hautkontakt für einen Menschen ist. Gerade bei Älteren. Wie bedeutsam es für sie ist, wenn man sie mit der bloßen Hand einfach mal kurz streichelt, ohne dass ein Handschuh dazwischen ist. Doch das ist während Corona alles verloren gegangen.
Waren die Corona-Beschränkungen denn noch nachvollziehbar?
Heller: Die gesamte Corona-Lage war über die beiden zwei Jahre hinweg überaus komplex. Die Maßnahmen waren zum Teil ziemlich fragwürdig – aber das ist ja bekannt.
Rodler: Was ist bitte daran nachvollziehbar, wenn ich hier auf der Station acht Stunden arbeite und abends um 9 Uhr nicht mehr vor die Tür zum Spazierengehen darf?
Wirtschaftlich unrentabel
Themawechsel: Wie finanziert sich diese Abteilung im Krankenhaus hier eigentlich? Gibt es dafür eine Art Sonderetat?
Heller: Palliativ als solches bildet aufgrund der hohen Personalzahl und der großzügigen Räumlichkeiten natürlich keinen Positivposten in der Krankenhaus-Bilanz. Eine Palliativ-Station, die Gewinn bringt, ist meiner Meinung nach keine gute. Rein monetär gesehen ist keine Palliativ-Station wirtschaftlich rentabel.
Die Tage auf Palliativ sind für die Patienten eigentlich begrenzt, das heißt: Zehn Tage können abgerechnet werden – und dieser Zeitraum sollte auch nicht überschritten werden. Natürlich: Wenn jemand sterbend ist, wird diese Person nicht entlassen.
Apropos: Was mir noch wichtig wäre, ist das Thema „verhungern“ und „verdursten“ – das ist ein Riesenproblem in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Sprich: Die Leute glauben, wenn sie nichts mehr trinken und nichts mehr essen können, dass man ihnen unbedingt etwas zuführen muss. Künstliche Ernährung per Magensonde. Doch es ist so: Man kann nicht verhungern und verdursten, wenn man keinen Hunger und keinen Durst hat.
Rodler: Stimmt. Man verhungert dann, wenn man Hunger hat, aber nichts zu essen kriegt. Bei uns auf der Station wird den Leuten etwas zu essen angeboten – nur die Patienten wollen oft nicht mehr essen.
Heller: Das Gefühl des Durstes kommt von einem trockenen Mund. Sie können einem Menschen, der Durst hat, so viele Infusionen legen, wie Sie wollen. Doch davon geht der Durst nicht weg. Das wichtigste ist, dass der Patient einen feuchten Mund hat – am besten angefeuchtet mit etwas, das ihm auch geschmacklich zusagt.
Das Team besteht nicht nur aus Ärzten und Schwestern
Neben den Ärzten und Schwestern – wer engagiert sich sonst noch in Sachen Palliativ?
Rodler: Wir sind ein großes Team. Wir haben Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Atemtherapeuten, Entspannungstherapeuten, Klangtherapeuten. Und auch Hospizbegleiterinnen und – begleiter, die über den Hospizverein im Landkreis Freyung-Grafenau ehrenamtlich bei uns tätig sind.
Heller: Ja, das sind teils sehr aufopferungsvolle Menschen. Wir haben auch Trauerbegleiterinnen und -begleiter. Genauso Seelsorger, evangelische wie katholische, die einmal in der Woche zu den Patienten kommen. Ebenso Psycho-Onkologen, die sich speziell mit Tumor-Patienten beschäftigen.
Dann gibt es noch die sogenannte PaKo, die Patientenkoordination. Dort kümmert man sich um die Frage, wo die Leute nach ihrem Aufenthalt hier hinkommen, sprich: ins Heim, in die Kurzzeitpflege oder auch ins Hospiz. Es gibt ja viele Menschen, die nach dem Krankenhausaufenthalt nicht mehr nach Hause können. Zudem gibt es zwei spezielle ambulante Palliativ-Versorgungen. Deren Mitarbeiter gehen zu den Patienten nach Hause und betreuen sie dort. Wir sind der einzige Landkreis in Deutschland, der zwei SAPVs hat.
Rodler: Wir werden auch immer wieder mit großzügigen Spenden von Privatleuten unterstützt, mit denen wir gewisse Extras auf der Station finanzieren können – wie etwa ätherische Öle, eine gute Kaffeemaschine, schöner Blumenschmuck oder hochwertiges Mobiliar. Dinge, die es wohnlich für die Patienten machen, damit sich sich hier wohlfühlen können. Dafür möchten wir einfach mal Danke sagen.
Auch wir möchten uns bedanken für ihre Zeit. Alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer