Unterseilberg. Retro ist modern. Vor allem das Rückbesinnen auf das Natürliche. Was früher aufgrund ärmlicher Verhältnisse alternativlos war, liegt heute wieder im Trend. Das gilt nicht nur für die Kulinarik oder die Mode, sondern auch und vor allem für den letzten Gang. Viele entscheiden sich deshalb „ante mortem“ für sich selbst oder im Sinne ihrer Angehörigen für eine Beisetzung möglichst in freier Natur. Toni Sammer aus Unterseilberg (Gemeinde Grainet) hat diese Entwicklung erkannt und deshalb in unmittelbarer Nähe seines Elternhauses einen Naturfriedhof errichtet, den er seit Oktober 2021 betreibt.
Als Mann vom Fach – seit 2016 ist der 34-Jährige als Bestatter tätig – hat Toni Sammer freilich erkannt, „dass sich die Bestattungskultur verändert hat“. Dies liegt einerseits an dem bereits erwähnten Trend „Zurück zum Ursprung“, hat andererseits aber schlicht und einfach pragmatische Gründe: „Die Grabpflege ist vielen mittlerweile zu aufwendig“, wie er festgestellt hat. „Will man trotzdem die Natur als letzte Ruhestätte für sich oder seine Verwandten wählen, ist ein Naturfriedhof ideal.“ Denn im Gegensatz zu einem „Stellplatz“ in einer Urnenwand aus Beton genießt ein Grab auf einer freien Wiese oder im Wald eine doch recht individuelle Note.
Unabhängig von Religion, Herkunft und Sexualität
So sind auf dem Naturfriedhof anonyme Bestattungen im Rahmen eines Gemeinschaftsgrabes genauso möglich wie ein Platz bei den Familienangehörigen unter einem selbst gepflanzten Baum. Ebenso eine Grabstelle, eingebettet in verschiedene Themenbereichen wie das „Rosenfeld“, das „Steinfeld“ oder das „Bonsaifeld“. Auch ein Urnengrab auf offenem Feld oder im angrenzenden Gehölz ist möglich. Die Beisetzung kann ohne oder im Beisein von Teilnehmern abgehalten werden. Für entsprechende Gedenkfeiern steht ein großzügiger Pavillon bereit.
„Wir sind an keine Konfession oder an ein Bestattungsinstitut gebunden“, berichtet Bestattungsfachkraft Sammer und verweist darauf, dass auf „seinem“ Naturfriedhof sogar Menschen begraben werden können, die keine Religion haben oder vom „Leben nach dem Leben“ nicht überzeugt sind. Das atemberaubende Panorama mit Blick in den Graineter Kessel und der bei Föhn sichtbaren Alpenkette dahinter ist demnach für jedermann möglich – auch wenn dies angesichts der Tatsache, dass es sich um einen Friedhof handelt, etwas komisch klingen mag. Einzige Voraussetzung: Es sind ausschließlich Urnenbeisetzungen auf dem Areal bei Unterseilberg möglich. Gleichzeitig werden dabei alle von staatlicher Seite vorgegebenen Regeln und Gesetze eingehalten.
Der Naturfriedhof umfasst 30.000 Quadratmeter
Denn: Die Gemeinde Grainet ist Träger des Naturfriedhofes, Toni Sammer tritt als Betreiber auf. Das Projekt Naturbestattungen Grainet war nicht nur deshalb eine längerfristige Angelegenheit, bevor es seiner Bestimmung nachgehen konnte. Zunächst einmal musste das Vorhaben des 34-jährigen Bestatters verschiedenste Instanzen – darunter den Gemeinderat der Haidel-Kommune – durchlaufen. Im Anschluss daran waren größere Arbeiten vonnöten: Die Anfahrt musste ausgebaut werden, ein Parkplatz entstand, die Themenfelder wurden ausgearbeitet und angepflanzt bzw. installiert, barrierefreie Wege angelegt und der Pavillon errichtet. „Insgesamt sprechen wir von einer Vorlaufzeit von rund 14 Monaten.“
Toni Sammer fungiert als eine Art Hausmeister des 30.000 Quadratmeter großen Geländes. Er ist für die generelle Pflege der Grün- und Waldflächen zuständig. Darüber hinaus ist er als Verwalter – und auch als Seelsorger tätig. „Es ist eine Erfüllung für mich, wenn ich für Angehörige da sein kann“, erklärt er seine doch recht außergewöhnliche Berufswahl nach einer anderweitigen, handwerklichen Ausbildung und einer zehnjährigen Dienstzeit bei der Bundeswehr. „Die Dankbarkeit, die man spürt, wenn man einfach nur da ist und zuhört, ist von unschätzbarem Wert.“
Helmut Weigerstorfer