Hinterschmiding/Grainet. Was zuviel ist, ist zuviel. Das denkt sich in diesen Tagen Heinrich Lenz. Zwar ist er mittlerweile nicht mehr Bürgermeister der Gemeinde Hinterschmiding, dennoch liegt im das Wohl seiner Heimat weiterhin am Herzen. Zudem beschäftigt sich der Kreisrat weiterhin mit lokalpolitischen Themen. Und da ist er vor allem beim jüngsten Beitritt der Haidelkommunen Grainet und Hinterschmiding zur ILE Wolfsteiner Waldheimat, den Lenz‘ Nachfolger Fritz Raab im Hog’n-Interview bereits angekündigt hatte, stutzig geworden. Deshalb hat er dem Onlinemagazin „da Hog’n“ folgenden Kommentar zur Integrierte Ländliche Entwicklung (ILE) zukommen lassen:
„Es wird wohl kaum eine Kommune in Bayern geben, die nicht schon einmal mehr oder weniger zwangsweise über gesetzliche Vorgaben oder freiwillig mit Nachbarkommunen zusammengearbeitet hat. Der permanente Druck, die komplette Aufgabenerfüllung unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz zu betrachten, zwingt uns dazu, immer wieder nach neuen Handlungsoptionen Ausschau zu halten, proaktiv und nicht reaktiv tätig zu werden. So wurde schon mit der Gebietsreform 1972/1978 die Zahl der Landkreis von 143 auf 71 mehr als halbiert und die der Gemeinden von knapp 7000 auf rund 2000 reduziert. (…) Ziel der Reform war eindeutig die Stärkung der kommunalen Leistungs- und Verwaltungskraft. Etwa zur gleichen Zeit wurde das Landesentwicklungsprogramm (LEP) aufgestellt, das bis heute noch gültig ist und erst umfassend reformiert wurde. (…)
ILE, ARGE, Leader, etc: „Da verliert man leicht den Überblick“
1991 kam dann das Förderprogramm „Leader“ hinzu, um mit lokalen Aktionsgruppen modellhaft innovative und partnerschaftliche Aktionen im ländlichen Raum anzustoßen. Zentrale Elemente sind sektorübergreifende Ansätze, Nachhaltigkeit und eine aktive Bürgergesellschaft. Speziell für die regionale Wettbewerbsfähigkeit wurden die Landratsämter auch noch zusätzlich zum Wirtschaftsreferenten mit Regionalmanagern ausgestattet. (…) Schwerpunktmäßig stehen die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der sinkenden beziehungsweise nur mäßig ausgeprägten Wirtschaftsleistung oder der Abwanderung der jungen Generation im Vordergrund. Insgesamt soll die Attraktivität und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des ländlichen Lebensraums nachhaltig gestärkt werden. Darüber hinaus geben auch der Zukunftsrat Bayerns und Aktionspläne einzelner Regierungsbezirke (zum Beispiel Aufbruch Niederbayern) Empfehlungen und Ratschläge, wie Wirtschaft und Kommunalpolitik in Bayern noch besser funktionieren könnten. Bezieht man ferner noch unsere Spitzen- und Zweckverbände, die AKDB sowie die touristischen Institutionen auf allen Ebenen mit ein, so könnte man schon leicht den Überblick verlieren und staunt darüber, dass sich bei diesem Überangebot an Zusammenarbeit überhaupt noch etwas anderes entwickeln könnte.
„Gute Stimmung – sodass man ein schlechtes Gewissen bekommt“
Mit der Einführung der ILEs im Jahre 2004 wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen, die interkommunale Zusammenarbeit scheinbar neu erfunden. Ressourceübergreifend und mit viel Geld ausgestattet versucht man seit nunmehr zehn Jahren über die nicht mehr ganz ausgelasteten Ämter für ländliche Entwicklung den strukturschwachen Raum zu fördern und die Standortqualität der Gemeinden zu verbessern. Sie schießen wie Pilze aus dem Boden und treten teilweise in Größenordnungen auf, die den Umfang eines halben Landkreises haben. Es wird für gute Stimmung gesorgt, so dass man schon ein schlechtes Gewissen bekommt, dieser Einrichtung nicht anzugehören.
„Erst wird mal eine Fülle an Fördermöglichkeiten in Aussicht gestellt“
Weil alle ILE-Gemeinden die Finanznot eint, setzt jeder Start ein sündhaft teueres und für die Praxis oft untaugliches Konzept externer „Experten“ voraus (Beispiel: 50 000 Euro für ILE-Nationalparkgemeinden), das aber nicht – wie man vermuten würde – zu Einsparungen anregt, sondern erst einmal neue, kostenintensive Standards und Parallelstrukturen auflistet, die auf Gemeinde- oder Kreisebene schon in anderer Form vorhanden sind. Die Handlungsfelder erstrecken sich unter anderem über den Jugend-, Senioren-, Gesundheits- und Bildungsbereich oder auch über den Tourismus. Mit wenigen Ausnahmen wird alles angeboten, was zum Pflichtaufgabenkatalog im eigenen Wirkungskreis der Gemeinden gem. Art. 57 GO gehört. Und damit der ILE-Beitritt leichter fällt und eine kritische Betrachtung des Angebots gleich gar nicht stattfindet, werden Mitgliedern erst einmal einen Fülle von Fördermöglichkeiten in Aussicht gestellt.
„Mit Selbstverwaltung nicht mehr in Einklang zu bringen“
Das führt dann zu Projektideen und Mitnahmeeffekten, die ohne Förderung überhaupt angedacht würden (Stichwort: Kernwegenetz). Beamte mit „Bodenkompetenz“, die sich bisher mit Flurbereinigungs-maßnahmen und Dorferneuerungen befasst haben, begleiten und moderieren seit 2004 die Auflösung und Zusammenlegung von Standesämtern oder leiern neue touristische Zusammenschlüsse mit an. Nach dem Motto „wer zahlt schafft an“, gibt der Kofinanzierer (das Amt für ländliche Entwicklung = ALE) natürlich auch den Ton an. Das ist Politik mit dem „goldenen Zügel“, die nach der „Konjunkturparty“ nicht mehr funktionieren wird. Staatlich gefördertes Anspruchsdenken statt Stärkung der Eigenverantwortung ist schon lange nicht mehr zeitgemäß und stellt auch einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip dar. Mit kommunaler Selbstverwaltung jedenfalls ist das nicht mehr in Einklang zu bringen.
„Keine Lösung bei wirklichen Problemen der Gemeinden“
Auffallend ist zudem, dass dort, wo wir wirklich Probleme haben, etwa beim Breitbandausbau, bei der Sanierung der Ortsstraßen, der Brückenbauwerke und der leitungsgebundenen Einrichtungen sowie mit dem Bevölkerungsschwund auch die ILEs keine Lösung haben. Auffallend ist ferner, dass dort, wo sich mehr Zusammenarbeit anböte und Einsparpotenzial bestünde, wie etwa bei der baulichen und technischen Ausstattung der Feuerwehren, im Fuhrparkbereich der Bauhöfe oder im Bereich der Kommunikationstechnologien sich keiner aus der Deckung wagt.
Die ILE-Nachzüglergemeinden Hinterschmiding und Grainet haben daher mit Sicherheit nichts versäumt. Sie waren und sind in der seit 1999 bestehenden Dreiländereck-ARGE bestens aufgehoben und haben dort ohne großen Beamtenapparat und externen Dienstleistungsaufwand vieles von dem, was jetzt medial aufgebauscht als Novum dargestellt wird, schon praktiziert und umgesetzt. Es dürfte somit mehr als fraglich sein, dass sie mit diesem Beitritt das große Los gezogen haben.
__________
Reaktionen aus Grainet und Hinterschmiding
Fritz Raab (Hinterschmiding): „Es ist allseits bekannt, dass sich Herr Lenz seit Jahren sehr kritisch über die Integrierte Ländliche Entwicklung äußert. Mit einem ähnlichen Schreiben hatte er bereits im Mai 2013 Minister Helmut Brunner kontaktiert. Dieser hatte damals mit keiner Antwort reagiert. Meine Reaktion auf diesen Kommentar ist folgende: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit!“
Von Kaspar Vogl hat uns bis dato keine Stellungnahme erreicht.
da Hog’n