So ein bayerisches Fußballerherz schlägt meist entweder rot oder blau, für den FC Bayern oder für 1860 München. Und niemand, der das Bayern-Logo mit Stolz auf seiner Brust trägt, zeigt auch nur einen Funken Sympathie für die Löwen – und umgekehrt. Das Attraktive am Fußball ist mitunter, dass sich die Fußballwelt so schön in Schwarz und Weiß unterteilen lässt, in das Eigene und das Andere, in Pro und Contra. In der Politik ist diese Logik nur bedingt nützlich – und findet doch immer mehr Anhänger, wie zuletzt am Wochenende in Berlin bei der Demonstration „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“.

Reichsflaggen und Ghandi-Konterfei: In Berlin marschierten am vergangenen Wochenende Menschen Seite an Seite, „die sich andernorts wohl nicht einmal mit dem Hinterteil ansehen würden.“ Fotos: Thomas Witzgall
Der Kampf um Bedeutung beginnt schon bei der Teilnehmerzahl: Von rund 20.000 Demonstranten sprach die Berliner Polizei – laut Veranstalter sollen am Wochenende 1,3 Millionen Menschen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung protestiert haben. Unabhängig von der genauen Zahl marschierten dort Personen nebeneinander im Protestzug, die sich andernorts wohl nicht einmal mit dem Hinterteil ansehen würden: Neben der Reggae- flatterte die Reichsfahne, Esoterikerinnen praktizierten eine „Herzmeditation“, während Pegida-Anhänger „Wir sind das Volk“ skandierten.
Kritik an den Corona-Maßnahmen ist wichtig und richtig
Diese widersprüchliche Melange aus Impfgegnern, Aussteigern, Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen einte an diesem Samstag – trotz aller ideologischen Differenzen und steigender Corona-Fallzahlen – die Sehnsucht nach dem Ende der Corona-Beschränkungen. Ihr gemeinsames Ziel: „Freiheit“ statt „Corona-Diktatur“. Müßig zu erwähnen, dass Masken und Sicherheitsabstand eine eher untergeordnete Rolle spielten (weshalb die Berliner Behörden die Veranstaltung auch zeitnah auflösten).
Es ist wichtig und richtig die von der Regierung verordneten Corona-Maßnahmen kritisch zu beobachten – und gleichzeitig äußerst schwierig. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie greifen teils massiv in die Grundrechte der Bürger ein – und es wäre nicht das erste Mal, dass unter dem Banner des „Ausnahmezustands“ eine Demokratie zerstört wird. Ein Blick nach Ungarn zeigt, wie schnell ein Regierungschef Orban mit Verweis auf das Virus das eigene Parlament entmachten kann. Wachsame, mündige und kritische Bürger, funktionierende demokratische Institutionen sind derzeit wohl wichtiger denn je.
Kritik mutierte in diesem Klima zur Ablehnung allen Faktischen
Doch Kritik zu üben fällt schwer, weil die COVID-19-Maßnahmen stets mit dem Hinweis auf die „Notwendigkeit“ und der „Alternativlosigkeit“ kommuniziert werden. Der demokratische Diskurs, der Raum für Kritik und Widerspruch, muss vielfach dem Verweis auf „wissenschaftliche Fakten“ weichen. Es scheint vielfach so, als ob nicht gewählte Volksvertreter die Geschicke der Republik lenken, sondern (fachlich hochkompetente, aber demokratisch nicht legitimierte) Virologen und Mediziner. Kritik mutierte in diesem diskursiven Klima, einem Klima gefühlter Ohnmacht, nur allzu oft zur Ablehnung alles Faktischen: Corona sei nur ein bösartiger Weltverschwörer-Plan von Bill Gates, das Virus nur eine Erfindung zur Entmündigung der Massen und so weiter.
So erklärt sich auch die Zusammensetzung der Berliner Demo: am Wochenende protestierten überwiegend – aber nicht nur! – jene, die (in unterschiedlichen Schattierungen) die Grundlagen unserer Gesellschaft als Ganzes ablehnen. Jene, die der Meinung sind, mittels Impfpflicht werden bald die Gehirne der Bürgerinnen und Bürger kontrolliert; jene, die vorm „großen Austausch“ warnen und ihren Rassenwahn propagieren; jene, die esoterischen Vibes mehr vertrauen als demokratischen Institutionen; und jene, die ihr Heil in einem Mix aus Eskapismus und Selbstversorgertum zu finden glauben.
Die Ohnmacht in einer „marktkonformen Demokratie“
Ihnen liegt nichts daran, sich an der gesellschaftlichen Debatte zu beteiligen, weil sie an diese Gesellschaft und ihre Institutionen ohnehin nicht (mehr) glauben (wollen). Statt konkreter Kritik wählen sie die absolute Ablehnung des Bestehenden, die Ablehnung von Wissenschaft, Vernunft und Fakten als einzig vorstellbaren Ausweg – eifrig unterstützt von Rechtsextremen (im Dunstkreis der AfD), die aus der Proteststimmung Kapital schlagen wollen, und vom Schmierblatt BILD, das sich angesichts des eigenen Niedergangs schon längst für nichts mehr zu schade scheint.

„Ihnen liegt nichts daran, sich an der gesellschaftlichen Debatte zu beteiligen, weil sie an diese Gesellschaft und ihre Institutionen ohnehin nicht (mehr) glauben (wollen).“
Dass es ausgerechnet Rechtsradikale und Rechtsextreme sind – die ansonsten um keinen Ruf nach „Ordnung“ und „Sicherheit“ verlegen sind –, die sich nun gegen die „Corona-Diktatur“ auflehnen, überrascht wenig. Die rassistische Hetze gegenüber Geflüchteten und Migranten folgt demselben Schema: Kritik an gesellschaftlichen Zuständen zu üben fällt zunehmend schwerer, weil jede echte politische und/oder soziale Forderung mit dem Verweis auf die „Notwendigkeit“ und die „Alternativlosigkeit“ im Keim erstickt wird.
In einer „marktkonformen Demokratie“ (Merkel) sind Forderungen, die die Märkte beunruhigen oder das Wachstum gefährden könnten, nicht verhandelbar. Der Raum für Kritik ist – wie in Sachen Corona – hierbei maximal eingeschränkt. Wenn die Unordnung des Bestehenden als alternativlos empfunden wird, ist es für Politiker der AfD, deren Vorfeldorganisationen und andere Rechtsextreme ein Leichtes, diesen Frust ob der (politischen) Ohnmacht zu kanalisieren. In dieser Ideologie ist es stets der Andere, der die vermeintlich biodeutsche Harmonie zu stören scheint: Migrantinnen, Geflüchtete und Andersdenkende.
Kommentar: Johannes Greß
Hallo Johannes Greß,
mein Glückwunsch zu dieser höchst gelungenen Analyse!
Wieder einmal (!) begeistert mich Ihre feinfühlige und feinsinnige Aufbereitung.
Im wahrsten Sinn des Wortes:
Hochachtungsvoll
Peter
Lieber Peter,
vielen, lieben Dank :)
LG Hannes