Zwiesel/Freyung. „Wegen dieses Medikaments ziehen Frauen in Deutschland und Frankreich vor Gericht. Es gibt auch Todesfälle, die aufgrund von Komplikationen nach der Einnahme von Cytotec aufgetreten sind. Mehrere Babys verstarben in Deutschland und Frankreich“ – so lautet das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Recherche von Süddeutschen Zeitung und BR, die jüngst veröffentlicht wurde.
Cytotec sei ursprünglich in den 80er Jahren als Magenschutzmittel konzipiert und für diesen Zweck zugelassen worden. Es werde jedoch auch angewendet, um Geburten einzuleiten, da es Kontraktionen der Gebärmutter auslöse und somit Wehen fördern könne, klärt die SZ in einem gesonderten Artikel dazu auf. Weiter heißt es: „Obwohl das Präparat für die Geburtsmedizin nie zugelassen wurde, verwendet einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck zufolge die Hälfte der deutschen Kliniken Cytotec zur Einleitung der Geburt. Diese Anwendung ist im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit zulässig – im sogenannten Off-Label-Use.“ Untersuchungen hätten gezeigt, dass es bei Cytotec häufiger zu einem sog. Wehensturm (dicht aufeinander folgende Wehen) komme, der dazu führen könne, dass das Kind nicht mehr mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird.
„Keine Auffälligkeiten in der Arberlandklinik Zwiesel“
Während Cytotec in den Krankenhäusern der Kliniken am Goldenen Steig (Landkreis Freyung-Grafenau) nach Auskunft der Geschäftsleitung bis dato nicht zum Einsatz kam, wird das Medikament und der darin enthaltene Wirkstoff Misoprostol in der Geburtshilfe-Abteilung der Arberlandklinik Zwiesel (Landkreis Regen) seit mindestens 2014 angewandt, wie Pressesprecherin Stephanie Blüml auf Hog’n-Nachfrage mitteilt:
Frau Blüml: Bei wie vielen Geburten ungefähr ist Cytotec bis dato zum Einsatz gekommen?
In der Arberlandklinik Zwiesel gab es – beispielhaft im Jahr 2018 – 331 Geburten, davon wurden 64 eingeleitet. Das sind 19,3 Prozent und damit liegen wir – im Vergleich bei Kliniken unserer Vergleichsgruppe (22,5 Prozent) und aller Kliniken in Bayern (22,9 Prozent) – unter dem Durchschnitt. Die Daten berufen sich auf Auswertungen der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung (BAQ). Hierbei sind wir verpflichtet im Rahmen der gesetzlichen, externen Qualitätssicherung vierteljährlich u.a. alle geburtshilflichen Fälle zu melden. Um genau festzulegen, bei welcher der Einleitungen das Medikament mit dem Wirkstoff Misoprostol verwendet wurde, ist eine genaue Sichtung der Akten notwendig, über welche auch die Abgabe der Medikamente dokumentiert werden.
Gab es irgendwelche Auffälligkeiten während bzw. nach der Geburt?
Nein. In der Arberlandklinik Zwiesel sind keine Auffälligkeiten aufgetreten, die in Zusammenhang mit der Gabe des Medikaments mit dem Wirkstoff Misoprostol gebracht wurden, da akute Nebenwirkungen des Medikaments unmittelbar durch den Arzt und die Geburtshelfer wahrnehmbar wären. Jede werdende Mutter wird zum Einsatz der Medikamente aufgeklärt und jeweils schriftlich durch die Patienten bestätigt und entsprechend dokumentiert. Ein Einsatz des Medikaments ist im offiziellen Aufklärungsbogen vermerkt und auch als Off-Label Medikament angegeben.
„Misoprostol ist ein effektives Mittel in der Geburtseinleitung“
Generell: Warum wurde bzw. wird Cytotec in der Zwieseler Arberlandklinik eingesetzt?
Der Wirkstoff Misoprostol, welcher auch den Wirkstoff in Cytotec darstellt, ist eines der effektivsten Medikamente zur Geburtseinleitung und führt vor allem bei der oralen Anwendung zu weniger Kaiserschnitten als mit anderen Medikamenten (Dinoproston, Oxytocin). Dies bestätigt auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Entgegen der SZ-/BR-Berichterstattung ist der Wirkstoff Misoprostol zur Geburtseinleitung bei geburtshilflichen Experten nicht umstritten, weshalb fast alle Perinatalzentren höchster Ordnung diesen Wirkstoff verwenden. Hierbei wird nicht „Cytotec 200“ genutzt, sondern ein Misoprostol-Präparat geringerer Dosierung. Auch in der Arberlandklinik Zwiesel wird das Medikament nur in der Dosierung angegeben, wie sie auch durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen wird: Maximaldosis von 25 Mikrogramm des Wirkstoffs Misoprostol.
Die Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Gabe von Misoprostol könnten daher auf die fälschliche Dosierung des Medikaments zurückzuführen sein. Zudem darf das Medikament nicht bei Kontraindikationen verwendet werden, z.B. vorangegangene Kaiserschnitte oder Operationen an der Gebärmutter.
Wie beurteilen Sie generell den Einsatz dieses Medikaments? Und: Wird Cytotec auch weiterhin in der Arberlandklinik Zwiesel zum Einsatz kommen?
Hierbei verweisen wir erneut auf die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG), mit der auch Dr. Josef Reitberger, Chefarzt der Geburtshilfe, übereinstimmt. Zitat: „Der Wirkstoff Misoprostol ist ein effektives Mittel in der Geburtseinleitung. Kontraindikationen werden selbstverständlich zu jederzeit eingehalten – beispielsweise ein vorangegangener Kaiserschnitt.“
„Berichterstattung verunsichert die werdenden Mütter sehr“
Die Geburtshilfe sei mittlerweile generell sehr transparent, heißt es von Seiten der Arberlandkliniken weiter. So werde jede Geburt im Rahmen der Qualitätssicherung erfasst, zusätzlich dokumentiert und anschließend an das IQTIQ, das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen, weitergeleitet.
„Die Mütter in der Arberlandklinik Zwiesel werden leitliniengerecht und unter Einhaltung höchster Qualitätsstandards geburtshilflich versorgt“, sagt Dr. Josef Reitberger. Grundsätzlich müssten etwaig auftretende Nebenwirkungen ernst genommen werden – jeder Fall, jede Nebenwirkung sei hierbei auch individuell zu betrachten und aufzuklären. „Hierfür stehen auch wir. Die Berichterstattung über das Medikament Cytotec verunsichert die werdenden Mütter jedoch sehr, welche ohnehin möglicherweise schon nervös vor der anstehenden Geburt sind. Dies ist aus unserer Sicht jedoch auf keinen Fall pauschal angebracht.“
Stephan Hörhammer
- Deutschlandfunk: „Umstrittenes Medikament Cytotec“
- Zeit Online: „Im Wehensturm“
- Tagesspiegel: „Für die Geburtshilfe nicht zugelassen, aber häufig verwendet“
- Der Spiegel: Wie gefährlich ist Cytotec bei Geburten?