Anders sein, besonders sein, nicht wie die Masse sein – Frau sein, schwul oder lesbisch sein, nicht deutsch sein. Das alles kann Anlass dafür sein, diskriminiert zu werden. Aber was ist das eigentlich – Diskriminierung? Wo fängt sie an? Ist beispielsweise Werbung, die weiblichen Sexappeal mit einem zweideutigen Spruch kombiniert, diskriminierend? Braucht es politische Initiativen wie die viel diskutierte Toilette für das dritte Geschlecht, um endlich für Gleichberechtigung zu sorgen? Die Hog’n-Redakteure Sabine Simon und Stephan Hörhammer sind sich da nicht ganz einig…
Stephan: Da könnte ich mich jedes Mal dermaßen aufregen, wenn ich Werbung sehe, die offensichtlich sexistisch ist und Frauen diskriminiert…
Sabine: Ich nicht. Sich aufzuregen, das dann vielleicht auch in den sozialen Medien mitzuteilen – das bringt der Werbung am Ende nur Aufmerksamkeit. Und es äußern sich Leute zu dem Thema, die tatsächlich ein Frauenbild von anno dazumal vertreten, aber auch nicht davon zu überzeugen sind, dass sie es an Respekt mangeln lassen.
Wie viel Diskriminierung gibt es in unserer Gesellschaft?
Stephan: Du als Frau müsstest da doch auf die Barrikaden steigen. Man darf sich doch nicht so diskriminieren lassen von den Männern. Es geht ja nicht nur um sexistische Werbung. Es geht um Gleichberechtigung im Beruf, um Diskriminierung jeder Art. Ich finde es erschreckend, wie viel es davon in unserer Gesellschaft nach wie vor gibt.
Sabine: Findest du? Ich kann da nur für mich sprechen: Wenn jemand sich darüber wundert, dass meine Partnerin und ich als gleichgeschlechtliches Paar mit Kindern zurück in den Bayerischen Wald gezogen sind – wo wir doch bestimmt schief angeschaut werden, weil wir „anders“ sind -, dann entgegne ich: Mir ist noch kein einziger hier begegnet, der mich hätte spüren lassen, dass ihm nicht passt, wie ich lebe.
Stephan: Vielleicht liegt das aber an deiner Art: Dass du so offen über deine Familie sprichst, selbstbewusst auftrittst. Damit bietest du weniger Angriffsfläche als jemand, der sich nicht wohlfühlt, weil er „anders“ als die anderen ist…
Sabine: Ja, vielleicht ist genau das der Punkt. Ich verstecke mich nicht. Ich fühle mich in meiner Haut wohl und brauche dafür keine „geschützten Räume“. Ich gehe ganz selbstverständlich damit um, dass es bei uns nicht Mama und Papa, sondern eben Mama und Mami gibt. Und bin mit dieser Offenheit noch nie jemandem begegnet, der mich blöd angeredet oder irgendwo benachteiligt hätte.
Lässt sich Diskriminierung durch politische Vorstöße vermeiden?
Stephan: Aber es gibt eben auch andere, die sich nicht trauen, offen schwul oder lesbisch zu leben. Oder zu sagen, dass sie transgender sind. Die sich nicht wohl fühlen, weil es in der Gesellschaft noch immer nicht selbstverständlich ist, dass man „aus der Reihe“ fällt. Und genau die muss man schützen.
Sabine: Aber wie? Durch politische Vorgaben?
Stephan: Es reichen schon kleine Dinge. In offiziellen Formularen sollte es zum Beispiel geschlechtsneutrale Formulierungen geben. Sei es, dass wir uns an unsere „Leser*innen“ wenden oder dass es im Steuerformular „Ehepartner“ statt „Ehemann und Ehefrau“ heißt.
Sabine: Also ich fühle mich nicht diskriminiert, wenn es im Kindergarten einen Mama-Papa-Tag gibt. Da streiche ich dann bei der Anmeldung einfach das Wort „Papa“ durch und schreibe „Mami“ daneben. Wegen mir muss keiner diesen Tag in „Elterntag“ umbenennen. Ich weiß doch, dass wir eine Ausnahme sind.
Ich glaube nicht, dass man durch Aktionen wie die Toilette für das dritte Geschlecht die Gesellschaft ändern kann. Im Gegenteil: Vorschriften, die von oben kommen, können schnell nach hinten losgehen. Als Familienministerin Franziska Giffey vorschlug, in Formularen statt „Mutter und Vater“ besser „Elternteil 1 und Elternteil 2“ zu schreiben, fühlten sich Männer wie Hubert Aiwanger gleich angestachelt, auf Facebook zu verkünden, dass er „Papa“ bleiben möchte für seine Buben. Und genau das sind dann die Aussagen, bei denen sich bei mir ein ungutes Gefühl einschleicht. Wenn dann der Shitstorm in den so genannten sozialen Medien losstürmt und sich auch diejenigen zu Kommentaren hinreißen lassen, die tatsächlich nicht einsehen, dass zwei Frauen oder zwei Männer miteinander ein Kind großziehen dürfen – dann spreche auch ich von Diskriminierung. Hoch gekocht durch Aktionen, die die Diskriminierung eigentlich vermeiden wollen…
„Es muss nicht jeder gut finden, wie ich lebe“
Stephan: Es gibt sie also doch, die Diskriminierung?
Sabine: Klar gibt es Menschen, die ein anderes Weltbild haben. Eines, in dem einfach nur die klassische Familie Platz hat. Oder eines, in dem die Frau sich im Beruf nicht verwirklichen, sondern lieber rund um die Uhr für die Kinder da sein sollte. Aber diese Menschen sind eine Minderheit. Da bin ich mir sicher. Allerdings sind sie die ersten, die lautstark ihre Meinung kundtun, wenn ihnen Anlass dazu gegeben wird.
Stephan: Aber wenn wir es nicht politisch regeln, wenn wir keine Toiletten für das dritte Geschlecht einführen, wenn wir keine gender-neutralen Formulierungen verwenden, wenn wir keine Quotenregelungen für Frauen im Job hätten – dann wäre die Diskriminierung doch in vielen Bereichen noch viel größer, meinst du nicht?
Sabine: Glaube ich nicht. Ich finde, es braucht in allen Bereichen starke Menschen, die sich engagieren, die sich für Schwächere einsetzen, die auf Diskriminierungen aufmerksam machen. Aber am Ende regelt es keine Quote und kein Formular, sondern die Einstellung der Menschen. Es muss nicht jeder gut finden, wie ich lebe, wie ich bin – aber jeder muss es akzeptieren und mich leben lassen, wie ich leben will.
Eine buntere Gesellschaft, in der alle respektvoll miteinander umgehen, in der jeder akzeptiert, dass es andere Lebensweisen und Meinungen gibt, erreichen wir nicht durch Regulierung und Quoten, sondern im Alltag: Wenn man gar nicht immer groß thematisiert, ob es da Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Wenn man es für selbstverständlich nimmt, dass auch gleichgeschlechtliche Paare Kinder haben. Wenn man nicht alles in Schubladen einteilt, sondern die Welt so bunt sieht und annimmt, wie sie ist – und am wichtigsten: Wenn man seinen Kindern diese Einstellung weiter vermittelt.
da Hog’n