Landshut/Passau. Mehrere niederbayerischen Politiker der AfD haben sich am Wochenende in den sog. Sozialen Medien selbst gefeiert und sich für die „wirksame Arbeit“ ihrer Partei im Bezirkstag gegenseitig auf die Schultern geklopft. Ein Antrag eines AfD-Bezirksrats zum Thema „Gendering“ sei, wie die Lokalzeitung „Passauer Neue Presse“ am vergangenen Freitag in ihrer Print-Ausgabe berichtete, „einstimmig durchgegangen“. Dies wollten Bezirkstagspräsident Olaf Heinrich (CSU) sowie Vertreter der Grünen jedoch so nicht stehen lassen – und reagierten mit Richtigstellungen. Chronologie eines Paradebeispiels dafür, wie fehlerhafte Berichterstattung von AfD-Politikern für deren eigene Propagandazwecke genutzt wird.
Den Stein ins Rollen brachte ein eher unscheinbarer, einspaltiger Artikel in der Passauer Neue Presse vom 20. September 2019. Überschrift: „Bezirk gendert auch in Zukunft nicht“. Darin heißt es, dass der Bezirk Niederbayern auch künftig im Schriftverkehr mit Personen und Behörden „nicht gendern, also die männliche und weibliche Form oder gar ein Sternchen verwenden“ werde. Der Antrag sei von AfD-Bezirksrat Fabio Sicker in der Bezirksausschussitzung „einstimmig durchgegangen“. Sicker hätte jedoch „seinem Antrag noch an Schärfe nehmen“ müssen, da dieser gefordert hatte, „dass Zuschüsse nicht erteilt werden sollen, sollte sich jemand nicht an die Gender-Regel halten“. Die Bezirksräte, so heißt es im PNP-Artikel weiter, wollten dies jedoch „nicht so drakonisch handhaben“, sodass Sicker seinen Antrag abgeschwächt habe, „bevor alle die Hand hoben“.
AfD-Politiker feiern die „Wirksamkeit“ ihrer Partei
In der Folge nahmen diverse AfD-Politiker den PNP-Bericht zum Anlass, um insbesondere auf der Social-Media-Plattform Facebook den „einstimmig“ beschlossenen Antrag Sickers der eigenen Anhängerschaft als Erfolgsmeldung zu präsentieren. So etwa Bezirksrätin Angelika Eibl, die dazu Folgendes kommentierte: „Liebe Freunde, die AfD wirkt auch im Bezirkstag. Ein Erfolg für uns als Fraktion. Unser Antrag wurde einstimmig angenommen. Nur ein paar Kleinigkeiten wurden geändert.“
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=373789226856561&set=a.253863262182492&type=3&theater
Ebenso reihte sich die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag, Katrin Ebner-Steiner, in den Jubel-Reigen mit ein. Sie schrieb auf ihrer Facebook-Seite: „Keine Sprachverhunzung: Niederbayerische AfD verhindert Gendergaga im amtlichen Schriftverkehr“ – wiederum mit Verweis auf den entsprechenden PNP-Artikel:
https://www.facebook.com/Ebner.Steiner.Katrin/photos/a.1107391972625302/2700028243361659/?type=3&theater
Der AfD-Kreisverband Passau/Freyung-Grafenau um dessen Vorsitzenden Ralf Stadler (MdL) meldete sich auf der FB-Seite mit dem Satz „Hier ein kleiner Einblick in die ‚erfolgreiche Arbeit‘ der ‚Niederbayerischen-AfD-Bezirksräte‘ in Form einer ‚Presse-Schau'“ zu Wort – mit Verweis auf den betreffenden PNP-Artikel:
https://www.facebook.com/afd.passau/posts/2497567870335565?__xts__[0]=68.ARCAiUVJCRu-f033yBC0MZePYiCBfWG1oR7X3rk-aVs2ZWur9KEPWZsTpF0xHmguP-Xv7hSRywt59P5IUmJN-GdnpVkFordTfauYtctZOBEWA28j4fwuhEC1a7oUxcB4Cl7jJAJByfMCPTG7IpzEhSRGHWeiRcAVnck1thbixUQrWDKKqcc-v1h1CyHbE-Mq9APYcuqlUlljxsFc7vbS_wv36ExdtAaPPQInyKPeOR8-vDaD2GyWJGUJ2hncwJB19AiBB_XSVwecE6CcW9crcRovjXsWCHoi-A-lkxsCu8jvqLVmIi7PojTZrpj-M9ziXdpspUFwojYeb3CyQKQFfyQYaMbs2_u68XRvOdDgWMt5QNZcf_6mQ5JsWAKqYPlMwOb-Eex8KUDSvFjSPlEfv4MAOvdAupqpdwA7nd28954D9d54Ib1eZbQU59HW5BwvDu6HUT-D4bNdcmvTBLAPSXRrmsDHh7jTQR7M_w29ZwAyUxENSaJ3mzVL&__tn__=-R
Auch AfD-Bezirksrat Robert Schregle nutzte die Gunst der Stunde, um seinen Facebook-Anhängern die Botschaft zu verkündigen – mit „Dank an die PNP für die ‚objektive Berichterstattung'“:
https://www.facebook.com/robert.schregle.passau/photos/a.194294687397741/1779074465586414/?type=3&theater
Heinrich und die Grünen sprechen von Falschdarstellung
Am gestrigen Sonntag reagierte nun der Bezirk Niederbayern mit folgender Pressemitteilung, in der Bezirkstagspräsident Olaf Heinrich der Darstellung der Niederbayern-AfD widerspricht. Seiner Meinung nach sei der Verlauf der Sitzung seitens der AfD „verzerrt“ bzw. „falsch“ dargestellt worden.
https://www.facebook.com/BezirkNiederbayern/posts/582826122251299?hc_location=ufi
Grünen-Bezirksrat Markus Scheuermann versandte eine „Richtigstellung zur Berichterstattung über den Antrag“ von AfD-Mann Sicker. Er teilt dem Hog’n gegenüber mit, dass der Bezirksvorstand von Bündnis 90/Die Grünen Niederbayern entsetzt sei über die Berichterstattung zur Bezirksausschusssitzung und berichtigt:
„Ich habe mich in der Bezirksausschuss-Sitzung am 17.09.2019 klar gegen den Inhalt und die Wortwahl des Antrags positioniert. Ebenso hatte ich kritisiert, dass mit dem Zusatz, auch andere Organisationen von Förderungen auszuschließen, wenn Sie gendern, ausgerechnet die gute Arbeit des Bezirksjugendringes beschädigt werden soll.
Tatsächlich abgestimmt wurde nicht über den Antragstext – auch nicht über eine angebliche Modifizierung dessen – , sondern darüber, dass der Bezirk in seinen Publikationen und Medien korrekt gendert und alle Geschlechter sprachlich sauber berücksichtigt. Und das wird auch in Zukunft so bleiben und wird nicht abgeschafft, wie es im Antragstext vorgeschlagen wurde. Zudem schreibt der Bezirk anderen Organisationen bisher und auch in Zukunft nicht vor, dass sie nicht gendern dürfen, um ihre bezirkliche Förderung nicht zu gefährden.
Es wurde also das genaue Gegenteil dessen beschlossen, was Antragstext war. Und ich werde mich – wie in der Vergangenheit schon – auch uneingeschränkt für eine gleichberechtigte Berücksichtigung sämtlicher Geschlechter einsetzen. Eine wie auch immer anderslautende Pressemeldung ist nicht richtig.“
Grünen-Bezirksrätin Mia Goller konfrontierte AfD-Gremiumskollegin Angelika Eibl direkt auf deren Facebook-Seite und warf ihr eine absichtliche Verzerrung der Tatsachen vor:
„Frau Eibl, Sie wissen genau wie ich, dass es sich hierbei um eine Zeitungsente handelt. Beschlossen wurde, dass der Bezirk weiter gendert, wie bisher, und da hat die Afd mit abgestimmt. Sie haben sich also für’s Gendern ausgesprochen, nur ohne Sternchen. Das nenn ich mal „kleine Änderung“! (…) Es bleibt alles wie es war und Sie haben ihren eigenen Antrag zurückgezogen.“
PNP liefert Steilvorlage für vermeintliche Erfolgsmeldung
Und die Passauer Neue Presse? Die schreibt in ihrer heutigen Online-Ausgabe lediglich davon, dass „in den sozialen Netzwerken eine Erklärung der AfD Niederbayern für Aufregung gesorgt habe“ – ohne dabei jedoch zu erwähnen, dass sie selbst es war, die mit ihrer unzulänglichen Berichterstattung eine Steilvorlage für die vermeintlichen AfD-Erfolgsmeldungen geliefert hatte…
Stephan Hörhammer
Nachtrag vom 24. September 2019: Wie eine Nachfrage des Onlinemagazins da Hog’n bei der Pressestelle des Bezirks Niederbayern ergeben hat, war bei besagter Bezirksausschussitzung kein Vertreter der Passauer Neuen Presse zugegen: „Laut Protokoll zur Sitzung des Bezirksausschusses am 17.09.2019 war ein Medienvertreter (Landshuter Zeitung) anwesend“, teilt die Pressestelle mit.
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