Paris/Berlin. Die Revolution steht vor der Tür. Bitte Urlaub nehmen. Oder krank melden. Lebensmittel und Bares horten. Es stehen harte, möglicherweise anarchistische Zeiten ins Haus. Zumindest wenn man einigen Vordenkern des Deutschlandablegers der „gilets jaunes“, der „Gelben Westen“, Glauben schenken darf. Angestachelt durch die Proteste gegen die Erhöhung der Spritpreise, gegen eine Politik von und für die Eliten in Frankreich, statten sich seit drei Wochen auch in Deutschland zahlreiche vermeintliche Revoluzzer mit neongelben Warnwesten aus – und fordern die „Deutsche Revolution“. Mit bislang mäßigem Erfolg, teils abstrusen Methoden und kräftiger Unterstützung durch Deutschlands rechte Szene – AfD inklusive.
„Weder links noch rechts“, aber doch ziemlich rechts
Sowohl die Linke als auch die Rechte Frankreichs versucht dieser Tage die Proteste der „Gelben Westen“, die am vergangenen Wochenende die Hauptstadt Paris in bürgerkriegsähnliche Zustände versetzten, für sich zu vereinnahmen. Sowohl Marine Le Pens rechtsextremes „Rassemblement National“ (vormals Front National) als auch Jean-Luc Mélenchons „Parti de Gauche“ (deutsch: Linkspartei) sprechen von „ihrer“ Bewegung. Das Interessante an den Protesten: So etwas wie einen Kopf scheint es nicht zu geben. Bis dato existiert lediglich ein achtköpfiger Sprecherrat. Die Organisation findet dezentral auf Facebook oder im Messenger-Dienst „Telegram“ statt, einen Sprecher oder einen Organisator gibt es nicht. Die „gilets jaunes“ eint – trotz aller vermeintlicher politischer Differenzen – die Ablehnung der Regierung Macron. Ganz anders in der Bundesrepublik.
In Deutschland, wo die Aktivisten trotz großem Enthusiasmus in den sozialen Netzwerken bisher weit weniger Menschen auf die Straße bringen konnten, sind die Karten eindeutig verteilt. Zwar sei man auch hier „weder links noch rechts“, eher eine Art Stimme der Vernunft, die nur das ohnehin Offensichtliche fordere, um ein gespaltenes Deutschland wieder zu vereinen. Anders als in Frankreich speist sich das Mobilisierungspotenzial jedoch weniger aus zu hohen Spritpreisen, sondern eher aus der Ablehnung des UN-Migrationspakts.
Dahinter reihen sich diverse andere abstruse Forderungen, die teils stark an verschwörungstheoretische Zirkel erinnern und auch vor offen rassistischen oder antisemitischen Inhalten nicht Halt machen: Deutschland sei kein Staat, keine Nation, sondern eine GmbH der USA. Die deutsche Regierung sei eine Marionette (jüdischer) Verschwörer und Großkonzerne, die im Hintergrund die Fäden stricken. Migrierende würden bewusst nach Deutschland gelotst werden, organisiert von der Regierung. Pegida-Initiator Lutz Bachmann arbeite heimlich für den Verfassungsschutz, seine rassistische Organisation sei ohnehin nur „eine Täuschung der Elite“. Das Ganze kulminiert in folgendem Forderungskatalog:
Von einer „Bewegung aus dem Volk“, die sich spontan organisierte, ihren Unmut (unter dem Banner diverser politischer Forderungen) auf die Straße trägt und nun sogar den Sturz der Regierung fordert, kann in Deutschland keine Rede sein. Hierzulande dominieren flüchtlingsfeindliche Themen, allen voran die Ablehnung des UN-Migrationspakts. Neidisch bis anerkennend blickt man immer wieder in den Westen, hundertfach werden Videos der „gilets jaunes“ aus Frankreich geteilt – mit der Aufforderung hier doch bitte dasselbe auf die Beine zu stellen.
Und – ähnlich einer Naturkonstante – wenn sich Unmut im Land breit macht, ist die AfD nicht weit. Es dauerte nicht lange bis die AfD-Adelige Doris von Sayn-Wittgenstein ihre Solidarität mit der Bewegung öffentlich bekundete: „Ich trage jetzt gelb. Und Sie?“, fragt die AfD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein per Facebook-Post. Die beiden Facebook-Gruppen (mit je rund 20.000 Mitgliedern), unter denen die Gelbwesten firmieren („Gelbe Westen für Deutschland“ und „Deutschland mach dicht„), weisen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an AfD-Sympathisanten vor. Das geht aus einer Recherche des Volksverpetzers, Lars Wienand von t-online, Frank Stollberg und der Recherche-Gruppe #DieInsider hervor. In der „Gelbe Westen für Deutschland“-Gruppe sind auch die Passauer AfD’ler Ralf Stadler und Robert Schregle als Mitglieder gelistet (Stand: 04.12.18).
Auf der Couch – mit gelber Weste
Laut Frank Stollberg, Online-Aktivist und Kenner der rechten Szene, „deutet sich an, dass mit externer Einflussnahme versucht wird, rechte, rechtsextreme Kreise unter dem vermeintlich bürgerlichen Dach der ‚Gelbwesten‘ zu bündeln“.
Der vermeintlich „unpolitische“ Aktivismus werde dazu genutzt, die Unzufriedenheit vieler Bürger sämtlicher politischer Lager zu sammeln – um rechte Politik zu forcieren. Wie Lars Wienand aufzeigt, handele es sich bei den Admins der Facebook-Gruppen um einschlägig bekannte rechte Organisatoren, wie etwa der vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären Bewegung“ oder „Pro Chemnitz„.
Vom großen Umsturz, der „Deutschen Revolution“, die für den 1. Dezember ausgerufen wurde, ist derweil wenig zu merken. Zwar gab es in mehreren deutschen Städten vereinzelt kleinere Versammlungen, die jedoch meist nicht mehr als 20 Menschen umfassten. Um dem „System“ den Garaus zu machen, wurden vereinzelt Zebrastreifen blockiert, wie etwa in München geschehen. Die meisten Sympathisanten platzieren die Warnwesten gut sichtbar hinter ihrer Windschutzscheibe. Manche treffen sich zu „Spaziergängen“ – vor allem dann, wenn eine behördliche Genehmigung für eine Demonstration fehlte.
Alles in allem war der 1. Dezember aber eher ein lieb gemeintes „Revolutiönchen“ als ein ernsthafter Umsturzversuch oder gar ein Protest. In den sozialen Medien blickte man im Anschluss an die geplante Revolte – etwas neidisch – nach Frankreich, wo tausende Menschen die Straßen säumten, sich die Regierung bereits zu Gesprächen mit den Gelbwesten bereit erklärte, während – so die interne Kritik – die umsturzfaulen Deutschen lieber von der Couch aus „revoluzzern“ würden.
Gegen System, Behörden und Polizei – und ohne Genehmigung
Auch in Deggendorf wurde für den 1. Dezember der „Tag X“ ausgerufen – ebenfalls mit mäßigem Erfolg. Für den 8. Dezember wolle man es erneut versuchen, wie die beiden Initiatoren, eine 18-jährige und ein 19-jähriger Deggendorfer, bereits angekündigt haben. Behördlich anmelden wolle man die Demo nicht – es gehe nunmal gegen das System. Die zuständige Polizeidienststelle gab derweil gegenüber der Deggendorfer Zeitung an, die beiden Querulanten sollen sich doch „im eigenen Interesse“ mit ihnen in Verbindung setzen.
Die "Gelben Westen" #München wollten gestern
einen Zebrastreifen lahmlegen. #Revolution 😂
Is this comedy? pic.twitter.com/UUuiK5PhSW— Antifa Zeckenbiss💯 (@AZeckenbiss) November 25, 2018
Natürlich ist nicht jeder Anhänger, jeder Sympathisant der Träger der neongelben Westen dem rechtsradikalen Milieu zuzuordnen respektive ein Neonazi. Enttäuschte und Frustrierte – und in der Tat: von links bis rechts -, die sich dieser Tage in Gelb kleiden, werden bewusst unter dem Deckmantel der politischen „Neutralität“ angesprochen, um Agendas voranzutreiben, die jedoch augenscheinlich denen rechter Agitatoren entsprechen.
Auch wenn sie rein äußerlich die gelben Westen sowie innerlich der Frust über die eigene Regierung einen, haben die beiden Bewegungen in Frankreich und Deutschland nur wenig gemein. Letztere ist vielmehr eine Art schwarz-rot-goldner Abklatsch, ein nett gemeinter Versuch, auch endlich zu Hause mal richtig auf den Tisch hauen zu dürfen – der jedoch selten über die Sozialen Netzwerke hinausragt. Welche Sprengkraft die Proteste in Frankreich noch entfalten werden, bleibt abzuwarten. Nur eines steht bereits fest: Emmanuel Macron wird im Élysée-Palast schon ruhigere Nächte verlebt haben…
Johannes Gress
Zum Weiterlesen:
ein Staat, wie Deutschland (…), der nur noch einer Minderheit dient und für weite Teile der Bevölkerung nur noch Verarmung und Verelendung bietet und nur noch manipulierte Statistiken aufbietet, um diese Entwicklungen zu vertuschen, dem würden ein Aufbegehren von unten auch gut tun, dafür muss man nicht in die Reichsbürger Ecke oder sonst wo geschoben werden, da genügt gesunder demokratischer, rechtsstaatlicher Menschenverstand und Gerechtigkeitsempfinden.
Manchmal ist es besser, das Alte, Morsche und Versiffte abzureißen und neu zu bauen. Denn merke, der von mir ins Grundgesetzes eingefügte Artikel 1 Absatz 4 besagt:
„Jeder der vom Wohlstand einer Gesellschaft ausgeschlossen ist, von Altags- und Altersarmut nicht nur bedroht sondern tatsächlich konfrontiert ist, hat das Recht Strukturen zu hinterfragen, Strukturen zu ignorieren oder Strukturen zu reorganisieren um etwas neues und für ihn oder ihr besseres zu erschaffen und das geistes- und psychischkranke, korrupte- und kriminelle Alte durch etwas besseres und gerechteres Neues zu ersetzen.“
ich mache aus meiner persönlichen Meinung keinen Hehl, nämlich wer von Altagsarmut und Altersarmut bedroht ist und sein wird, für den hat ein Aufbegehren nichts schlechtes. Für einige mag das nach Spinner klingen, aber für solche Ansichten gibt es durchaus auch positive Vorbilder in der Geschichte, ich erinnere an Fidel Castro oder Robespierre. Nur das Satte, Feiste und Etablierte und politische Inzucht fürchtet Veränderung und Verlust ihres Standes und Dünkel.