Facebook ist voll davon, Instagram sowieso – und auch die Statusmeldungen bei WhatsApp. Sie hashtaggen sich keck #naturelovers, posieren vor Gipfelkreuzen, Wasserfällen, Seeufern, imposanten Felsformationen. Stehend, liegend, hockend, lächelnd, sinnierend, schwitzend – und immer im Selfie-Modus. Die so genannten Sozialen Medien werden grade in der Urlaubszeit mit Bildern von Leuten überschwemmt, die sich in schieren Massen in der Natur tummeln. Dabei könnte der Verdacht entstehen: Nicht das Naturerlebnis per se steht im Vordergrund, sondern das vor allem like-wirksame Inszenesetzen seiner selbst.
Die Frage ist tatsächlich berechtigt: Gibt es heutzutage noch Menschen, die sich ohne ihr fotografietaugliches Smartphone (Minimum: 20 Megapixel, Ultra-HD) in die Natur begeben? Gemeint sind hier nicht diejenigen, die ihr Gerät in erster Linie deshalb mit in den Rucksack packen, um im ungünstigen Falle des Falles – und das darf gerne wörtlich genommen werden – einen Notruf absetzen zu können. Oder die ihr Handy als Orientierungshilfe in unbekanntem Terrain nutzen wollen. Gemeint sind die, deren Hände mit dem Mobilgerät quasi verwachsen sind – ganz egal, in welcher Lebenslage. Szenarien wie das folgende scheinen immer alltäglicher:
Es geht um Likes, Hearts, Emojis
Sie geht los, der fancy Bergwanderausflug, mit einer frisch geposteten zwölfteiligen Instagram-Selfie-Story vom Ufer des Königssees, wo sich die Handy-Wander-Nerds bereits zu Tausenden mit ihren Huaweis, iphones und LGs die Finger wund tippen. Gefühlt jeder Dritte trägt hier in der vor Kitsch und Kommerz strotzenden Seestraße sein Smartphone vor sich her, die einen mit Kopfhörern in den Ohren, die anderen mit offenbar irgendjemand furchtbar Wichtigem video-telefonierend oder den nächste Selfie-Snapchat-Post vorbereitend. Ja, man mag alt sein, aber es setzt einen doch sehr in Erstaunen, dass nicht nur die sog. Jugend ihr Smartphone an einer farbigen Kordel um den Hals zu tragen pflegt, wo in früheren Generationen noch das Silber- oder Goldkettchen prangte, von der Oma oder dem Onkel zur Firmung geschenkt.
Das laue Lüftchen, der Duft der Bergpflanzen, das klare Wasser sowie das herrliche Bergpanorama – alles nur schmückendes Beiwerk, Kulisse, Hintergrunddeko. Es geht nicht um die Natur, das Hier und Jetzt, die Realität. Es geht um Social Media, ums Sehen und Gesehenwerden von Followern, Fans und „Freunden“. Es geht um Likes, Hearts, Emojis, ums ständige Verbundensein mit der virtuellen Welt. Es geht um den digitalen Dauerapplaus, nach dem sich das mittlerweile weltfremde Ego des Smartphone-Besitzers so sehr zu sehen scheint.
Ja, mit dem Verbundensein ist das so eine Sache. Die Sehnsucht danach ist kaum mehr messbar. Wir würden es nie zugeben, aber wir lechzen geradezu nach Anerkennung, wenn wir die Bilder von unserem letzten Wochenendausflug posten – nein, halt, „teilen“ ist der bessere Begriff. Wir teilen also. Unsere Erlebnisse, unser Mittagessen, unseren Nachwuchs. Wir teilen, ist das nicht süß? Wir tun also genau das, was uns unsere Eltern im Sandkasten eingebläut haben: „Jetzt kriegt aber der Kevin mal die Schaufel, gell! Teilen! T-E-I-L-E-N! Tu schön teilen!“
Da haben wir also den Salat: Die ganze Teileritis unseres Lebens führt nicht zu einer stärkeren Verbindung zwischen uns und unseren Mitmenschen. Unsere 24/7-Onlinebereitschaft führt zur Entkoppelung. Das WLAN zu uns selbst ist nicht connected. Um uns verbunden zu fühlen – mit uns und der Welt, mit der Liebe und dem Leben – brauchen wir Ruhe, Spürsinn, ein wenig Zeitlosigkeit. Die Natur würde uns all das sofort schenken, da ist sie nicht knausrig.
Und Kevin, der uns bei unserem Ausflug begleitet, würde vielleicht auch sein Smartphone in den hintersten Rucksackwinkel schieben, wenn wir es ihm nur vormachten. Mit Kevin könnten wir Gespräche führen, von Mensch zu Mensch – mit dem Mund, verbal, ganz ohne Sprachnachricht und Selfie. Vielleicht könnten wir was Neues von Kevin erfahren. Vielleicht würden wir mit Lachtränen in den Augen eine frische Gipfelhalbe trinken, vielleicht würden wir uns selbst als jemandem begegnen, den wir richtig mögen. Die Bluetooth-Verbindung zwischen unseren Herzen wäre aufrecht – #hastenichtgesehen!
Der offizielle Wanderweg führt am Ufer entlang, vorbei an der Rodelbahn hinauf Richtung Grünstein, ein rund 1.300 Meter hoher, dem Watzmann vorgelagerter Berg, den auch Nicht-Bergsteiger erklimmen können. Es wimmelt hier nur so vor Selfie-Touristen, die die Natur der Berchtesgadener Alpen um sich herum gebrauchen, um sich ihre „Daumen Hochs“ von ihrer Facebook-Sippschaft zu ergattern. Alles ganz im Sinne der Selbstdarstellung – man könnte ja Gefahr laufen, sich einmal mit der „wahren Realität“ auseinander zu setzen. Droben am Gipfel, beim Konsum von Pommes und Prosecco, verschwimmen die Grenzen zwischen der Virtual Reality und dem bisschen Rest-Natur dann endgültig…
Wie asozial die sog. sozialen Medien doch sind
Das Selfie-Phänomen ist ist nicht nur in der Natur zu beobachten: auch bei sportlichen Großveranstaltungen, Volksfesten, Urlaubsaufenthalten oder Live-Konzerten beobachtbar. Gerade bei letzteren gehen die Smartphones zu Hunderten, ja zu Tausenden reflexartig in die Höhe, sobald der erste Klang aus den Boxen ertönt. Manche verfolgen gar die gesamte Show durch das Handy-„Brennglas“, schauen vielleicht vier- oder fünfmal über den Rand des Mobilgeräts – wohl um zu prüfen, ob das auch alles echt ist?! Bilder sowie Video wandern jedenfalls gleich nach dem Auftritt, ach was, gleich per Live-Funktion sofort und auf der Stelle in die Tiefen der ach-so-sozialen Netzwerke, die sich mehr und mehr als „asozial“ entpuppen.
Zuhause das Aufgenommene nochmals anschauen, das machen die Wenigsten. Darum geht’s den meisten wohl auch gar nicht. Es gibt Künstler, die ihr Publikum auffordern, die Dinger sofort wegzustecken (Hennig May). Recht haben sie – denn was ist schon ein Konzert ohne den Draht zu den Menschen? Wie sollen Vibes überspringen, wenn die Audienz ein Kasterl vorm Gesicht hat und weder zuhört noch hinschaut, noch hinfühlt – noch da ist in diesem Moment an diesem Ort?
Denn was ist daran sozial, wenn ich nahezu in jedem Moment des realen Lebens reflexhaft, ja wie von einem inneren Zwang beherrscht, gelenkt, verführt zum Smartphone greife, um dann meinen Fokus auf ein kleines, rechteckiges Gerät zu steuern, das mich und meine Gedanken aus dem „echten Leben“ herausreißt, mich hinfortzieht in die Sphären von Facebook, Instagram und Co., hinein in dieses Krebsgeschwür der Neuzeit? Oder ist es nicht vielmehr sozial(er), sich auf sein Gegenüber und die Umgebung mit ganzem Herzen und allen Sinnen einzulassen? Auf seine Mitmenschen, auf die Natur, die Landschaft oder ein Buch?
Wie es scheint, können viele von uns heute nicht mehr ohne jene Social-Media-Welt existieren. Ja, die Frage scheint tatsächlich von existenzieller „Natur“ zu sein. Wir haben eine Art Sucht entwickelt, die uns immer wieder – wie ein Magnet – ans Handy fesselt, an diese teuflisch-geniale Erfindung, die diese Welt mehr und mehr verändert. Viele können heute nichts mehr so richtig genießen, müssen ihren rechteckigen Begleiter und letzten Endes ihr eigenes Ego und Selbstwertgefühl immerzu von außen füttern, haben das Gefühl, die Social-Media-Welle unbedingt reiten zu müssen – ohne zu merken, dass sie sich von ihrem unmittelbaren natürlichen Umfeld sowie vor allem von sich selbst mehr und mehr entfremden. Viele konsumieren die Natur nur noch wie einen Burger aus dem Fast-Food-Restaurant oder ein Billig-Shirt vom nächsten Discounter, anstatt sie bewusst wahrzunehmen, sie zu fühlen und zu verinnerlichen.
Momente fürs Herz und die eigene Seele
Was bei all dem un-authentischen Trubel bleibt, ist die Hoffnung, dass sich das Blatt irgendwann noch einmal wenden wird, dass die Menschheit tief drin in ihrem Inneren schließlich doch noch einmal spürt, um was es im wirklichen Leben tatsächlich geht: Ums Sammeln von Momenten fürs Herz und für die eigene Seele – und dazu braucht es ganz gewiss kein Handy…
Desillusioniert: Stephan Hörhammer
„Hoffnungslos“ und „Desillusioniert“ läßt sich allenfalls noch damit bekräftigen …
In einem aktuell geführten Gespräch mit einem Vertreter der kreativen Menschen in Bayern fällt der Satz:
„Ohne facebook bist du als Künstler tot.“
Ganz klar, da bleibt auch mir die Spucke weg.
Und doch:
Gerade auch dieser Artikel zeigt, es gibt sie noch, die Bayern, die zwischen den Ohren mit reichlich Verstand ausgestattet sind, und noch wichtiger, die das Herz am richtigen Fleck haben.
Das macht Mut.
Vielen Dank dafür.
Peter