Hm. Immer wenn ich eine CD wie die nun vorliegende Live-Werkschau von Skunk Anansie, „25Live@25“ betitelt, auf den Schreibtisch bekomme, werde ich ein wenig nachdenklich. Das liegt nicht daran, dass es kein neues Studioalbum ist, sondern eher daran, dass mir in der letzten Zeit immer wieder mal Bands aus den 1990er-Jahren über den Weg laufen, die mir damals jede Menge bedeutet haben, von denen ich aber entweder nicht wusste, dass es sie überhaupt noch gibt – geschweige denn, was sie in den vergangenen 20 Jahren so angestellt haben. P.O.D. waren so ein Fall, die Farmer Boys sowieso, Therapy?, in gewisser Hinsicht auch J.B.O. – einige Bands davon habe ich hier auf diesen Seiten in den vergangenen Monaten mit neuen Alben vorgestellt und zwischenzeitlich mal mehr, mal weniger aus den Augen verloren. Pearl Jam werden vielleicht demnächst auch in diese Runde aufgenommen, sollten sie mal wieder was veröffentlichen. Oder haben sie das vielleicht gerade erst? Hm…
Und jetzt also Skunk Anansie. Ihr Debütalbum „Paranoid And Sunburnt“ (1995) mit den grandiosen „Weak“ und „Charity“ und „Stoosh“ (1997), das Zweitwerk mit dem Überhit „Hedonism (Just Because You Feel Good)“, waren seinerzeit wichtige Alben für mich, die mit so vielen anderen Musikern und Bands dieses insgesamt wesentlich besser als sein Ruf gewesenen Jahrzehnts meine musikalische Sozialisationssuppe kräftig und nachhaltig gewürzt haben.
Einfach ältere und neuere Aufnahmen zusammengefügt
„Skin“ fand ich zwar immer ein wenig, nun, er- bis abschreckend – hauptsächlich, weil ihr Mund mit den komisch geschminkten Lippen in diesem Gesicht mit dem kahlen Kopf so riesig wirkte. Aber singen konnte – und kann – die Dame, die eigentlich Deborah Anne Dyer heißt, wie keine zweite. Dazu die coolen Riffs und Licks von Gitarrist Martin Ivor Kent alias „Ace“ und die sprichwörtlich viehische Performance von Bass-Tier „Cass“ alias Richard Keith Lewis. All das, etwa in dem coolen Video zu „Weak“ wunderbar zu betrachten, hat mich damals ziemlich angemacht.
„Post Orgasmic Chill“ (1999), Album Nummer drei, habe ich dann noch so am Rande mitbekommen. Die drei Werke nach der 2009er-Reunion („Wonderlustre“ (2010), „Black Traffic“ (2012) und „Anarchytecture“ (2016)) sind dann völlig an mir vorbei erschienen. Und wieder geht mir ein „Hm“ durch den Sinn. Das Doppelalbum „25Live@25“ erscheint zum 25. Bandjubiläum – und das noch dazu am 25. Januar. Allerdings ausgerechnet mit 26 Stücken („You’ll Follow Me Down“ ist als Bonus-Track aufgeführt) auf zwei CDs. Dabei wurde nicht ein bestimmtes Konzert aufgenommen, sondern Produzent Jeremy Wheatly hat einfach ältere und neuere Aufnahmen zu einem neuen Konzertereignis zusammengefügt. Das hat er sehr gut gemacht, denn das Ganze klingt tatsächlich wie aus einem Guss. Was nicht zuletzt auch für Skin, Ace, Cass und Schlagzeuger Mark Richardson spricht, da sie offensichtlich über die Jahre hinweg eine konstante Live-Qualität hatten (und haben).
Und jetzt die Songs. Klar: „Hedonism“ und „Weak“ springen einen sofort ins Gehört, man hört auch dem Publikum an, dass sie darauf gewartet haben. Doch natürlich darf man die Band nicht auf ihre offensichtlichen Hits reduzieren – das wäre grob fahrlässig. Denn wenn Skunk Anansie eines sind, dann eine ehrliche, schwer arbeitende, schwitzende und rockende Band. Die etwa in „Secretly“ und dem hervorragenden „Can’t Get By Without You“ mit schönen Streichern aufwarten.
Nur um dann in „Over The Love“ wunderbaren Brit-Rock zu präsentieren, der Blur und Oasis – übrigens noch zwei so Bands, bei denen ich mich gerade frage, was ich wohl so alles verpasst habe – ziemlich alt dastehen lässt. Und wenn dann bei „Love Somenone Else“ ein wenig Republica durchgrinst, weiß man, dass Skunk Anansie eben noch weit abwechslungsreicher sind, als man meinen wollte. Abgesehen davon, dass ein weiterer Song den Inhalt des Skunk-Anansie’schen Schaffens perfekt auf den Punkt bringt: „Yes, It’s Fucking Political“. Denn die vier Briten waren und sind eben auch eine politisch und gesellschaftlich wichtige Stimme.
Richtig schön: Unerwartete Besucher aus der Vergangenheit
Und frech ist Skin auch im gesetzteren Alter von 52 Jahren noch. „This next song is dedicated to all you lovely … motherfuckers!“ sagt sie etwa in der Ansage zu „This Is Not A Game“ (tolle Bass-Lines übrigens!) – und man sieht das Grinsen praktisch durch die Boxen herausstrahlen. Doch, manchmal sind so etwas unerwartete Besucher aus der Vergangenheit richtig schön. Das war bei den Farmer Boys besonders so, ist aber auch bei Skin & Co. nicht anders.
Wolfgang Weitzdörfer
- VÖ: 25. Januar 2019
- Label: Republic Of Music/Rough Trade
- Songs: 26 (Doppel-CD), 12 (CD 1), 14 (CD 2)
- Spielzeit: 53:40 Minuten (CD 1), 60:02 Minuten (CD 2)
- Preis: ca. 18 Euro