Freyung-Grafenau. Lange war die Stelle am Landratsamt Freyung-Grafenau unbesetzt. Seit ein paar Monaten ist Marlene Altenkamp nun die neue Kreisbaumeisterin des Landkreises. Zuvor leitete sie das Bauamt (genauer gesagt: das Sachgebiet 41 „Bauwesen technisch„) bereits kommissarisch. Zu ihren Aufgaben gehört es, Städte und Gemeinden in städtebaulichen und gestalterischen Fragen zu beraten.
Im Bereich des Bauens stellen derzeit Neubaugebiete für den Wohnungsbau ein großes Diskussionsthema dar, weil der Flächenverbrauch im Freistaat Bayern sehr üppig ausfällt. Das Onlinemagazin da Hog’n hat Kreisbaumeisterin Altenkamp dazu einige Fragen gestellt, deren Beantwortung ausschließlich schriftlich erfolgte. Der Grund: Laut Landtratsamt hat sie derzeit ein sehr hohes Arbeitsaufkommen.
„Gestaltungshoheit liegt bei Städten und Gemeinden“
Frau Altenkamp: Zahlreiche Aufgaben des Kreisbauamtes klingen nach viel Theorie – es geht um Baugesetze, Vorschriften, Sicherheit und Ordnung… Wie groß sind denn die Gestaltungsmöglichkeiten, die man als Kreisbaumeisterin hat?
Die generelle städtebauliche Gestaltungshoheit ist per Gesetz den Städten und Gemeinden übertragen, was meine Möglichkeiten, hier Einfluss zu nehmen, grundsätzlich etwas schmälert. Im Rahmen der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen werden aber im Verfahren alle betroffenen Fachstellen – so auch ich – zur Stellungnahme aufgefordert. So manche Gemeinde bzw. Stadt stimmt erfreulicherweise bereits im Vorfeld die städtebaulichen und gestalterischen Fragen mit mir ab.
Können Sie als Kreisbaumeisterin Einfluss darauf nehmen, welche Flächen die Gemeinden als Baugebiet ausweisen?
Die grundsätzliche Gestaltungshoheit liegt, wie bereits erwähnt, bei den Städten und Gemeinden. Deren Planung darf aber natürlich auch nicht willkürlich erfolgen, sondern ist Gesetzen und Vorgaben wie z.B. denen des Landes-Entwicklungsprogramms (LEP) unterworfen. Ein Nachweis des Bedarfs ist im Laufe des Verfahrens in jedem Falle angezeigt – auch, um dem Grundsatz ‚Innenentwicklung vor Außenentwicklung‘ gerecht zu werden und den Flächenverbrauch zu minimieren. Im Rahmen unserer Beratungen und Stellungnahmen werden gestalterische Hinweise gegeben, berührte und/oder beeinträchtigte öffentliche Belange benannt und teilweise auch sogenannte „K.O.-Kriterien“ aufgezeigt.
Was sind beispielhafte Fälle dafür, wo nicht gebaut werden darf im Landkreis?
Immer wieder treffen Anfragen bei uns ein, die etwa Außenbereichsgrundstücke betreffen, die grundsätzlich von Bebauung freizuhalten sind oder aber schützenswerte Biotope überplanen. Hier ist im Zweifel über eine offizielle Bauvoranfrage unter Beteiligung aller betroffenen Fachstellen im Rahmen des Verfahrens zu prüfen und zu klären, ob hier eine Bebauung zugelassen werden kann oder eben auch nicht. Neben den Vorschriften aus dem BauGB spielen hier in unserer teilweise einzigartigen Naturlandschaft mit verschiedenen Schutzbereichen und Biotopen auch der Natur- und Landschaftsschutz sowie der technische Umweltschutz eine ganz erhebliche Rolle.
„Manche Dörfer mutierten gar zu reinen Schlafdörfern“
Diskutiert wird momentan, dass es zu viele Leerstände in den Dörfern bzw. Städten gibt und stattdessen am Rande der Gemeinden in neue Baugebiete entstehen. Wie gestaltet sich Ihrer Meinung nach hierzu die Situation im Landkreis FRG? Wie ist Ihre generelle Meinung zu Neubaugebieten? Brauchen wir sie, weil es in der Region einfach so viel Bedarf an Neubauten gibt? Oder sollten die Leute, die Haus bauen wollen, lieber leer stehenden Altbestand sanieren?
Der Leerstand in den Orts- und Dorfmitten ist bis auf wenige rühmliche Ausnahmen allgegenwärtig und wächst leider noch immer. Ein öffentliches ‚Dorfleben‘ – traditionell rund um Kirche, Schule und Wirtshaus – findet weniger und weniger statt. Aufgrund der Mobilität finden sich Arbeitsplätze in immer größerer Entfernung. Viele kleine Landwirtschaften sind weg gefallen. Wären nicht hier und da einige ältere Menschen und Mütter mit Kindern zu sehen, mutierten manche Dörfer gar zu reinen Schlafdörfern, so genannten Satellitendörfern. Das allgemeine Wirtshaussterben spricht in diesem Zusammenhang für sich.
Diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung zur Mobilität und Individualisierung, die nicht allein in unserer Region und nicht allein in unserer heutigen Zeit vorhanden ist, lässt sich nicht nur an der großen Zahl der neuen Einfamilienhäuser in den Neubaugebieten, sondern auch an der aktuell vorherrschenden Architektursprache ablesen. Viele junge Familien sind (zurecht) stolz darauf, sich ihr eigenes Haus nach ihren aller eigensten Wünschen leisten zu können – und nicht mehr räumlich beengt bei den Eltern oder Schwiegereltern auf dem ehemaligen Hof wohnen zu müssen. Dies lässt sich oftmals auch in der vermeintlich ‚modernen‘ Gestaltung der Neubauten – sowohl in der Kubatur als auch der teils ortsuntypischen Fassaden und Dachformen – ablesen. Eine baulich manifestierte Absetzung vom ‚Gewöhnlichen‘, vom ‚Traditionellen‘, vom ‚Alten‘. Teilweise einfach extra anders.
„Charme geht verloren und weicht einer gewissen Beliebigkeit“
Der gemeinschaftsstiftende, städtebauliche Zusammenhang einer Ansiedlung geht so mehr und mehr verloren. Modernität um jeden Preis? Der besondere Charme der auch von Bebauung und Siedlungsstrukturen geprägten Kulturlandschaft geht immer mehr verloren und weicht einer gewissen Beliebigkeit. Hier wäre insgesamt ein Umdenken erforderlich, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, den großen Wert vorhandener Bausubstanz in den historisch gewachsenen Strukturen und gelebter Gemeinschaft wieder schätzen zu lernen.
‚Gebrauchthäuser‘ im Ortsinnern haben darüber hinaus sehr viele Vorteile. Hierzu zählt nicht nur die vorhandene Erschließung und die zentrale Lage mit kurzen Wegen sowohl zum Kindergarten und zum Arzt als auch zu anderen Versorgungseinrichtungen, sondern auch das besondere Flair des Altbestands. Eine geschickte Planung bringt meist ungeahnte Möglichkeiten der Raumaufteilung und Gestaltung. Die Ortskerne würden so wieder mit jungem Leben gefüllt und der Flächenverbrauch rund um die Siedlungen würde deutlich eingedämmt – Nachhaltigkeit auch im Bereich des Bauens. Eine Identifikation mit der Besonderheit des eigenen Umfeldes, der Tradition und dem Geist des Ortes, des ‚huius loci‚, könnte wieder erwachsen. Unter diesen Vorzeichen könnten sich sogar Neu- sowie Um- und Ergänzungsbauten entsprechend sensibel und ortsbildstärkend einfügen. Vereinzelt existieren bereits gute Beispiele, die ein wenig hoffen lassen.
„Landschaft als großer Schatz, den es dringend zu hüten gilt“
Auch die bayerische Staatsregierung will etwas gegen den großen Flächenverbrauch im Freistaat unternehmen. Die CSU möchte „wirksame Werkzeuge“ finden, damit zukünftig flächensparender gebaut bzw. gewohnt wird. Haben Sie Vorschläge, was man machen könnte, um den Flächenverbrauch zu verringern?
In der Architektur und Stadtplanung gibt es hinreichend viele Beispiele, die flächensparendes Wohnen und flächensparende Wohnsiedlungen thematisieren. Das Thema ist also aus unterschiedlichsten Gründen heraus gar nicht neu. Es müsste für jeden Standort sensibel eine optimale Lösung gesucht und gefunden werden. Es ist aber auch ein grundsätzliches Umdenken in der Bevölkerung erforderlich, um eine Offenheit für solche neuen (alten) Ansätze zu erreichen. Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass allen wieder bewusst wird, was für einen großen Schatz unsere wundervolle und einmalige Natur- und Kulturlandschaft mit der zugehörigen, auch städtebaulichen Geschichte darstellt, den es dringend zu hüten gilt. Wir wohnen schließlich da, wo andere Urlaub machen … noch!
Abschließende Frage: Wer baut im Landkreis am meisten? Aus welchem Ort kommen die meisten Bauanträge?
Die meisten der aktuell vorliegenden Bauanträge für Wohngebäude stammen aus der Stadt Waldkirchen.
Vielen Dank für die Informationen.
Die Fragen stellte: Sabine Simon