Künzing/Berlin. 44 – diese Zahl wird Thomas Erndl wohl nicht so schnell vergessen. 44 Prozent der wahlberechtigten Bürger aus den Landkreisen Freyung-Grafenau und Deggendorf sowie Teilen des Kreises Passau wollten, dass sie vom 43-jährigen CSU-Politiker im Bundestag vertreten werden. Der Künzinger wurde somit als Direktkandidat des Wahlkreises 227 zum Nachfolger von Barthl Kalb gewählt. Gemeinsam mit seiner Büroleiterin Julia Stieglbauer hat sich das neue Bundestagsmitglied jüngst in der Hog’n-Redaktion vorgestellt. Dieser Anlass wurde genutzt, um mit dem Elektro-Ingenieur über die aktuelle politische Situation in Deutschland, die Personalrochaden in der CSU sowie seinen Einstand in der Bundeshauptstadt zu sprechen.
Provokant gefragt: Glauben Sie, Herr Erndl, dass es noch was wird mit der Regierungsbildung?
Als optimistischer Mensch bin ich der festen Überzeugung, dass die im Herbst gewählten Parteien noch einen Konsens finden und eine stabile Regierung bilden werden. Die Stimmung in Berlin ist wegen dieses Themas derzeit ein bisschen angespannt. Für alle Beteiligten ist es eine neue und ungewohnte Situation, dass es über einen solch langen Zeitraum keine richtige Regierung gibt. Durch die geschäftsführenden Minister wird das tägliche Geschäft natürlich weitergeführt – dennoch ist es nicht so, wie es sein sollte.
Gerade für mich als neuen Abgeordneten stellt dies alles keinen einfachen Einstand dar. Es wurden ja auch noch keine Ausschüsse gegründet, weshalb ich auch noch kein spezielles Tätigkeitsfeld in Berlin habe, in dem ich mich austoben kann. Es dauert einfach noch. Wir müssen geduldig sein.
„Man darf in der Politik niemals nie sagen, aber…“
Wie ist das Miteinander im neugewählten Bundestag?
Dadurch, dass es noch keine Regierung gibt, ist es derzeit so einfach wie nie, Anträge zu stellen und womöglich durchzubringen. Die AfD und auch die Linke nutzen die aktuelle Situation für viele solcher Vorschläge. Ob diese Anregungen auf Gehör stoßen, kann ich mir allerdings nur schwer vorstellen.
Was halten Sie von den neu entfachten GroKo-Plänen?
(Atmet tief durch) Die SPD hat gleich zu Beginn Forderungen aufgestellt, die für die Union sehr schwierig sind. Ob man Positionen finden kann, die für beide Seiten in Ordnung sind, werden die Sondierungsgespräche zeigen. Klar ist, dass man sich gegenseitig annähern muss. Kompromisse sind wichtig.
Ist Jamaika endgültig gescheitert?
Die CSU-Landesgruppe hat eine mögliche Jamaika-Koalition von Beginn an mit Skepsis begleitet. Dennoch hatte man zum Ende der Verhandlungen das Gefühl, es könnte doch klappen. Dass dann – kurz vor dem Ziel – die FDP aussteigt, war auch für mich sehr überraschend. Man darf in der Politik niemals nie sagen, aber ich gehe davon aus, dass somit ein Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen endgültig vom Tisch ist. Doch ähnlich verhielt es sich bis vor kurzem auch noch, als man über eine Große Koalition gesprochen hat…
Des Rätsels Lösung sind also doch Neuwahlen?
Nein, nein. Ich möchte nur deutlich machen, dass es sehr schwer ist, einen gleichen Nenner zu finden. Klar, viele Wähler denken, dass Union und SPD auch zuletzt zusammengearbeitet haben und es deshalb auch dieses Mal funktionieren müsste. Doch nach jeder Wahl ist Kassensturz. Dann stellen sich die Parteien neu auf und versuchen sich gegebenenfalls neu zu positionieren. Deshalb kann man die Situationen auch nicht miteinander vergleichen. Nichtsdestotrotz sollen Neuwahlen der allerallerletzte Schritt sein.
Wechsel an der CSU-Spitze: „Hätte man intern regeln müssen“
Man merkt, Sie sind schon mittendrin in der „großen“ Berliner Politik. Wie haben Sie sich in der Hauptstadt eingelebt?
Aufgrund der aktuellen Situation gibt es noch keine richtige Regelmäßigkeit. Momentan bin ich eher auf Zuruf in Berlin. In letzter Zeit war ich zunächst einmal damit beschäftigt, meine Büros in Berlin und im Wahlkreis einzurichten. Glücklicherweise konnte ich in der Hauptstadt die Mitarbeiter meines Vorgängers Barthl Kalb übernehmen, sodass ich mich auf ein starkes, erfahrenes Team verlassen kann. Die erste Orientierung ist abgeschlossen, ich bin arbeitsfähig. Fehlt nur noch die Zuteilung zu einem Ausschuss – und in der Folge ein festes Thema, mit dem ich mich beschäftigen kann.
Kommen wir von der Bundes- zur Landespolitik: Hat Horst Seehofer mit seinem Rückzug als Ministerpräsident die richtige Entscheidung getroffen?
Ja. Nach dem Wahlergebnis der CSU war es klar, dass es zu Personaldiskussionen kommen wird. Immerhin stehen bereits im kommenden Jahr die Landtagswahlen in Bayern an – und bis dahin muss man sich als regierende Partei wieder besser präsentieren. Ein neuer Impuls war aus diesem Grund wichtig und richtig.
War es nicht schon längst überfällig, dass Parteivorsitz und Ministerpräsidenten-Posten von zwei Personen besetzt werden?
Nein, bis zur Bundestagswahl waren wir hier hervorragend aufgestellt. Das schlechte Abschneiden muss aber Konsequenzen mit sich bringen – und deshalb ist es gut, dass wir uns zur Landtagswahl neu aufstellen. Der Vorgang an sich ist dann nicht optimal verlaufen – vor allem was die Außendarstellung betrifft. Mich stört etwas, dass die Veränderungen sehr intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert worden sind. Das hätte man mehr intern regeln müssen.
„Markus Söder hat eine direktere Art und Positionierung“
Ist Markus Söder ein würdiger Nachfolger von Horst Seehofer?
Markus Söder wird Ministerpräsident werden und aus dieser Position heraus den Wahlkampf in Angriff nehmen. Er war als Finanzminister sehr viel im Land unterwegs und kommt bei den Bürgern gut an. Insofern ist er der richtige Kandidat.
Wo liegen die größten Unterschiede zwischen Söder und Seehofer?
Um hier ein endgültiges Urteil fällen zu können, kenne ich beide zu wenig. Aber ich glaube, Markus Söder hat im Vergleich zu Horst Seehofer die direktere Art und die direktere Positionierung bei Themen. Seehofer ist eher der bedachtere und abwartendere Typ.
Warum steht die CSU bei Umfragen derzeit so schlecht da?
Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Der Freistaat Bayern steht gut da – und dann müsste man eigentlich erwarten, dass auch die Partei, die hier Regierungsverantwortung hat, gut dasteht. Das Wahlergebnis hat uns aber gezeigt, dass das nicht der Fall ist. Es gibt einfach das ein oder andere Thema, das den Bürgern Sorgen bereitet. Es geht um Zukunftsangst, Identität und den Wandel der Gesellschaft. Die Politik muss einen Ansatz finden, um diese Ängste aus der Welt zu schaffen. Eine schwierige Aufgabe.
Kann es noch weiter nach unten gehen?
Ich hoffe nicht (lacht). Gerade in unsicheren Zeiten in einer immer komplexer werdenden Welt, gibt es sicher das Bedürfnis, an bewährten Dinge festzuhalten. Das ist mit ein Grund dafür, dass Horst Seehofer nicht mehr so angesehen war. Er hat einfach zu oft seine Meinung gewechselt. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass wir beim Migrationsthema die Kanzlerin über eineinhalb Jahre aufs Schärfste kritisiert haben, aber dann doch wieder eingeschwenkt sind. Wir mussten uns auf einen gemeinsamen Wahlkampf einstimmen. Und das haben uns viele Wähler übel genommen. Dieser Weg war jedoch alternativlos.
„Die Union spricht wieder mit einer Stimme“
Kann die Union aufgrund der zahlreichen Differenzen – gerade bei der Flüchtlingspolitik – dauerhaft Bestand haben?
Ja. Weil wir – leider erst nach der Wahl – eine gemeinsame Linie gefunden haben. Vielleicht ein bisschen spät, aber: Wir treten nun wieder als Einheit auf. Gerade die Jamaika-Verhandlungen haben gezeigt, dass die Union mit einer Stimme spricht.
Ist es aufgrund der schlechten CSU-Zahlen künftig weiterhin angebracht, die CSU als überregionale Einzelpartei mit bundesweiten Einflussbereich zu betrachten?
Ja, absolut. Für CSU-Verhältnisse haben wir zwar ein sehr schlechtes Ergebnis eingefahren, trotzdem sind wir weiterhin eine prägende Partei. Betrachtet man europaweit die Volksparteien, sind knapp 40 Prozent noch immer die Ausnahme. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir dieses Modell auch in der Zukunft beibehalten können. Als neuer Bundestagsabgeordneter merkt man, welch Alleinstellungsmerkmal die CSU in Berlin überhaupt hat. Obwohl wir als Einheit mit der CDU auftreten, werden wir auch als souveräne Partei betrachtet. Nicht umsonst haben wir einen eigenen stellvertretenden Bundestagspräsidenten.
Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer
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Ich würde mir lieber einen Richter wählen, denn nur Richter sind unabhängig.