Künzing/Niederbayern. Die Gemeinsamkeiten sind nicht von der Hand zu weisen. Beide haben bereits in jungen Jahren in den Reihen der CSU ihre politischen Karrieren in Angriff genommen. Beide stammen aus der Gemeinde Künzing (Landkreis Deggendorf). Beide gehören dem Gemeinderat ihrer Heimatkommune an. Und nun will Thomas Erndl auch noch Nachfolger von Bartl Kalb im Bundestag werden. Dass es durchaus Überschneidungen in den Biographien beider Politiker gibt, möchte Erstgenannter auch gar nicht bestreiten. Dennoch erklärt der 42-jährige Elektroingenieur, dass er nach einer erfolgreichen Wahl im September sein eigenes Ding machen will – gleichzeitig aber für Tipps seines möglichen Vorgängers dankbar ist.
Herr Erndl: Wie viel Barthl Kalb steckt in Ihnen?
Wenn man unsere Biographien vergleicht, doch relativ viel. Wir haben dieselbe politische Zielrichtung, wollen unsere Heimat voranbringen und Grundlagen für eine positive Zukunft schaffen. Barthl Kalb hat das über die vergangenen 30 Jahre hervorragend gemacht – in seiner typischen Art, nicht alles an die große Glocke hängen zu wollen. Hier lässt sich eine weitere Gemeinsamkeit feststellen: Sowohl er als auch ich gehen unsere Aufgaben ruhig und besonnen an.
Wie eng ist Ihr Verhältnis zu Barthl Kalb? Ist er eine Art Ziehvater?
Wir kennen uns, seitdem ich politisch engagiert bin. Ich schätze ihn, aber als Ziehvater würde ich ihn nicht bezeichnen. Es war auch nicht so, dass er mich unbedingt als seinen Nachfolger haben wollte. Meine Absicht, in den Bundestag gewählt zu werden, ist aus eigenem Antrieb heraus geschehen. Dass es dann letztlich auch mit der Nominierung geklappt hat, freut mich natürlich sehr.
„Uns eint das Ziel, die Heimat in Berlin gut zu vertreten“
Wie groß sind die Fußstapfen, die Barthl Kalb hinterlässt?
Sehr, sehr groß. Er hat sich in seinen 30 Jahren als Bundestagsmitglied ein gigantisches Netzwerk aufgebaut, das seinesgleichen sucht. Von seiner Arbeit hat Niederbayern in dieser Zeit enorm profitiert – sowohl vom Bundestagsmitglied Kalb als auch vom Kreis- und Gemeinderat Kalb. Insofern wird er schon eine große Lücke hinterlassen…
… die Sie schließen möchten. Doch: Inwieweit wollen Sie Barthl Kalb überhaupt nacheifern. Oder wollen Sie ganz ihr eigenes Ding machen?
Ich bin Thomas Erndl und nicht Barthl Kalb, das heißt: Ich habe meine eigenen Vorstellungen und versuche, diese auch umzusetzen. Andererseits bin ich natürlich dankbar, wenn mir eine derartige Koryphäe Tipps gibt, wie ich mich in der Politik noch besser zurechtfinden kann. Doch nicht nur Barthl Kalb ist für mich in dieser Hinsicht hilfreich, sondern alle niederbayerischen Mandatsträger.
Umgekehrt gefragt: Was können Sie besser machen als ihr künftiger Vielleicht-Vorgänger?
Jeder Mensch hat andere Hintergründe – wie zum Beispiel die berufliche Erfahrung. Insofern gibt es in gewissen Themen auch unterschiedliche Meinungen. Uns eint jedoch das Ziel, die Heimat in Berlin gut zu vertreten.
Bitte gehen Sie etwas näher darauf ein.
Als Ingenieur habe ich eher einen technischen Hintergrund und dadurch eine andere Ausrichtung als Barthl Kalb, der gelernter Landwirt und Industriekaufmann ist.
Apropos Globalität: Der Bayerische Wald scheint diesen Zug etwas verpasst zu haben. Die Landkreise Freyung-Grafenau und Regen gelten noch immer als besonders strukturschwache Regionen. Wie lässt sich dies ändern?
Eins vorweg: Zwischen FOS und Studium habe ich meine Bundeswehr-Zeit in Freyung verbracht. Deshalb kenne ich den Bayerischen Wald, vor allem dessen Vor- und Nachteile, sehr gut. Und es lässt sich feststellen, dass sich der Landkreis Freyung-Grafenau in den vergangenen Jahren wahnsinnig gut entwickelt hat. Ein kleines Beispiel: 1994 bin ich auf der alten B12 durch die Dörfer nach Passau gefahren. Inzwischen ist diese Bundesstraße enorm ausgebaut worden. Die Region wurde aufgewertet, ganz klar. Dennoch gibt es weiterhin viel zu tun. Besonders erfreulich ist: Es gibt sehr wenige Arbeitslose im Bayerischen Wald.
Was unter anderem an der „Leidensfähigkeit“ der Waidler liegt, die bereit sind, weite Strecken zur Arbeit auf sich zu nehmen.
Absolut. Daraus ergeben sich zwei Aufgaben, die wir in Angriff nehmen wollen. Zum einen müssen im Bayerischen Wald mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Zum anderen muss die Infrastruktur weiter verbessert werden, um die Pendler so gut wie möglich zu unterstützen. Auf der B12 sind ja einige Verbesserungen angedacht, auch der Autobahnzubringer von Hutthurm nach Aicha vorm Wald verträgt noch die ein oder andere Überholmöglichkeit. Wir wissen, was zu tun ist.
„Auch der kleine Hof in der Einöde muss bestens versorgt sein“
Die Stärkung des ländlichen Raumes, wie es so schön heißt, ist ein Thema, das die Regierenden immer wieder hervorheben. Dennoch geschieht gefühltermaßen nur sehr wenig in diesem Zusammenhang. Warum?
Wichtig ist es, zu verstehen, was die Politik erreichen kann. Sie kann dafür sorgen, dass die Voraussetzungen für eine Entwicklung geschaffen werden – dazu zählen neben der Infrastruktur auch steuerliche Voraussetzungen und Fördermöglichkeiten. Alles weitere muss von selber wachsen bzw. braucht wirtschaftlichen Input von außen. Die Politik kann lediglich insofern neue Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, indem etwa Behörden – so weit möglich – in den ländlichen Raum verlagert werden. Hier hat man in den vergangenen Jahren viel auf den Weg gebracht – beispielsweise die Autobahndirektion in Deggendorf oder die geplante Polizeiakademie in Freyung.
Also ist der ländliche Raum Ihrer Meinung nach bereits ausreichend gestärkt worden?
Ich sehe hier zumindest nicht so schwarz wie manch anderer. Der ländliche Raum hat sich enorm weiterentwickelt und wird dies auch weiterhin tun. Durch die vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten in der Welt ist es besonders wichtig, ein solides Fundament zu haben, das Niederbayern ist.
Das von Ministerpräsident Horst Seehofer propagierte „starke Bayern“ ist also insofern Wirklichkeit, weil es neben den „starken“ Ballungszentren wie München und Nürnberg auch einen „starken“ ländlichen Raum gibt?
Ja, genau. Aber natürlich muss man hier auch weiterhin wachsam sein, um eventuelle Unterschiede sofort auszugleichen. Das sehe ich als eine meiner Aufgaben, sollte ich es tatsächlich in den Bundestag schaffen. Wir müssen deutlich machen, dass bei Themen, in denen kein Gefälle nötig ist, auch wirklich keins vorherrscht. Dazu zählt vor allem das Internet. Auch der kleine Bauernhof in der Einöde muss in dieser Hinsicht ausreichend versorgt sein.
Leider hat die Politik etwas länger gebraucht, um zu verstehen, dass sie in Sachen Internet einzugreifen hat. Zunächst dachte man, der Markt regelt das schon. Doch das war nicht der Fall, weshalb man nun nachhelfen muss. Über kurz oder lang soll jeder Haushalt mit Glasfaser versorgt sein. Hier gibt es keinen Grund, warum unser Bereich schwächer aufgestellt sein soll als eine Großstadt.
Kommen wir zur Gymnasium-Reform. Nach langen Diskussionen kehrt Bayern nun wieder zu diesem G9-Bildungssystem zurück. Vor allem die CSU machte bei dem G8-G9-Hickhack keine sonderlich gute Figur – ein politischer Eiertanz. Hand aufs Herz: Ist das G9 nun wirklich die beste Lösung, die dauerhaft bleibt?
Zunächst einmal ist die Bildung eine landespolitische Aufgabe – deshalb muss ich ein bisschen aufpassen, was ich jetzt sage (lacht). Unterm Strich ist es Aufgabe der Politik, diejenigen Themen, die heiß diskutiert werden und für Aufruhr sorgen, anzugehen und zu lösen. Wichtig ist jedoch, dass Ruhe und Stabilität einkehrt. Deshalb ist es gut, dass man sich nun für eine endgültige Form entschieden hat.
Flüchtlingspolitik: „Die Angriffe auf Angela Merkel waren überzogen“
Weiterhin im Fokus steht die Flüchtlingspolitik. In der Vergangenheit orientierte sich die CSU immer mehr an der rechtspopulistischen AfD. Im Gegensatz dazu stand die CDU mit ihrer Willkommens-Politik mehr oder weniger alleine da. Wie beurteilen Sie die Differenzen zwischen den Schwesterparteien?
Die CSU ist definitiv nicht in Richtung AfD geschwenkt, das muss ich zuerst einmal klarstellen. Insgesamt hat die CSU in dieser Frage immer eine sehr verantwortungsbewusste Rolle eingenommen. Asylsuchenden muss geholfen werden, ganz klar. Wir wollen aber auch Strukturen schaffen, die die vorherrschenden Chaoszustände beseitigen. Wir sind sehr wohl daran interessiert, dass diejenigen, die ein Bleiberecht bekommen, auch integriert werden. Gleichzeitig müssen wir aber Regeln schaffen, an die sich alle zu halten haben.
Insgesamt dürfen wir darauf stolz sein, dass wir die Flüchtlingswelle so gut bewältigt haben. Es gibt auch viele CSU’ler, die sich damals ehrenamtlich engagiert haben. Insofern sind wir auch inhaltlich nicht weit von der CDU entfernt. Die einzige offene Frage bleibt eine mögliche Begrenzung von Flüchtlingen, die wir aufnehmen. Vor der Wahl wird es hier auch keine Änderungen der Positionen mehr geben.
Weil man befürchtet, Stimmen zu verlieren?
Es handelt sich um zwei unterschiedliche Parteien, die das Recht haben, mit unterschiedlichen Programmatiken in den Wahlkampf zu ziehen. Generell gibt es aber innerhalb der Unionsfamilie nur kleine Unterschiede – sowie die die Nuance der Begrenzungszahl.
Es war nicht optimal, dass man versucht hat, das Problem auf die Kanzlerin abzuwälzen. Das war nicht richtig. Im Nachhinein waren die Angriffe auf Angela Merkel etwas überzogen.
Hat die CSU durch diese Vorgehensweise an Glaubwürdigkeit verloren?
Sicherlich ist es nicht sinnvoll, zunächst ein Problem auf eine Person abzuwälzen und später dann einen Rückzieher zu machen. Es gilt aber auch festzustellen, dass die Flüchtlingsproblematik nur eines von vielen Themen ist, das unser Land beschäftigt. Insgesamt sind wir mit unserer Kanzlerin hervorragend gefahren in den vergangen zwölf Jahren, deshalb werden wir Angela Merkel auch weiterhin unterstützen.
Die Differenzen haben also nicht den Verlust von Wählerstimmen zur Folge?
Nein.
Horst Seehofer hat versprochen, dass Bayern künftig viel Geld für Familien investieren wird. Gute Sache, aber: Wie finanziert sich das Ganze?
Grundlage des Sozialstaates ist, dass der Laden brummt, was derzeit der Fall ist. Die Wirtschaft funktioniert, der Arbeitsmarkt boomt. Und dann stehen auch die Mittel für derartige Projekte bereit. Deshalb müssen alle politischen Richtungen zusammenhelfen, dass in allen Regionen Deutschlands der Laden läuft. Denn dann stehen auch die Mittel für unsere Familien bereit.
„Es ist gut, dass es zwei deutliche politische Lager gibt“
Familien sind auch ein Thema der politischen Gegner, allen vor der SPD. Wie „gefährlich“ wird deren Kandidat Martin Schulz noch im Laufe des Wahlkampfs?
Es ist gut, dass es endlich wieder zwei deutlich erkennbare politische Lager gibt – zum einen die bürgerliche Schiene mit der Union, zum anderen das linke Spektrum unter Führung der SPD. Dadurch haben auch Populisten weniger Chancen, Wähler abzufischen. Ich bin grundsätzlich ein großer Fan von Volksparteien, da diese zur politischen Stabilität einen wichtigen Beitrag leisten. Um aber auf ihre Frage zurückzukommen: Meiner Meinung nach wird sich Deutschland im September für eine von der Union gestellte Regierung entscheiden.
Abschließende Frage: Sollten Sie in den Bundestag gewählt werden, in welchen politischen Ressorts werden wir Sie dann wiederfinden?
Als Neuling wird man sich das nicht direkt aussuchen können, jedoch darf man Wünsche äußern. Beachtet man meinen beruflichen Hintergrund, fühle ich mich im Bereich Forschung und Technologie sehr wohl. Ich interessiere mich aber auch für Verkehr, Verteidigung und Außenpolitik.
Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute.
Interview: Helmut Weigerstorfer