Straßburg/Brüssel/Freyung. „Wir leben im besten Europa, das wir jemals hatten“ – allein diese Aussage macht die Einstellung von Manfred Weber deutlich: Der 45-jährige CSU-Politiker ist Europäer durch und durch. Einer, der dabei jedoch nicht die Weiterentwicklung seiner Heimat Niederbayern aus den Augen lässt. Der gelernte Physik-Ingenieur und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), der größten Vertretung im Europäischen Parlament, versucht täglich aufs Neue zu demonstrieren, dass sich Heimatliebe und grenzüberschreitendes Denken nicht ausschließen. Im ersten Teil des Interviews mit dem Onlinemagazin da Hog’n spricht der im Landkreis Kehlheim lebende stellvertretende CSU-Vorsitzende über die Flüchtlingswelle und deren Folgen sowie über die jüngsten Personalrochaden innerhalb der Christlich-Sozialen Union.
Herr Weber: Die aktuellen Umfragewerte sind alles andere als zufriedenstellend für die CSU. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für dieses Tief?
Manfred Weber: Zunächst vorweg: An den Ergebnissen unserer Politik liegt es nicht. Bayern und Deutschland geht es gut – wir haben ein gutes wirtschaftliches Wachstum, die meisten Menschen haben Arbeit. Gerade die jungen Leute finden gute Beschäftigungen und können sich ein Eigenheim leisten. Über Jahrzehnte hinweg war genau das unser Problem in Niederbayern – diese Schwierigkeiten gehören aber nun im Wesentlichen der Vergangenheit an. Beispielsweise wurden die Plätze für Studierende in Niederbayern innerhalb von zwölf Jahren von 9.000 auf 25.000 ausgebaut. Ein großer Verdienst der CSU, die diese Investitionen erst möglich gemacht hat. Wir kümmern uns um die Sorgen unserer Bürger, wir nehmen ihre Probleme ernst. Gleichzeitig muss man aber auch feststellen, dass wir Politiker bestimmt nicht fehlerfrei sind. Deshalb ist eine realistische Selbstreflexion sehr wichtig.
„Die Menschen müssen spüren, dass wir ehrlich zu ihnen sind“
Nochmal: Warum läuft es derzeit nicht besonders gut für die CSU?
Unser Umfragetief ist eng mit den Ängsten der Bevölkerung verbunden. Zwei Ereignisse sind in dieser Hinsicht prägend: Zum einen die Flüchtlingswelle 2015 und deren Folgen. Gerade wir im Grenzraum waren davon betroffen – Niederbayern war einer der Hauptbrennpunkte damals. Zum anderen herrscht weiterhin das Gefühl, dass unsere Region irgendwie abgehängt worden ist und entscheidende Entwicklungen verschlafen hat. Im Rahmen des kommenden Wahlkampfes müssen wir den Menschen in Bayern verdeutlichten, dass wir uns um diese Angelegenheiten kümmern. Die Menschen müssen spüren, dass wir eine bürgernahe Politik machen und ehrlich zu ihnen sind. Dann gewinnt die CSU auch wieder an Vertrauen.
Hat man die Ängste der Bevölkerung zu spät erkannt?
Bei der Flüchtlingswelle 2015 sind in Berlin Fehler gemacht worden, eindeutig. Nun gilt es, diese Versäumnisse aufzuarbeiten. Für meine Partei nehme ich in Anspruch, dass wir bereits vor drei Jahren auf diese Probleme aufmerksam gemacht haben. Doch als CSU sitzen wir gemeinsam mit der CDU in einem Boot. Wir sind – wie es der Name schon sagt – eine Union. Die Flüchtlingspolitik sehen viele Bürger nach wie vor kritisch – es gibt Fürsprecher und Gegner. Dass diese zwei Gruppen wieder zusammenfinden, ist aktuell unsere größte Baustelle, an der wir arbeiten.
In diesen Zusammenhang ist die CSU auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Horst Seehofer wird als Innenminister bald eines der wichtigsten Ressorts Deutschlands innehaben. Im Vergleich mit Christian Lindner oder mit der SPD, die derzeit mit internen Querelen zu kämpfen hat, waren wir von Anfang an dazu bereit, uns der Kritik zu stellen.
Thema AfD: „Konzepte und Ideen hat diese Partei wirklich nicht“
Die Kernproblematik sehen Sie also einzig und allein bei der Flüchtlingsfrage?
Nein, keinesfalls. Die Flüchtlingswelle hat nur das Fass zum Überlaufen gebracht. In Rahmen dieser Krise haben manche Bürgern den Eindruck gewonnen: „Für die habt ihr Geld, für uns nicht“. Hinzugekommen sind die sozialen Fragen, wie die Asylbewerber künftig versorgt werden. Auf der anderen Seite gibt es viele ältere Menschen, beispielsweise im Bayerischen Wald, die wenig Renten bekommen, weil es in den letzten Jahrzehnten wenig Beschäftigungsmöglichkeiten in der Region gegeben hat. Dieses Ungleichgewicht müssen wir aus der Welt schaffen. Deshalb haben wir uns in Berlin bei den Koalitionsverhandlungen etwa auch für die Mütterrente eingesetzt. Ein erster Schritt in die richtige Richtung. Jenseits der Flüchtlingsfrage müssen wir künftig einen Schwerpunkt auf das Sozialwesen legen. Wenn es – wie aktuell – wirtschaftlich gut läuft, müssen wir uns auch darum kümmern, dass das Geld wieder ordentlich zu den Menschen zurückkommt.
Viele CSU-Wähler sind zur AfD gewechselt. Hat diese Partei den Nerv der Leute mehr getroffen als die Christsozialen – oder war es ausschließlich eine Protestwahl?
Viele Menschen, die die AfD gewählt haben, glauben nicht, dass die AfD Probleme löst. Konzepte und Ideen hat diese Partei nun wirklich nicht. Die AfD war ein Ventil für die Leute, ihrer Enttäuschung Luft zu machen. Das ist übrigens kein Phänomen, mit dem alleine Deutschland zu kämpfen hat. Auch in Frankreich, Holland, Tschechien und Italien gibt es ähnliche Diskussionen – auch weil die Balance in diesen Ländern nicht stimmt. Die Volksparteien müssen die Sorgen aufgreifen und die Probleme lösen. Das geht nur durch eine Politik mit Augenmaß, das bedeutet zum Beispiel durch kontrollierte und begrenzte Zuwanderung. Es ist eine Differenzierung nötig zwischen wirklich Hilfsbedürftigen und Wirtschaftsflüchtlingen. Letztere müssen konsequent abgewiesen und rückgeführt werden.
Wie ist eine gerechtere Verteilung der Geflüchteten innerhalb Europas möglich – nur durch Sanktionen?
Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage (lacht). Um diese beantworten zu können, muss ich etwas weiter ausholen. Die alten EU-Staaten in Westeuropa finanzieren derzeit durch Fördergelder den Aufbau der neuen EU-Staaten. Das ist für mich praktizierte Solidarität innerhalb eines Bündnisses. Wir helfen, damit es in diesen Ländern wirtschaftlich vorangeht – gerade wenn man nach Tschechien blickt, sieht man, dass diese Unterstützung fruchtet. Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße. Das müssen wir den Osteuropäern klipp und klar vermitteln. Die EU ist kein Selbstbedienungsladen, wo man sich nur das Schöne raussuchen kann. Haben wir einmal Probleme, erwarten wir, dass uns auch geholfen wird. Probleme müssen solidarisch gelöst werden.
Seehofer-Nachfolge: „Markus Söder hat einen ganz klaren Plan“
Und ich möchte darauf hinweisen, dass meine Fraktion im Europäischen Parlament, in der auch Polen, Tschechen und Ungarn sitzen, ein Gesetz auf den Weg gebracht hat, das eine verbindliche Quote bzw. eine verbindliche Solidarität für Europa vorsieht. Die zweite Kammer, in der die Ländervertretungen sitzen, sträubt sich aber noch gegen diesen Beschluss. Zusammengefasst: Bei diesem Thema versagt nicht das Europäische Parlament, sondern die Nationalstaaten. Ich hoffe, dass uns eine gerechte Lösung noch im Jahr 2018 gelingt.
Anfang Januar haben Sie von einer „finalen Lösung“ der Flüchtlingsfrage gesprochen. Eine Aussage, die an die NS-Ideologie erinnert. Bereuen Sie ihre Wortwahl inzwischen?
Ja, voll und ganz – und ich habe mich bereits dafür entschuldigt. Es war eine mehr als unglückliche Formulierung, ganz klar. Diese Aussage wurde aber auch aus dem Zusammenhang gerissen. Im nachfolgenden Satz habe ich von der gesetzgeberischen Lösung im Sinne der Flüchtlinge gesprochen, was das Ganze wieder etwas relativiert – aber meine blöde Formulierung keinesfalls entschuldigt. So etwas kann, aber darf im Alltag nicht passieren. Ich möchte hierbei betonen: Solange ich politisch aktiv bin, werde ich alles tun, um rechtsradikale Ideologien und Gedankengut zu bekämpfen. Das ist mir persönlich sehr wichtig.
Themawechsel: Horst Seehofer wird sich als Ministerpräsident verabschieden und nach Berlin wechseln. Markus Söder wird Bayern künftig regieren. Die richtige Entscheidung?
Markus Söder hat einen ganz klaren Plan. Er kümmert sich um die Themen, die die Menschen aktuell beschäftigen – die Flüchtlingsfrage, Pflege, Familienförderung, Grenzsicherung und der Wohnungsbau in den Ballungsräumen. Söder liefert konkrete Ideen, wie es weitergehen kann. Und genau das ist es, was die Menschen erwarten. Das heißt konkret: Markus Söder ist jetzt der richtige Mann.
Generell hat sich die CSU neu aufgestellt – in Bayern, aber auch auf Bundesebene. Haben Sie während der jüngsten Personalrochaden kurzzeitig daran gedacht, selbst in die Landes- oder Bundespolitik zurückzukehren?
Ich darf Chef der größten Fraktion im Europäischen Parlament sein – dort werden viele wesentliche Fragen unseres Alltags entschieden. Und ich möchte dort auch bleiben.
Haben Sie als stellvertretender CSU-Vorsitzender also nicht mit dem Gedanken gespielt, vielleicht sogar Parteichef zu werden?
Wir haben mit Horst Seehofer einen CSU-Chef, der mit einem starken Ergebnis wiedergewählt worden ist. Insofern stellt sich diese Frage für mich nicht.
„Es gibt auch Europapolitiker, die erfolgreich zurückgekehrt sind“
War in dieser Hinsicht Martin Schulz ein warnendes Beispiel für Sie, der dem Europaparlament den Rücken kehrte, in die Bundespolitik übersiedelte – und als Kanzlerkandidat scheiterte?
Das ist ein Fall, der sich nicht pauschalisieren lässt, sondern von der jeweiligen Person abhängt. Martin Schulz hat während seiner Kampagne gravierende Fehler gemacht. Ihm ist es nicht gelungen, eine Alternative aufzubauen, was passiert, wenn er und seine Partei gewählt wird. Es hat durchaus Europapolitiker gegeben, die nach ihrer Rückkehr nach Deutschland erfolgreich waren – zum Beispiel Armin Laschet, der aktuelle Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Auch manche Landespolitiker sind gescheitert, als sie nach Berlin gewechselt sind.
Schließen Sie aus, irgendwann als Landes- oder Bundespolitiker zurückzukehren?
Kein Mensch kann irgendwas generell ausschließen. Aber ich habe derzeit die schönste Aufgabe, die ich mir vorstellen kann: Europa zusammenzuhalten und gemeinsam weiterzuentwickeln.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer