München. „Dieser Film zeigt, warum Habgier als eine der größten Todsünden gilt. Die Profitgier der multinationalen Agro-Chemie-Konzerne bestimmt inzwischen über fast jeden Acker und jeden Bauern. Durch die eingesetzten Gifte werden nicht nur bäuerliche Existenzen zerstört, sondern auch unsere Natur und unsere Gesundheit.“ Dies ist nur eine von vielen Pressestimmen, die all das zusammenfasst, was der Münchener Filmemacher Bertram Verhaag mit seinem neuesten Werk „Code of Survival“ vor Augen führen will.
Der 73-Jährige, der seit vier Jahrzehnten nicht müde wird, der Gesellschaft anhand kritischer Dokumentarfilme (u.a. „Blue-Eyed“ , „Spaltprozesse Wackersdorf„) einen Spiegel vorzuhalten, spricht im Hog’n-Interview über die Auswirkungen des Pestizidmittels Glyphosat auf die Pflanzen- und Tierwelt sowie auf den Menschen. Darüber, welchen Einfluss der Verbraucher auf dessen Einsatz hat. Und wie der „Code fürs Überleben“ seiner Meinung nach aussieht.
Herr Verhaag: Ihr neuer Film trägt den Titel: „Code of Survival – Die Geschichte vom Ende der Gentechnik“. Inwiefern prophezeien Sie das Ende der Gentechnik?
In dem Film zeigen wir einerseits Menschen, die dem Boden mit Ehrfurcht und Demut begegnen. Menschen, die wissen, wie wertvoll er ist. Dass er die Grundlage für unser Leben und unser Existieren darstellt. Dies konfrontieren wir mit Gentechnikerfahrungen von amerikanischen Farmern, die den Boden im Grunde genommen nur zerstören und vergiften. Wenn man diese beiden Welten nebeneinander stehend betrachtet, kann sich in der Folge niemand mehr für Gentechnik aussprechen. Deswegen ist im Film die Rede vom Ende der Gentechnik.
„Glyphosat wirkt gegen die Biodiversität, weil es alles zerstört“
Welche Auswirkungen hat das meistverkaufte Pestizidmittel Glyphosat, das eine zentrale Rolle in Ihrem Film spielt, auf die Umwelt, etwa auf Insekten?
Die Auswirkungen sind immer indirekt und hängen miteinander zusammen. Wenn den Insekten durch das Glyphosat die Pflanzen genommen werden, dann können sie nicht weiter existieren. In den USA sind intensive Untersuchungen über den Monarchfalter durchgeführt worden, der eine weite Distanz von Nordamerika bis Mexiko zurücklegt. Dieser Schmetterling ernährt sich, wenn er in den USA zwischenlandet, von bestimmten Blättern. Doch diese Pflanzen werden durch das Gift ausgerottet. Das heißt: Glyphosat wirkt gegen die Biodiversität, weil es schlichtweg alles zerstört. Oder anders ausgedrückt: Es ist ungeheuerlich, dass eine Firma etwa Raps gentechnisch so sehr verändert, dass dieser unempfindlich gegen das eigene, von dieser Firma hergestellte Gift wird. Konkret heißt das: Das Unternehmen Monsanto stellt ein Gift namens Roundup her, das zusammen mit dem Saatgut verkauft wird.
Wenn der Bauer dieses Saatgut aussät und irgendwann die ersten grünen Blätter von diesem ‚Unkraut‘, als was es immer bezeichnet wird, zum Vorschein kommen, dann soll er Roundup spritzen – und alles Grüne geht auf diesem Acker kaputt. Und es geht dabei nicht nur, wie die Industrie immer behauptet und was schon schlimm genug ist, das Grünzeug kaputt, sondern auch die Lebewesen.
Vor wenigen Monaten erschien das Ergebnis einer Wiener Studie, die die Auswirkungen von Glyphosat auf Regenwürmer untersucht hatte. Die Würmer sind nicht direkt getötet worden, doch es gab starke Beeinträchtigungen bis hin zu Missbildungen. Ein Regenwurm ist im Verhältnis zu den Milliarden von Kleinstlebewesen, die im Boden leben, ja ein relativ großes Tier. Das heißt: Glyphosat wird auch entsprechende Auswirkungen auf kleinere oder Kleinst-Lebewesen haben. Doch – und das ist ein ganz kritischer Punkt in Sachen Glyphosat – es wird nichts unabhängig untersucht.
„Cocktail aus Giften, die noch schlimmer sind als Glyphosat“
Ein weiterer entscheidender Punkt in der Diskussion: Es wird immer nur das Glyphosat daraufhin untersucht, ob es krebserregend ist. Das ist eine ganz beschränkte Fragestellung. Denn dieses Gift wird ja in der Regel zusammen mit gentechnisch veränderten Pflanzen ausgegeben – etwa als Hauptgift im Unkrautvernichter Roundup. Roundup ist aber ein Giftcocktail, in dem sich Gifte befinden, die teils noch schlimmer sind als das Glyphosat selbst. Wenn die Prüf-Institutionen nun gefragt werden, weshalb einzig das Glyphosat untersucht werde, heißt es von deren Seiten meist nur ganz schlicht: Wir haben lediglich den Auftrag das Glyphosat zu analysieren – und nicht die Art und Weise, wie es auf das Feld gelangt, nämlich – wie im Falle von Roundup – in Form eines Giftcocktails.
Wenn Glyphosat in den Boden kommt, verliert dieser die Fähigkeit, Mineralien, Mikronährstoffe, Antioxidantien und alle weiteren Stoffe, die für unsere Gesundheit so wichtig sind, in die Pflanze zu übertragen. Die Pflanze selbst verliert die Fähigkeit, diese Stoffe aus dem Boden aufzunehmen. Ein bekanntes Beispiel: Alle Leguminosen – etwa Erbsen, Bohnen usw. – haben unten an ihren Wurzeln sog. kleine Knöllchen-Bakterien. Diese gehen kaputt, wenn ich die Pflanze gentechnisch verändere. Die Knöllchen-Bakterien waren jedoch in der Lage, Stickstoff aus der Luft aufzunehmen und dem Boden für das Pflanzenwachstum verfügbar zu machen. Da diese natürliche Fähigkeit durch das Glyphosat abhandenkommt, muss in der Folge Stickstoff in chemischer Form zugegeben werden. Das ist ein weiterer großer Schaden.
Ein Apfel hatte 1940 eine bestimmte Menge an Vitaminen, an wertvollen Mikro-Nährstoffen etc. Heute müssten wir vier solcher Äpfel essen, um die Menge an Heil- und Nährstoffen von damals geschenkt zu bekommen – dies verdeutlicht die Auswirkungen von Glyphosat und der sogenannten modernen Landwirtschaft.
„Wir essen ein Pestizid mit, das permanent produziert wird“
Wie lange muss ein Feld mit Glyphosat bzw. Roundup behandelt werden, bis eine schädigende Wirkung eintritt?
Diese tritt sofort bei der ersten Behandlung ein, so unfassbar stark ist dieses Gift. Und, wie erwähnt, indem alles Grün auf diesem Acker verschwindet, hat dies auf indirektem Wege auch Auswirkungen auf die Lebewesen.
Wenn Maisfelder in Monokultur vom sogenannten Maiszünsler befallen werden und der Bauer sein Glyphosat ausbringt – plump gefragt: Fällt der Käfer tot um, sobald er mit Glyphosat in Berührung kommt?
Nein. Der Maiszünsler ist ein Wurm, der den Mais von innen aushöhlt und auf diese Weise tötet. Die Maispflanzen werden nicht mit Roundup besprüht, sondern werden mit dem Bacillus thuringiensis gentechnisch verändert. Das ist eigentlich ein Bazillus, dessen Einsatz in der Bio-Landwirtschaft sehr wichtig ist. Mit ihm kann man Schädlinge besprühen, die dann absterben. Aber: Bei den ersten Sonnenstrahlen geht auch dieser Bacillus thuringiensis kaputt. Das heißt: Er ist ein wichtiges Mittel, um im Bio-Landbau individuell zu spritzen und sich gegen bestimmte Schädlinge zu wehren.
Beim Mais macht, wie gesagt, der Maiszünsler den Mais kaputt. Dadurch, dass der Mais jedoch gentechnisch so verändert worden ist, dass er diesen Bacillus thuringiensis dauernd produziert, fressen die Maiszünsler den Bacillus – und sterben daran. Daher ist es ein wirksames Mittel gegen den Maiszünsler. Aber: Was erreichen wir? Wir haben plötzlich einen Mais, bei dem in jeder Zelle der Bacillus thuringiensis enthalten ist. Und den essen wir mit. Das heißt: Wir essen praktisch ein Pestizid mit, das innerhalb der Pflanzenzelle permanent produziert und damit auch mit geerntet wird.
„Wir werden belogen und betrogen von dieser Industrie“
Und auf den Maisfeldern Niederbayerns ist dies auch der Fall?
Nein, weil es bei uns ja verboten ist, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen. Kein Mais, kein Soja, kein Raps. Das ist bei uns – Gott sei Dank – nach wie vor untersagt. Im Prinzip auch innerhalb der EU. Es gibt jedoch in Spanien einige Felder, die mit gentechnisch verändertem Mais bewachsen sind.
Sie hatten ja vorhin erwähnt, dass gewisse Institutionen sich weigern würden, entsprechende Untersuchungen vorzunehmen. Um welche Institutionen handelt es sich dabei? Und: Warum wird Ihrer Meinung nach „nichts untersucht“?
Bei den Institutionen handelt es sich etwa um das Bundesinstitut für Risikobewertung. Es wurde generell ein Grundkonzept entwickelt, das es ermöglicht, den Firmen die jeweiligen Untersuchungen zu überlassen. Die müssen dann ihre Ergebnisse präsentieren und beweisen, dass die eingesetzten Mittel ungefährlich sind. So läuft das…
Was die sog. wissenschaftlichen Studien angeht, haben wir es ohnehin mit einer katastrophalen Situation zu tun. In den USA gibt es inzwischen viele Prozesse von Familien, die gegen Monsanto vorgehen. Ihr Vorwurf: Bestimmte Krankheiten, die die Kinder bekommen haben – wie etwa die Hodgkin-Leukämie – sollen auf den Einsatz von Roundup zurückzuführen sein.
In verschiedenen Staaten wurden bei diesen Prozessen von Monsanto verlangt, dass das Unternehmen seine Archive öffnet und bislang zurückgehaltene Unterlagen herausgibt. Dabei kam dann plötzlich zum Vorschein, dass Monsanto eigene Untersuchungen durchgeführt und einen gekauften Wissenschaftler damit beauftragt hatte. Dies wurde als wissenschaftliche Studie präsentiert nach dem Motto: Schaut her, es ist alles ungefährlich.
Parallel werden Studien veröffentlicht, die klar aussagen, dass Monsanto in seinen eigenen Studien bereits festgestellt hatte, dass gewisse Stoffe krebserregend bzw. umweltzerstörend seien. Wir werden belogen und betrogen von dieser Industrie.
„Die gesamte Stallluft war geschwängert mit Glyphosat…“
Für den Verbraucher erscheint das alles sehr verwirrend, was hier an unterschiedlichen Studienergebnissen in die Welt gesetzt wird…
Man muss bedenken, dass die Meinungen im Verhältnis 50:50 zueinander stehen. Es gibt genauso viele Studien von unabhängigen Instituten wie von der Industrie. Aber: Selbst, wenn das Verhältnis 40:60 stehen würde, sollte dies definitiv eine Verpflichtung unserer Behörden und Politiker zur Folge haben, nach dem Vorsorge-Prinzip zu handeln. Und zu sagen: Solange das nicht eindeutig geklärt ist, kann das alles nicht zugelassen, sondern muss verboten werden.
Die EU-Kommission will den Einsatz von Glyphosat nun um weitere zehn Jahre verlängern, was natürlich katastrophale Auswirkungen hätte. Bei uns wird zwar noch kein genveränderter Mais angebaut, wie vorhin schon gesagt. Doch er wird importiert – als Tierfutter in Form von genverändertem Soja aus Argentinien und den USA. Damit sind dann alle Tiere – genauso wie auch alle daraus hergestellten tierischen Produkte wie Milch, Eier, Käse, Fleisch usw. – mit Glyphosat belastet.
Es gibt Untersuchungen von Supermarktketten, bei denen rauskam, dass 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung Glyphosat im Blut hat. Es konnte nur über die Aufnahme von Nahrungsmitteln dorthin gelangen…
Was glauben Sie: Warum wurde der Vertrag über den Einsatz von Glyphosat zwischen der EU-Kommission und Monsanto nochmals verlängert?
Wenn die EU den Einsatz verbieten würde, dürfte das ganze Futtermittel aus Argentinien und USA nicht mehr nach Europa importiert werden. Denn die Sojabohnen enthalten auf ihrer Schale im hohen Grade Glyphosat. Oder, wenn es in Argentinien schon geschrotet wurde, ist das Glyphosat schon in dem ganzen Futter drin. Das wurde bereits alles belegt. Es gibt einen Bauern, der zufällig bei einer Ärztin aufgrund eines hohen Glyphosatanteils im Urin aufgefallen ist. Es handelte sich um einen Bauern, der jeden Tag Soja an seine Kühe und Schweine verfüttert hat. Die gesamte Stallluft war geschwängert mit Glyphosat…
Das darf alles nicht so weitergehen. Denn das wichtigste Ziel ist es, die Bevölkerung vor diesem Gift zu schützen. Doch das wird leider nicht getan, weil dies einen gigantischen Schlag gegen all diese Multis wie Monsanto bedeuten würde…
„Je mehr wir den Mund aufmachen, umso mehr ändert sich“
Haben, wie es oft so schön heißt, wir Verbraucher es nun in der Hand, dass Glyphosat weiterhin im Umlauf ist – oder ist das nur ein Märchen?
Der Verbraucher sollte zunächst einmal genau auf die Verpackungen schauen. Er sollte nach der Herkunft fragen – bei Brot etwa, welches Getreide dafür verwendet wurde. Wenn man zehnmal nachfragt, wird auch irgendwann die Metzgerei oder die Bäckerei realisieren, dass diese Informationen für den Verbraucher von wert sind.
Wichtig ist, dass die Leute regionale Produkte kaufen, denn dort stehen zumeist die Namen der Erzeuger mit drauf. Und die würden das nicht drauf schreiben, wenn sie schlechte Ware hätten, was ihnen jedoch – im Falle der Intransparenz – irgendwann nachgesagt werden könnte. Man kann Bio-Eier kaufen, kann aber auch Eier aus der Region kaufen, wenn man weiß, wie die gefüttert worden sind.
Der wichtigste Punkt dabei ist: Je mehr wir den Mund aufmachen, umso mehr ändert sich die Industrie bzw. die Lebensmittelherstellung. Es wurde von einer Supermarktkette angekündigt, dass sie nur noch Hähnchen verkauft wird, die ausschließlich ohne gentechnisch verändertes Futter gefüttert wurden. Das heißt: Die Industrie hat auf die Nachfragen der Konsumenten reagiert. Es geht also darum, die Industrie unter Druck zu setzen.
Der Verbraucher hat Macht, er muss sie nur ausüben. Jeden Tag beim Einkaufen trifft er eine Entscheidung, die sowohl beim Supermarktleiter als auch beim Hersteller der Lebensmittel ankommt. Und die werden sich nach den Bedürfnissen der Verbraucher richten.
„Jeder müsste mehr darauf achten, was er kauft“
Würden Sie sagen, das Glyphosat tatsächlich krebserregend ist? Können Sie diese Behauptung getrost aufstellen – oder werden Sie danach von irgendwelchen Leuten verklagt?
Nein, verklagt werden würde ich nicht. Denn die Weltgesundheitsorganisation hat ja im vergangenen Jahr informiert: Glyphosat ist wahrscheinlich krebserregend. Das ‚wahrscheinlich‘ hört sich zwar harmlos an. Es kennzeichnet aber die zweithöchste Stufe in Sachen Krebserzeugung. Insofern kann man das eindeutig so feststellen. Nochmal: Hier muss das Vorsorge-Prinzip angewandt werden.
An wen richtet sich Ihr Film Code of Survival?
An jeden Bürger dieser Gesellschaft. Ich habe den Film sowohl für mich selbst als auch für jeden anderen gemacht. Ich versuche mit dem Film die Menschen auf das aufmerksam zu machen, was sie essen. Ich möchte ihnen sagen: Das, was ihr kauft, sieht zwar schön aus, hat aber kaum noch inneren Wert. Und in der nächsten Stufe möchte ich ihnen mitteilen: Es ist giftig, was ihr esst.
Jeder müsste mehr darauf achten, was er kauft. Die einzige Möglichkeit, diese ganze Gentechnik zu vermeiden, geht nur über Bioprodukte. Sie haben keine Gentechnik, keine Pestizide. Viele werden jetzt sagen: Bio ist zu teuer. Doch es gibt Untersuchungen vom Bund Naturschutz, die klar belegen: Es ist im Endeffekt nicht teurer. Wenn ich bei Lidl eine Schachtel mit fünf Zucchini kaufe, werden davon in der Regel zwei schlecht. Die muss ich wegschmeißen.
Das bedeutet: Wenn ich gezielt in einem Bioladen einkaufe, dann gebe ich weniger Geld für das aus, was ich von den im Supermarkt gekauften Waren wegschmeiße. Doch das setzt ein bewusstes Einkaufsverhalten voraus.
Vielen Dank für das Gespräch – und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer
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