Freyung-Grafenau. Die Tatsache, dass der BLSV-Chef und der Landrat des Landkreises Freyung-Grafenau ein und dieselbe Person sind, dürfte wohl nicht nur niederbayernweit einmalig sein. 29.552 Mitglieder sind hierzulande derzeit in 117 Vereinen organisiert – aufgeteilt auf 33 Sportarten. Starke Zahlen, wenn man bedenkt, dass gerade einmal knapp 80.000 Menschen im östlichsten Landkreis Bayerns leben. Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n sprechen BLSV-Kreisvorsitzender und Landrat Sebastian Gruber sowie der sportliche Kreisjugendleiter Armin Wildfeuer über die regionale Bedeutung von Fußball, Ski & Co. Sie sprechen dabei auch Probleme innerhalb des Verbandes an und blicken auf die Folgen des demographischen Wandels.
Herr Gruber, Herr Wildfeuer: Wie ist es um den Sport bzw. die Sportjugend im BLSV-Kreis Freyung-Grafenau bestellt?
Sebastian Gruber: Wir sind nach wie vor ein Sport-Landkreis – da spreche ich nicht nur für den BLSV, sondern auch für die Schützen, die dieser Vereinigung nicht angehören. Innerhalb unserer Vereine haben wir einen sehr hohen Organisationsgrad. Nichtsdestotrotz beschäftigen die Verantwortlichen – wie in vielen anderen Bereichen – der demographische Wandel und die Finanzen. Doch gerade in diesen beiden Feldern unterstützt der BLSV die Vereine so gut es geht. Abseits dieser Themen ist der Sport in ganz Niederbayern weiterhin ein wichtiger Bestandteil.
Armin Wildfeuer: Dazu möchte ich gerne ein paar statistische Ergänzungen machen: Derzeit sind im BLSV-Kreisverband Freyung-Grafenau 117 Vereine gemeldet – darin sind 29.552 Mitglieder organisiert. 33 verschiedene Sportarten werden in FRG angeboten. Hierbei lässt sich eine rückläufige Tendenz feststellen. Im Vergleich zu 2015 haben wir sechs Prozent an Kindern und Jugendlichen eingebüßt, die Sport in einem Verein machen. Hauptgrund hierfür ist hauptsächlich der demographische Wandel.
„Welchen Sport die Kinder machen, ist zweitrangig“
Sebastian Gruber: Man darf aber auch die alternativen Angebote nicht außer Acht lassen, die immer intensiver beworben und auch genutzt werden. Es gibt inzwischen viele Sportangebote, die nicht an einen Verein gebunden sind. Hinzu kommen weitere Hobbys außerhalb des Sports, die bei den Kindern und Jugendlichen immer beliebter werden. Weh tut in dieser Hinsicht auch die gestiegene Beanspruchung im Bildungsbereich.
Erdrückt die Dominanz von „König Fußball“ die anderen Sportarten?
Armin Wildfeuer: Nein, das glaube ich nicht. Gerade im Landkreis haben wir zum Beispiel einen sehr starken Skisport mit den beiden Zentren in Mitterfirmiansreut und Eppenschlag.
Sebastian Gruber: Der Fußball hat nach wie vor in Freyung-Grafenau die meisten organisierten Mitglieder. Er hat es zudem geschafft, in Sachen öffentlicher Wahrnehmung stets den ersten Platz einzunehmen. Allein die mehr als 30 verschiedenen Sportarten zeigen jedoch, dass wir im Landkreis ein relativ heterogenes Sport-Bild haben. Wie es Armin bereits erklärt hat, spielt der Wintersport bei uns eine sehr große Rolle. Aushängeschilder wie Florian Graf, Severin Freund oder Jonas Stockinger sind natürlich hervorragende Werbeträger für die Region – aber auch für den Biathlon-, Skisprung- und Skisport.
Im Sinne der Gesundheitsprävention sind wir beim BLSV darauf bedacht, dass die Kinder und Jugendlichen Sport treiben – ob das Fußball, Tennis, Skispringen oder Biathlon ist, ist dabei zweitrangig.
Wie können Randsportarten wie Tischtennis, Golf oder Basketball gestärkt werden?
Sebastian Gruber: Dies kann vor allem mittels Werbung an den Schulen geschehen. Je eher Kinder und Jugendliche über Sportarten informiert werden, desto leichter lassen sie sich als Aktive gewinnen. Nicht jeder will Fußball spielen, deshalb haben auch Tischtennis, Golf und Basketball eine realistische Chance, neue Mitglieder zu generieren. Wichtig: Die Vereine müssen in die Schulen gehen, der BLSV alleine wird das nicht stemmen können.
„Ganztagsbeschulung ist einerseits positiv, andererseits negativ“
Armin Wildfeuer: Der Landkreis Freyung-Grafenau ist hinsichtlich des Programms „Sport nach 1“ Spitzenreiter in Niederbayern. 91 Sportarbeitsgemeinschaften, bei denen sich Übungsleiter aus den Vereinen in der Freizeit um die Schüler kümmern – belegen, dass bei uns das Miteinander von Sport und Bildung eine große Rolle spielt. Hinzu kommen die vier Stützpunkte: Fußball in Waldkirchen, Volleyball und Skilanglauf in Grafenau sowie Leichtathletik in Freyung.
Der immer größere Leistungsdruck an den Schulen lässt sich aber dennoch nicht verleugnen.
Sebastian Gruber: Ganztagsbeschulung ist einerseits positiv, andererseits negativ. Als Verein hat man nun die Möglichkeit, relativ früh und gut organisiert mit den Kindern in Verbindung zu treten. Gelingt es dem Bildungsbereich in Zeiten der Ganztagsschulen einen hohen Stellenwert auf den Sport zu legen – und gelingt es den Vereinen während der Schulzeit einen Zugang zu den Buben und Mädchen zu finden, können alle davon profitieren. Natürlich ist aber der Leistungsdruck gestiegen, die früheren Freiräume sind für die Schüler inzwischen nicht mehr vorhanden.
Hat der BLSV einen direkten Einfluss auf das, was in den Schulen geschieht?
Sebastian Gruber: Unmittelbar nur am Rande. Allerdings ist der BLSV auf die Säulen Leistungssport, Breitensport, Vereinssport und Schulsport bedacht. Wir versuchen natürlich immer wieder mit dem zuständigen Ministerium zu kommunzieren, um den Stellenwert des Sports zu untermauern. Neben der „Sport-nach-1“-Sache besteht auch ein Überschneidungspunkt bei den Sportabzeichen, die der BLSV-Kreisverband in Person von Hans Hemmel an den Schulen vergibt.
Armin Wildfeuer: Uns bleibt im Endeffekt nur, die Politik immer wieder dazu zu animieren, dem Sport den nötigen Raum zu gewähren.
Themawechsel: Zuletzt machte der BLSV vor allem wegen der Streitigkeiten mit dem Bayerischen Fußball Verband (BFV) Schlagzeilen. Wie störend sind derartige Sperrfeuer für die Arbeit an der Basis?
Sebastian Gruber: Bei derlei Diskussionen gibt es keine Gewinner, das dürfte klar sein. Solche Nachrichten sind in der öffentlichkeit Darstellung immer negativ – vor allem, wenn es ums Geld geht. Durch negative Schlagzeilen bei der FIFA, der UEFA, dem DFB und IOC hat der Ruf der Funktionärstätigkeiten im Sport gelitten. Genauso haben die Streitigkeiten zwischen BLSV und BFV geschadet – auch, wenn man letztlich eine einvernehmliche Lösung finden konnte.
Vor Ort an der Basis hat man von diesem Hickhack nur wenig gespürt. Es hat zwar Diskussionen gegeben, diese haben aber in der täglichen Arbeit nicht weiter gestört.
„Der Sport ist sehr politisch – er tickt ähnlich wie die Politik“
Wie lassen sich solche Streitigkeiten den Vereinsvertretern auf Kreisebene vermitteln? Aus Sicht der Vereine gibt es sicher andere Prioritäten als diese „Luxusprobleme“.
Armin Wildfeuer: Man muss, wie gesagt, beachten, dass diese Themen auf Verbandsebene ausdiskutiert – und meiner Meinung nach von den Leuten in den Vereinen nur wenig wahrgenommen werden. Auf Kreisbene steht der Sport weiterhin im Vordergrund – und das ist gut so.
Sebastian Gruber: Dass es in den höheren Funktionskreisen immer mal wieder solche Streitigkeiten und Skandale geben wird, ist leider so. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Bundesliga-Skandal in den 70ern. Bereits damals hat es derartige Probleme gegeben. Sowas wirft die jeweilige Sportart immer zurück, das ist klar. Umso wichtiger ist es aber, dass es vor Ort in den Vereinen noch Persönlichkeiten gibt, die Vorbildfunktion haben. Diese Funktionäre sind greifbar, an deren Tätigkeiten und Ideen kann man sich orientieren.
Ist der Sport heute generell politischer denn je?
Sebastian Gruber: Der Sport ist sehr politisch, keine Frage. Der Sport tickt ähnlich wie die Politik. Die Führungsköpfe werden gewählt, man ist bei der Arbeit in den Gremien auf Konsens angewiesen. Der Sport ist von der Politik abhängig was zum Beispiel das Finanzielle anbelangt. Die Politik ist aber auch vom Sport abhängig – viel Infrastruktur in der Region ist nur aufgrund des Sports entstanden. Die gesamtgesellschaftliche Aufgabe des Sports ist sehr hoch.
Armin Wildfeuer: Wir sind der einzige BLSV-Kreisverband, der einen Landrat als Vorsitzenden hat. Allein dadurch wird deutlich, welchen Stellenwert der Sport im Landkreis Freyung-Grafenau hat.
Apropos Infrastruktur: Eine wichtige Rolle spielt der BLSV bei Baumaßnahmen hinsichtlich der Verteilung von Fördergeldern. Sie müssten einen Überblick haben, wie die einzelnen Vereine in dieser Hinsicht aufgestellt sind: Können sich die Sportanlagen im Kreis Freyung-Grafenau sehen lassen?
Sebastian Gruber: Was die Infrastruktur betrifft, können wir einen sehr hohen Standard vorweisen. Natürlich sind in Einzelfällen immer wieder Verbesserungen notwendig und möglich – das ist allein schon der Tatsache geschuldet, dass die meisten Sportanlagen in den 60ern und 70ern gebaut worden sind und deshalb demnächst saniert werden müssen. Im Vergleich zu den Städten sind wir aber hervorragend aufgestellt.
„Geld, das wir von den Vereinen bekommen, ist gut angelegt“
Armin Wildfeuer: Einen großen Anteil daran haben die Verantwortlichen in den Vereinen, die ein sehr hohes ehrenamtliches Engagement aufbringen. Ein neues Vereinsheim oder ein neuer Rasenplatz sind Dinge, mit denen man durchaus angeben darf (lacht).
Wie kann der BLSV – fernab dieser Fördergelder – die Vereine noch besser unterstützen? Viele sehen den BLSV häufig nur als Verband, der lediglich Gebühren vom ohnehin schmalen Vereinskonto abzieht.
Sebastian Gruber: Vor allem in den Bereichen der Beratung sowie der Fortbildung können wir extrem viel leisten – aus meiner Sicht ist hier ein Überangebot vorhanden, das von den Vereinen leider nicht so wahrgenommen wird, wie es sich der BLSV wünscht. Zweiter Themenkomplex ist der Versicherungsschutz. Dieser ist Luxus, solange man ihn nicht braucht. Passiert jedoch etwas, ist man froh, über den BLSV versichert zu sein. Als drittes Angebot, das besser in Anspruch genommen werden könnte, sind die Einrichtungen des BLSV zu nennen – wie etwa das Sportcamp bei Regen. Kurz und knapp: Das Geld, das wir von den Vereinen bekommen, ist gut angelegt.
Ein weiteres Thema ist der demographische Wandel. Indikator dafür ist die vermehrte Bildung von Spielgemeinschaften bei den Fußballern sowie immer weniger Jugendmannschaften. Wie sieht die Vereinsstruktur in fünf, zehn Jahren aus?
Armin Wildfeuer: Wir brauchen Kinder – und das dringend (lacht). Doch dabei kann der BLSV nicht helfen. Wir können lediglich die Strukturen schaffen, damit Sport gemacht werden kann. Unsere Aufgabe ist es zudem – unter anderem mit unserer Aktion „Sport nach 1“ – mögliche Aktive bereits in jungen Jahren zu begeistern.
Sebastian Gruber. Hier eine verlässliche Prognose abzugeben ist sehr schwer. Es wird Strukturveränderungen geben müssen – auch bei den Vereinen. Die Spielgemeinschaften und Vereinszusammenlegungen werden zunehmen. Mit diesem Thema beschäftigt sich nicht nur der Sport, sondern auch die Feuerwehren, Schützen und Schulen. Wir alle haben die Aufgabe, unsere Kinder und Jugendlichen derart zu beeinflussen, dass sich das Miteinander nach wie vor rentiert.
Hier sind nicht nur die Eltern gefordert, sondern auch die Kindergärten und Schulen. Der Mensch braucht ein Vorbild – dieses findet er in jungen Jahren eben in diesen Einrichtungen. Den Erziehern und Lehrern muss diese Rolle bewusst sein.
„Zunehmend schwieriger, genügend Nachwuchs zu bekommen“
Der Sport ist also noch längst nicht „tot“ im Landkreis Freyung-Grafenau?
Sebastian Gruber: Das nicht, nein. Es wird aber zunehmend schwieriger, genügend Nachwuchs zu bekommen. Ursächlich ist dafür sowohl der demographische Wandel als auch das zunehmende Angebot an weiteren Aktivitäten. Was uns zuversichtlich stimmt: Es gibt immer wieder auch positive Beispiele, die nach wie vor belegen, dass bei passenden Rahmenbedienungen und guten Funktionären sehr vieles möglich ist.
Ein gutes Schlusswort. Herzlichen Dank für das Interview. Wir wünschen Ihnen alles Gute.
Interview: Helmut Weigerstorfer