Fürstenstein. Herr und Frau Amsel wohnten als Untermieter am Gartenhaus einer etwas schrulligen alten Dame. Trotz ihres Namens – Bini Katz – war sie sehr nett zu ihnen und ließ sie umsonst auf dem Dach des Insektenhotels wohnen. Zum Dank pickten Amsels für sie die fetten grünen Raupen vom Apfelbaum nebenan. Ein gar fabelhaft erheiterndes Frühlings-Zwiegespräch.
„Ich muss dort singen, um unser Revier zu verteidigen!“
Sie hatten ein gemütliches, geräumiges – wenn auch recht unordentliches – Nest und drei entzückende blau-grüne Eier. Dennoch hing bei den Amsels manchmal der Nestsegen schief. Frau Amsel plagte nämlich ab und zu das Gefühl, bei der Verteilung der Rollen in ihrer Ehe benachteiligt worden zu sein. „Sitz du mal den ganzen Tag mit hochgeklapptem Schwanz auf den Kindern – da bist du abends fix und fertig“, beschwerte sie sich. „Du hockst inzwischen fröhlich im ‚Grünen Baum‘ und schwatzt mit deinen Kumpels!“ – „Aber Liebes“, sagte Herr Amsel schockiert, „das ist doch meine Aufgabe! Ich muss dort singen, um unser Revier zu verteidigen!“
„Papperlapapp“, antwortete sie, „ich weiß genau, dass ihr euch da hauptsächlich über die Krallball-Ergebnisse unterhaltet! Und überhaupt: Unser Revier verteidigen, das kann ich auch!“ – „Na, dann beweise mir mal, dass du genau so laut und schön singen kannst wie ich“, sagte Herr Amsel siegesbewusst. Und in der Tat: Mehr als ein klägliches Krächzen kam nicht aus seines Weibchens ungeübter Kehle …
„Und wo“, fragte Frau Amsel daraufhin schnippisch, „ist denn der schöne fette Regenwurm geblieben, den du mir auf dem Rückweg mitbringen wolltest?“ Da wurde Herr Amsel auf einmal sehr kleinlaut. „Den … äh … den … ha-habe ich aus Versehen selber geschluckt, als ich über einen Grashalm gestolpert bin …!“
Bevor Frau Amsel in das dieser Ungeheuerlichkeit angemessene Gezeter ausbrechen konnte, sagte er schnell: „Liebes, wie wäre es denn, wenn du heute Abend mit deiner Freundin Wachholda Drossel ins Kino gehst, das wolltest du doch schon lange mal? Ich übernehme inzwischen die Kinder – und auf dem Heimweg könnt ihr beide ja noch was Leckeres essen an der Würmchenbude!“
Herr Amsel war auf den Eiern eingeschlafen…
Frau Amsel klappte erstaunt den schon aufgeklappten Schnabel wieder zu und fragte: „Wachholda? Aber die kannst du doch nicht leiden! Erst neulich hast du gesagt, der Nestbaukurs, den ich bei ihr gemacht habe, waren rausgeschmissene Regenwürmer – und durch sie und ihre neumodischen Ansichten hätte ich nichts als Grillen im Kopf! Dabei sind die wirklich ausgesprochen fein und knusprig – und außerdem: Das mit dem Nest, das nennt man ‚Shabby Chic‚, das hat man heute so – aber was versteht ihr Männer schon davon!“
Herr Amsel hütete sich, noch etwas zu sagen, denn er war ein erfahrener Ehemann. Seine Gattin, jetzt leidlich versöhnt, nahm noch ein Bad in der luxuriösen Vogeltränke aus Granit, die Bini Katz jeden Tag mit frischem Wasser füllte, schüttelte kurz ihr Gefieder und flatterte dann etwas schwerfällig von dannen, um ihre Freundin, Wachholda Drossel zu sehen, mit ihr das Freilichtkino zu besuchen und ausgiebig über verständnislose Ehemänner zu schwatzen.
Als sie abends nach Hause kam, war Herr Amsel – natürlich – auf den Eiern eingeschlafen. Sie weckte ihn mit einem Schnabelzwick und tadelte: „Wie kannst du denn gut auf die Kinder achten, wenn du schläfst!? Schau dir das an: Anselm steht auf dem Kopf, Amma hast du fast erdrückt und Selma ist an der einen Seite ganz kalt!“ Der Papa erhob sich erleichtert aus dem Nest, um das Brutgeschäft wieder professionellen Fittichen anzuvertrauen.
„Verrücktes Zeug von einem Herrn Amsfred Scotch-Hick!“
„Wie war denn der Film?“ fragte er. „Ach“, sagte seine Frau, „verrücktes Zeug von einem Herrn Amsfred Scotch-Hick! Über Menschen, die sich zu Hunderten versammeln, um über friedliche Vögel herzufallen und ihnen den Kragen umzudrehen! Ich glaube, ich werde in Zukunft keine Menschenansammlung mehr sehen können, ohne eine Gänsehaut zu bekommen!“
„Siehst du“, sagte Herr Amsel liebevoll, „zu Hause ist es halt doch am besten! Ich… äh… muss noch mal nach nebenan – die Pflicht ruft!“ Während er beschwingt Richtung „Grüner Baum“ segelte, kuschelte sich Frau Amsel sorgfältig über das Nest und achtete darauf, dass nur ja nirgends ein Stückchen von Anselm, Amma und Selma der kalten Nachtluft ausgesetzt war. Dabei dachte sie an den reizenden Amselherrn, den ihr Wachholda am Abend vorgestellt hatte – ein charmanter, wenn auch etwas zerzaust wirkender ehemaliger Amseltenor, der versprochen hatte, ihr heimlich Singstunden zu geben, während Herr Amsel sein Revier verteidigte …
Bini Katz
Nettes Amselgschichterl mit Witz und Sachkenntnis. Liebenswert erzählt
Vielen Dank für das Lob!