Fürstenstein. Die herrlichen Spätsommertage verlocken uns zum Abendessen im Garten, jeden Tag ungefähr zur gleichen Zeit. Ebenfalls jeden Tag leisten uns dabei eine junge Amsel und ein junges Rotkehlchen Gesellschaft – Rotkehlchen, noch im scheckigen Kinderkleid, gräbt in Pflasterritzen, Amsel, ein Weibchen, schnabuliert Vogelbeeren aus dem großen Pflanztrog neben der Eberesche. Vor Kurzem nun stellte ich eben eine Schale mit Melonenstücken auf den großen Holztisch, als es oben an der Küchentür rummste. Ich setzte mich hin und sagte: „Lieber Himmel – die Amsel!“ Mir war ganz schlecht und flatterig ums Herz, als ich die paar Stufen vom Garten hinaufstieg – und da lag sie tatsächlich unterm Pflanztisch, mit ausgebreiteten Flügeln und hektisch atmend!
Ihr Schnabel berührte meine Schläfe ganz zart
Ich hob sie hoch und sie lag heiß und irgendwie feucht, mit aufgerissenem Schnabel in der Schale meiner Hände, ich trug sie hinunter in den Schatten und sprach leise mit ihr, wie mit einem Kind. Und sie sah mich an, drehte den Kopf und sah mich an! Ich steckte einen Augenblick meine Nase in ihr Gefieder, sie duftete leise nach Heu. Ihr Schnabel berührte meine Schläfe ganz zart – auch er war heiß und lebendig. Ich ließ den schweren warmen Vogel in den Pflanztrog gleiten, zwischen die kühlen Blätter – er flüchtete in eine Ecke und ich ließ ihn dort, ganz benommen vor Schreck, immer noch.
Ich setzte mich an den Tisch und wir aßen, zwischen den Pflanzen, im Trog, konnte ich ein Stückchen atmendes Gefieder sehen. Mit einem Mal kam Rotkehlchen herangeweht, saß neben mir auf dem Tisch. Ich erzählte ihm die Geschichte von der Amsel und bat es, vorsichtig zu sein. Vögel haben keine Ohren, aber gleich hinter dem großen runden Auge ist ein winziges Loch unter den Federn, mit dem sie hören. Zu diesem Löchlein sprach ich – und Rotkehlchen hörte zu. Dann nahm es ein Krümchen von der Tischplatte, ließ es wieder fallen und husch – war es fort.
„Wahrscheinlich hat sie schreckliches Kopfweh“
Mein Mann trug die Teller in die Küche zurück und kam am Pflanztrog vorbei – ein dunkler Blitz zuckte heraus in Richtung Fichten, in Deckung, ins Dunkle. „Sie kann noch fliegen“, stellte er fest. „Wahrscheinlich hat sie schreckliches Kopfweh“, sagte ich und fühlte mich schuldig.
Ich saß noch eine ganze Weile draußen mit meinem Strickzeug, in Gedanken versunken – gleich morgen wollte ich die Küchentür „amselsicher“ machen. Als ich endlich auch ins Haus wollte und am Pflanztrog vorbei ging, flog ein Bätzchen Moos aus dem Trog – und es raschelte vernehmlich. Die Amsel saß drin, mit einer roten Beere im Schnabel. „Danke“, sagte ich leise, „und gute Besserung!“
P.S.: In Europa sterben jeden Tag tausende Vögel an Fenstern, Glastüren, Durchgängen und Wintergärten. Im Frühjahr und im Herbst, wenn die Sonne tief steht, gibt es oft Spiegelungen auch bei Glasflächen, die den Sommer über für Vögel keine Gefahr darstellen. Die gängigen schwarzen Greifvogelsilhouetten, die man auf die Scheiben kleben kann, bilden keinen wirksamen Schutz. Man sollte entweder die Vorhänge zuziehen und/oder einen „Birdpen“ benutzen. Dieser sieht aus wie ein Filzstift. Ein damit auf eine Glasfläche gemaltes Streifenmuster reicht aus, um von Vögeln als Hindernis erkannt zu werden. Für den Menschen sind die Streifen nahezu unsichtbar und halten etwa ein halbes Jahr. Wichtig: Nach dem Fensterputzen müssen sie erneuert werden.