Freyung. „Des is a Künstler!“ Mit diesen Worten hatte Paul Rammelmeyr, erster Vorsitzender des Vereins „CFJ – Chance für Jeden“, wahrlich nicht zu viel versprochen. Ein Künstler, was das Schneidern betrifft – aber auch ein Künstler, was das Überleben betrifft. Die Rede ist von dem charmanten 26-jährigen Senegalesen Ibrahim, der seit zirka sechs Monaten in Glashütte in der Gemeinde Hohenau wohnt und seit Anfang Mai in Freyung eine kleine Änderungsschneiderei betreibt. Die Reise vom Senegal in den Bayerischen Wald war dabei nicht gerade „First Class“, wie er Hog’n-Mitarbeiter und Afrika-Kenner Johannes Gress beim Besuch in seinem Geschäft berichtet.
Von Senegal nach München – gewiss keine Sonntagsfahrt
Von seiner Heimat an der afrikanischen Westküste flieht Ibrahim 2011 als Alleinreisender über mehrere Tausend Kilometer durch Mali, Niger und den Tschad nach Libyen. Mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Mit dem Traum, seine kunsthandwerklichen Talente in Europa zu verwirklichen können. Dabei begibt er sich ständig in die Hände von Menschenschmugglern und Schlepperbanden, die nur eins wollen: sein Geld. Endlich im Norden Afrikas angekommen, sitzt er wegen illegaler Einreise für drei Jahre in einem libyschen Gefängnis ein. Als ihn die Freiheit wieder hat, geht es sogleich per Flüchtlingsboot weiter nach Italien. Zwei Tage verbringt der Westafrikaner auf dem Boot, bis es schließlich vor der italienischen Küste kentert – und die Insassen von der Küstenwache gerettet werden. Als er in Italien ankommt, schläft er erst einmal 48 Stunden durch, ist völlig gerädert von den Strapazen der Überfahrt und der vergangenen Wochen, in denen sein Schicksal ungewiss ist. Eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen, neuem Lebensmut schöpfen und der Angst ums eigene Leben.
Über die Schweiz gelangt Ibrahim schließlich nach München, wo er einen Monat lang in einer sogenannten Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht wird. Danach geht’s weiter in den Bayerischen Wald, wo er seit nunmehr sechs Monaten in Glashütte darauf wartet, dass sein Asylantrag bearbeitet wird, er endlich ein Ergebnis bekommt, wie es weitergeht. Denn das bayerische Asylrecht sieht für Senegalesen keine Arbeitserlaubnis vor – seine Zukunft wird zur Gratwanderung (siehe dazu SZ-Bericht: Bayern will Flüchtlinge durch Arbeitsverbot abwehren) Die einzige Möglichkeit, seine Abschiebung zu verhindern, wäre in einem anderen Bundesland nach einer Anstellung zu suchen – oder in Deutschland zu heiraten. Ibrahim droht ansonsten die Ausreise, dann muss er wieder zurück in den Senegal. Trotz seiner ungewissen Zukunft ist sein Gesicht meist mit einem breiten Grinsen versehen. Vor allem dann, wenn man ihn in seinem kleinen Laden am Freyunger Stadtplatz oder auf der Straße antrifft. „Des is ein sehr netter Mensch“ – ein Satz, der aus Ibrahims unmittelbarem Umfeld häufig zu vernehmen ist.
Trotz fehlender Schulausbildung: ein Meister seines Fachs
Als Ibrahim hier im Landkreis ankommt, wird er von „Integrationspatin“ Alexandra Mager an den CFJ Freyung vermittelt. Dort werden gezielt Langzeitarbeitslose und Asylbewerber gefördert, indem sie entsprechend ihren Talenten verschiedene technische Fertigkeiten erlernen. Damit soll ihnen der Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtert werden.
Schnell zeigt sich, dass der Senegalese schon mehr als genug über sein Handwerk weiß. Seit seinem siebten Lebensjahr ist das Ausnahmetalent nun als Schneider tätig. Eine Schule hat er während seiner Kindheit jedoch nie besucht. Das Handwerk erlernte er von seinem Vater.
Gemeinsam mit Alexandra Mager stellt die CFJ Freyung Ibrahim eine kleine Änderungsschneiderei in der Freyunger Stadtmitte zu Verfügung, in der er vorerst in kleiner Auflage Stofftaschen für den Verein produzieren soll. Auch hier wird schnell deutlich, dass der junge Mann aus Westafrika üblicherweise in einer höheren Liga schneidert. Genau genommen hat Ibrahim vom Können her in seiner Heimat in der Champions-League geschneidert. Stolz präsentiert er Fotos von Models, die über die großen Laufstege der Welt stolzieren. All ihre Kleider haben eines gemeinsam: Sie wurden von Ibrahim designt und gefertigt. In Afrika war und ist der 26-Jährige lange kein Unbekannter mehr…
Kein Cent verdient – Schneidern für den guten Zweck
Mittlerweile nimmt der sympathische Senegalese in seiner kleinen Änderungsschneiderei zahlreiche Aufträge entgegen – und stellt auch seine eigenen Produkte her. Nur mit der deutschen Sprache funktioniert es manchmal noch nicht ganz einwandfrei. Bei Verständigungsschwierigkeiten schreiben die Kunden ihren Änderungswunsch dann meist auf einen Zettel. Dieser wird dann einfach von Alexandra Mager oder Paul Rammelmeyr für Ibrahim ins Französische übersetzt – et voilá!
Da der Freyunger Mode-Designer nicht offiziell als Flüchtling anerkannt ist und somit in kein Beschäftigungsverhältnis eintreten darf, verdient Ibrahim bisher an der Sache keinen Cent. All seine Erlöse kommen dem CFJ Freyung zu Gute. Außerdem habe er besonders zur Ferienzeit Probleme, passende Busverbindungen von Glashütte zu seinem Arbeitsplatz und zurück zu finden, weiß Alexandra Mager. Den Spaß an der Schneiderei lässt sich Ibrahim dadurch allerdings nicht nehmen. Mittlerweile zieren sogar schon eigens kreierte „Schneider Ibrahim“-Makerl seine Produkte.
Der Weg vom Senegal ins süd-östliche Niederbayern war lang und steinig – und auch wenn der Senegalese eigentlich immer noch weit unter seinen Verhältnissen und ohne Verdienst arbeitet, zeigt er sich glücklich und zufrieden. Kaum betritt man seine kleine Schneiderei, wird man von jenem, ansteckend wirkenden Lächeln freundlich von ihm begrüßt. Ob und wie lange Ibrahim in Deutschland bleiben darf, steht in den Sternen. In Freyung wird der Westafrikaner wohl keine Zukunft haben…
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Johannes Gress