Berlin/Künzing/Freyung. Er ist so etwas wie der niederbayerische Methusalem der Politik: Schon seit 27 Jahren vertritt er den Regierungsbezirk im Bundestag. Darüber hinaus ist er auch in seiner Heimatgemeinde Künzing (Lkr. Deggendorf) seit 42 Jahren kommunalpolitisch engagiert – als Gemeinderat sowie als stellvertretender Bürgermeister. Barthl Kalb (64) kennt das Politikgeschäft wohl wie kein anderer in der Region. Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ spricht das Mitglied des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages u.a. über seine Zeit in Berlin, seinen politischen Werdegang, die Europa-Politik, den Ukraine-Konflikt und das Genmais-Votum, das jüngst für Aufruhr sorgte…
„Mir ist es nach wie vor wichtig, Kommunalpolitik zu machen“
Herr Kalb, was ist denn heute bei Ihnen schon im Terminkalender gestanden?
Ich habe Unternehmen in der Region besucht. Davor hatte ich in meinem Büro einiges zu tun – das hab ich daheim im Wohnhaus integriert. Das ist einerseits praktisch, weil man gleich am Schreibtisch sitzt. Andererseits gefährlich, weil man so gut wie nie abschalten kann. Viele Bürger kommen auch außerhalb der Sprechstunden – und klagen mir ihr Leid.
Sie sind also momentan gut beschäftigt?
Ja. Zudem bin ich als Künzinger Gemeinderat im Wahlkampf aktiv gewesen. Mir ist es nach wie vor sehr wichtig, Kommunalpolitik zu machen – und ohne diese Erfahrung hat man im Bundestag eh nichts verloren. Denn in der Kommunalpolitik hat man mit konkreten Problemen zu tun, arbeitet direkt mit der Bevölkerung. So manches Gesetz auf Bundesebene würde sicherlich anders gestaltet sein, wenn die Beteiligten vorher in der Kommunalpolitik gearbeitet hätten…
Wie ist das alles mit Ihren Aufgaben in Berlin zu vereinbaren?
Das klappt alles nur, weil ich ein gutes Verhältnis zum jeweils amtierenden Künzinger Bürgermeister hatte und habe. Sie sind beziehungsweise waren immer bereit, auf meine Terminsituation Rücksicht zu nehmen. Das heißt: Die Sitzungen finden statt, wenn ich nicht in Berlin bin. Genauso ist es übrigens im Kreistag: Landrat Christian Bernreiter kommt mir da sehr entgegen. Einen Fraktionsvorsitzenden zu haben, der sich nicht über diese Funktion definiert – und sich dadurch auch nicht profilieren muss, erleichtert ebenfalls die Zusammenarbeit.
„In der Bürgerschaft steht der Bürgermeister über dem Abgeordneten“
Kann sich der Bundestagsabgeordnete Kalb im Gemeinde- und Kreistag auch mal zurückhalten? Oder steht man als MdB immer irgendwie vorne dran?
Ich habe immer versucht, mich zu zügeln. Formal sind die Dinge sowieso geklärt: Als zweiter Bürgermeister rücke ich nur in den Fokus, wen der Amtsinhaber verhindert ist. Einmal musste ich ein dreiviertel Jahr aushelfen – da war ich gleichzeitig Bürgermeister und Abgeordneter. Das war schon sehr anstrengend und auf Dauer hätte ich das nicht geschafft. In der normalen Bürgerschaft steht der Bürgermeister sowieso über dem Bundestagsabgeordneten (lacht).
Apropos kommunalpolitische Erfahrung: Ihre neue Kollegin Rita Hagl-Kehl von der SPD kann diese nicht vorweisen. Ist das jetzt ein Nachteil? Hat sie dann „im Bundestag eh nichts verloren“?
Ich werde nichts Negatives über einen Kollegen oder eine Kollegin sagen – auch nicht, wenn er oder sie einer anderen Partei angehört. Über die Sturm-und-Drang-Zeiten der parteipolitischen Hick-Hacks bin ich hinaus…
Wann war denn diese Zeit?
Das war nicht die Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern, sondern ganz klar meine erste Bundestagswahl im Januar 1987 – an meinem Sohn, der zwischen der damaligen Wahl und der konstituierenden Sitzung geboren wurde, sehe ich, wie lange das mittlerweile her ist. Gegen Franz Handlos hab ich damals den bittersten und härtesten Wahlkampf meines Lebens geführt.
„Die konservative Einstellung meiner Eltern hat mich geprägt“
Wie sind Sie eigentlich zur Politik gekommen, Herr Kalb?
Nach der Eingemeindung Forstharts in die Kommune Künzing wurden aussichtsreiche Kandidaten aus meinem Heimatdorf gesucht. Und weil ich damals in der Landjugend sehr engagiert war, wollten die Verantwortlichen mich unbedingt dabei haben. Damals war ich weder Mitglied der CSU noch der JU. Dennoch hatte ich – geprägt von meinem Elternhaus – schon seit jeher eine konservative Einstellung. Und so bin ich 1972 in den Gemeinderat gekommen…
Wie lange sind Sie jetzt bei der CSU?
Seit 1973 oder 1974. Ich bin keiner, der seinen Parteiausweis immer dabei hat.
Aus der Vergangenheit in die Gegenwart: Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst die Drei-Prozent-Hürde bei den Europawahlen gekippt. Ihre Meinung dazu?
Natürlich sind Entscheidungen des höchsten Gerichtes zu respektieren. Dennoch finde ich dieses Urteil unglücklich. Das Ergebnis wird dazu beitragen, dass die deutschen Positionen letztlich weniger stark in Europa vertreten sind, weil es mehrere kleine Fraktionen geben wird. Im Europa-Parlament ist ohnehin alles filigraner: Die Parteien in den europäischen Ländern haben derart unterschiedliche Ausrichtungen und Programme, dass ein einheitliches Auftreten manchmal schwierig ist.
Welchen politischen Stellwert hat das Europäische Parlament Ihrer Ansicht nach?
Es ist keineswegs mit der Wirksamkeit eines nationalen Parlaments ausgestattet. Im Bundestag beispielsweise wird der Kanzler von der Mehrheitsfraktion gestützt – das fällt schon mal weg. Das Europaparlament hat zudem kein Gesetzesinitiativrecht. Und auch wenn ich im EU-Parlament in einer Fraktion sitze, gehen dort – wie bereits angesprochen – die Interessen in unterschiedliche Richtungen. Viele Entscheidungen sind eben national geprägt.
Gen-Mais: „Kommunikation in der Union hätte besser sein müssen“
Der europäische Gedanke ist also noch nicht ganz so ausgeprägt wie von vielen Seiten gewünscht?
Im wohlverstandenen Sinne ist es nicht verwerflich, sich für die jeweiligen nationalen Interessen einzusetzen. Heruntergebrochen hat die Schwaben die niederbayerische Grenzlandpolitik nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch nicht interessiert. Genauso werden sich Abgeordnete aus Griechenland oder Spanien mit anderen Themen beschäftigen als die Norweger oder Briten – das ist auch das, was die Bevölkerung von ihren Volksvertretern erwartet. Die große Schwierigkeit besteht darin, das rechte Maß zwischen europäischen Gedanken und nationalen Interessen zu finden.
Nochmals zurück zur verfassungswidrigen Drei-Prozent-Hürde: Welche negativen Folgen hat das?
Durch das Urteil werden sicher einige Sitze für größere Parteien wegfallen, das ist klar. Diejenigen, die nachrücken, dürfen sich zwar Abgeordnete nennen, aber können als Einzelkämpfer keine Initiativen starten. Es ist schon richtig: Bei den Europa-Wahlen geht nun keine Stimme mehr verloren – in der praktischen Parlamentsarbeit aber schon.
Ein weiteres kritisches Thema: Genmais. Die Große Koalition hat kürzlich mehrheitlich gegen den Antrag der Grünen im Bundestag gestimmt – und sich somit für die Zulassung der umstrittenen Sorte „1507“ ausgesprochen. Auch Sie, Herr Kalb, haben gegen den Grünen-Antrag gestimmt. Im Koalitionsvertrag und auf Landesebene wiederum hatten CDU, CSU und SPD zuvor ganz klar ihre Ablehnung gegenüber der Einführung von Genmais propagiert. Wie ist dieses mehr als unverständliche, ja widersinnige Verhalten dem „Normalbürger“ zu erklären?
Es wird in der kommenden Zeit noch öfters die Situation geben, dass vergleichsweise kleine Oppositionsparteien Anträge stellen, die inhaltlich mit unseren Vorstellungen übereinstimmen. Sie wollen damit jedoch nur erreichen, uns innerhalb der Großen Koalition gegeneinander auszuspielen. Und darauf gehen wir nicht ein. Ich gebe zu, dass die Kommunikation innerhalb der Union hätte besser sein müssen. Klar ist aber: Im Interesse der Großen Koalition müssen wir zusammenhalten und Schau-Anträgen der Opposition nicht zustimmen. Am Inhalt der kommenden Jahre ändert das überhaupt nichts. Unsere Vorgaben lauten nach wie vor: In Bayern und auch in Deutschland wird es keinen Anbau genveränderter Pflanzen geben.
„Es wäre schöner gewesen, gegen den Genmais zu stimmen“
Ist die Ablehnung des Antrags der Grünen nicht dennoch eine schallende Watschn für die Bevölkerung, die laut einer Greenpeace-Umfrage mit mehr als 80 Prozent den Genmais-Anbau ablehnt? Macht sich die Politik durch ein solches Votum nicht noch unglaubwürdiger?
Sowohl in Bayern als auch in Deutschland ist unsere Meinung – also gegen den Genmais – sowieso klar. Das ursprüngliche bayerische Votum wird beibehalten. Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn man innerhalb des Bündnisses CDU/CSU und SPD als Einheit aufgetreten wäre – und wenn sich Deutschland bei der Europa-Abstimmung beteiligt hätte. Denn Enthaltungen sind nie schön.
Hm.
Man stimmt einfach grundsätzlich keinem Antrag der Opposition zu. Wenn doch, würde es ja sofort dazu führen, dass ein Keil zwischen die Koalitionspartner getrieben wird. Im Interesse einer stabilen Regierung ist das nicht wünschenswert. Klar ist aber auch: Für alle Abgeordneten wäre es schöner gewesen, hätten sie gegen den Genmais stimmen können.
Drittes aktuelles Thema: Grünen-MdL Rosi Steinberger fordert ein Stopp bei den Verhandlungen in Sachen Freihandelsabkommen. Sie bezeichnet das Ganze als „Wischiwaschi“ der CSU.
Ein Stopp wäre nicht das Richtige, aber wir müssen vorsichtig sein, dass unsere, also die europäischen und deutschen Interessen, gewahrt werden. Wir müssen darauf Wert legen, dass die gute Partnerschaft, die in Zeiten der NSA-Affäre sowieso auf dem Prüfstand steht, erhalten bleibt – es soll nicht ein Versuch der Dominierung unternommen werden. Gefühlsmäßig bin ich auch sehr skeptisch, aber …
(überlegt)
… Europa und die USA werden künftig eine kleinere Rolle spielen, weil Schwellenländer wie Brasilien mehr an Bedeutung gewinnen. Nationen wie China und Indien sind sowieso schon oben angekommen. Wir müssen aufpassen, dass uns durch diese Verhandlungen nicht Standards auferlegt werden, die später nur den USA von Nutzen sind. Denn künftig wird es nicht nur zwischen Amerika und uns einen verstärkten Austausch von Waren geben – da spielen bald mehrere Nationen mit.
„Wie schon Strauß sagte: Die Russen sind risikobewusst und risikoscheu“
Es gibt immer was zu diskutieren, der Gesprächsstoff wird in den 27 Jahren Bundestag nie ausgegangen sein. Wie anstrengend war diese Zeit für Sie?
Mit normaler Stundenzahl ist da nichts zu machen: Wenn ich eine Woche weniger als 80 Stunden arbeite, kommt es mir schon komisch vor (lacht). Dieser Job ist zweifelsohne anstrengend, aber gleichzeitig auch sehr spannend. Wenn man bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, dann ist diese Arbeit eine Erfüllung. Durch meine Familie und meine Vergangenheit in der kirchlichen Jugendarbeit bin ich ins öffentliche Leben hineingewachsen. Neben der durchaus anstrengenden Zeit habe ich auch höchst interessante Ereignisse hautnah miterleben dürfen.
Zum Beispiel?
Den Anfang macht der NATO-Doppelbeschluss, dann der Fall der Mauer, die Wiedervereinigung, der Fall des Eisernen Vorhangs, die EU-Erweiterung, die Euro-Einführung – das alles war zwar mit unheimlich viel Arbeit verbunden, dennoch möchte ich diese Zeit nicht missen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht den gleichen Fehler wie meine Eltern mache und immer nur von den alten Zeiten spreche (lacht). Trotzdem sage ich voller Überzeugung und Dankbarkeit: Es ist ein Segen, dass die Teilung unseres Landes friedlich überwunden werden konnte.
Die Nachwehen des Kalten Krieges sind jedoch heute wieder deutlich zu spüren, wie die Situation in der Ukraine zeigt. Wird es zu einer erneuten Auseinandersetzung zwischen Ost und West kommen?
Ich gehe davon aus, dass Russland seine Interessen verfolgen will. Wie schon Franz Josef Strauß sagte: Die Russen sind risikobewusst und risikoscheu. Will heißen: Russland wird nicht den Weg eines militärischen Eingriffes wählen. In Sachen Energie und Geld werden sie aber durchaus zu verstehen geben, was sie wollen. Und das ist gleichzeitig das Problem vieler mittel- und osteuropäischer Länder, die Angst haben vor einer russischen Abhängigkeit.
„Viele Politiker haben mich davon überzeugt, weiterzumachen“
Was halten Sie von folgender These: Die Ukraine wird die neue DDR Europas, ein neuer Eiserner Vorhang wird das Land in zwei Hälften teilen?
Das glaube ich nicht. Alle ausländischen Beteiligten wissen, dass dieses Problem nur gelöst werden kann, wenn sich alle – freilich vor dem Hintergrund ihrer nationalen Interessen – vernünftig verhalten. In diesem Zusammenhang wird auf Angela Merkel wieder eine schwierige Aufgabe zukommen.
Zurück zu Ihrer Person und zur Frage eines unserer Hog’n-Leser, die wir gerne an Sie weitergeben: Wäre es nach 27 Jahren im Bundestag nicht mal an der Zeit gewesen, einem jüngeren Politiker den Vortritt zu lassen?
Das ist eine berechtigte Frage – die auch ich mir oft gestellt habe. Aber viele Kommunalpolitiker haben mich davon überzeugt, meine Karriere fortzusetzen. Ich habe mir da schon eine Art Sensorik aufgebaut: Ich nehme wahr, wie die Meinung über mich ist – auch außerhalb der Familie, der Freunde und Bekannten. Und das Wahlergebnis zeigt, dass mich die Bevölkerung weiterhin als ihren Vertreter in Berlin haben möchte. Es klingt zwar komisch, aber ich habe immer versucht, dem Vertrauen, das mir geschenkt worden ist, auch gerecht zu werden – das ist meine Priorität. (bescheiden) Ich bin nicht der große Jubelnde. Im Gegenteil.
Wie gefällt Ihnen die Bezeichnung: „Der stille Hinterbänkler“?
Als langjähriges Mitglied des Haushaltsausschusses, also des wichtigsten Ausschuss‘ im Bundestag, würde ich mich nicht als Hinterbänkler bezeichnen. Dass ich bildlich gesprochen nicht in der ersten Reihe sitzen muss, ist was anderes. Ich habe mich noch nie als der Wichtigste empfunden.
Abschließend. Verändert die lange Zeit in der Politik eigentlich den Charakter?
Ich hoffe, Mensch geblieben zu sein. Ich habe sowieso den Eindruck, dass ich früher weniger Rücksicht genommen habe als jetzt. Mit der Zeit wird man einfach zurückhaltender mit Vorurteilen. Und seine Grundhaltungen und -einstellungen darf man sowieso nicht aufgeben. Ob ich mir treu geblieben bin, kann ich selber nicht beurteilen. Aber ich glaube nicht, dass ich abgehoben oder anders geworden bin.
Herr Kalb, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute.
Interview: Helmut Weigerstorfer und Stephan Hörhammer
Irritierend. Anträgen der Opposition stimmt man grundsätzlich nicht zu. Und nun will die CDU auch noch die Kompetenzen des Bundesverfassungsgericht beschneiden… Die derzeitige Koalition hat eine nie dagewesene Machtzunahme durch die letzte Wahl erhalten. Wir müssen aufpassen, dass diese Macht nicht missbraucht wird. Eine Regierung, die sich ihre eigenen Gesetze macht??? Das darf nicht wieder in der Geschichte passieren!
… dann muß die Opposition den antrag andersrum stellen wie sie ihn will, so einfach ist das. omannomann, wo sind wir gelandet.