FRG/REG/CZ. Samstagmorgen, 8.30 Uhr, irgendwo im tschechischen Grenzgebiet zur Oberpfalz. Mehrere Dienstwagen des Zolls („Celni Správa“) fahren vor. In martialische Kampfanzüge gekleidete, bewaffnete Männer, die meisten von ihnen mit schwarzen Sturmhauben über dem Kopf, springen heraus und wenden sich zielgenau dem dreistöckigen Haus Nummer 190 zu. Es ist eines jener dörflich geprägten Viertel, wo die alten Plattenbauten farbig bepinselt wurden, um etwas künstliche Lebensfreude in der neuen Zeit vorzutäuschen. Im Inneren sind sie so trist geblieben, wie es das alte Regime in vier Jahrzehnten Nachkriegszeit geplant und realisiert hatte. Heute wohnt darin die tschechische Unterschicht durchaus harmonisch mit den Ausländern zusammen. Die Ausländer, das sind die Vietnamesen. Deren Fassade die sogenannten Vietnamesen-Märkte. An diesem Morgen heben die tschechischen Zollfahnder den Vorhang, um einen Blick hinter die Fassade zu ermöglichen.

Ob die Käufer eine Sekunde überlegen, woher die Ware wirklich kommt
Seit Januar hatten die Ermittler die Geschäftsverbindung im Auge. Emsige junge Frauen nähten in ihrer Wohnung prominente Logos, etwa das der Luxusfirma Armani, an neutrale T-Shirts. Kuriere brachten das so „aufgewertete“ und betrügerisch verzierte Produkt zu einem ganz speziellen Bekleidungsladen im nächsten Vietnamesen-Markt. Dort wurde die vermeintliche „Armani-Ware“ der vorwiegend deutschen Kundschaft angeboten. Ob die Käufer – angesichts des Umfelds – eine Sekunde überlegen, woher die Ware wirklich kommt, ist höchst zweifelhaft. Stillschweigend kaufen sie gefälschte Marken, weil sie sich das sündhaft teure Original nicht leisten können – oder leisten wollen. Sie geben wenig aus und gehören trotzdem „dazu“. Dabei denken sie nicht an Markenpiraterie oder die Verletzung eines Copyrights.

Das Einsatzkommando, losgeschickt durch die Anordnung eines Richters aus Klatovy, stößt an diesem Tag auf keinen Widerstand. Das schwere Gerät zum Aufbrechen der Wohnungstür kann im Treppenhaus stehenbleiben. Das Appartement erweist sich sogleich als zu klein für die vielen Männer. Also beziehen die meisten Stellung im und um das Haus. Sie sichten einen kleinen Vorrat an noch unbearbeiteten Textilien in einem Kellerraum, richten ein provisorisches Büro mit Laptop und Drucker in der Küche ein. Dort nehmen sie die Personalien der Vietnamesen auf. Im Schlafzimmer stehen zwei Nähmaschinen am Boden – die Tatwerkzeuge. Die bürokratische Abwicklung dauert mehrere Stunden.
Sie studieren Lieferscheine und Rechnungen, führen penibel Protokoll
Zur gleichen Zeit auf dem Vietnamesen-Markt: Die Aktion konzentriert sich auf einen einzigen der 200 Läden. Mit einem Plastikband wurde die Vorderseite abgesperrt. Das Geschäft ist praktisch beschlagnahmt. Bis weit in den Nachmittag hinein durchsuchen die Zöllner die hohen Stapel mit legaler wie illegaler Kleidung, sammeln mit sicherem Griff die gefälschten Marken-Sonnenbrillen von einem Ständer ein. Sie studieren Lieferscheine und Rechnungen, führen penibel Protokoll über die unerlaubten Waren.

Am Ende bezeichnet Leutnant Jitka Blahutová, die Sprecherin der Zollverwaltung Pilsen, die Aktion als Erfolg. Solche Einsätze seien häufig auch mit den deutschen Partnern abgesprochen. Die Zusammenarbeit in den Deliktfeldern Markenpiraterie, Drogen und bei Verstößen gegen das Mineralölgesetz funktioniere immer besser. Dass dies auch mit einem wachsenden Druck der EU auf die östlichen Partner zu tun hat, das muss man sich dazudenken. Kosten-Nutzen-Denken ist bei Behörden beiderseits der Grenze weitgehend unbekannt – und deshalb sind alle Beteiligten sichtlich zufrieden. Denn auch „Kleinvieh“ macht bekanntlich Mist und demonstriert die neue Entschlossenheit, der organisierten Kriminalität auf allen Ebenen kompromisslos zu begegnen.
Wilhelm Dietl/woidpresse