Passau. Die Szenerie wirkt irreal – fast wie in einem Kriegsgebiet: Tonnenschwere Fahrzeuge der Bundeswehr bahnen sich ihren Weg zum Einsatzort, unzählige Feuerwehrleute räumen Schutt und Dreck zur Seite, Studenten mit Schaufenln und Eimern ziehen durch die Straßen, Polizisten regeln den Verkehr – oder versuchen es zumindest. Über der Altstadt hat sich ein beißender Dieselgeruch ausgebreitet, der Lärm der Aggregate ist ohrenbetäubend, etliche Pumpen befreien überflutete Keller von den schmutzig-braunen Wassermassen. In den betroffenen Straßenzügen selbst arbeiten die Bewohner am Limit: Die teils 20 Zentimeter hohen Schlammschichten müssen entsorgt, die Wohnungen leer geräumt werden – viele Möbel sind nicht zu retten. In den ansonsten romantischen Gässchen Passaus stapeln sich meterhohe Berge aus kaputten Schränken, Stühlen, Betten, Kleidern … Und überall dieser Dreck, dieser graue, erbarmungslose Film aus Sand und Lehm.
Doch neben all dem Leid und der Niedergeschlagenheit ist auch etwas zu spüren, das an einem so trostlosen Ort niemand vermutet: Hoffnung und Aufbruchstimmung. Unterstützt von hunderten Helfern packen die Passauer in diesen Tagen unverdrossen an, um ihre Stadt wieder lebenswert zu machen. Die Solidarität unter den Menschen ist greifbar. Und trotz des katastrophalen Ausmaßes huscht angesichts dieses großen Zusammenhalts immer wieder mal ein Lächlen über das Gesicht der Betroffenen. Das Jahrhunderthochwasser in Passau – das Onlinemagazin „da Hog’n“ hat sich ein Bild von der Lage verschafft.
Anton Hartl: „Ich werde meinen Laden wohl zusperren müssen“
„So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt Anton Hartl verbittert. Die Verzweiflung steht ihm dabei deutlich ins Gesicht geschrieben. Sein Laden für Fischereibedarf an der Ecke Ort/Bräugasse wurde im Erdgeschoss komplett geflutet, der Schlamm baut sich vor der Haustüre auf, die Schaufenster-Scheiben sind zerbrochen. „Das Glas ist das einzige, was mir die Versicherung ersetzt“, erklärt der Passauer, zuckt mit den Schultern und zeigt auf die Bruchstellen. Traurig stellt er fest: „Ich werde meinen Laden wohl zusperren müssen, das wird nix mehr.“ Resignation. Erst als sich die Freiwilligen Feuerwehren aus Schönanger und Schönberg um den kleinen Laden von Anton Hartl annehmen, hellt sich die Miene des Betroffenen etwas auf. Schnell sind die größten Schlammmassen weg, der Zugang zum Haus wieder frei: Ein Licht am Ende des Tunnels, eine Erlösung von der feucht-kalten und grauen Bedrohung.
Klaus Demann: „Beim Bürgertelefon bin ich nie durchgekommen“
Die beiden Feuerwehren aus dem Bayerischen Wald gehören zu einer Gruppe von 19 Wehren, die sich am frühen Morgen nach Passau aufgemacht haben – insgesamt 27 Fahrzeuge mit 197 Einsatzkräften unter der Führung von Kreisbrandrat Klaus Fehler. Mit 40 Stundenkilometern ging es im Konvoi ins Katastrophengebiet – um zu helfen, um die Betroffenen aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Herzlich werden die Helfer allernorts empfangen, überall wird nachgefragt, wer Hilfe benötigt kann.
Einer, der sie dringend benötigt, ist Klaus Demann. Zwar ist das Erdgeschoss seines Miethauses in der Bräugasse komplett überschwemmt worden, dennoch gibt sich der 54-Jährige kämpferisch: „Das wird schon wieder – wir werden es überleben“. Mit einer Schaufel „bewaffnet“ lehnt er an einer Fensterbank, gezeichnet von den Anstrengungen der vergangenen Tage. Gleichzeitig ist sein Wille spürbar, sein Eigenheim wieder herzurichten. Ein großes Lob hat Klaus Demann in diesem Zusammenhang für die vielen freiwilligen Unterstützer übrig – die Koordinierung seitens der Stadt hingegen findet der Passauer dürftig: „Beim Bürger-Telefon beispielsweise bin ich nie durchgekommen – für eine Stadt, die Hochwasser gewohnt ist, ist das alles andere als gut.“
Andreas Grünberger: „Gerade mal ein halber Meter fehlte zur Decke“
Ein kleines Stückchen weiter steht Andreas Grünberger. Der 27-Jährige ist Koch im Altstadt-Hotel. Er macht sich groß, streckt seine Arme nach oben und sagt: „So hoch ist das Wasser hier bei uns gestanden – gerademal ein halber Meter fehlte zur Decke.“ Ähnlich wie viele Bewohner, Betroffene und Angestellte in der Altstadt zeigt sich aber auch der Schaldinger kämpferisch. Ein bisschen Angst hat er dennoch – um seinen Arbeitsplatz: „Ich hoffe, dass das Altstadthotel wieder vollkommen hergestellt sein wird.“
Wieder in seine vier Wände in der Altstadt zurück möchte der gebürtige Auggenthaler (Gmd. Röhrnbach) Michael Stefan. Am Montagnachmittag flüchtete der Lehrer zu seinen Eltern in den Woid – weg von Wasser und Schlamm. Doch der 30-Jährige hatte Glück im Unglück: Nur der Keller seines Wohnhauses wurde geflutet – die meisten Sachen konnte er rechtzeitig in Sicherheit bringen. Auch an seiner Schule, dem Passauer Adalbert-Stifter-Gymnasium, war an einen geregelten Unterricht nicht zu denken. „Am Montag war gerade mal ein Schüler da – der hatte sich wohl verirrt und nicht mitbekommen, dass der Unterricht ausfällt“, berichtet er mit einem Schmunzeln. Wenig später trifft man ihn am Römerplatz beim Schutt-Wegräumen.
Günther Krinner: „So extrem wie heuer war es noch nie“
Zwar vom Hochwasser betroffen, aber dennoch nicht schulfrei, hat Lehrer Günther Krinner, der direkt an der Ortsspitze wohnt. Da in diesen Tagen die Abitur-Prüfungen am Maristengymnasium anstehen, lässt sich der 54-Jährige von der Wasserwacht „Teilzeit-evakuieren“ – und kehrt abends, nach getaner Arbeit, wieder per Boot zurück in sein Haus. Nachdem ihn die Helfer am Römerplatz abgesetzt hatten, berichtet er: „Ich wohne nun seit 25 Jahren hier – doch so extrem wie heuer war es noch nie.“ Wie bei vielen anderen Passauern kann man auch bei Günther Krinner erkennen, dass sie den Kampf gegen Wasser und Schlamm, Angst und Ernüchterung, angenommen haben. Eine Jetzt-erst-recht-Stimmung ist unter vielen Betroffenen auszumachen.
So auch bei Feuerwehrmann Josef Jaborek. Seit 30 Jahren ist er aktives Mitglied der Grubweger Truppe, zu deren Einsatzbereich die Passauer Ortsspitze zählt. Schon viele Hochwasser hat er miterlebt – in diesem Jahr ist es jedoch „nicht ohne“, wie der 51-Jährige mit einer gesunden Portion niederbayerischer Bescheidenheit sagt. Der Dreck klebt an seiner Kleidung, sein Blick wirkt müde und kämpferisch zugleich: „Die Zerstörung ist der Wahnsinn – aber die Leute sind alle sehr fleißig hier“, berichtet er. „Zugegeben: Manches mag von außen betrachtet wie ein wildes Durcheinander aussehen, wie ein wilder Hühnerhaufen. Wir versuchen jedoch alles genau zu koordinieren. Jeder versucht mit dem Minimum das Maximum zu erreichen.“ Der bis Samstag freigestellte ZF-Angestellte erinnert sich noch an die Stunden vor der Hochwasser-Welle, an den Kampf der Bewohner um die Sandsäcke. „Die waren richtig gierig darauf.“ Trotzdem konnten viele ihr Hab und Gut vor den Fluten nicht schützen, die enorme Kraft der Wassermassen riss alles mit sich.
Das musste auch Roland Kronschnabl feststellen. Auch sein Haus am Unteren Sand konnte nicht gerettet werden. Schweißperlen haben sich auf seiner Stirn ausgebreitet, die Hände sind schmutzig, er kann beim Anblick der Zerstörung nur noch den Kopf schütteln. Vor seinem Haus verrichtet eine kleine Pumpe emsig ihren Dienst. „Das ist ein Drama, so etwas war noch nie da“, sagt er. Er selber wohnt in der Firmiansstraße, blieb daher vom Hochwasser verschont – umso verheerender hat es sein Elternhaus am Unteren Sand erwischt. Aufgeben? Sicher nicht! Roland Kronschnabl arbeitet entschlossen weiter.
Roland Kronbichler: „Das ist ein Drama, so etwas war noch nie da“
Währenddessen legen vor seinem Haus einige Freyunger Soldaten eine wohlverdiente Pause ein. Renate Irlinger (47) geht mit ihrem Sohn Jonas auf sie zu, versorgt sie hilfsbereit mit Kaffee und Kuchen. Die beiden sind von der Katastrophe verschont geblieben, wollen nun diejenigen unterstützen, die weniger Glück hatten. „Gestern haben wir beim Aufräumen geholfen, heute verteilen wir Kaffee und Kuchen“, erzählt Renate Irlinger. „Mehr ist für mich einfach nicht möglich, weil ich gehbehindert bin.“ Man hilft sich, wo es nur geht – man ist für einander da. Das Leid der Betroffenen ist das Leid ganz Passaus.
Auch Nadja Blöchl aus Perlesreut im Bayerischen Wald steht bereit – mit Besen und Eimer in den Händen. Zwar hat sie noch keinen Einsatzort zugeteilt bekommen, trotzdem möchte sie dazu beitragen, dass Passau wieder sauber wird. Sie ist eine von vielen Studenten, die in diesen Tagen tatkräftig mitanpacken – was von vielen Anwohnern in höchstem Maße anerkannt wird. „Ich studiere in Passau – und fühle mich deshalb mit der Stadt verbunden“, erzählt sie, vor dem Leopoldinum stehend. Dort tragen Schüler, die heute trotz Unterrichtsausfall gekommen sind, zerstörte Möbel aus dem Gebäude. Vor der Schule stehen mehrere Bienenvölker – „ein Biologie-Projekt, das gerade noch gerettet werden konnte“, erklärt Lehrerin Elisabeth Fuchs (31), eine gebürtige Herzogsreuterin. Schon am Mittwoch soll wieder unterrichtet werden, schließlich stehen die Abitur-Prüfungen an.
„Ich hoffe, den Betroffenen wird möglichst schnell geholfen“
An ein normales Leben kann Johann Krompaß derzeit nicht denken. Auf rund 300.000 Euro beziffert er den Schaden an seinem Haus am Unteren Sand – einen Teil wird er wohl abreißen müssen: „Alles ist kaputt“, sagt er mit leerem Blick. Johann Krompaß steht vor dem Nichts. Seine Existenz – weggeflutet. Nun hofft er auf schnelle und unbürokratische Hilfe seitens der Behörden und Spendengelder. „Vom Ordnungsamt kommen demnächst Leute, die den Schaden feststellen. Ich hoffe, den Betroffenen wird dann schnell geholfen.“ Viel Lob hat Krompaß für die Studenten übrig – tatkräftig unterstützen sie den Hausherren bei den Aufräumarbeiten.
Diese wird der Freyunger Unternehmer Hermann Löffler auch an seinem Haus in der Michaeligasse vornehmen müssen. „Einige meiner Mieter haben bereits gekündigt“, erklärt der 66-Jährige eine weitere Folge des Hochwassers. „Sie wollen nicht mehr länger hier wohnen bleiben.“ Er begutachtet die Zerstörungen im Gebäude, spricht mit einer Mieterin aus dem ersten Stock über das weitere Vorgehen. Indes stellen Mitarbeiter des Ordnungsamtes den Schaden fest, machen sich viele Notizen. Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerk (THW) spülen die Gehwege vor dem Haus mit Wasserschläuchen sauber. Doch verzweifelt oder gar niedergeschalgen wirkt der Freyunger nicht: „Das meiste sind Reinigungsarbeiten. Die Natur wehrt sich eben ab und zu.“ Auch er lobt die große Hilfsbereitschaft und Solidarität unter den Menschen. Nüchtern, fast trocken, stellt er abschließend fest: „Ich sehe das eher gelassen. Es wird gemeinsam angepackt, zusammengehalten und nicht lange geredet – das ist typisch niederbayerisch.“
Helmut Weigerstorfer